Entscheidungsstichwort (Thema)
Standortalternativenprüfung bei Deponievorhaben auf betreibereigenen Flächen
Normenkette
KrWG § 36 Abs. 1; VwVfG § 75 Abs. 1a; UmwRG § 4; ROG 2008 § 6 Abs. 2; KrWG § 36 Abs 1; VwVfG § 75 Abs 1a; ROG 2008 § 6 Abs 2
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 04.07.2017; Aktenzeichen 7 KS 7/15) |
Gründe
I
Rz. 1
Der klagende Umweltverband wendet sich gegen den auf Antrag der Beigeladenen erlassenen Planfeststellungsbeschluss vom 28. Januar 2015 für die Errichtung und den Betrieb einer Abfalldeponie. Das Oberverwaltungsgericht hat der Klage insoweit stattgegeben, als es die Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses festgestellt hat; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Der Planfeststellungsbeschluss genüge dem fachplanerischen Abwägungsgebot nicht, weil es an der erforderlichen Alternativenprüfung fehle. Des Weiteren sei die dem Planfeststellungsbeschluss beigefügte wasserrechtliche Erlaubnis ohne das erforderliche Einvernehmen der zuständigen Wasserbehörde erteilt worden. Im Übrigen sei der Planfeststellungsbeschluss rechtlich nicht zu beanstanden. Er beeinträchtige nicht das Wohl der Allgemeinheit, widerspreche insbesondere nicht naturschutzrechtlichen Anforderungen und sei auch mit dem Raumordnungsrecht vereinbar.
Rz. 2
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richten sich die Beschwerden des Klägers und der Beigeladenen.
II
Rz. 3
1. Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
Rz. 4
a) Die Beschwerde ist zulässig. Der Kläger kann insbesondere - als Zulässigkeitsvoraussetzung eines jeden Rechtsmittels - geltend machen, durch die angegriffene Entscheidung beschwert zu sein. Dies gilt nicht nur für das im Hauptantrag verfolgte Aufhebungsbegehren, mit dem er nicht durchgedrungen ist, sondern auch in Bezug auf die hilfsweise beantragte Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses. Insoweit liegt eine (formelle) Beschwer - nämlich ein teilweises Unterliegen - ungeachtet der Tatsache vor, dass Antrag und Entscheidungsausspruch sich decken. Dies folgt aus der Rechtskraftwirkung des Urteils, die auf die darin im Einzelnen identifizierten Rechtsfehler bezogen ist. Gegen die behördliche Entscheidung im ergänzenden Verfahren kann folglich im nachfolgenden Gerichtsverfahren nicht mehr eingewendet werden, dass der Planfeststellungsbeschluss über die Beanstandungen des Gerichts hinaus an weiteren Fehlern leidet (BVerwG, Beschluss vom 20. März 2018 - 9 B 43.16 - juris Rn. 65; siehe auch Beschluss vom 28. Juli 2014 - 7 B 22.13 - UPR 2015, 34 Rn. 5 f., 9 f., jeweils m.w.N.).
Rz. 5
Auch abgesehen hiervon könnte die vom Kläger in diesem Zusammenhang aufgeworfene Grundsatzfrage nach dem Umfang der Bindungswirkung und der materiellen Rechtskraft des Feststellungsurteils die Zulassung der Revision allerdings von vornherein nicht rechtfertigen. Prozessrechtliche Fragen können zwar auch zum Gegenstand einer Grundsatzrüge gemacht werden. Über das Vorliegen der Beschwer als der Grundlage der Rechtsmittelbefugnis ist aber bereits im Zulassungsverfahren zu entscheiden. Denn die Revision kann nicht zugelassen werden, um ihr gegebenenfalls - als Ergebnis der revisionsgerichtlichen Prüfung - nachträglich wieder den Boden zu entziehen. Der Rechtsschutz des Rechtsmittelführers wird dadurch nicht in unzulässiger Weise verkürzt. Vielmehr kann er in einem Folgeprozess nach Durchführung des ergänzenden Verfahrens den Umfang der Bindungswirkung des Feststellungstenors zur rechtlichen Überprüfung stellen.
Rz. 6
b) Die Verfahrensrüge greift nicht durch.
