Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 02.10.2003; Aktenzeichen 14 A 3044/01) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 2. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
Gründe
1. Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Berufungsentscheidung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Berufungsentscheidung beruhen kann. Wird wie hier die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten, muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung dargelegt oder die Entscheidung, von der das Berufungsurteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Prüfung des beschließenden Senats ist dabei auf fristgerecht geltend gemachte Beschwerdegründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO beschränkt.
a) Die von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.
aa) Die die Besetzung des Berufungsgerichts (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) betreffende Rüge der Klägerin greift nicht durch. Sie macht insoweit geltend, in der ihr übersandten Liste der ehrenamtlichen Richter des 14. Senats des Oberverwaltungsgerichts sei die an dem angefochtenen Berufungsurteil beteiligte ehrenamtliche Richterin Bratz-Nigmann nicht aufgeführt und sei darin auch nicht als Ersatzrichterin angegeben. Ferner bestreitet die Klägerin die ordnungsgemäße Durchführung des Wahl- und Bestellungsverfahrens sowie des Nachrück- und Ersatzverfahrens der ehrenamtlichen Richter. Da ihr trotz Anforderung die entsprechenden Unterlagen vom Berufungsgericht nicht vorgelegt worden seien, sei die ordnungsgemäße Besetzung von Amts wegen nachzuprüfen.
Die Besetzungsrüge ist bereits nicht ordnungsgemäß erhoben worden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Eine Besetzungsrüge ist nur dann hinreichend vorgebracht, wenn die Beschwerde die nach ihrer Meinung den Mangel begründenden Tatsachen in einer Weise vorträgt, die dem Revisionsgericht deren Beurteilung ermöglicht (Beschlüsse vom 17. Dezember 1982 – BVerwG 8 CB 83.80 – Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 24 und vom 27. Juni 1995 – BVerwG 5 B 53.95 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 9). Wird die ordnungsgemäße Heranziehung eines ehrenamtlichen Richters gerügt, bedarf es einer Auseinandersetzung mit den Einzelheiten der für die Heranziehung maßgeblichen Listen (vgl. §§ 30, 34 VwGO) sowie gegebenenfalls der Einholung von Erkundigungen und der Vornahme eigener Ermittlungen, um sich über das Vorgehen des Gerichts Aufklärung zu verschaffen (Beschlüsse vom 27. Juni 1995, a.a.O. und vom 2. Juli 1998 – BVerwG 11 B 30.97 – Buchholz 451.171 § 6 AtG Nr. 2 = NVwZ 1999, 654 ≪657≫). Eine lediglich “auf Verdacht” erhobene Besetzungsrüge ist unbeachtlich. Nach diesen Maßstäben fehlt es an einem hinreichenden Vortrag der Klägerin. Aus den ihrem Prozessbevollmächtigten übersandten Unterlagen ist zu entnehmen, dass der ursprünglich aus der Hauptliste für die Sitzung am 2. Oktober 2003 geladene ehrenamtliche Richter Wagner am 19. August 2003 abgesagt hat und dass an dessen Stelle eine mit “H.Nr. 38” bezeichnete Person getreten ist. Das Berufungsgericht hat in seinem Beschluss vom 19. Dezember 2003, mit dem es der Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin nicht abgeholfen hat, ausgeführt, nachdem