Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 14.07.2002; Aktenzeichen 13a D 22/02) |
Tenor
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. Juni 2002 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Verweigerung der Vorlage der Blätter 88 bis 90 und 99 bis 103 sowie 115 der Verwaltungsvorgänge der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post durch die Beklagte rechtswidrig ist.
Die Kosten des Zwischenverfahrens tragen die Beklagte und die Beigeladene je zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischenverfahren auf 4 000 € festgesetzt.
Tatbestand
I.
Gegenstand des Hauptsacheverfahrens – VG 22 K 8707/00 – vor dem Verwaltungsgericht Köln, das diesem Zwischenverfahren zugrunde liegt, ist die Klage der Klägerin gegen den Bescheid der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post vom 15. September 2000 – BK 5b-00/076 –, der die Beigeladene verpflichtet, der Klägerin den Zugang zu Teilleistungen nach § 28 in Verbindung mit § 31 Abs. 2 PostG zu ermöglichen. Im Zwischenverfahren nach § 99 VwGO hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts mit dem angefochtenen Beschluss vom 14. Juni 2002 festgestellt, dass die Verweigerung der Vorlage der im Tenor bezeichneten Aktenbestandteile rechtmäßig sei. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Beiladung des im Antragsverfahren beteiligten Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie ist mit dem In-Kraft-Treten des Art. 18 Nr. 3 des Post- und Telekommunikationsrechtlichen Bereinigungsgesetzes vom 7. Mai 2002 (BGBl S. 1529) am 11. Mai 2002 gegenstandslos geworden (vgl. § 44 Satz 2 PostG in Verbindung mit § 75a Abs. 2 TKG). Das Rubrum war daher zu berichtigen.
2. Die Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie als die seinerzeit für die Entscheidung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage der bezeichneten Aktenstücke verweigert.
Im Verwaltungsstreitverfahren um den Zugang von Teilleistungen nach § 28 PostG, den die Regulierungsbehörde nach § 31 Abs. 2 PostG anzuordnen hat, kann die für die Entscheidung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO zuständige Behörde Urkunden oder Akten, deren Geheimhaltung ein Beteiligter zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen verlangt, offen legen, wenn diese Unterlagen entscheidungserheblich sind, andere Möglichkeiten der Sachaufklärung nicht bestehen und nach Abwägung aller Umstände das Interesse an der Offenbarung das Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen überwiegt.
Ob Urkunden oder Akten der Vorlage- und Auskunftspflicht der Behörden nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegen, hat das Gericht der Hauptsache zu beurteilen. Dessen materiellrechtliche Rechtsauffassung ist maßgebend für den Umfang der ihm verfahrensrechtlich obliegenden Pflicht zur umfassenden Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO). Das Gericht der Hauptsache bestimmt grundsätzlich auch, welche Beweismittel zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts geeignet und heranzuziehen sind. Es hat deshalb zunächst darüber zu befinden, ob Unterlagen, die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse eines Verfahrensbeteiligten enthalten und deswegen anderen mit ihm wirtschaftlich konkurrierenden Beteiligten nicht über das Akteneinsichtsrecht (§ 100 VwGO) bekannt werden sollen, entscheidungserheblich sind und zur gebotenen vollständigen Sachaufklärung benötigt werden (vgl. Beschlüsse vom 9. November 1962 – BVerwG 7 B 91.62 – BVerwGE 15, 132 ≪133 f.≫ und vom 31. Juli 1992 – BVerwG 3 B 107.92 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 21 S. 6 m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht Köln hat in dem bei ihm anhängigen Hauptsacheverfahren sowohl die Entscheidungserheblichkeit als auch die Erforderlichkeit der Verwaltungsakten als Beweismittel bejaht. Nachdem die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie vom 9. Januar 2002 die Offenlegung der Aktenstücke verweigert hatte, hat das Gericht der Hauptsache die Beklagte durch prozessleitende Verfügung des Vorsitzenden aufgefordert, die Entscheidung der obersten Aufsichtsbehörde nach § 99 Abs. 2 VwGO herbeizuführen und zu den Gerichtsakten zu reichen. Damit hat es zum Ausdruck gebracht, dass es die angefochtene Genehmigung des Zugangs zu Teilleistungen durch die Klägerin ohne Kenntnis
der vollständigen Begründung und tatsächlichen Grundlagen dieser Entscheidung nicht überprüfen könne. Das trifft zu.