Rz. 7
Der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) ist nicht verletzt. Dieser Anspruch verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie entscheidungserheblich sind (BVerfG, Beschluss vom 17. November 1992 - 1 BvR 168/89 u.a. - BVerfGE 87, 363 ≪392 f.≫ m.w.N.; BVerwG, Urteile vom 29. November 1985 - 9 C 49.85 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 177 S. 65 m.w.N. und vom 20. November 1995 - 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 22). Eine Gehörsverletzung ist allerdings nur dann dargetan, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1975 - 2 BvR 1086/74 - BVerfGE 40, 101 ≪104 f.≫). Dazu muss das Gericht nicht auf sämtliches Tatsachenvorbringen und alle Rechtsauffassungen eingehen, die im Verfahren von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind (BVerfG, Beschlüsse vom 10. Juni 1975 a.a.O. und vom 5. Oktober 1976 - 2 BvR 558/75 - BVerfGE 42, 364 ≪368≫). Nur der wesentliche Kern des Tatsachenvorbringens einer Partei, der nach der materiell-rechtlichen Auffassung des Gerichts von zentraler Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens ist, muss in den Gründen der Entscheidung behandelt werden (BVerwG, Urteil vom 20. November 1995 a.a.O.). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist dann festzustellen und gegeben, wenn auf den Einzelfall bezogene Umstände deutlich ergeben, dass das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfG, Beschlüsse vom 1. Februar 1978 - 1 BvR 426/77 - BVerfGE 47, 182 ≪187 f.≫ und vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 ≪146≫). Solche Umstände sind vorliegend nicht erkennbar.
Rz. 8
Das Oberverwaltungsgericht hat sich entgegen der Auffassung des Klägers mit dem Verhältnis des Vorhabens zur Naturschutzgebietsverordnung nicht allein unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen zwingendes Recht auseinandergesetzt. In Übereinstimmung mit dem schriftsätzlichen Vorbringen des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, dass diese Frage auch bei der fachplanerischen Abwägung von Belang sei. Mit dieser Feststellung hat es entgegen der Auffassung des Klägers aber nicht sein Bewenden.
Rz. 9
Das Oberverwaltungsgericht ist darauf vielmehr auch - zwar nicht ausdrücklich, aber der Sache nach - im Rahmen der Prüfung der fachplanerischen Abwägung eingegangen. Bei der Bewertung der "knapp gehaltenen" Ausführungen zur Gesamtabwägung auf S. 104 f. des Planfeststellungsbeschlusses, die durch Ausführungen an anderen Stellen ergänzt werden, hat es auf die Struktur der abfallrechtlichen Planfeststellung mit ihrem gesetzlich vorgegebenen Prüfprogramm hingewiesen (UA S. 131 f.; juris Rn. 239). Danach seien Belange des Wohls der Allgemeinheit nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 15 Abs. 2 Satz 2 KrWG zwar bereits auf der Ebene des zwingenden Zulassungsrechts relevant, einer weiteren Abwägung aber nicht entzogen. Im Rahmen der Abwägung könne sich die Planfeststellungsbehörde jedoch an der Feststellung orientieren, dass das Vorhaben das Wohl der Allgemeinheit im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 1 KrWG nicht beeinträchtige; die entsprechenden Darlegungen könnten dann knapp ausfallen. Hiernach ist nicht ersichtlich, dass das Oberverwaltungsgericht das Vorbringen des Klägers zur Abwägungsrelevanz der Ausweisung des Naturschutzgebiets der Sache nach übergangen hat. Es hat auf S. 63 des Urteilabdrucks (juris Rn. 151) die Ausführungen des Planfeststellungsbeschlusses zum Prioritätsgrundsatz (S. 81) zustimmend zur Kenntnis genommen. Der Planfeststellungsbeschluss nimmt im Anschluss daran ergänzend und hilfsweise eine Abwägung für den Fall vor, dass sich der Konflikt der beabsichtigten Nutzungen nicht nach diesem Grundsatz lösen lasse (S. 82). Wenngleich ein ausdrücklicher Verweis auf diese Ausführungen im Urteil fehlt, so folgt doch aus dem Gesamtzusammenhang der ausführlichen Begründung des Urteils, dass das Oberverwaltungsgericht sich auch diese Sichtweise zu eigen gemacht hat.