sich der ehrenamtliche Richter Wagner für verhindert erklärt hätte, sei entsprechend der im Präsidiumsbeschluss vom 11. Dezember 2002 in Verbindung mit dem Präsidiumsbeschluss vom 11. Dezember 2000 enthaltenen Regelung über die Heranziehung ehrenamtlicher Richter nach der Hilfsliste die ehrenamtliche Richterin Bratz-Nigmann herangezogen worden, was mit “H.Nr. 38” vermerkt worden sei. Die Klägerin hat nicht ansatzweise dargetan, dass diese Verfahrensweise fehlerhaft gewesen wäre. Die Aufstellung von Haupt- und Hilfsliste steht im Einklang mit § 34 VwGO i.V.m. § 30 Abs. 2 VwGO, wonach hinsichtlich der Heranziehung ehrenamtlicher Richter beim Oberverwaltungsgericht eine Hilfsliste für die Fälle unvorhergesehener Verhinderung aufgestellt werden kann. Dass die Voraussetzungen einer unvorhergesehenen Verhinderung des ehrenamtlichen Richters Wagner nicht gegeben gewesen wären, hat die Klägerin ebenso wenig dargelegt wie Anhaltspunkte dafür, die Heranziehung der Nr. 38 der Hilfsliste oder konkret der ehrenamtlichen Richterin Bratz-Nigmann wäre nicht ordnungsgemäß gewesen. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass der ehrenamtliche Richter Wagner sich bereits im August für die Sitzung am 2. Oktober 2003 für verhindert erklärt hat. Eine “unvorhergesehene Verhinderung” im Sinne von § 30 Abs. 2 VwGO kann nicht nur eine Verhinderung sein, die plötzlich eintritt, ohne dass zeitlich die Möglichkeit besteht, den in der Hauptliste nächstfolgenden Richter zu laden, sondern ebenso die Verhinderung, die für das Gericht zum Zeitpunkt der normalen Ladung nicht vorauszusehen war (Urteil vom 12. Dezember 1973 – BVerwG 6 C 104.73 – BVerwGE 44, 215 ≪218 f.≫).
Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, mangels Vorlage weiterer Unterlagen sei ihr der Vortrag näherer Einzelheiten nicht möglich gewesen. Es fehlt an der Darlegung ausreichender Aufklärungsbemühungen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schreiben an das Berufungsgericht vom 23. Oktober 2003 die Übersendung des Geschäftsverteilungsplans beantragt, aus dem die Senatsbesetzung in der mündlichen Verhandlung vom 2. Oktober 2003 hervorgehe, sowie darüber hinaus die Übersendung von Unterlagen, aus denen ersichtlich sei, dass die mitwirkenden ehrenamtlichen Richter die gesetzlichen Richter seien, einschließlich der Unterlagen über das Wahlverfahren dieser Richter. Das Oberverwaltungsgericht hat ihm daraufhin mit Schreiben vom 28. Oktober 2003 Kopien der Geschäftsverteilungspläne des 14. Senats für die Geschäftsjahre 2001 bis 2003, der Liste der dem Senat zugewiesenen ehrenamtlichen Richter sowie der Sitzungsheranziehung für 2003 zugesandt. Ferner hat es darauf hingewiesen, dass die Unterlagen über das Wahlverfahren der ehrenamtlichen Richter sehr umfangreich seien. Es wäre danach Sache des Prozessbevollmächtigten gewesen, die nach seiner Ansicht erforderlichen weiteren Auskünfte beim Berufungsgericht, gegebenenfalls im Wege der Akteneinsicht an Gerichtsstelle, einzuholen. Dass der Prozessbevollmächtigte weitere Aufklärungsbemühungen unternommen hätte, ergibt sich weder aus den Gerichtsakten noch aus dem Beschwerdevorbringen der Klägerin. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Besetzungsrüge als unbeachtliche “Rüge auf Verdacht”.