Die verfahrensrechtliche Frage, ob der entscheidungserhebliche Sachverhalt durch Erhebung anderer zugänglicher und geeigneter Beweismittel gerichtlich aufgeklärt werden kann, hat der Fachsenat im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO nachzuprüfen (vgl. Beschluss vom 19. August 1964 – BVerwG 6 B 15.62 – BVerwGE 19, 179 ≪186 f.≫). Sie ist zu verneinen.
Das Gericht der Hauptsache benötigt die streitigen Unterlagen zur Sachaufklärung auch dann, wenn der Beklagten bei der Festsetzung der Entgelte für den Zugang zu Teilleistungen eine Beurteilungsermächtigung (Einschätzungsprärogative) zustehen sollte. Eine insoweit beschränkte gerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle erstreckte sich darauf, ob die Behörde von einem richtigen Sachverhalt ausgegangen ist (vgl. z.B. Urteile vom 19. März 1998 – BVerwG 2 C 5.97 – BVerwGE 106, 263 ≪266≫ m.w.N. und vom 1. Dezember 1998 – BVerwG 5 C 17.97 – BVerwGE 108, 47, ≪53≫).
Eine Beweisführung durch einen neutralen, zur Verschwiegenheit verpflichteten Sachverständigen (Wirtschaftsprüfer) als Beweismittler scheidet aus. Zwar verstößt die Verwertung mittelbarer Beweismittel nicht gegen die verfassungsrechtlichen Gebote rechtlichen Gehörs, effektiven Rechtsschutzes und eines fairen Verfahrens (vgl. BVerfGE 57, 250 ≪274≫; 78, 123 ≪126≫; BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. März 1994 – BVerfG 1 BvR 1485/93 – NJW 1994, 2347 f.). Wirksamer Geheimnisschutz eines Beteiligten – hier der Beigeladenen – ließe sich aber durch einen “Wirtschaftsprüfervorbehalt” im Hauptsacheverfahren nur erreichen, wenn die dem Sachverständigengutachten zugrunde liegenden Tatsachen den anderen Beteiligten weder unmittelbar noch – wegen ihres Akteneinsichtsrechts (§ 100 VwGO) – dem Gericht der Hauptsache zur Kenntnis gebracht würden. Das ist verfassungsrechtlich und prozessrechtlich ausgeschlossen. Ein gerichtliches Sachverständigengutachten ist als Beweismittel unverwertbar, wenn es auf Geschäftsunterlagen beruht, die eine der Parteien nur dem Sachverständigen, nicht dem Gericht und der Gegenpartei zur Verfügung gestellt hat und die im Verfahren auch nicht offen gelegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 12. November 1991 – KZR 18/90 – BGHZ 116, 47 ≪58≫). Die gerichtliche Verwertung eines solchen Sachverständigengutachtens versagt nicht nur den Beteiligten, die die geheim gehaltenen Tatsachen nicht kennen, das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO). Das Gericht verletzt auch seine Pflicht, ein von ihm eingeholtes Sachverständigengutachten sorgfältig und kritisch zu würdigen, insbesondere auch daraufhin zu überprüfen, ob es von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht (stRspr; vgl. u.a. Urteil vom 6. Februar 1985 – BVerwG 8 C 15.84 – BVerwGE 71, 38 ≪45≫). Dieser Pflicht und dem Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs kann das Gericht nur genügen, wenn der Sachverständige die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen seines Gutachtens offen legt (vgl. BHG, Urteil vom 12. November 1991, a.a.O.).
Ein “in-camera”-Verfahren vor dem Gericht der Hauptsache schließt das geltende Recht aus. Der Gesetzgeber hat durch den neu gefassten § 99 Abs. 2 VwGO die gerichtlichen Befugnisse zur Überprüfung der behördlichen Entscheidung über die Aktenvorlage auf die Fachsenate beschränkt. Diese entscheiden im Zwischenverfahren abschließend darüber, ob Akten oder Urkunden, die Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse enthalten, im Hauptsacheverfahren vorgelegt und verwertet werden dürfen. Für eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer Aktenvorlage oder Auskunftserteilung in einem “in-camera”-Verfahren vor dem Gericht der Hauptsache fehlt eine Rechtsgrundlage. Eine verfassungskonforme Auslegung in dieser Richtung ist unmöglich. Nur der Gesetzgeber könnte ein “in-camera-Verfahren vor dem Gericht der Hauptsache zur Verwertung geheimhaltungsbedürftiger Tatsachen für die Sachentscheidung einführen und ausgestalten.