Rz. 10
c) Die Revision ist auch nicht wegen der vom Kläger erhobenen Grundsatzrüge zuzulassen.
Rz. 11
Bei der Prüfung der sich aus dem Zielabweichungsbescheid ergebenden rechtlichen Folgerungen hat das Oberverwaltungsgericht seine Entscheidung auf zwei selbstständig tragende Begründungen - zum einen dessen Tatbestandswirkung, zum anderen seine Rechtmäßigkeit - gestützt. Bei einer solchen Mehrfachbegründung kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 9. März 1982 - 7 B 40.82 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 209, vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ Nr. 26, vom 11. April 2003 - 7 B 141.02 - NJW 2003, 2255 ≪2256≫ und vom 8. August 2008 - 9 B 31.08 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 33). Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben. Denn jedenfalls mit der gegen die zweite Begründung gerichteten Grundsatzrüge dringt der Kläger nicht durch. Auf die weitere Grundsatzfrage, die sich auf die erstgenannten Erwägungen bezieht, kommt es folglich nicht mehr an. Es kann daher dahinstehen, ob die Rechtsprechung zur Tatbestandswirkung eines Zielabweichungsbescheids, die grundsätzlich auch im Planfeststellungsrecht zu beachten ist, einer Überprüfung anhand völker- und unionsrechtlicher Vorgaben bedarf.
Rz. 12
Den vom Kläger aufgeworfenen Fragen,
Führen nur bedeutsame Änderungen zwischen einem planfestgestellten Vorhaben und einem zuvor im Rahmen einer raumordnerischen Zielabweichung geprüften Vorhaben zum Erfordernis einer aktualisierten Prüfung auf Einhaltung der Ziele der Raumordnung? Wenn ja: nach welchen Kriterien (be)misst sich das Merkmal der "Bedeutsamkeit?"
kommt nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung zu, die der Kläger ihnen beimisst. Denn sie sind einer fallübergreifenden Beantwortung nicht zugänglich; vielmehr kommt es auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalles an. Der Kläger ist der Ansicht, dass vor dem Hintergrund einer gebotenen restriktiven Handhabung der Zielabweichung jedwede Änderung des zur Prüfung gestellten Vorhabens eine erneute Zielabweichungsprüfung erfordere. Das ist unzutreffend.
Rz. 13
Nach § 6 Abs. 2 ROG kann von den Zielen der Raumordnung abgewichen werden, wenn die Abweichung unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist und die Grundzüge der Planung nicht berührt werden. Diese Bestimmung orientiert sich an der bauplanungsrechtlichen Vorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB über die Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans (siehe BT-Drs. 13/6392 S. 85 zur insoweit gleichlautenden Vorgängervorschrift des § 11 Satz 1 ROG 1997 sowie BT-Drs. 16/10292 S. 23 zur Neufassung), so dass die hierzu ergangene Rechtsprechung herangezogen werden kann (BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2010 - 4 C 8.10 - BVerwGE 138, 301 Rn. 26). Hiernach ist die Abweichung raumordnerisch vertretbar, soweit das Vorhaben im Hinblick auf den Zweck der Zielfestlegung anhand der konkreten Situation planbar gewesen wäre, wenn der Weg der Planung statt der Abweichung beschritten worden wäre (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1998 - 4 C 16.97 - BVerwGE 108, 190 ≪201≫). Die Frage, ob eine Abweichung die Grundzüge der Planung berührt oder von minderem Gewicht ist, beurteilt sich nach dem im Plan zum Ausdruck gebrachten planerischen Wollen. Bezogen auf dieses Wollen darf der Abweichung vom Planinhalt keine derartige Bedeutung zukommen, dass die dem Plan zugrunde gelegte Planungskonzeption ("Grundgerüst") in beachtlicher Weise beeinträchtigt wird. Die Abweichung muss - soll sie mit den Grundzügen der Planung vereinbar sein - durch das planerische Wollen gedeckt sein; es muss demnach angenommen werden können, die Abweichung liege noch im Bereich dessen, was der Plangeber gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er den Grund für die Abweichung gekannt hätte (BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2010 a.a.O. m.w.N.). Ob folglich die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Zielabweichung vorliegen, bestimmt sich in beiden Konstellationen auch danach, in welcher Weise die Ziele der Raumordnung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG Spielräume zu weiterer Ausgestaltung und Konkretisierung eröffnen. Je detaillierter die textlichen und zeichnerischen Festlegungen im betreffenden Raumordnungsplan, desto größeres Gewicht können die spezifischen, auf das konkrete Vorhaben bezogenen Umstände erlangen. Je mehr sich der Raumordnungsplan auf eine Grobplanung beschränkt, desto eher kann ein abweichendes Vorhaben bei der rechtlichen Bewertung der Zulässigkeit der Zielabweichung stellvertretend für eine ganze Reihe ähnlicher Vorhaben stehen. Das Erfordernis einer neuen Zielabweichungsprüfung bei Änderung des Vorhabens kann somit nicht verallgemeinerungsfähig umschrieben werden.
