Verfahrensgang
VG Magdeburg (Urteil vom 25.10.2005; Aktenzeichen 5 A 97/05) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 25. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 113 080,72 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Rechtssache kommt weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zu, noch weicht die angefochtene Entscheidung von einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ab (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder beruht auf einem Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss daher dargelegt werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung im beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist.
Die von der Beschwerde für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage,
ob die Rücknahme eines begünstigenden Bescheides verwirkt ist, wenn die Verwaltungsbehörde trotz Kenntnis aller für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen die Anhörung des Betroffenen über einen Zeitraum von mindestens sieben Jahren hinweg pflichtwidrig hinauszögert, ohne dass sie weitere Sachverhaltsaufklärung in dieser Sache leisten möchte,
ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits dahingehend geklärt, dass allein der Ablauf eines gewissen Zeitraums für die Annahme einer Verwirkung nicht ausreicht. Vielmehr müssen zusätzliche Umstände eintreten, aus denen der die Rechtswidrigkeit kennende Begünstigte berechtigterweise den Schluss ziehen durfte, der Verwaltungsakt werde nicht mehr zurückgenommen, obwohl die Behörde dessen Rücknehmbarkeit erkannt hat, und es muss der Begünstigte ferner tatsächlich darauf vertraut haben, dass die Rücknahmebefugnis nicht mehr ausgeübt werde und dieses Vertrauen in einer Weise betätigt hat, dass ihm mit der sodann gleichwohl erfolgten Rücknahme ein unzumutbarer Nachteil entstünde (vgl. Urteil vom 20. Dezember 1999 – BVerwG 7 C 42.98 – BVerwGE 110, 226 ≪236≫ m.w.N. = Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 97). Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.
2. Die Beschwerde hat auch nicht mit der Begründung Erfolg, das Urteil des Verwaltungsgerichts weiche von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. September 2001 – BVerwG 7 C 6.01 – (Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 103) im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ab. Die Darlegung dieses Revisionszulassungsgrundes setzt voraus, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der bezeichneten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz, der sich auf dieselbe Rechtsvorschrift bezieht, widersprochen hat (stRspr, vgl. Beschluss vom 1. September 1997 – BVerwG 8 B 144.97 – Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 50 S. 7 ≪11≫ m.w.N.).
Die Beschwerde zeigt keinen von der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abweichenden Rechtssatz des angefochtenen Urteils auf. Vielmehr rügt sie letztlich, das Urteil habe die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Verwirkung nicht oder unzutreffend angewandt. Damit kann die Zulassung der Revision wegen Divergenz nicht erreicht werden (Beschluss vom 1. September 1997 – BVerwG 8 B 144.97 – a.a.O.).
3. Schließlich liegen auch die gerügten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht vor.
Die Rüge, das Verwaltungsgericht hätte Herrn H… R… und Frau K… R… notwendig beiladen müssen, geht fehl. Die Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung der Genannten gemäß § 65 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Sie sind an dem streitigen Rechtsverhältnis nicht derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Im Fall des Obsiegens des Klägers würden sie nicht in einer ihnen zustehenden Rechtsstellung beeinträchtigt (vgl. Beschluss vom 27. September 1995 – BVerwG 3 C 11.94 – Buchholz 310 § 65 VwGO Nr. 122). Die vom Kläger beantragte Aufhebung des Bescheides vom 22. Dezember 2004 würde allein die G… R… KG i.L. als im Bescheid festgestellte Berechtigte im Sinne des § 6 Abs. 1a Satz 1 und 2, Abs. 6a Satz 1 VermG belasten. Dagegen sind die Miterben als Rechtsnachfolger des Gesellschafters der früheren Kommanditgesellschaft selbst nicht Rückgabeberechtigte und damit nicht Inhaber des Restitutionsanspruchs. Das Vermögensgesetz verleiht ihnen (nur) die Rechtsstellung von Verfahrens- und Prozessführungsbefugten, um zu gewährleisten, dass der Restitutionsanspruch auch bei mangelnder Handlungstätigkeit der Liquidationsgesellschaft weiterverfolgt werden kann.
Auch die Rüge der Beschwerde, das Verwaltungsgericht habe zu mehreren von der Beschwerde vorgetragenen Punkten den Sachvortrag des Klägers nicht zur Kenntnis genommen und dadurch seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) verletzt, führt sie nicht zum Erfolg.
Zwar verpflichtet der Anspruch auf rechtliches Gehör das Gericht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts dazu, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Davon kann jedoch grundsätzlich ausgegangen werden. Allerdings setzt dies voraus, dass die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und -verteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen und Rechtsausführungen nicht nur im Tatbestand erwähnt, sondern in den Entscheidungsgründen auch verarbeitet werden oder dass gegebenenfalls ihre fehlende Entscheidungserheblichkeit dargelegt wird (vgl. Beschluss vom 1. September 1997 a.a.O. und Urteil vom 31. Juli 2002 – BVerwG 8 C 37.01 – Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 35 S. 102 ≪110 f.≫ sowie BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Oktober 2004 – 2 BvR 779/04 – juris Rn. 20 m.w.N., insoweit nicht abgedruckt in: LKV 2005, 116). Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht aber nicht, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Dies gilt insbesondere für solches Vorbringen, das nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich ist (BVerfGE 86, 133 ≪146≫, Kammerbeschluss vom 19. Oktober 2004, a.a.O.).