Die Verweigerung der Vorlage der bezeichneten Aktenstücke ist rechtswidrig. Sie beruht auf einer unzutreffenden Ermessensentscheidung. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (heute: Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit) hat als die für die Entscheidung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO zuständige Behörde die unter Abwägung der widerstreitenden Interessen an der Vorlage der Unterlagen und an deren Geheimhaltung vorzunehmende Interessenabwägung (vgl. Beschluss vom 29. Juli 2002 – BVerwG 2 AV 1.02 – BVerwGE 117, 8 ≪9 f.≫) mit unzutreffender Gewichtung vorgenommen. Notwendigkeit und Bedeutung einer lückenlosen Sachverhaltsaufklärung im Rechtstreit, das schutzwürdige Interesse der Beteiligten und das öffentliche Interesse daran sind gegen das Interesse der Beigeladenen an der Geheimhaltung ihrer verfassungsrechtlich geschützten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse unter Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen abzuwägen. Die behördliche Ermessensentscheidung kann der Fachsenat auch daraufhin nachprüfen, ob überwiegende Interessen an der vollständigen Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsstreitverfahren die Vorlage der Unterlagen trotz der in ihnen enthaltenen Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen gebieten (vgl. Beschluss vom 19. August 1964 – BVerwG 6 B 15.62 – a.a.O.). So verhält es sich hier.
In die Abwägung des Interesses an der Offenlegung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gegen das Geheimhaltungsinteresse ist einzubeziehen, wie sich die Geheimhaltung der entscheidungserheblichen Tatsachen auf den Ausgang des Rechtsstreits auswirkt. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) schließt ein, dass das Gericht das Rechtsschutzbegehren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend prüfen kann und genügend Entscheidungsbefugnisse besitzt, um eine Rechtsverletzung abzuwenden oder erfolgte Rechtsverletzungen zu beheben (vgl. BVerfGE 101, 106 ≪122 f.≫ m.w.N.; stRspr). Es muss die dazu notwendigen tatsächlichen Grundlagen selbst ermitteln und unabhängig von der angegriffenen Entscheidung der Verwaltung ohne Bindung an deren Feststellungen und Wertungen beurteilen können. Verwaltungsvorgänge müssen dem Gericht zur Verfügung stehen, soweit sie für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung bedeutsam sein können (vgl. BVerfGE 101, 106 ≪122 ff.≫ m.w.N.). Die verfassungsrechtliche Garantie umfassenden Rechtsschutzes durch staatliche Gerichte lässt es grundsätzlich nicht zu, den Nutzern von Postdienstleistungen die im Verwaltungsstreitverfahren begehrte Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit der von ihnen zu entrichtenden, der staatlichen Regulierung unterliegenden und durch Verwaltungsakt festgesetzten Entgelte zu versagen (vgl. Urteil vom 10. Oktober 2002 – BVerwG 6 C 8.01 – BVerwGE 117, 93 ≪104 f.≫ m.w.N.).
Die verfassungsrechtlich gebotene Effektivität des Rechtsschutzes wird eingeschränkt, wenn die Geheimhaltung entscheidungserheblicher Tatsachen sich nachteilig für den Rechtsschutzsuchenden auswirkt (vgl. BVerfGE 101, 106 ≪130≫). Das ist der Fall, wenn mangels Verwertbarkeit geheimhaltungsbedürftiger Tatsachen über die Hauptsache nach Beweislastgrundsätzen zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden entscheiden werden muss. Die materiellrechtliche Frage, zu Lasten welches Beteiligten aus Gründen der materiellen Beweislast zu entscheiden ist, hat allerdings das Gericht der Hauptsache zu beurteilen. Wie diese Frage für den Fall der Unverwertbarkeit geheimhaltungsbedürftiger Tatsachen letztlich höchstrichterlich zu beantworten sein wird, ist derzeit offen, kann jedoch im vorliegenden Zwischenverfahren dahinstehen. Darauf kommt es für die Interessenabwägung nicht an. Trägt die Partei, die entscheidungserhebliche geheime Unterlagen nicht kennt, die Beweislast, wenn die nicht beweisbelastete Partei sich erfolgreich auf den Geheimschutz beruft, führt dies zu einem mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbaren Rechtsschutzdefizit. Aber auch bei einer umgekehrten Beweislastverteilung verfehlt eine mangels Offenlegung entscheidungserheblicher Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse getroffene Beweislastentscheidung das eigentliche Rechtsschutzziel, weil die zwischen den Beteiligten streitigen Fragen zur Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Regulierung der Entgelte für den Netzzugang ungeklärt bleiben. Ob die Beklagte die Entgelte für den Zugang zu Teilleistungen zutreffend festgesetzt hat, ist sowohl im Interesse aller Beteiligten als auch im öffentlichen Interesse gerichtlich zu überprüfen. Die gerichtliche Klärung, wie die zulässigen Entgelte für diesen Zugang zu ermitteln sind, dient der ordnungsgemäßen Erfüllung der verfassungsmäßigen Aufgaben der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (vgl. Art. 87 f GG). Sie dient zugleich den schutzwürdigen Belangen der Beteiligten, die ohne gerichtliche Sachentscheidung nicht wissen, welche Beträge von Rechts wegen zu entrichten sind. Das beeinträchtigt vornehmlich die mit der Beigeladenen in Wettbewerb stehenden Unternehmen in ihren Dispositionen. Ihnen eine gerichtliche Sachentscheidung wegen Geheimnisschutzes der Beigeladenen vorzuenthalten, liefe im Ergebnis auf eine Verweigerung effektiven Rechtsschutzes hinaus. Das fällt im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung ausschlaggebend ins Gewicht und zwingt zur Annahme eines überwiegenden Interesses an der Offenlegung der entscheidungserheblichen Unterlagen.
