Entscheidungsstichwort (Thema)
Schädigung während der NS-Zeit. Unternehmensbeteiligung. Rückerstattung. Anteilsveräußerung. Ostvermögen des Unternehmens. ergänzende Einzelrestitution. geschädigter Gesellschafter
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf ergänzende Einzelrestitution steht nicht dem rechtsgeschäftlichen Erwerber rückerstatteter Anteile des geschädigten Gesellschafters, sondern nur dem geschädigten Gesellschafter, seinen Erben oder bei fehlender Anspruchsanmeldung dieser Personen der Conference on Jewish Material Claims against Germany, Inc. als Rechtsnachfolgerin zu.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 6, § 2 Abs. 1 S. 3, § 3 Abs. 1 S. 4 ff., S. 5
Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 04.03.2005; Aktenzeichen 31 A 53.03) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4. März 2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Klägerin macht vermögensrechtliche Ansprüche an Grundstücken in Berlin-Mitte geltend, die aufgrund des Gesetzes zur Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten vom 8. Februar 1949 durch Bekanntmachung der sog. “Liste 3” entzogen und in Volkseigentum überführt wurden. Die Grundstücke gehörten bei ihrer Enteignung der Geschäftshaus GmbH mit der Wertheim Grundstücksgesellschaft mbH als Alleingesellschafterin. Die Geschäftsanteile der Wertheim Grundstücksgesellschaft mbH hielten 1933 die Wertheim AG für Handelsbeteiligungen sowie deren Hauptaktionäre Georg, Franz und Wilhelm Wertheim, die jüdischer Herkunft waren und ihre Anteile unter der Herrschaft des Nationalsozialismus an Dritte übertrugen. Die Anteile der Wertheim Grundstücksgesellschaft mbH erwarb in der Zeit von 1951 bis 1994 rechtsgeschäftlich die Hertie Waren- und Kaufhaus GmbH, die 1999 auf die Klägerin verschmolzen wurde. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin und die Beigeladene meldeten vermögensrechtliche Ansprüche in Bezug auf die Grundstücke an. Das Landesamt stellte die Berechtigung der Beigeladenen fest und lehnte den Antrag der Klägerin ab. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Klägerin im maßgeblichen Zeitraum an der Gesellschaft, der das Grundstück gehört habe, weder unmittelbar noch mittelbar beteiligt gewesen sei und die allein gesellschaftsrechtliche Rechtsnachfolge ihr nicht die Berechtigung als geschädigter Gesellschafter (§ 3 Abs. 1 Satz 5 VermG) vermittle. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VermG). Die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen zielen allesamt sinngemäß auf die Klärung der Rechtsfrage, ob die Ansprüche auf ergänzende Einzelrestitution (§ 3 Abs. 1 Satz 4 ff. VermG) in Fällen, in denen aufgrund des alliierten Rückerstattungsrechts restituierte Unternehmensbeteiligungen eines NS-Verfolgten veräußert wurden, dem Verfolgten beziehungsweise seinen Erben oder dem rechtsgeschäftlichen Erwerber der Beteiligungen zustehen. Die in dem so beschriebenen Umfang entscheidungserhebliche Rechtsfrage lässt sich anhand des Gesetzes und der dazu ergangenen Rechtsprechung beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Hiernach ist eindeutig, dass Berechtigter der Verfolgte, sein Erbe oder im Fall einer fehlenden Anspruchsanmeldung dieser Personen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG die Beigeladene ist. Das ergibt sich aus Folgendem:
§ 3 Abs. 1 Satz 4 VermG gibt dem Berechtigten in Höhe seiner früheren Unternehmensbeteiligung einen Anspruch auf Einräumung von Bruchteilseigentum an solchen Vermögensgegenständen, die mit einem nach § 1 Abs. 6 i.V.m. § 6 VermG zurückzugebenden oder einem nach diesem oder einem anderen nach dem 8. Mai 1945 ergangenen Gesetz bereits zurückgegebenen Unternehmen entzogen oder von ihm später angeschafft worden sind und aus irgendwelchen Gründen nicht mehr zum Vermögen des Unternehmens gehören. Mit der durch das Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz eingefügten und durch das Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz neu gefassten Vorschrift sollen Wiedergutmachungslücken geschlossen werden, die dadurch entstehen können, dass es in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR keine Wiedergutmachungsgesetze gab, die den im Westen Deutschlands geltenden gleichwertig waren. Im Wege der ergänzenden Einzelrestitution soll der Berechtigte deshalb auch diejenigen Vermögensgegenstände zurückverlangen können, die nach der Schädigung eines Unternehmens während der NS-Zeit aus dessen Vermögen ausgeschieden sind (Urteil vom 26. Juni 1997 – BVerwG 7 C 53.96 – Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 18 S. 14 ≪15 f.≫).
