Verfahrensgang
Hessischer VGH (Urteil vom 18.01.2007; Aktenzeichen 11 UE 111/06) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Januar 2007 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat keinen Erfolg. Die Revision ist weder wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (dazu 1.) noch wegen Verfahrensfehlern (dazu 2.) zuzulassen.
1. Der Rechtssache kommt die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht zu. Die in der Beschwerdeschrift bezeichneten Fragen rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht. Soweit sie sich nach den – verfahrensfehlerfrei (dazu 2.) – getroffenen tatsächlichen Feststellungen in einem Revisionsverfahren stellten, sind sie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2006 – 2 BvR 669/04 – InfAuslR 2006, 335) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 3. Juni 2003 – BVerwG 1 C 19.02 – BVerwGE 118, 216) hinreichend geklärt, ohne dass neuerlicher oder weiterer revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf besteht.
1.1 Die von der Beschwerde aufgeworfenen Frage,
“Ist die Rücknahme einer Einbürgerung zulässig, wenn der Betroffene wegen § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 HVwVfG nicht in seinem Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsaktes geschützt ist, weil er objektiv unrichtige und/oder unvollständige Angaben gemacht hat oder darüber hinaus die Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit seiner Angaben kannte oder kennen musste?”,
ist durch die vorbezeichnete Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht hinreichend geklärt. Nach dieser Rechtsprechung schließt Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG die Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung nicht grundsätzlich aus und kann die durch eine bewusste Täuschung erwirkte Einbürgerung nach den Vorschriften des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts (hier mithin: § 48 HVwVfG) zurückgenommen werden. Namentlich ist der grundrechtlich geforderten Rechtssicherheit und Normenklarheit in Fällen, in denen der Betroffene selbst nachweislich durch Täuschung die Einbürgerung herbeiführte und diese zeitnah zurückgenommen wird, Rechnung getragen, weil in einem solchen Fall dem Täuschenden kein schützenswertes Vertrauen zusteht (BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2006 – 2 BvR 669/04 – InfAuslR 2006, 335 Rn. 76).
Auch das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass eine Rücknahme erschlichener oder auf vergleichbar vorwerfbare Weise erwirkter Einbürgerungen möglich ist (UA S. 11), hat aber für den vorliegenden Fall ein solches Verhalten nicht feststellen können. Dabei ist es im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts davon ausgegangen, dass hiernach für eine Rücknahme ein Erwirken der Einbürgerung durch lediglich (objektiv) unrichtige Angaben unabhängig davon, dass der Betroffene die Unrichtigkeit der Angaben kannte oder kennen musste, nicht ausreicht. Vielmehr bedarf es schon zur Vermeidung einer verbotenen Entziehung der Staatsangehörigkeit eines vorwerfbaren Verhaltens; die Rücknahme der Einbürgerung kommt nur in Betracht, wenn sie durch Täuschung oder vergleichbares Fehlverhalten, etwa durch Bestechung oder Bedrohung, rechtswidrig erwirkt worden ist. Durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist damit zumindest geklärt, dass es nicht ausreicht, dass der Einbürgerungsbewerber objektiv unrichtige und/oder unvollständige Angaben gemacht hat, sondern er darüber hinaus die Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit seiner Angaben kannte oder kennen musste. Das aber hat das Berufungsgericht im Falle des Klägers verneint. Die allgemeine Frage, was generell noch als vergleichbares Fehlverhalten zu qualifizieren wäre, würde sich auf der Grundlage des Berufungsurteils hier nicht stellen.
1.2 Die auf die Offenbarungsobliegenheiten eines Einbürgerungsbewerbers bezogenen Fragen,
“Ist ein Einbürgerungsbewerber aufgrund seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht verpflichtet, die Einbürgerungsbehörde auf seine (Gründungs-)mitgliedschaft in einem Verein hinzuweisen, über den seit Jahren im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes berichtet wird?
Muss der Einbürgerungsbewerber im Rahmen seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht von sich aus alle Umstände mitteilen, die aus seiner Sphäre stammen und im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 8 StAG für die Behörde von Bedeutung sind oder sein können? (vgl. Urteil des BayVGH vom 04.05.2005, Az 5 B 03.1679)”,
stellen sich nach den verfahrensfehlerfrei getroffenen (dazu 2.) Feststellungen und Bewertungen des Berufungsgerichts, es lasse sich nicht feststellen, dass der Kläger bei Abgabe seiner Loyalitätserklärung wissentlich und zweckgerichtet, um seine Einbürgerung zu erreichen, von ihm unterstützte verfassungsfeindliche Bestrebungen verschwiegen habe, nicht. War – so die Bewertung des Berufungsgerichts – für den Kläger “kein Anlass gegeben, seine Aktivitäten bei Milli Görüs, die er selbst in erster Linie als religiös motivierte Betätigung für einen religiös ausgerichteten Verein ansieht, ohne ausdrückliche Frage der Einbürgerungsbehörde nach Mitgliedschaften in Vereinigungen als verfassungsfeindliche Betätigung einzuschätzen” (UA S. 14), folgt allein aus der Tatsache, dass über eine Vereinigung, deren (Gründungs-)Mitglied ein Einbürgerungsbewerber ist, seit Jahren im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes berichtet wird, nicht, dass diese Mitgliedschaft auch ohne ausdrückliche Nachfrage hin hätte offenbart werden müssen.
