Verfahrensgang
VG Chemnitz (Urteil vom 04.11.2003; Aktenzeichen 6 K 21/01) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 4. November 2003 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor.
Der Kläger beansprucht als Erbe seines 1971 verstorbenen Vaters, Herrn Gottfried von Herder, dessen verwaltungsrechtliche Rehabilitierung nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG). Nach Angaben des Klägers war sein Vater der frühere Eigentümer des Majorats (Rittergutes) Rauenstein in Lengefeld. Dieses Gut wurde mit einer Größe von 416 ha, Besitzer: von Herder, unter der laufenden Nr. 5 der amtlichen Liste der enteigneten Güter über 100 ha im Bereich der Kreisbodenkommission Lengefeld (Liste A) registriert und auf der Grundlage der Verordnung über die landwirtschaftliche Bodenreform vom 10. September 1945 mit allen dazugehörigen baulichen Anlagen samt lebendem und totem Inventar am 15. Oktober 1945 entschädigungslos enteignet.
In einer vom Kläger vorgelegten Bescheinigung über eine Rehabilitierung der Generalstaatsanwaltschaft der russischen Föderation – Hauptverwaltung für die Überwachung der Gesetzesdurchführung in den Streitkräften – vom 4. Oktober 1994 wird bestätigt, dass der Bürger Deutschlands, Gottfried von Herder, geboren am 14. Dezember 1891 in Forchheim, Besitzer von Gut und Schloss Rauenstein im Erzgebirge, im September 1945 aus politischen Gründen von den Organen des NKWD der UdSSR auf den besetzten Gebieten Deutschlands unbegründet verhaftet und in die Kommandantur nach Marienberg gebracht worden sei. Außerdem seien durch die sowjetische Militäradministration des Landes Sachsen auf der Grundlage des Befehls Nr. 126 vom 31. Oktober 1945 die ihm gehörenden Landbesitztümer und das Schloss Rauenstein konfisziert worden. Laut Archivakten sei Herr Gottfried von Herder kein Mitglied der Nationalsozialistischen Partei oder ihrer sichtbaren Anhänger gewesen, habe keine rechtswidrigen Handlungen begangen, die gegen die UdSSR oder ihre Bürger gerichtet gewesen seien, und deshalb sei seine Inhaftierung und die Konfiskation des ihm persönlich gehörenden Vermögens und der genannten Besitztümer ohne Gerichtsverfahren ungesetzmäßig.
Der Antrag des Klägers auf Rückgabe des Gutes Rauenstein auf der Grundlage des Vermögensgesetzes (VermG) wurde vom Sächsischen Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Bescheid vom 30. März 1995 zurückgewiesen. Die dagegen durch den Kläger erhobene Klage ist beim Verwaltungsgericht Dresden unter dem Az.: 7 K 132/00 anhängig.
Der Kläger trägt zur Begründung seines Anspruchs zusammenfassend im Wesentlichen vor, dass sein Vater und seine Familienangehörigen das Opfer einer persönlichen politischen Verfolgung durch sowjetische und deutsche Behörden in der Zeit der sowjetischen Besatzung bzw. der DDR gewesen seien. Die gegen die Betroffenen verhängten Gewaltmaßnahmen der sozialen Ächtung und Ausgrenzung aus der sozialen Friedensordnung, Vertreibung und Verfolgung und die damit einhergehende existenzvernichtende Einziehung ihres gesamten Vermögens hätten Verbrechen gegen die Menschlichkeit dargestellt und allesamt gegen zwingendes Völkerrecht verstoßen. Sie seien innerstaatlich null und nichtig gewesen und dürften durch keinen zivilisierten Rechtsstaat für bestandskräftig erklärt werden. Vielmehr sei mit dem Beitritt der DDR die Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer Unterwerfung unter die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, den Internationalen Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte und nicht zuletzt unter die Europäische Menschenrechtskonvention verpflichtet, einen völker- und menschenrechtskonformen Zustand herzustellen. Dies erfordere die Rehabilitierung zur Beseitigung der noch immer andauernden Diskriminierung der Betroffenen und ihrer Angehörigen und die Rückgabe des seinerzeit geraubten Vermögens in seiner Gesamtheit. Dafür spreche insbesondere, dass es sich bei den Vermögenszugriffen nicht um entschädigungslose Enteignungen, sondern um strafrechtliche Vermögenseinziehungen gehandelt habe, für die Nr. 9 der Gemeinsamen Erklärung einschlägig sei. Auch das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 4. Juli 2003 ausgeführt, dass zwischen bloßen Vermögenszugriffen im Gewand einer Verwaltungsentscheidung und Vermögenszugriffen im Rahmen einer strafrechtlichen Verurteilung zu differenzieren sei. Da die Betroffenen nicht als Enteignungs- sondern als Verfolgungsopfer zu verstehen seien, folge daraus notwendig ein Rehabilitierungsanspruch.