Rz. 14
2. Die Grundsatzrügen sowie die Verfahrensrüge der Beigeladenen rechtfertigen ebenso wenig die Zulassung der Revision.
Rz. 15
a) Die Frage
Besteht eine Verpflichtung zur Durchführung einer Alternativenprüfung bei Planfeststellungsverfahren für Deponien, wenn das Grundstück im Eigentum des privaten Vorhabenträgers steht und das Vorhaben unter allen materiell-rechtlichen Gesichtspunkten geeignet ist?
bedarf keiner rechtsgrundsätzlichen Klärung. Sie ist mit dem Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage einer gefestigten Rechtsprechung ohne Weiteres zu bejahen, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte.
Rz. 16
Ein abfallrechtlicher Planfeststellungsbeschluss darf nach § 36 KrWG nur erlassen werden, wenn dem Vorhaben keine zwingenden Versagungsgründe entgegenstehen, wie sie sich in abfallrechtlicher Hinsicht aus § 36 Abs. 1 KrWG und im Übrigen aus solchen Rechtsvorschriften ergeben können, die bei der Planfeststellung infolge der Konzentrationswirkung (§ 38 Abs. 1 Satz 1 KrWG i.V.m. § 75 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) zusätzlich zu beachten sind. Sind zwingende Versagungsgründe nicht gegeben, so setzt die Feststellung des Plans weiter voraus, dass die allgemeinen, für alle planfeststellungsbedürftigen Vorhaben geltenden rechtlichen Bindungen, insbesondere also die Anforderungen des aus dem Wesen einer rechtsstaatlichen Planung folgenden Abwägungsgebots, eingehalten sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1988 - 7 NB 2.88 - BVerwGE 81, 128 ≪132 f.≫ und Urteil vom 21. Februar 1992 - 7 C 11.91 - BVerwGE 90, 42 ≪47≫). Das Abwägungsgebot verlangt, dass die von einer Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abgewogen werden. Dabei müssen auch sich ernsthaft anbietende Alternativlösungen bei der Zusammenstellung des abwägungserheblichen Materials berücksichtigt werden und mit der ihnen objektiv zukommenden Bedeutung in die vergleichende Prüfung der von den möglichen Alternativen jeweils berührten öffentlichen und privaten Belange Eingang finden (BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1988 a.a.O. ≪136 f.≫ und Urteil vom 18. März 2009 - 9 A 39.07 - BVerwGE 133, 239 Rn. 131).