Die Frage, ob eine Obliegenheit besteht, alle für eine Ermessensentscheidung der Einbürgerungsbehörde (möglicherweise) relevanten Umstände ungefragt zu offenbaren, stellt sich bereits so für den hier in Rede stehenden Einbürgerungsanspruch nicht. Für die Anspruchseinbürgerung ist sie auch deswegen zu verneinen, weil es für die Rücknahme einer Einbürgerung, die durch Täuschung oder eine auf vergleichbare Weise erwirkt worden ist, nicht allein – wie die Beschwerde wohl meint – auf die Frage ankommen kann, ob ein aus der Sphäre des Einbürgerungsbewerbers stammender Umstand objektiv als möglicherweise für die Entscheidung der Einbürgerungsbehörde erheblicher Umstand bewertet werden kann, sondern nur im Zusammenhang damit, ob der Einbürgerungsbewerber diese (mögliche) Bedeutung erkannt hat. Dies hat das Berufungsgericht ebenso verneint wie die Frage, ob der Kläger hätte erkennen müssen, dass – wie von dem Beklagten angenommen – die IGMG als (offenkundig) auf verfassungswidrige Ziele gerichtete Vereinigung einzustufen war.
1.3 Bei den auf die Reichweite der Aufklärungsmöglichkeiten der Einbürgerungsbehörde gerichteten Fragen,
“Erlaubt das StAG zu einem Zeitpunkt, zu dem die Einbürgerungsbehörde über keinerlei Kenntnisse zum Vorliegen eines Ausschlussgrundes verfügt, dass ein Einbürgerungsbewerber allgemein und umfassend nach Mitgliedschaften in Vereinigungen und Vereinen befragt wird?
Wäre eine Befragung des Einbürgerungsbewerbers dann zulässig, wenn nicht allgemein nach Vereinsmitgliedschaften gefragt würde, sondern nur nach Mitgliedschaften in inkriminierten Vereinigungen?
Müssten dazu sämtliche in Betracht kommende extremistische oder terroristische Vereinigungen auf überregionaler und lokaler Ebene abgefragt werden?”,
bestehen bereits Bedenken, ob die Entscheidungserheblichkeit in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 VwGO genügenden Weise dargelegt worden ist; denn der Kläger ist nach den insoweit nicht mit der Verfahrensrüge angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen gerade nicht nach der Mitgliedschaft in der IGMG befragt worden (und hat daher auch nicht durch eine wahrheitswidrige Antwort auf diese Frage über eine bestehende Mitgliedschaft getäuscht).
Jedenfalls ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz und bedarf keiner revisionsgerichtlichen Klärung, dass die Einbürgerungsbehörde im Rahmen der ihr obliegenden Aufgabe der Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen einen Einbürgerungsbewerber auch ohne konkrete Anhaltspunkte für eine Mitgliedschaft in einer (bestimmten) Vereinigung, welche – zumindest nach der Bewertung der Einbürgerungsbehörde – i.S.d. § 10 StAG verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt, jedenfalls in Bezug auf eine Mitgliedschaft in einer derart “inkriminierten Vereinigung” befragen darf. Offenkundig zulässig ist daher auch, einem Einbürgerungsbewerber eine Liste von Vereinigungen vorzulegen, die aus Sicht der Einbürgerungsbehörde Bestrebungen i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG verfolgt oder verfolgt hat, und solchermaßen gezielt nach einer Mitgliedschaft oder Unterstützung zu fragen. Die weitergehende Frage, ob dazu umfassend alle in Betracht kommenden Vereinigungen abgefragt werden müssten, stellt sich in einem Revisionsverfahren nicht; auch sonst betrifft sie nicht die rechtlichen Grenzen der Sachaufklärungsmöglichkeiten der Einbürgerungsbehörde, sondern die Frage, inwieweit diese in der Verwaltungspraxis ausgeschöpft werden sollen. Diese Frage wäre revisionsgerichtlich nicht klärungsfähig.