Der grundrechtlich (Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 GG) geschützte Anspruch der Beigeladenen auf Schutz ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse muss demgegenüber zurücktreten. Diese ist zwar wegen ihrer ausschließlich privatwirtschaftlichen Tätigkeit und Aufgabenstellung (Art. 87 f Abs. 2 GG) grundrechtsfähig, obwohl sie aus dem öffentlich-rechtlichen Sondervermögen Deutsche Bundespost Postdienst hervorgegangen ist und bis heute trotz der Veräußerung von Aktien an private Investoren mehrheitlich im Eigentum der Beklagten steht. Die Beigeladene erbringt Postdienstleistungen im Sinne von § 4 Nr. 1 PostG, unter anderem die Beförderung von Briefsendungen. Sie hält Lizenzen für Postdienstleistungen nach § 5 Abs. 1 PostG sowie eine gesetzliche Exklusivlizenz, die nach § 51 Satz 1 PostG bis 31. Dezember 2005 befristet ist. Diese Rechte sind der Beigeladenen vor der Privatisierung der Deutschen Bundespost jedoch unter dem Schutz eines staatlichen Monopols und unter Verwendung öffentlicher Mittel entstanden. Damit weisen sie einen intensiven sozialen Bezug auf (Art. 14 Abs. 2 GG), so dass die Beigeladene grundrechtlich geschützte vermögenswerte Positionen von vornherein nur mit einer Pflichtenbelastung erworben hat, die der Herkunft der Lizenzen entspricht (zum insoweit vergleichbaren Telekommunikationsbereich vgl. Urteil vom 25. April 2001 – BVerwG 6 C 6.00 – BVerwGE 114, 160 ≪193≫).
Die Verfassung selbst gibt das Ziel vor, die aus der Deutschen Bundespost hervorgegangenen Unternehmen Postdienst und Telekom zu privatisieren (Art. 143b GG) und gleichwohl auch für die Zukunft im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation flächendeckend für angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu sorgen (Art. 87 f Abs. 1 GG). Diese Dienstleistungen sollen neben den früheren Staatsunternehmen auch durch andere private Anbieter erbracht werden (Art. 87 f Abs. 2 GG). Art. 87 f Abs. 2 Satz 1 GG fordert die Erbringung solcher Dienstleistungen unter Wettbewerbsbedingungen (vgl. BTDrucks 12/7269 S. 5 und 9). Dem entspricht die Zielsetzung des Postgesetzes, in einem monopolistisch strukturierten Markt chancengleichen und funktionsfähigen Wettbewerb herzustellen und eine missbräuchliche Ausübung wirtschaftlicher Machtstellungen zu verhindern (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 2 PostG). Das Postgesetz verfolgt damit auch die in der Zuständigkeitsregelung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG zum Ausdruck kommende Entscheidung des Verfassungsgebers für die Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellungen. Diese Zielsetzung zählt zu den Belangen des Allgemeinwohls, die geeignet sind, Einschränkungen der Berufsausübungsfreiheit auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung unter Beachtung des Verhältsnismäßigkeitsgebots zu rechtfertigen (vgl. BVerfGE 99, 202 ≪211≫ m.w.N.; stRspr).