bb) Die gegen die Ablehnung ihres Beweisantrages gerichtete Rüge der Klägerin führt ebenfalls nicht auf einen Verfahrensfehler.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung beantragt, “zum Beweis dafür, dass die Klägerin am 18.12.1997 und mindestens bis 23.12.1997 an einer psychischen Krankheit, wohl einer Panikstörung oder einer Angstneurose mit psychogenen Körperstörungen, litt, die nicht prüfungsbedingt war, sie jedoch prüfungsunfähig und tagelang unfähig zu vernünftigem Handeln machte und sie unfähig machte, vor oder während oder kurz nach der Prüfung eine vernünftige Risikoentscheidung über einen Prüfungsrücktritt von der mündlichen Prüfung zu treffen, den Internisten Dr. … N.…, die Amtsärztin Dr. Z.… und die Dipl. Psychologin Dr. … S.… als sachverständige Zeugen zu hören und ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen”. Den Beweisantrag hat das Berufungsgericht mit in der mündlichen Verhandlung bekannt gegebenem Beschluss abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Senat könne unterstellen, dass die von der Klägerin behaupteten Angststörungen am 18. Dezember 1997 vorgelegen hätten und sie in den Folgetagen nicht in der Lage gewesen sei, Prüfungsunfähigkeit geltend zu machen. Auch dann komme die beantragte Beweiserhebung nicht in Betracht, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen nicht entscheidungserheblich seien. Es hätte der Klägerin oblegen, unverzüglich Prüfungsunfähigkeit geltend zu machen und nachzuweisen. Die unmittelbar nach der Prüfung vorgelegten Atteste und die eigenen Erklärungen beschränkten sich auf die Symptomatik und enthielten keine Diagnose, insbesondere keine Feststellungen dazu, dass für die Symptomatik anderes als Prüfungsangst ursächlich sei.
(1) Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt darin keine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO). Die Ablehnung von Beweisanträgen stellt nur dann einen Gehörsverstoß dar, wenn die Nichtberücksichtigung eines Beweisangebots im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. November 1978 – 1 BvR 158/78 – BVerfGE 50, 32 ≪35 f.≫; BVerwG, Beschluss vom 1. August 2003 – BVerwG 1 B 294.02 –). Dies ist hier nicht der Fall. Das Berufungsgericht konnte von einer Beweiserhebung unter dem Gesichtspunkt der Wahrunterstellung absehen, weil es zu Gunsten der Klägerin den von ihr behaupteten Sachverhalt, am 18. Dezember 1997 und mindestens bis zum 23. Dezember 1997 an nicht prüfungsbedingten Angststörungen gelitten zu haben und tagelang nicht in der Lage gewesen zu sein, Prüfungsunfähigkeit geltend zu machen, ohne jede inhaltliche Einschränkung als richtig angenommen und damit so behandelt hat, als wäre er nachgewiesen (zum zulässigen Absehen von einer Beweiserhebung bei Wahrunterstellung vgl. Urteile vom 6. Februar 1985 – BVerwG 8 C 15.84 – BVerwGE 71, 38 ≪41≫ und vom 24. März 1987 – BVerwG 9 C 47.85 – BVerwGE 77, 150 ≪155 ff.≫, jeweils m.w.N.). Dies ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden, da nur über entscheidungserhebliche und klärungsbedürftige Tatsachen Beweis erhoben werden muss, was auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Gerichts zu beurteilen ist (vgl. Beschluss vom 27. Juni 1995, a.a.O.; Beschluss vom 28. August 2003 – BVerwG 9 B 31.03 –).
Hat das Berufungsgericht dem Beweisantrag verfahrensfehlerfrei nicht entsprochen, liegt darin auch keine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung.