Keinen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf wirft die weitergehende Rechtsauffassung des Berufungsgerichts auf (UA S. 15), dass die Einbürgerungsbehörde die Möglichkeit habe, “im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens … den Einbürgerungsbewerber allgemein und umfassend nach Mitgliedschaften und früheren Mitgliedschaften in Vereinigungen und Vereinen zu befragen”; aus welchen Gründen der Einbürgerungsbehörde diese Aufklärungsmöglichkeit aus Rechtsgründen nicht eröffnet sein sollte, erschließt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
2. Die Revision ist auch nicht wegen der geltend gemachten Verfahrensfehler (Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
2.1 Die Rüge, der Verwaltungsgerichtshof habe verfahrensfehlerhaft gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verstoßen, richtet sich der Sache nach gegen die Feststellung und Würdigung der zur IGMG gesammelten Erkenntnisse durch das Berufungsgericht. Die Beschwerde wendet sich insoweit nur gegen die tatrichterliche Bewertung, es lasse sich nicht feststellen, dass der verfassungsfeindliche Charakter der Bestrebungen der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) zu dem Zeitpunkt, zu dem der Kläger seine Loyalitätserklärung abgegeben habe, aber auch zum Entscheidungszeitpunkt so eindeutig und offensichtlich war, dass angenommen werden müsse, dass jedes Vorstandsmitglied von örtlichen Mitgliedvereinigungen verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstütze; insoweit sei das Berufungsgericht von einem unvollständigen bzw. falschen Sachverhalt ausgegangen. Selbst wenn die in Bezug genommenen und mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Unterlagen belegten, dass die IGMG von den Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern nicht nur als verfassungswidrig eingestuft worden ist, sondern es tatsächlich auch war, folgte aus den von dem Beklagten bezeichneten Unterlagen überdies nicht, dass dies auch für den Kläger bei Angabe der Loyalitätserklärung offensichtlich war, sich ihm die Notwendigkeit einer Offenbarung der Mitgliedschaft hätte aufdrängen müssen und er daher durch Unterlassen getäuscht habe. Überdies scheidet – wie dargelegt – eine Rücknahme bei lediglich unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Betroffenen, bei denen eine Täuschung oder vergleichbar vorwerfbares Verhalten fehlt, aus.
2.2 Soweit das gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts gerichtete Beschwerdevorbringen zur Frage, ob der Kläger dadurch seine Einbürgerung durch Täuschung erwirkt habe, dass er seine Mitgliedschaft in der IGMG nicht mitgeteilt habe, obwohl er um den verfassungsfeindlichen Charakter der IGMG und die Bedeutung für die Einbürgerungsentscheidung des Beklagten gewusst habe, auch die Rüge mangelnder Sachverhaltsaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) ausfüllen soll (Beschwerdebegründung S. 14 f.), scheitert diese Rüge bereits daran, dass sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt. Wer die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht erhebt, obwohl er – durch einen nach § 67 Abs. 1 VwGO zur Vertretung befugten, sachkundigen Vertreter vertreten – vor dem Verwaltungsgerichtshof keinen förmlichen Beweisantrag gestellt hat (vgl. § 86 Abs. 2 VwGO), muss, um den gerügten Verfahrensmangel prozessordnungsgemäß zu bezeichnen, substantiiert darlegen, warum sich dem Tatsachengericht aus seiner für den Umfang der verfahrensrechtlichen Sachaufklärung maßgebenden materiellrechtlichen Sicht die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung in der aufgezeigten Richtung hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. März 1978 – BVerwG 6 B 24.78 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 164 S. 43 f., vom 1. April 1997 – BVerwG 4 B 206.96 – NVwZ 1997, 890, ≪893≫ sowie vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328).
Daran lässt es die Beschwerdebegründung fehlen. Der Beklagte hat ausweislich der Sitzungsniederschrift, gemäß der die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten ausführlich erörtert worden ist, keinen Antrag gestellt, zu der Frage Beweis zu erheben, ob die IGMG eine Organisation ist, die Bestrebungen i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 1, § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG verfolgt. Selbst wenn diese Frage nicht Gegenstand der Erörterungen in der Berufungsverhandlung gewesen sein sollte – was nicht ersichtlich und von dem Beklagten nicht behauptet wird –, war sie doch in den vorbereitenden Schriftsätzen eingehend und zwischen den Beteiligten ebenso kontrovers beurteilt worden wie die Frage, ob die Mitgliedschaft in dieser Organisation eine einem Einbürgerungsbewerber zurechenbare Unterstützung von Bestrebungen i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 1, § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG bedeutet. Hierzu hatten die Beteiligten – auch der Beklagte – vorgetragen und Unterlagen und Materialien vorgelegt; es ist nicht ersichtlich, dass es dem Beklagten nicht möglich oder nicht zuzumuten gewesen wäre, die nunmehr vorgelegten weiteren Unterlagen bereits während des Berufungsverfahrens zum Gegenstand der Entscheidungsfindung zu machen oder sonst auf eine weitere Aufklärung hinzuwirken
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG (s.a. Nr. 42.1 Streitwertkatalog 2004, NVwZ 2004, 1327).
Unterschriften
Hund, Dr. Franke, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen