Entscheidungsstichwort (Thema)
Straßenplanung durch Bebauungsplan. Erschließungsstraße. Verkehrslärmschutz. Immissionsgrenzwerte
Leitsatz (amtlich)
Die Anwendung der §§ 41 und 42 BImSchG sowie der 16. BImSchV auf die Planung des Baus einer Straße durch Bebauungsplan ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil es sich um eine Stichstraße handelt, durch die ein Gewerbegebiet mit nur einem dort anzusiedelnden Gewerbebetrieb erschlossen wird.
Normenkette
BauGB § 1 Abs. 3, 5-6; BImSchG §§ 41-42; 16. BImSchV § 2; VwGO § 47
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Entscheidung vom 08.06.2000; Aktenzeichen 7a D 40/98.NE) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. Juni 2000 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen die Änderung eines Bebauungsplans, der u.a. südlich seines im Änderungsbereich liegenden und als Mischgebiet ausgewiesenen Wohngrundstücks eine in einem Wendehammer endende öffentliche Verkehrsfläche (Stichstraße) festsetzt, die ein angrenzendes Gewerbegebiet erschließen soll und zugleich eine der Zu- und Abfahrten eines weiter südlich gelegenen größeren Parkplatzes bildet. Über die Stichstraße sollen ein oder zwei Gewerbebetriebe an das städtische Verkehrsnetz angebunden werden. Der Antragsteller rügt u.a. Abwägungsfehler hinsichtlich der von der Antragsgegnerin prognostizierten Verkehrslärmimmissionen, die infolge des auf der Stichstraße zu erwartenden Verkehrs auf sein Grundstück einwirken würden.
Das Normenkontrollgericht hat den Normenkontrollantrag abgelehnt. Der Antragsteller wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.
Entscheidungsgründe
II.
Die auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich kein Grund für eine Zulassung der Revision.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Antragsteller beimisst.
1.1 Die Beschwerde wirft als rechtsgrundsätzlich bedeutsam die Frage auf, ob „in der Bauleitplanung dem Problem des Schutzes vor Verkehrslärm und der Überlagerung sonstigen Lärmes durch Verkehrslärm im Rahmen des Abwägungsgebotes des § 1 Abs. 6 BauGB hinreichend Rechnung getragen (wird), wenn der Verkehrslärm isoliert betrachtet und ausschließlich nach den Immissionsgrenzwerten der 16. BImSchV beurteilt wird”. Diese Frage ist, soweit sie im Streitfall entscheidungserheblich ist, nicht in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig, da sie sich auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des beschließenden Senats ohne weiteres beantworten lässt.
Der Senat hat bereits entschieden: Bei der Festsetzung von Straßen durch Bebauungspläne (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB) gehört der Verkehrslärmschutz grundsätzlich nach § 1 Abs. 5 Satz 2 Nrn. 1 und 7 BauGB zum Kreis der abwägungsrelevanten Belange. Die Gemeinde hat sich unter diesem Blickwinkel Klarheit darüber zu verschaffen, ob und in welchem Ausmaß das Straßenbauvorhaben Maßnahmen des aktiven oder passiven Schallschutzes nach sich zieht. Dies folgt aus den §§ 50 und 41 BImSchG, die von der Gemeinde bereits bei der Aufstellung eines Bebauungsplans zu beachten sind. Durch den Bau von Straßen dürfen grundsätzlich keine Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden, die als schädliche Umwelteinwirkungen zu qualifizieren sind. Die Gemeinde hat sich daher bei der Abwägung unter dem Gesichtspunkt der Abwehr von Lärmbeeinträchtigungen an dem Schutzmodell des Bundes-Immissionsschutzgesetzes auszurichten (BVerwG, Beschluss vom 17. Mai 1995 – BVerwG 4 NB 30.94 – Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 82, S. 17 ≪21≫).
