Verfahrensgang

OVG für das Land NRW (Urteil vom 10.06.2022; Aktenzeichen 20 D 212/20.AK)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Juni 2022 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

 

Gründe

I

Rz. 1

Die Klägerin wendet sich gegen einen Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Düsseldorf vom 8. Juli 2020 zur Schließung einer Deichlücke.

Rz. 2

Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

II

Rz. 3

Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Revision ist nicht deshalb zuzulassen, weil ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts beruhen kann.

Rz. 4

Das angegriffene Urteil verletzt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht. Entgegen dem Beschwerdevorbringen durfte das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde legen, dass die Klägerin mit ihrem erst nach Ablauf der Zehn-Wochen-Frist des § 6 Satz 1 UmwRG unterbreiteten Vorbringen zur Begründung der Klage nach § 6 Satz 2 UmwRG präkludiert ist (hierzu 1.). Ebenfalls ohne Verstoß gegen Bundesrecht durfte es annehmen, dass die Präklusion nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil es im Sinne von § 6 Satz 3 UmwRG i. V. m. § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO mit geringem Aufwand möglich gewesen wäre, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung der Klägerin zu ermitteln (hierzu 2.).

Rz. 5

1. Nach § 6 Satz 1 und 2 UmwRG hat eine Person im Anwendungsbereich des Umweltrechtsbehelfs-Gesetzes innerhalb einer Frist von zehn Wochen ab Klageerhebung die zur Begründung ihrer Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben; Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf dieser Frist vorgebracht werden, sind grundsätzlich nur zuzulassen, wenn die Verspätung genügend entschuldigt ist (§ 6 Satz 2 UmwRG i. V. m. § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Der Zweck dieser Klagebegründungsfrist besteht darin, zur Straffung des Gerichtsverfahrens beizutragen, indem der Prozessstoff zu einem frühen Zeitpunkt handhabbar gehalten wird. Schon innerhalb der Begründungsfrist hat der Kläger grundsätzlich den Prozessstoff festzulegen und Beweismittel für einen späteren förmlichen Beweisantrag bereits anzugeben, was späteren lediglich vertiefenden Tatsachenvortrag nicht ausschließt. Über die Klagebegründungsfrist ist nicht nach § 58 VwGO zu belehren (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. August 2022 - 9 B 7.22 - NVwZ-RR 2022, 903 Rn. 11 m. w. N.).

Rz. 6

Die Klägerin hat dem Oberverwaltungsgericht innerhalb der Klagebegründungsfrist mitgeteilt, dass sie sich als Grundstückseigentümerin gegen die Festsetzung einer Baustelleneinrichtungsfläche durch den Planfeststellungsbeschluss wende. Antrag und Begründung blieben einem gesonderten Schreiben vorbehalten. Beweismittel hat die Klägerin ebenfalls nicht angegeben. Ausgehend hiervon hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, dass der innerhalb der Frist erfolgte Vortrag der Klägerin den Maßgaben des § 6 Satz 1 UmwRG nicht gerecht wird und mangels Vorliegens der Voraussetzungen nach § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO späterer Vortrag der Klägerin nach § 6 Satz 2 UmwRG zurückzuweisen gewesen sei.

Rz. 7

Die hiergegen gerichtete Rüge der Klägerin führt auf keinen Verfahrensmangel. Zwar kann die Klägerin zutreffend darauf verweisen, sie habe innerhalb der Klagebegründungsfrist mitgeteilt, die Klage richte sich ausschließlich gegen die Festsetzung einer Baustelleneinrichtungsfläche auf ihrem Grundstück. Jedoch hat die Klägerin innerhalb dieser Frist keinerlei Tatsachen angegeben, die sich auf die Begründetheit ihrer Klage beziehen. Auch die Angabe von Beweismitteln ist unterblieben. Auf dieser Grundlage trägt die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, es fehle an den erforderlichen substantiierten Tatsachenangaben, aus denen sich hinreichend ergebe, unter welchen tatsächlichen Gesichtspunkten die angefochtene Entscheidung angegriffen werde. Dies gilt zumal vor dem Hintergrund, dass die Klägerin als Eigentümerin von Flächen, die im Bereich des Vorhabens liegen, einen Vollüberprüfungsanspruch (vgl. hierzu nur BVerwG, Urteil vom 5. Oktober 2021 - 7 A 17.20 - juris Rn. 22 m. w. N.) geltend machen kann, der es ermöglicht, ein konkretes Klageziel - hier die Vermeidung einer Beeinträchtigung durch eine Baustelleneinrichtungsfläche - durch den Vortrag ganz unterschiedlicher sachlicher Rügen gegen ein planfestgestelltes Vorhaben zu erreichen. Gegen die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Verspätung weiteren Vorbringens sei nicht nach § 6 Satz 2 UmwRG i. V. m. § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO genügend entschuldigt, trägt die Klägerin keine substantiierten Einwendungen vor.

Rz. 8

2. Nach § 6 Satz 3 UmwRG i. V. m. § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO können verspätet vorgebrachte Erklärungen und Beweismittel nicht zurückgewiesen und ohne weitere Ermittlungen entschieden werden, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln.

Rz. 9

Das Oberverwaltungsgericht verneint dies und stellt darauf ab, dass es einerseits gezwungen gewesen wäre, hinsichtlich der konkreten Beschwer der Klägerin zu spekulieren, und andererseits Durchsicht und Erfassung des Inhalts des 131 Druckseiten umfassenden Planfeststellungsbeschlusses mit erheblichem Aufwand verbunden gewesen wäre. Soweit die Beschwerde sich demgegenüber auf den Standpunkt stellt, dass es durch Lesen des Planfeststellungsbeschlusses oder durch gezielte Schlagwortsuche ohne nennenswerten Aufwand möglich gewesen wäre festzustellen, dass der angefochtene Bescheid mit Blick auf ihr Klagebegehren rechtswidrig sei, führt dies auf keinen Verfahrensfehler. Nicht zuletzt mit Blick auf den Vollüberprüfungsanspruch der Klägerin und der mit Rücksicht auf den Grundsatz der Planerhaltung wegen der Rechtskraftwirkung eines Urteils gebotenen abschließenden Benennung der einem Planfeststellungsbeschluss anhaftenden Fehler (vgl. hierzu nur BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2018 - 7 C 18.17 - Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 72 Rn. 31 m. w. N.) bleibt die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts nachvollziehbar, dass die Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts ohne Mitwirkung der Klägerin mit nicht nur geringem Aufwand verbunden gewesen wäre.

Rz. 10

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15798085

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