Die Voraussetzungen einer Divergenzrevision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sind nicht gegeben. Eine die Revision eröffnende Divergenz liegt nur vor, wenn die Vorinstanz in der angefochtenen Entscheidung eine Rechtsauffassung vertritt, die einem bestimmten, vom Bundesverwaltungsgericht, dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder dem Bundesverfassungsgericht aufgestellten Rechtssatz widerspricht. Eine derartige Abweichung wird in der Beschwerdeschrift nicht aufgezeigt. Zwar behauptet die Beschwerde eine Abweichung des angefochtenen Urteils von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, Beschluss vom 4. Juli 2003 – 1 BvR 834/02 –. Dazu zitiert sie folgende Passage aus dem angefochtenen Urteil:
“Es kann hier dahinstehen, ob die Enteignungsmaßnahmen im Zuge der Bodenreform vor allem auf die politische Verfolgung der Betroffenen zielten und deshalb nicht vom VermG erfasst werden mit der Folge der Anwendbarkeit des § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG. Letztlich kommt es darauf nämlich – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht entscheidend an. Sollte nämlich eine solche Enteignungsmaßnahme i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG vom VermG erfasst werden, würde seine Rückgabe an § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG scheitern.”
Anschließend gibt sie aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juli 2003 – 1 BvR 834/02 – folgende Auszüge wieder:
“Jedoch wird deren unterschiedliche Behandlung verfassungsrechtlich dadurch gerechtfertigt, dass Eingriffe in die Freiheitssphäre des Einzelnen, die sich in einer strafgerichtlichen Verurteilung niederschlagen, ihrem Wesen und ihrer Sanktionswirkung nach typischerweise schwerer wiegen als Eingriffe im Gewand einer Verwaltungsentscheidung (zum sozialethischen Unwerturteil strafgerichtlicher Verurteilungen; vgl. BVerfGE 101, 275 (287) m.w.N.).
…
Mit der Verhängung einer solchen Sanktion war in aller Regel ein erheblich größerer und damit auch erhöht rehabilitierungsbedürftiger Makel verbunden als mit einem Verwaltungszugriff auf das Eigentum, der vornehmlich vermögensrechtlich geprägt war. Es ist nicht sachwidrig und deshalb von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn derart massive und nicht in erster Linie auf die Vermögenssphäre der Betroffenen bezogene Eingriffe als so schwerwiegend angesehen werden, dass sie anders als Vermögensentziehungen durch deutsche Verwaltungsstellen als auch in vermögensmäßiger Hinsicht rehabilitierungswürdig und -bedürftig eingestuft werden.”
Insoweit ist schon nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an eine ordnungsgemäße Darlegung des Zulassungsgrundes genügt. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 1995 – BVerwG 8 B 61.95 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 18). Es ist nicht ersichtlich, hinsichtlich welchen Rechtssatzes die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts in den zitierten Teilen einander widersprechen sollten.
Davon abgesehen werden die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Zusammenhang gerissen und unvollständig wiedergegeben. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt nämlich die Auslegung der Ausschlussklausel des § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG durch den beschließenden Senat, auf die sich die angefochtene Entscheidung stützt, und erläutert an der zitierten Stelle lediglich, warum eine dadurch bedingte Schlechterstellung im Verhältnis zu Rechtsnachfolgern von Personen, die durch ein sowjetisches Militärtribunal neben einer Freiheitsstrafe zu einer Vermögenseinziehung als Nebenstrafe verurteilt wurden, mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist.
Die behauptete Grundsatzbedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO führt ebenfalls nicht auf die begehrte Revision. Zwar wird in der Beschwerdebegründung vom 19. Januar 2004, der Ergänzung vom 10. Februar 2004, der Ergänzung vom 3. März 2004, der Replik vom 29. März 2004 sowie der Ergänzung vom 16. Juli 2004 im Einzelnen dargelegt, dass die grundsätzlich bedeutsamen Fragen dergestalt seien, “ob § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG ein Ausschlusstatbestand sein kann, wenn die zu beurteilende Maßnahme als politische Verfolgung und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen sind”.
Daraus ist sinngemäß zu entnehmen, dass es die Beschwerde im Wesentlichen für grundsätzlich klärungsbedürftig hält, ob als rehabilitierungsfähige Maßnahme im Zusammenhang mit dem Vollzug der “Bodenreform” allein die Wegnahmeentscheidung in Betracht kommt oder ob zwischen der politischen Verfolgung des Betroffenen durch andere – namentlich strafrechtliche – Maßnahmen und der dieser Verfolgung dienenden Wegnahmeentscheidung zu differenzieren ist, ob diese politische Verfolgung Gegenstand der verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung sein kann und ob – bejahendenfalls – eine solche Rehabilitierung Folgeansprüche gemäß § 2 Abs. 1, § 7 Abs. 1 VwRehaG wegen der Vermögensentziehung begründet.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache jedoch nur, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung dazu beitragen kann, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Einer Rechtsfrage kommt nicht schon deshalb grundsätzliche Bedeutung zu, weil zu ihr noch keine ausdrückliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vorliegt; auch in einem solchen Fall fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit, wenn sich die Rechtsfrage durch Auslegung der maßgeblichen Rechtsvorschriften anhand der anerkannten Auslegungskriterien ohne weiteres beantworten lässt oder durch die bisherige Rechtsprechung als geklärt angesehen werden kann (Beschluss vom 31. Juli 1987 – BVerwG 5 B 49.87 – Buchholz 436.0 § 69 BSHG Nr. 14). Letzteres trifft auch dann zu, wenn die vorhandene höchstrichterliche Rechtsprechung ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage gibt (Beschluss vom 28. September 1995 – BVerwG 10 B 6.94 –). Ein solcher Fall ist hier gegeben.
In der ständigen Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz keine Anwendung findet in Fällen, in denen die Rehabilitierung wegen des Verlustes von Eigentum im Zuge der so genannten Bodenreform begehrt wird (vgl. etwa Urteile vom 23. August 2001 – BVerwG 3 C 39.00 – Buchholz 428.6 § 1 VwRehaG Nr. 3 = VIZ 2002, 25, vom 21. Februar 2002 – BVerwG 3 C 15.01 – und vom 21. Februar 2002 – BVerwG 3 C 16.01 – BVerwGE 116, 42; ferner Beschlüsse vom 11. April 2002 – BVerwG 3 B 16.01 –, vom 14. April 2003 – BVerwG 3 B 167.02 –, vom 14. April 2003 – BVerwG 3 B 175.02 – und vom 17. Dezember 2003 – BVerwG 3 B 92.03 –). Damit sind die von der Beschwerde aufgeworfenen allgemeinen Fragen, die in den einzeln formulierten Fragen in unterschiedlicher Ausprägung aufgegriffen werden, höchstrichterlich geklärt, zumal die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wie oben im Zusammenhang mit der Divergenzrüge bereits dargelegt wurde, durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt worden ist (Beschluss vom 4. Juli 2003 – BVerfG 1 BvR 834/02 –).
Zwar unterscheidet sich der vorliegende Fall von den bereits durch den erkennenden Senat entschiedenen Fällen dadurch, dass der Vater des Klägers gemäß der vom Kläger vorgelegten Bescheinigung der Generalstaatsanwaltschaft der russischen Föderation – Hauptverwaltung für die Überwachung der Gesetzesdurchführung in den Streitkräften – vom 4. Oktober 1994 rehabilitiert wurde. Der Umstand der erfolgten Rehabilitierung durch die Generalstaatsanwaltschaft der russischen Föderation ändert aber nichts daran, dass die Enteignung auf besatzungsrechtlicher Grundlage erfolgte. Insoweit besteht kein Unterschied zu den bisher bereits entschiedenen Fällen.
Auch das Vorbringen, dass es sich bei den Vermögenszugriffen nicht um entschädigungslose Enteignungen, sondern um strafrechtliche Vermögenseinziehungen gehandelt habe, rechtfertigt eine Zulassung der Revision nicht. Es mag sein, dass – wie der Kläger geltend macht – im Gegensatz zu dem dargelegten Anwendungsausschluss des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes in Fällen einer strafrechtlichen Rehabilitierung auch der Vermögensverlust ausgeglichen werden kann. Ob die Voraussetzungen hier gegeben sind, kann im vorliegenden Verfahren indessen dahin stehen. Die strafrechtliche Rehabilitierung, in deren Rahmen ggf. über die Erstreckung der Rehabilitierung auf die Vermögenseinziehung zu entscheiden wäre (vgl. § 3 Abs. 2 StrRehaG i.V.m. § 1 Abs. 7 VermG), wäre nämlich im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren geltend zu machen. Auch im Falle einer Verurteilung durch ein Sowjetisches Militärtribunal zu einer Vermögenseinziehung ggf. neben einer Freiheitsstrafe können Rehabilitierungen den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 7 VermG eröffnen, sofern sich die Rehabilitierung auch auf die vermögensentziehende Maßnahme bezieht (vgl. BVerwGE 108, 315 ≪321 f.≫). Aber auch insoweit kann hier dahinstehen, ob diese Voraussetzungen vorliegen, da diese Fragen ebenfalls nicht im verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsverfahren zu entscheiden wären. In diesem Verfahren steht § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG einer Rehabilitierung hinsichtlich der besatzungshoheitlichen Maßnahme der Vermögensentziehung als solcher uneingeschränkt entgegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 14 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Dette
Fundstellen