Der Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche richtet sich nach den in § 2 der 16. BImSchV baugebietsbezogen festgelegten Immissionsgrenzwerten. Diese Grenzwerte beanspruchen auch für die Festsetzung von Straßen durch Bebauungsplan unmittelbar Geltung, wenn – wie hier – die Voraussetzungen für die Anwendung der 16. BImSchV erfüllt sind (vgl. Beschluss vom 17. Mai 1995 a.a.O., S. 22). Nach den Immissionsgrenzwerten in § 2 der 16. BImSchV beurteilt sich nicht nur, bis zu welchem Lärmniveau Straßenverkehrslärm ohne Schutzmaßnahmen oder eine angemessene Entschädigung in Geld (§§ 41, 42 BImSchG) von der Nachbarschaft als zumutbar hinzunehmen ist. Wie der beschließende Senat bereits entschieden hat, ist auch eine Verkehrslärmbelästigung, die unterhalb dieser Erheblichkeitsschwelle bleibt, in der Abwägung unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse des Einzelfalls zu berücksichtigen (Senatsbeschluss vom 19. Februar 1992 – BVerwG 4 NB 11.91 – DVBl 1992, 1099 ≪1100≫). Bereits entschieden ist schließlich, dass der für einen Anspruch auf Lärmschutz maßgebende Beurteilungspegel grundsätzlich nicht als „Summenpegel” unter Einbeziehung von Lärmvorbelastungen durch bereits vorhandene Verkehrswege zu ermitteln ist (Senatsurteil vom 21. März 1996 – BVerwG 4 C 9.95 – BVerwGE 101, 1 ≪7 ff.≫).
Die Beschwerde zeigt keinen über diese vom beschließenden Senat entwickelten Grundsätze hinausgehenden Klärungsbedarf auf. Sie legt auch nicht dar, dass eine Überprüfung dieser Grundsätze aus rechtsgrundsätzlichen Erwägungen angebracht sei. Die mit der aufgeworfenen Grundsatzfrage verbundene Kritik der Beschwerde an der vorinstanzlichen Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung im Einzelfall vermag die rechtsgrundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht zu begründen. Die Grundsatzrüge berücksichtigt im Übrigen nicht hinreichend den Rechtsstandpunkt des Normenkontrollgerichts, die Lärmeinwirkungen auf das Grundstück des Antragstellers durch den auf der Stichstraße zu erwartenden Verkehr lägen derart weit unterhalb der Werte, die nach der 16. BImSchV in einem Mischgebiet als zumutbar anzunehmen seien, dass gewisse Unsicherheiten der Lärmberechnung vernachlässigt werden könnten. Daran ändere auch die Lärmbelastung durch die Nutzung des Parkplatzes nichts. Erst bei „mehr als drei Verdoppelungen der von der Voruntersuchung erwarteten Verkehrsstärke” werde der nach § 2 Abs. 1 der 16. BImSchV maßgebliche Immissionsgrenzwert erreicht. Offen gelassen hat das Normenkontrollgericht auch, ob der Antragsteller als Anlieger des geplanten Verlängerungsabschnitts des W.-rings für sein Wohnhaus einen Anspruch auf passiven Lärmschutz (§ 42 BImSchG) besitzt.
Die von der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage gewinnt auch im Hinblick auf das angeführte Senatsurteil vom 27. August 1998 – BVerwG 4 C 5.98 – (NVwZ 1999, 523 = BauR 1999, 152) keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung. Die Beschwerde entnimmt dieser Entscheidung den Rechtssatz, dass sich die Zumutbarkeit von Verkehrslärm, der von dem einer baulichen Anlage zuzurechnenden Zu- und Abgangsverkehr ausgehe, weder unmittelbar noch mittelbar nach der Verkehrslärmschutz-Verordnung (16. BImSchV) zu beurteilen sei. Es sei deshalb unzureichend, zumindest aber problematisch, wenn wie hier das Normenkontrollgericht bei der Abwägungskontrolle hinsichtlich eines betriebsgebundenen Verkehrslärms, der von einer geplanten öffentlichen Straße (Stichstraße) ausgehe, ausschließlich auf eine Lärmprognose abstelle, die sich an den Immissionsgrenzwerten der 16. BImSchV orientiere. Diesem Beschwerdevorbringen ist entgegenzuhalten, dass das bezeichnete Senatsurteil vom 27. August 1998 einen Rechtssatz mit dem von der Beschwerde angeführten Inhalt nicht aufgestellt hat. Der Senat hatte sich in dieser Entscheidung nicht mit dem Verkehrslärm zu befassen, der durch den – aufgrund eines Bebauungsplans ermöglichten – Bau oder die wesentliche Änderung einer Straße entsteht, sondern der aufgrund der Genehmigung eines Vorhabens und eines deshalb intensiveren Zu- und Abgangsverkehrs