(2) Aus den vorangehenden Ausführungen folgt zugleich, dass das Berufungsgericht durch die Ablehnung des Beweisantrags auch nicht seine richterliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt hat. Die Aufklärungspflicht nach § 86 VwGO gebietet dem Tatrichter (nur), solche Umstände aufzuklären, auf die es nach seiner eigenen materiellrechtlichen Auffassung, die er seinem Urteil zugrunde legt, ankommt; ob diese seine Auffassung zutrifft, ist keine Frage des Verfahrensrechts, sondern des materiellen Rechts (Urteile vom 27. Mai 1982 – BVerwG 2 C 50.80 –, Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 197 = NJW 1983, 187 ≪189≫ m.w.N. und vom 24. Oktober 1984 – BVerwG 6 C 49.84 – BVerwGE 70, 216 ≪221 f.≫ m.w.N.; Beschluss vom 13. Dezember 1995 – BVerwG 2 B 68.95 –). Das Berufungsgericht hat sein Urteil darauf gestützt, dass die Klägerin nicht rechtzeitig nachgewiesen habe, dass sie bei der mündlichen Prüfung am 18. Dezember 1997 prüfungsunfähig gewesen sei. Das privatärztliche Attest vom 22. Dezember 1997 und das amtsärztliche Attest vom 29. Dezember 1997 seien nicht geeignet, Prüfungsunfähigkeit zu belegen (UA S. 5). Das am 24. November 1998 zu den Gerichtsakten gereichte privatärztliche Attest vom 1. Oktober 1998, das erstmals die Diagnose eines krankheitsbedingten Angstanfalls erstelle, sei nicht mehr unverzüglich, sondern verspätet vorgelegt worden (UA S. 9). Nach dieser der Entscheidung zugrunde gelegten Rechtsauffassung war nicht entscheidungserheblich, ob die Klägerin am Prüfungstag und an den Folgetagen an der geltend gemachten psychischen Erkrankung litt, und gab es für das Berufungsgericht keine Veranlassung, die beantragten Beweise zu erheben.
cc) Das Berufungsgericht war auch entgegen den Ausführungen der Klägerin nicht von Amts wegen verpflichtet, den Internisten Dr. N.… und die Amtsärztin Dr. Z.… als sachverständige Zeugen zu vernehmen und/oder sich sonst sachverständig beraten zu lassen. In dem privatärztlichen Attest vom 22. Dezember 1997 wird darauf verwiesen, die Klägerin sei am 18. Dezember 1997 infolge eines Angstsyndroms mit psychogenen Körperstörungen prüfungsunfähig gewesen. Sie habe auch in früheren Jahren häufig auf Prüfungssituationen mit Ängsten reagiert; für die jetzige Situation bestehe eine zusätzliche Belastung durch die Krebserkrankung der Mutter. Eine zusätzliche Belastung sei auch darin zu sehen, dass die der mündlichen Prüfung vorausgegangenen Klausuren schlecht ausgefallen seien und die jetzige Prüfung für die Klägerin die letzte Möglichkeit darstelle, einen Abschluss zu erlangen. Infolge der Denkblockade sei es für sie nicht möglich gewesen, rechtzeitig die eigene psychische Verfassung einzuschätzen und aus der Prüfung auszusteigen. Sie werde sich jetzt in psychotherapeutische Behandlung begeben. In dem amtsärztlichen Attest vom 29. Dezember 1997 heißt es, die Klägerin schildere, wie bereits in dem von ihr vorgelegten privatärztlichen Attest dargelegt, ein krankhaft gesteigertes Angstsyndrom mit psychischen sowie physischen Ausdrucksformen wie Denk- und Sprachstörungen bis hin zu Blockierungen, Erregung bis hin zu Panikzuständen. Psychisch belastend in Verbindung mit erheblichem Zeitaufwand sei ferner die Erkrankung der Mutter. Bei Verdacht auf Vorliegen einer Angstneurose sei der Klägerin dringend angeraten worden, sich in eine psychotherapeutische Behandlung zu begeben. Die psychisch verursachte Beschwerdesymptomatik könne rückwirkend auch für den 18. Dezember 1997 angenommen werden.
Das Berufungsgericht hat beide Atteste dahingehend gewürdigt, aus ihnen ergebe sich keine (rechtliche) Prüfungsunfähigkeit (UA S. 5). Es hat dieser Würdigung die Differenzierung zwischen persönlichkeitsbedingten und krankheitsbedingten Angstsymptomen zugrunde gelegt und darauf abgestellt, von Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne sei bei einer Erkrankung, nicht aber bei einer situationsgebundenen Prüfungsangst auszugehen. Dem Attest vom 22. Dezember 1997 fehle jede Aussagekraft in Bezug auf die rechtlich relevanten Kriterien, da es nicht ausführe, worin die Ursache der wiedergegebenen Symptome liege. Was der Arzt zur Vorgeschichte und den Ursachen ausführe, spreche für eine persönlichkeitsbedingte, durch die Prüfungssituation ausgelöste Prüfungsangst, nicht aber für Erscheinungen von Krankheitswert (UA S. 6 ff.). Ebenso wenig sei das amtsärztliche Attest vom 29. Dezember 1997 geeignet, eine Prüfungsunfähigkeit nachzuweisen. Auch insoweit fehle es an Ausführungen zu den Ursachen der Angstsymptome. Soweit der Verdacht einer Angstneurose geäußert werde, werde eine solche Erkrankung nicht diagnostiziert.