Die Regelung gilt auch für Unternehmen im Westen Deutschlands, denen Vermögensgegenstände im Beitrittsgebiet gehörten. In derartigen Fallkonstellationen bezweckt die Vorschrift, die Wiedergutmachungslücke zu schließen, die in Bezug auf das im Beitrittsgebiet gelegene Betriebsvermögen dadurch entstanden ist, dass hierfür seinerzeit keine Rückerstattungsleistungen gewährt wurden. Dass § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG gerade auch die in diesem Sinn ergänzende Einzelrestitution bei “Westunternehmen” erfasst, ist mit ihrer Neufassung durch das Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz klargestellt worden. Der Anspruch auf Einräumung von Bruchteilseigentum in Höhe der dem Berechtigten entzogenen Unternehmensbeteiligung besteht unabhängig davon, ob während der Zeit der NS-Herrschaft das Unternehmen geschädigt wurde. Es genügt, dass der Verfolgte seine Beteiligung an dem Unternehmen verloren hat (§ 3 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2 und 3 VermG). In einem Fall dieser Art soll durch die ergänzende Einzelrestitution die bei der Rückerstattung ausgebliebene Wiedergutmachung für seine Anteile am Ostvermögen nachgeholt werden.
Als Berechtigten einer ergänzenden Einzelrestitution bestimmt das Gesetz ausdrücklich den geschädigten Gesellschafter und nicht das in § 6 Abs. 1a VermG bezeichnete Unternehmen (§ 3 Abs. 1 Satz 5 VermG). Nichts anderes gilt für die Fälle einer mittelbaren Beteiligung, gleichgültig, ob es sich dabei um entzogene Anteile des Gesellschafters an der Muttergesellschaft oder um die Veräußerung von Anteilen der Konzernmutter an ihrer Tochtergesellschaft handelte und der Gesellschafter nur an der Muttergesellschaft beteiligt war (vgl. Urteil vom 28. April 2004 – BVerwG 8 C 12.03 – BVerwGE 120, 362 ≪367 f.≫). Das bedeutet, dass das Bruchteilseigentum an “weggeschwommenen” Vermögensgegenständen immer demjenigen zusteht, der hinsichtlich des Verlusts von im Osten Deutschlands gelegenen Vermögensgegenständen des Unternehmens aufgrund der alliierten Rückerstattungsgesetze keine angemessene Wiedergutmachung erhalten hat.
Wegen ihrer Funktion, die genannte Wiedergutmachungslücke zu schließen, muss die ergänzende Einzelrestitution notwendigerweise retrospektiv auf den seinerzeit Rückerstattungsberechtigten bezogen werden. Das gilt auch dann, wenn der rückerstattungsberechtigte Gesellschafter die seinerzeit restituierten Anteile an dem Unternehmen inzwischen veräußert hat. Hinsichtlich eines bei der Rückerstattung unberücksichtigt gebliebenen Vermögensverlusts des geschädigten Gesellschafters ist auch in diesem Fall nur der geschädigte Gesellschafter selbst, sein Erbe oder, bei fehlender Anspruchsanmeldung dieser Personen, die Beigeladene Berechtigter. Für die von der Klägerin geltend gemachte Berechtigung eines rechtsgeschäftlichen Erwerbers des rückerstatteten Gesellschaftsanteils ist mangels eigener Schädigung kein Raum. Wurden frühere Rückerstattungsleistungen an den Gesellschafter nicht für das Ostvermögen des Unternehmens erbracht, können sich die Werte der entsprechenden Vermögensgegenstände nicht in dem bei der späteren Anteilsveräußerung erzielten Erlös niedergeschlagen haben. Hat demgegenüber die Rückerstattung der Gesellschaftsanteile den wirtschaftlichen Wert des Ostvermögens berücksichtigt, gibt es keine vermögensrechtlich zu schließende Wiedergutmachungslücke, weil dem Gesellschafter dann schon nach den Rückerstattungsgesetzen vollständige Wiedergutmachung geleistet wurde. Mithin kann der Anspruch auf ergänzende Einzelrestitution in keinem Fall demjenigen zustehen, der die rückerstatteten Anteile des geschädigten Gesellschafters rechtsgeschäftlich erworben hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 4 GKG.
Unterschriften
Sailer, Kley, Herbert
Fundstellen