auf der vorhandenen Straße zu erwarten war. Eine unmittelbare Anwendung des § 41 BImSchG schiede deshalb von vornherein aus. Zur Frage einer – mittelbaren – Heranziehung der 16. BImSchV bei der Zumutbarkeitsbeurteilung hat der Senat ausgeführt, dass der Lärm des Zu- und Abfahrtsverkehrs, der auf einer für Parkzwecke in Anspruch genommenen öffentlichen Verkehrsfläche (Kurhausvorplatz) entsteht, seinem Charakter nach dem Verkehrslärm auf öffentlichen Straßen nicht ohne weiteres vergleichbar sei: Parkplatzlärm zeichne sich durch spezifische Merkmale aus, die sich von den Straßengeräuschen des fließenden Verkehrs unterschieden und einen anderen Informationsgehalt aufwiesen. Nach Ansicht des Senats ist die Verkehrslärmschutz-Verordnung daher weder unmittelbar noch als Orientierungshilfe – mittelbar – für den Tatrichter bei der Beurteilung der Zumutbarkeit des von öffentlichen Parkplätzen ausgehenden Zu- und Abgangsverkehrs anwendbar. Diese Ausführungen sind auf den von einem Vorhaben i.S. des § 29 BauGB verursachten Zu- und Abgangsverkehr zugeschnitten und befassen sich nicht mit der Frage, welche Bedeutung den Immissionsgrenzwerten in § 2 der 16. BImSchV bei der Planung einer neuen Straße für die Beurteilung der Geräusche des erst damit ausgelösten Straßenverkehrs zukommt. Dem vorbezeichneten Senatsurteil lässt sich entgegen der Meinung der Beschwerde insbesondere nichts dafür entnehmen, dass die Immissionsgrenzwerte der 16. BImSchV für die Bewertung des Verkehrslärms einer – neuen – Stichstraße, die im Wesentlichen als Zufahrt zu einem Gewerbegebiet und einem Parkplatz dienen soll, unmaßgeblich oder ergänzungsbedürftig seien.
1.2 Die Beschwerde formuliert ferner als grundsätzlich bedeutsam die Frage, welche Anforderungen an die städtebauliche Erforderlichkeit nach § 1 Abs. 3 BauGB und an das Abwägungsgebot nach § 1 Abs. 6 BauGB zu stellen sind, wenn öffentliche Erschließungsanlagen angelegt werden sollen, die ausschließlich oder doch erkennbar überwiegend einen einzigen angrenzenden Gewerbebetrieb begünstigen sollen. Auch diese Frage ist nicht in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig. Die Frage lässt sich nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten; maßgebend sind jeweils die Umstände des Einzelfalls. Im Übrigen ist geklärt, dass ein Bebauungsplan eine – etwa der fernstraßenrechtlichen Planfeststellung, § 19 FStrG, entsprechende -enteignungsrechtliche Vorwirkung, die an Art. 14 Abs. 3 GG zu messen wäre, nicht entfaltet (Senatsbeschluss vom 11. März 1998 – BVerwG 4 BN 6.98 – Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 95 m.w.N.). Für Bebauungspläne, die wie der hier angegriffene Plan u.a. eine öffentliche Verkehrsfläche für den (fließenden) Straßenverkehr festsetzen, gilt nichts anderes. Der planerische Zugriff der Gemeinde auf im privaten Eigentum stehende Grundstücke bedeutet daher nicht, dass die öffentliche Verkehrsfläche etwa nur unter den Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 3 GG festgesetzt werden dürfe. Allerdings sind bei der Aufstellung eines Bebauungsplans, der eine Straße festsetzt, alle betroffenen und schutzwürdigen privaten Interessen, die sich aus dem Eigentum und seiner Nutzung herleiten lassen, mit den von der Bauleitplanung verfolgten Zielen, zu denen auch die Erschließung eines Gewerbegebiets mit nur einem Gewerbebetrieb gehören kann, abzuwägen.
2. Die Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) greift ebenfalls nicht durch. Ihr liegt ein Verständnis des Senatsurteils vom 27. August 1998 – BVerwG 4 C 5.98 – (NVwZ 1999, 523 = BauR 1999, 152 ≪159≫) zugrunde, dass wie oben dargelegt nicht zutrifft. Die Rüge berücksichtigt ferner nicht, dass das Urteil vom 27. August 1998 eine Fallkonstellation betraf, die sich in tatsächlicher Hinsicht vom Streitgegenstand des vorliegenden Normenkontrollverfahrens grundlegend unterscheidet.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Gaentzsch, Halama, Rojahn
Fundstellen
Haufe-Index 557240 |
BauR 2001, 603 |
NVwZ 2001, 433 |
DÖV 2002, 41 |
ZfBR 2001, 277 |
BRS 2000, 120 |
UPR 2001, 188 |
BRS-ID 2001, 10 |
FSt 2001, 734 |