Eine Untersuchung der Klägerin oder sonstige eigene Feststellungen der Amtsärztin erwähne das Attest nicht (UA S. 8 f.).
Zu dieser Würdigung der Atteste war das Berufungsgericht aufgrund eigenen Sachverstands und somit ohne weitere Sachverhaltsaufklärung imstande. Für das Oberverwaltungsgericht war – wie bereits erwähnt – nicht entscheidungserheblich, ob die Klägerin im Zeitpunkt der Prüfung und in den Folgetagen prüfungsunfähig erkrankt war. Dies hat es als wahr unterstellt. Es hat vielmehr entscheidungserheblich darauf abgestellt, ob die Klägerin das Vorliegen einer rechtlich relevanten Prüfungsunfähigkeit rechtzeitig nachgewiesen hat. Diesen Prüfungsmaßstab hat es seiner Würdigung der Atteste zugrunde gelegt. Es liegt im Ermessen des Gerichts zu entscheiden, wie weit es sich selbst die erforderliche Sachkunde zur Beantwortung von Sachfragen zutraut. Die Ermessensfreiheit findet ihre Grenze, wenn die Entscheidung des Gerichts eine ihm nicht zur Verfügung stehende Sachkunde erfordert oder wenn sich dem Gericht aus anderen Gründen eine (weitere) Beweiserhebung aufdrängt (Urteile vom 6. November 1986 – BVerwG 3 C 27.85 – BVerwGE 75, 119 ≪126≫ und vom 9. August 1996 – BVerwG 6 C 3.95 –, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 372 S. 158). Es besteht keine Veranlassung, hier davon auszugehen, dem Berufungsgericht habe die erforderliche Sachkunde gefehlt, um zu beurteilen, ob die Atteste sich aussagekräftig zu den Ursachen der geltend gemachten Prüfungsunfähigkeit verhalten. Die Würdigung ärztlicher Atteste ist eine sich in der verwaltungsgerichtlichen Praxis immer wieder stellende Aufgabe. Aufgrund der dadurch gewonnenen Erfahrungen ist ein Richter/eine Richterin regelmäßig befähigt, ein ärztliches Attest jedenfalls insoweit zu würdigen, als es um die Differenzierung zwischen Symptomen und Diagnosen und die ihm insoweit zukommende Aussagekraft geht. Dass abweichend davon hier spezielle medizinische Fachkenntnisse erforderlich gewesen wären, ist nicht ersichtlich.