Das Vorbringen des Klägers, dass der Beklagte die Rücknahmeentscheidung vorsätzlich über Jahre hinweg hinausgeschoben und seit Jahren keine weitere Sachverhaltsaufklärung hinsichtlich der Rücknahmeentscheidung betrieben habe, ist in diesem Sinne nicht erheblich. Es hat eine Untätigkeit des Beklagten über einen bestimmten Zeitraum zum Gegenstand. Diese allein ist, wie dargelegt, für die Annahme einer Verwirkung nicht ausreichend. Davon abgesehen hat der Beklagte – wie der Kläger selbst ausführt – auf eine Klärung der Erbfolge abgestellt, die zumindest für das Quorum nach § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG und für den Antrag nach § 6 Abs. 5c VermG von Bedeutung ist. Zu den weiteren Voraussetzungen einer Verwirklichung legt der Kläger in der Beschwerdebegründung nicht dar und erhebt auch keine Verfahrensrügen dazu, aus welchem Verhalten des Beklagten oder des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen er berechtigterweise den Schluss ziehen konnte, die Behörde wolle die Rücknahmebefugnis im Blick auf eine Vertrauensposition des Klägers nicht mehr ausüben. Da es an dieser Anforderung fehlt, kommt den Verfahrensrügen hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen der Verwirkung keine Erheblichkeit zu.
Soweit die Beschwerde einen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht darin sieht, dass sich dem Verwaltungsgericht hätte aufdrängen müssen, den Kläger in der mündlichen Verhandlung persönlich einzuvernehmen zur Frage seines Vertrauens in den Bestand des aufgehobenen Bescheides, ist ein Verfahrensfehler darin nicht zu erkennen. Das Verwaltungsgericht ist zur Aufklärung des Sachverhalts nur insoweit verpflichtet, als es für seine Entscheidung darauf ankommt. Das Verwaltungsgericht hat das sich aus den Akten ergebende Verhalten des Klägers dahingehend gewertet, dass er kein Vertrauen in den Bestand des Bescheides begründet hat. Eine darüber hinausgehende persönliche Einvernahme war nach seiner Rechtsauffassung deshalb nicht erforderlich, zumal es – wie dargelegt – an einer weiteren Voraussetzung für die Annahme einer Verwirkung fehlte. Wenn der auch im erstinstanzlichen Verfahren anwaltlich vertretene Kläger eine persönliche Einvernahme für erforderlich hielt, hätte es ihm freigestanden, diese in der mündlichen Verhandlung zu beantragen.
Auch die gerügte Widersprüchlichkeit der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils führt nicht zur Zulassung der Revision. Zwar vermerkt das Verwaltungsgericht im Einleitungssatz der Entscheidungsgründe, dass der aufgehobene Bescheid rechtswidrig gewesen sei und deshalb nach § 50 i.V.m. § 48 VwVfG LSA aufgehoben werden konnte; in den ausführenden Gründen legt es aber dann dar, dass § 50 VwVfG LSA nicht einschlägig ist. Dies ist zwar ein vermeintlicher Widerspruch, auf dem das Urteil aber offenkundig nicht beruht. Denn in den weiteren Gründen führt das Verwaltungsgericht aus, dass im Bescheid hinreichende Ermessenserwägungen dargelegt sind, die für eine allein auf § 48 VwVfG LSA gestützte Rücknahme ausreichen. Deshalb ist die Feststellung im Einleitungssatz, dass der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt ist, widerspruchsfrei entscheidungstragend.
Soweit die Beschwerde eine willkürliche Sachverhaltswürdigung durch das Verwaltungsgericht sieht, verkennt sie, dass Fehler bei der Sachverhalts- und Beweiswürdigung ebenso wie etwa eine unrichtige Gesetzesauslegung regelmäßig dem materiellen Recht und nicht dem Verfahrensrecht zuzurechnen sind (vgl. Beschlüsse vom 2. November 1995 – BVerwG 9 B 710.94 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 und vom 21. Februar 2003 – BVerwG 9 B 64.02 – juris). Im Übrigen liegt Willkür erst vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder ihr Inhalt in krasser Weise missdeutet wird (Beschluss vom 21. Februar 2003 – BVerwG 9 B 64.02 – a.a.O.). Dafür enthält das angegriffene Urteil keine Anhaltspunkte.
Die weiteren Rügen der Beschwerde legen unter der Behauptung eines Verfahrensfehlers in Form einer Berufungsbegründung dar, warum das Verwaltungsgericht nach Auffassung der Beschwerde rechtsfehlerhaft entschieden hat. Damit kann aber die Zulassung der Revision nicht erreicht werden.
Soweit der Kläger rügt, mangels Beteiligung am Verfahren 5 A 96/05 habe er keine Kenntnis über den dort ausgetauschten Sachverhalt, so dass dies auch nicht Gegenstand der Entscheidungsfindung im vorliegenden Verfahren gewesen sein könne, ist darauf hinzuweisen, dass sein Verfahren mit dem Verfahren 5 A 96/05 MD nach Anhörung der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung zu gemeinsamer Verhandlung verbunden worden war, ohne dass der Kläger dem widersprochen hätte. Ausweislich der Entscheidungsgründe hat das Verwaltungsgericht das gegenüber dem Kläger ergangene Urteil nicht auf den Sachvortrag aus dem Verfahren 5 A 96/05 MD gestützt.
Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf den §§ 47, 52 GKG.
Unterschriften
Gödel, Dr. Pagenkopf, Dr. von Heimburg
Fundstellen