Rz. 17
Zu den dabei einzustellenden privaten Belangen zählt insbesondere das Eigentum an Grundstücken. Soll auf das Grundeigentum eines Dritten zur Verwirklichung des Vorhabens zugegriffen werden und entfaltet der Planfeststellungsbeschluss insoweit enteignungsrechtliche Vorwirkung (siehe hier § 28 Abs. 2 NAbfG), muss die Planfeststellungsbehörde bei ihrer Abwägung das verfassungsrechtlich verbürgte Bestandsinteresse des Eigentümers berücksichtigen, sein Grundstück behalten und in der bisherigen Weise nutzen zu können (BVerwG, Urteil vom 24. November 2011 - 9 A 23.10 - BVerwGE 141, 171 Rn. 64). Die Planfeststellung genügt dem Abwägungsgebot nur, wenn der Eingriff in das Eigentum durch gewichtige Gründe des Wohls der Allgemeinheit gefordert ist und sich als verhältnismäßig erweist. Die Enteignung ist nur erforderlich, wenn und soweit sie für die Verwirklichung des jeweiligen Vorhabens unverzichtbar ist, hierfür also kein milderes, gleich geeignetes Mittel - etwa die Inanspruchnahme öffentlichen oder in anderer Weise weniger schutzwürdigen Eigentums - zur Verfügung steht (BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 1 BvR 3139/08 u.a. - BVerfGE 134, 242 Rn. 183; BVerwG, Urteile vom 9. März 1990 - 7 C 21.89 - BVerwGE 85, 44 ≪51 f.≫ und vom 24. März 2011 - 7 A 3.10 - Buchholz 406.400 § 19 BNatSchG 2002 Nr. 7 Rn. 48). Auch wenn der Prüfung örtlicher Alternativen in dieser Situation eine besondere Bedeutung zukommt, ist sie nicht von vornherein entbehrlich, wenn das Vorhaben auf dem eigenen Grundstück des Vorhabenträgers verwirklicht werden soll. Denn die Alternativenprüfung als Bestandteil einer umfassenden Abwägung ist zugleich auf andere private und öffentliche Belange bezogen und folglich auch dann geboten, wenn insoweit kein zwingender Versagungsgrund vorliegt. Welche Ermittlungsbemühungen hiernach gefordert und welche Alternativen in den Blick zu nehmen sind, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.
Rz. 18
b) Die auf die Auslegung von Vorschriften des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes bezogenen Fragen
Stellt das Fehlen des verwaltungsinternen Einvernehmens nach § 19 Abs. 3 WHG einen Verfahrensfehler nach § 4 Abs. 1a UmwRG n.F. dar?
Umfasst das Rügerecht nach § 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwRG das verfahrensrechtliche Einvernehmenserfordernis einer anderen Behörde, wie zum Beispiel aus § 19 Abs. 3 WHG?
führen gleichfalls nicht zur Zulassung der Revision. Das Oberverwaltungsgericht hat auch insoweit das zutreffende Verständnis zugrunde gelegt, das sich mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres erschließt.
Rz. 19
Die Vorschrift des § 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwRG regelt - spiegelbildlich zur Rügebefugnis eines Umweltverbands nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG - den gerichtlichen Prüfungsmaßstab bei Klagen gegen Entscheidungen im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 UmwRG. Ein Umwelt-Rechtsbehelf ist danach begründet, soweit die Entscheidung gegen Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sind, verstößt und der Verstoß Belange berührt, die zu den von der Vereinigung nach ihrer Satzung zu fördernden Zielen gehören. Im Unterschied zu Klagen gegen Entscheidungen und Maßnahmen im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a bis 6 UmwRG, bei denen nur ein Verstoß gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften zum Erfolg führen kann (§ 2 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UmwRG), erstreckt sich die gerichtliche Kontrolle im Anwendungsbereich des § 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwRG auf alle materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Bestimmungen, die für die angefochtene Entscheidung von Bedeutung sind. Damit hat der Gesetzgeber die Vorgaben aus Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an den Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Übereinkommen - AK - ≪BGBl. 2006 II S. 1251≫) umgesetzt (BT-Drs. 18/9526 S. 38 f.). Von der hiernach gebotenen umfassenden rechtlichen Prüfung der Entscheidung, die sich grundsätzlich auf alle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen erstreckt, ist das Einvernehmenserfordernis nach § 19 Abs. 3 WHG nicht ausgenommen. Es ist unbeachtlich, dass das Einvernehmen ein reines Verwaltungsinternum darstellt; daraus folgt allein, dass es nicht isoliert erstritten werden kann. Unerheblich ist des Weiteren, ob das Einvernehmenserfordernis drittschützend ist; denn die Umweltverbandsklage ist seit der Neuregelung durch das Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I. S. 95) - in Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben und ebenfalls zur Angleichung an die Erfordernisse aus Art. 9 Abs. 2 AK (siehe EuGH, Urteil vom 12. Mai 2011 - C-115/09 [ECLI:EU:C:2011:289], BUND/Trianel - Rn. 37 ff.; BT-Drs. 17/10957 S. 11, 15 f.) - nicht mehr "schutznormakzessorisch" ausgestaltet. Schließlich ergibt sich eine Beschränkung des Prüfungsumfangs auch nicht aus der weiteren Voraussetzung, dass "der Verstoß Belange berührt, die zu den Zielen gehören, die die Vereinigung nach ihrer Satzung fördert". Der Erfolg der Verbandsklage hängt hiernach davon ab, ob die vom Rechtsverstoß betroffene, d.h. rechtswidrige, Entscheidung vom satzungsmäßigen Aufgabenbereich des Verbands (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG) erfasst wird. Ein spezifischer und unmittelbarer Bezug des jeweiligen Rechtsverstoßes zu Umweltbelangen ist damit aber nicht gefordert (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 30. März 2017 - 7 C 17.15 - UPR 2017, 314 Rn. 26 f.).