Als ehemaliger Monopolist hat die Beigeladene nach wie vor eine die Befürchtung der Missbrauchsgefahr begründende marktbeherrschende Stellung inne. Dies folgt schon daraus, dass die gesetzliche Exklusivlizenz des § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG noch bis 31. Dezember 2005 befristet ist. Der Zugang zu Teilleistungen, hier der Beförderung von Briefsendungen in eine Zustellniederlassung der Beigeladenen, die die Sendungen an den Endadressaten weiterbefördern soll, hat für andere Lizenznehmer, wie die Klägerin, zentrale Bedeutung für die Chance auf Zutritt zu dem bestehenden, bislang noch von der Beigeladenen beherrschten Markt. Dieser Zutritt ist unter den Voraussetzungen der §§ 28 ff. PostG zu gewähren, ohne dass das marktbeherrschende Unternehmen seine Stellung missbräuchlich nutzt (vgl. § 32 Abs. 1 PostG). Damit soll die Beigeladene daran gehindert werden, ihren noch bestehenden Wettbewerbsvorsprung auf Dauer zu halten, um das von Verfassung und Gesetz vorgegebene Ziel zu erreichen, einen chancengleichen und funktionsfähigen Wettbewerb herzustellen. Das verlangt zur Sicherung des Wettbewerbs einen effektiven Rechtsschutz der mit ihr konkurrierenden Unternehmen.
Im Kartellbeschwerdeverfahren kann das Gericht die Offenlegung von Tatsachen und Beweismitteln, deren Geheimhaltung zur Wahrung von Geschäftsgeheinmissen verlangt wird, durch Beschluss anordnen, wenn es für die Entscheidung auf diese Tatsachen und Beweismittel ankommt, andere Möglichkeiten der Sachaufklärung nicht bestehen und nach Abwägung aller Umstände die Bedeutung der Sache für die Sicherung des Wettbewerbs das Interesse des Betroffenen an der Geheimhaltung überwiegt (§ 72 Abs. 2 Satz 4 GWB). Unter diesen Voraussetzungen ist die Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit nicht unverhältnismäßig, wenn und soweit die Preisgabe der Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse keine nachhaltigen oder gar existenziellen Nachteile besorgen lässt. Entsprechendes muss für den Postdienstleistungsmarkt erst recht gelten. Das gesetzgeberische Konzept der Regulierung ist vorrangig die Auflösung des Monopols. Der Gesetzgeber hielt die Regelungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (vgl. § 2 Abs. 3 PostG) allein nicht für ausreichend, um auf dem ursprünglich staatsmonopolistisch organisierten Postdienstleistungsmarkt funktionsfähigen Wettbewerb herzustellen. Denn die Regelungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen unterstellen grundsätzlich die Existenz eines funktionsfähigen Wettbewerbs (vgl. Urteil vom 25. April 2001, a.a.O. S . 180). Die gesetzlich ausgeformte wettbewerbsrechtliche Konfliktlösung in § 72 Abs. 2 Satz 4 GWB zu Gunsten eines grundsätzlich bereits vorhandenen und funktionsfähigen Wettbewerbs ist jedoch auch bei der hier vorzunehmenden Abwägung und Gewichtung der widerstreitenden Interessen zu Gunsten eines noch im Aufbau befindlichen Wettbewerbs auf dem traditionell monopolistisch geprägten Postdienstleistungsmarkt heranzuziehen.
Nachhaltige oder gar Existenz bedrohende Nachteile für die Beigeladene sind bei einer Offenlegung ihrer hier in Rede stehenden Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse nicht zu besorgen. Diese enthalten Kalkulationen zum Thema “Teilleistung BZA-Brief”, die Beschreibung der bei der Erbringung des Vollprodukts erforderlichen Prozessschritte, den Bearbeitungsablauf für die Produktion des BZA-Briefs, einen Kostenvergleich für den BZA-Brief und den BZE-Brief sowie eine Übersicht des Projektstatus “Gangfolgesortierung” auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Sämtliche Angaben beschränkten sich auf einen so kleinen Bereich der von der Beigeladenen erbrachten Postdienstleistungen, dass die Offenlegung dieser Geschäftsgeheimnisse keine wirtschaftliche Gefährdung besorgen lässt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3, § 155 VwGO. Das selbständige Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO hat einen eigenen Streitgegenstand und erfordert eine Kostenentscheidung. Die Streitwertfestsetzung für das Zwischenverfahren beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Unterschriften
Dr. Silberkuhl, Prof. Dawin, Dr. Kugele
Fundstellen