dd) Die Beschwerde rügt die Sachverhalts- und Beweiswürdigung dahingehend, das Berufungsgericht maße sich eigene medizinische Kenntnisse bezüglich der Beurteilung komplexer psychischer Erkrankungen und Beeinträchtigungen an. Es dürfe sich nicht über den Inhalt ärztlicher Atteste hinwegsetzen, ohne die Ärzte selbst zu hören, denn es sei bekannt, dass diese zuweilen zwar im Ergebnis medizinisch richtige, aber textlich oft zu wenig fachlich begründete Atteste ausstellten. In den vorgelegten Attesten sei eindeutig medizinisch attestiert, dass es sich nicht lediglich um Prüfungsstress und Examensängste gehandelt habe. Ärzte pflegten sich häufig kurz und bündig diagnostisch auszudrücken und hätten nicht die Aufgabe, ein ausführliches Gutachten zu erstellen. Soweit mit diesen Ausführungen eine unzureichende Sachaufklärung beanstandet wird, wird auf die vorangegangenen Ausführungen verwiesen. Darüber hinaus ist dazu zu bemerken:
Es ist Sache des Tatsachengerichts, sich im Wege der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) eine Überzeugung über den entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden. Dabei sind die Grundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung revisionsrechtlich dem sachlichen Recht zuzurechnen. Mit Angriffen gegen die Beweiswürdigung kann daher grundsätzlich ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht begründet werden (z.B. Beschlüsse vom 12. Januar 1995 – BVerwG 4 B 197.94 – Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4 = NVwZ-RR 1995, 310 ≪311≫ und vom 2. November 1995 – BVerwG 9 B 710.94 –, Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 = NVwZ-RR 1996, 359 und vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328). Den Ausnahmefall einer aktenwidrigen Feststellung macht die Beschwerde nicht geltend. Soweit ein Verfahrensfehler darüber hinaus ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen Denkgesetze in Betracht kommt (Urteil vom 19. Januar 1990 – BVerwG 4 C 28.89 – BVerwGE 84, 271 ≪272 f.≫ zum Indizienbeweis; Beschluss vom 3. April 1996 – BVerwG 4 B 253.95 –, Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 269 = NVwZ 1997, 389), zeigt die Beschwerde einen solchen nicht auf. Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt vor, wenn ein Schluss aus Gründen der Logik schlechthin nicht gezogen werden kann, was nicht schon dann der Fall ist, wenn das Tatsachengericht einen nach Meinung der Beschwerde unrichtigen oder fern liegenden Schluss gezogen hat (Beschluss vom 12. Januar 1995, a.a.O.). Dass die vom Berufungsgericht vorgenommene Würdigung der Atteste vom 22. Dezember 1997 und 29. Dezember 1997 aus denkgesetzlichen Gründen schlechterdings unmöglich ist, ist nicht ersichtlich. Insbesondere durfte es ohne Verstoß gegen die Grundsätze richterlicher Überzeugungsbildung die ärztlichen Äußerungen in der Weise verstehen, dass es ihnen keinen über die ausdrücklich getroffenen Aussagen hinausgehenden Erklärungswert beigemessen hat. Ebenso durfte es davon ausgehen, dass weitergehende Aussagen, wenn sie vertretbar gewesen wären, auch tatsächlich zum Ausdruck gebracht worden wären.
Der Sachverhaltswürdigung des Berufungsgerichts, erstmals mit Attest vom 1. Oktober 1998 sei die Diagnose eines krankheitsbedingten Angstanfalls gestellt worden (UA S. 9), lässt sich gleichfalls keine als Verfahrensfehler zu bewertende Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entnehmen. Der Umstand, dass das Berufungsgericht ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 2. Oktober 2003 das Attest vom 1. Oktober 1998 als drittes Attest von Dr. N.… bezeichnet (vgl. S. 4 der Protokollabschrift), lässt dabei erkennen, dass es bei seiner Entscheidungsfindung auch das (zweite) Attest vom 19. Januar 1998 berücksichtigt hat, mag es auch in den Urteilsgründen keine weitere Erwähnung finden.
Auch soweit die Klägerin die Ausführungen des Berufungsgerichts beanstandet, die Atteste vom 22. Dezember 1997 und 29. Dezember 1997 belegten nicht die von ihr geschilderten Symptome, sondern beschränkten sich auf deren Wiedergabe (UA unter 1. b) und 2. a)), bei Dr. N.… und Dr. Z.… handele es sich nicht um Fachärzte (UA unter 1. c) und 2. d)) und das amtsärztliche Attest erwecke den Verdacht einer Gefälligkeitsbescheinigung (UA unter 2. c)), ist kein rechtserheblicher Verfahrensfehler ersichtlich. Diese Ausführungen des Berufungsgerichts betreffen Gesichtspunkte, auf die es seine Rechtsauffassung, die Atteste vom Dezember 1997 belegten keine Prüfungsunfähigkeit im rechtlichen Sinne, im Ergebnis nicht gestützt hat, oder enthalten ergänzende Begründungen. Selbst wenn hinsichtlich dieser Begründungen ein Verfahrensfehler vorläge, könnte die Beschwerde nur Erfolg haben, wenn jeder tragende Begründungsteil zur Revisionszulassung Anlass gäbe. Dies ist hinsichtlich des Fehlens einer auf eine Prüfungsunfähigkeit führenden Diagnose, worauf das Berufungsgericht sich selbständig tragend stützt, wie dargelegt nicht der Fall.