Rz. 20
Erstreckt sich demnach das gerichtliche Prüfungsprogramm auf das Einvernehmenserfordernis, ist aus der Feststellung eines diesbezüglichen Rechtsverstoßes die sich aus § 4 UmwRG ergebende Rechtsfolge zu ziehen. Einen Klärungsbedarf zeigt die Beigeladene insoweit nicht auf. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass zu den Verfahrensfehlern im Sinne von § 4 UmwRG Verstöße gegen Rechtsvorschriften gehören, die die äußere Ordnung des Verfahrens, d.h. den Verfahrensablauf als solchen, betreffen, wozu auch Regelungen über die Beteiligung anderer Behörden zählen (BVerwG, Urteil vom 28. November 2017 - 7 A 17.12 - juris Rn. 29).
Rz. 21
c) Schließlich ist die Revision nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Rz. 22
Die Beigeladene zeigt nicht auf, dass das Oberverwaltungsgericht seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) nur unzureichend nachgekommen ist.
Rz. 23
Eine Aufklärungsrüge erfordert die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des Oberverwaltungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich oder geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, durch einen unbedingten Beweisantrag oder jedenfalls eine sonstige Beweisanregung hingewirkt worden ist und die Ablehnung der Beweiserhebung im Prozessrecht keine Stütze findet, oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. Mai 2013 - 7 B 46.12 - juris Rn. 4 und vom 14. Januar 2016 - 7 B 19.15 - juris Rn. 4 m.w.N.). Das leistet die Beigeladene nicht.
Rz. 24
Nach dem materiell-rechtlichen Ausgangspunkt des Oberverwaltungsgerichts setzt das Einvernehmen voraus, dass die zu beteiligende Wasserbehörde mit der von der anderen Behörde zu treffenden wasserrechtlichen Entscheidung einverstanden ist, ihr also voll und ganz nach Form und Inhalt zustimmt. Eine solche Erklärung hat das Oberverwaltungsgericht der in den Akten enthaltenen Stellungnahme des Landkreises R. vom 1. Juli 2013 nicht entnehmen können. Die Beigeladene zeigt nicht auf, dass das vom Oberverwaltungsgericht zugrunde gelegte Verständnis dieser Äußerung fehlerhaft ist und Spielräume für eine andere Auslegung erlaubte, die gegebenenfalls aufgrund einzuholender Erläuterungen seitens des Landkreises zu ermitteln wäre. Die Beigeladene meint demgegenüber der Sache nach, dass der Landkreis das Einvernehmen noch nicht abschließend und endgültig verweigert habe und es deswegen einer Nachfrage bedurft habe. Damit wird der rechtliche Ausgangspunkt des Oberverwaltungsgerichts verfehlt, das gerade in dem für die gerichtliche Überprüfung maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses eine positive Erklärung fordert. Letztlich vertritt die Beigeladene die Auffassung, das Oberverwaltungsgericht habe im Interesse der Planerhaltung auf die Nachholung einer bislang unterbliebenen Verfahrenshandlung hinwirken müssen. Aus der Pflicht zur Sachaufklärung ergibt sich eine solche Verpflichtung aber nicht. Es ist auch ansonsten nicht ersichtlich, worauf sie sich stützen könnte. Denn es ist Sache der Behörde, Verfahrensfehler, falls möglich, zu heilen.
Rz. 25
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
AbfallR 2019, 55 |
IR 2018, 261 |