ee) Der Einwand der Klägerin, im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG müsse die Vorlage ergänzender ärztlicher Nachweise möglich sein, zeigt ebenso wenig einen Verfahrensfehler auf wie ihre Annahme, nach dem Grundsatz von Treu und Glauben und aufgrund der gebotenen Fürsorgepflicht der Prüfungsbehörde müsse diese den Prüfling darauf hinweisen, falls am amtsärztlich attestierten Ergebnis fachliche Zweifel bestünden, und ihm Gelegenheit geben, die Diagnose durch ergänzende Atteste erhärten zu lassen. Damit macht sie keinen Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend, sondern rügt die revisionsrechtlich dem sachlichen Recht zuzuordnende materiellrechtliche Auffassung des Berufungsgerichts, eine Prüfungsunfähigkeit sei auch mit Blick auf eine Fürsorgepflicht der Prüfungsbehörde nicht rechtzeitig nachgewiesen worden (vgl. UA S. 11 unter 4.).
ff) Soweit die Beschwerde rügt, “nach Berufungszulassung … in der mündlichen Verhandlung trotz substantiierter Beweisanträge die sachverständigen medizinischen und psychologischen Zeugen nicht zu hören und eigene angelesene Senatskenntnis komplizierter medizinischer Vorgänge an die Stelle der fachärztlichen Atteste zu setzen, ist … in Bezug auf ein fair trial (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 3 Abs. 1 GG), … das Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechtsschutz durch Verfahren (Art. 20 Abs. 1 GG) nicht mehr nachvollziehbar und verletzt in schwerwiegender Weise die Grundsätze der wissenschaftlichen Logik und der richterlichen Selbstbeschränkung in Bezug auf die Anwendung von Fachwissen aus fremden Wissenschaftsgebieten”, ergibt ihr Vorbringen ebenfalls keinen Verfahrensfehler. Hinsichtlich der Beanstandung der Beweiswürdigung und der Behandlung des Beweisantrages folgt dies aus den zuvor dargelegten Gründen. Das Berufungsgericht handelte auch nicht deswegen verfahrensfehlerhaft, weil es trotz Berufungszulassung dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag nicht entsprach. Berufungszulassung und Beweiserhebung einschließlich der Behandlung von Beweisanträgen folgen jeweils eigenen, von einander unabhängigen rechtlichen Regelungen (vgl. §§ 124 ff. VwGO einerseits, § 86 VwGO, § 98 VwGO i.V.m. §§ 358 ff., §§ 450 ff. ZPO andererseits). Eine Berufungszulassung entfaltet daher keine Bindungswirkung im Hinblick auf die Vornahme von Beweiserhebungen im Berufungsverfahren.
gg) Die Rüge der Klägerin, die lange Verfahrensdauer “verweigert effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG und gebotenen Grundrechtsschutz des Art. 12 Abs. 1 GG durch Verfahren”, ist nicht geeignet, auf einen Verfahrensfehler zu führen, weil die Beschwerde nicht aufzeigt, inwieweit der Sachausspruch des Urteils des Berufungsgerichts auf der überlangen Verfahrensdauer beruhen kann.
b) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann. Die Beschwerde genügt diesen Anforderungen nicht.
Die Klägerin möchte geklärt wissen, ob “sich aus dem Prüfungsrechtsverhältnis und der Fürsorgepflicht der Prüfungsbehörde ≪≫ gegenüber dem Prüfling, der nach einer letzten (mündlichen) Berufszugangsprüfung einen nachträglichen Prüfungsrücktritt geltend gemacht und sowohl ein privatärztliches, als auch ein amtsärztliches Attest vorgelegt hat, demzufolge er bei der mündlichen Prüfung prüfungsunfähig war und dies jedoch nicht erkennen konnte, ≪eine Amtspflicht des Prüfungsamtes ergibt≫, dem Prüfling gegenüber auf die Vorlage ergänzender fachärztlicher Atteste bzw. eines ergänzenden amtsärztlichen Attests durch einen Amtsarzt und Facharzt für Psychiatrie hinzuwirken, wenn das Prüfungsamt die Atteste nicht für ausreichend erachtet”. Sie macht geltend, aufgrund des gebotenen Grundrechtsschutzes durch Verfahren sei diese Rechtsfrage im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 1 GG zu bejahen. Es könne nicht angehen, dass das beklagte Prüfungsamt ihr lediglich durch Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 1998 mitgeteilt habe, dass sich die Prüfungsunfähigkeit im Sinne des § 10 JAO am 18. Dezember 1997 nicht feststellen lasse und die vorgetragenen Beeinträchtigungen auch nicht unverzüglich im Sinne des § 10 Abs. 4 JAO geltend gemacht worden seien, ohne ihr Gelegenheit zur Nachbesserung der Atteste zu geben.
Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen und rechtfertigt daher die Zulassung der Revision nicht. Die Klägerin unterstellt in ihren Ausführungen, dass sie aufgrund eines Versäumnisses des Prüfungsamts keine Gelegenheit hatte, diesem gegenüber rechtzeitig den Nachweis ihrer Prüfungsunfähigkeit zu erbringen. Diese Annahme der Klägerin entspricht nicht den durch den Akteninhalt bestätigten Sachverhaltsfeststellungen des Berufungsgerichts. Danach hat die beklagte Prüfungsbehörde die Klägerin unverzüglich im Bescheid vom 8. Januar 1998 darauf hingewiesen, dass weder aus dem privatärztlichem Attest vom 22. Dezember 1997 noch aus dem amtsärztlichen Attest vom 29. Dezember 1997 Prüfungsunfähigkeit folge. Die Klägerin hätte dadurch die Möglichkeit gehabt, zeitnah für aussagekräftigere ärztliche Bescheinigungen zu sorgen, was sie nicht getan habe (UA S. 11 f.). Diese Feststellungen sind mit Verfahrensrügen nicht erfolgreich angegriffen worden, so dass von ihnen in einem Revisionsverfahren auszugehen wäre.
Im Übrigen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass sich aus dem Prüfungsrechtsverhältnis unter dem Gesichtspunkt des gebotenen Grundrechtsschutzes durch Verfahren für die Prüfungsbehörde dem Prüfling gegenüber Hinweispflichten ergeben können. So ist sie beispielsweise dann, wenn sich der Prüfling bei seinen Verfahrenshandlungen erkennbar in einem Irrtum befindet und ihm daraus Nachteile drohen, verpflichtet, ihn darauf hinzuweisen, um die ihm drohenden Nachteile abzuwenden (Urteil vom 6. September 1995 – BVerwG 6 C 18.93 – BVerwGE 99, 185 ≪199≫). Welche Hinweispflichten sich für die Prüfungsbehörde aus ihrer Fürsorgepflicht im Einzelnen ergeben, ist zum einen eine Frage des jeweiligen Prüfungsrechts, hier also des irrevisiblen nordrhein-westfälischen Juristenprüfungsrechts vorbehaltlich etwaiger durch Bundesrecht zu ziehenden Grenzen, und zum anderen abhängig von den jeweils gegebenen tatsächlichen Umständen des Einzelfalles.
2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 14 Abs. 1 und 3 GKG i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Bardenhewer, Hahn, Vormeier
Fundstellen