Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung eines Personalratsmitglieds. gerichtliche Ersetzung der Zustimmung des Personalrats. Divergenz. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
Leitsatz (amtlich)
Übernimmt ein Oberverwaltungsgericht in einem Verfahren nach § 108 Abs. 1 Satz 2 BPersVG Rechtssätze aus der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur außerordentlichen Kündigung von Arbeitnehmern, so liegt eine zur Zulassung der Rechtsbeschwerde führende Divergenz auch dann nicht vor, wenn ein anderes Oberverwaltungsgericht sich auf Rechtssätze aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gestützt hat, die dieses mittlerweile aufgegeben hat.
Normenkette
BPersVG §§ 47, 83, 108; ArbGG §§ 72, 92, 92a
Verfahrensgang
Hessischer VGH (Entscheidung vom 18.04.2002; Aktenzeichen 22 TH 3289/01) |
VG Wiesbaden (Entscheidung vom 22.11.2001; Aktenzeichen 23 LG 2674/00.PV (V)) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes – Fachsenat für Personalvertretungssachen (Land) – vom 18. April 2002 wird zurückgewiesen.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2, § 92a Satz 1 ArbGG ist die Rechtsbeschwerde gegen eine im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ergangene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts zuzulassen, wenn diese, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von der Entscheidung eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Diese Regelungen sind in den Fällen des § 108 Abs. 1 Satz 2 BPersVG über § 83 Abs. 2 BPersVG entsprechend anzuwenden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. April 1998 – BVerwG 6 P 5.97 – Buchholz 251.51 § 40 MVPersVG Nr. 1 S. 2). Die Rechtsbeschwerde ist demnach zuzulassen, wenn der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts, solange eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung eines anderen Oberverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Schon nach dem Wortlaut der Regelung scheidet die Zulassung der Rechtsbeschwerde aus, wenn die Vorinstanz im angefochtenen Beschluss keinen eigenständigen Rechtssatz aufgestellt, sondern lediglich Rechtssätze aus der aktuellen Rechtsprechung des Rechtsbeschwerdegerichts übernommen hat. In einem solchen Fall würde durch die Zulassung der Rechtsbeschwerde der Zweck der Divergenzrüge, der durch unterschiedliche Rechtsprechung der Landesgerichte gefährdeten Rechtseinheit entgegenzuwirken, verfehlt (vgl. BAG, Beschluss vom 28. April 1998 – 9 AZN 227/98 – BAGE 88, 296, 297). Gleiches gilt bei der hier gegebenen besonderen Fallkonstellation, wenn das Oberverwaltungsgericht Rechtssätze aus der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts übernimmt.
Es geht im vorliegenden Fall um die außerordentliche Kündigung eines Personalratsmitglieds, für die im Bereich der Bundesverwaltungen § 47 Abs. 1 BPersVG gilt und für die im Länderbereich die inhaltsgleiche Regelung in § 108 Abs. 1 BPersVG unmittelbar anzuwenden ist. Verweigert der Personalrat die erforderliche Zustimmung, so entscheidet das Verwaltungsgericht im anschließenden, auf Antrag des Dienststellenleiters eingeleiteten Verfahren auf Ersetzung der Zustimmung darüber, ob ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB oder der sonst in Betracht kommenden gesetzlichen oder tariflichen Bestimmungen vorliegt. Damit wird der Kündigungsschutzprozess praktisch vorweggenommen. Ersetzt das Verwaltungsgericht die Zustimmung des Personalrats, so wird damit zugleich festgestellt, dass die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist (§ 47 Abs. 1 Satz 2, § 108 Abs. 1 Satz 2 BPersVG). Diese Feststellung wirkt auch gegenüber dem von der Kündigung betroffenen Personalratsmitglied, weil es im Beschlussverfahren gemäß § 47 Abs. 1 Satz 3, § 108 Abs. 1 Satz 3 BPersVG beteiligt war. Sie entfaltet präjudizielle Bindung für den anschließenden Kündigungsschutzprozess, so dass der Arbeitnehmer die Berechtigung der außerordentlichen Kündigung dort nur noch unter Berufung auf neue Tatsachen in Frage stellen kann, die im Beschlussverfahren noch nicht berücksichtigt werden konnten (vgl. zur außerordentlichen Kündigung von Betriebsratsmitgliedern: BAG, Urteil vom 24. April 1975 – 2 AZR 118/74 – BAGE 27, 113, 119 ff.; Urteil vom 21. Dezember 1983 – 7 AZR 425/82 – ≪juris≫; Urteil vom 9. Juli 1998 – 2 AZR 142/98 – BAGE 89, 220, 227; vgl. ferner Etzel, in: Lorenzen/Schmitt/Etzel/ Gerhold/Schlatmann/Rehak, Bundespersonalvertretungsgesetz, § 47 Rn. 104; Grabendorff/Ilbertz/Widmaier, Bundespersonalvertretungsgesetz, 9. Auflage 1999, § 47 Rn. 26; Fischer/Goeres, in: GKÖD V K § 47 Rn. 38).
Die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte im Beschlussverfahren nach § 47 Abs. 1 Satz 2, § 108 Abs. 1 Satz 2 BPersVG werden materiellrechtlich wesentlich geprägt durch die Auslegung und Anwendung bürgerlich-rechtlicher Rechtsvorschriften, insbesondere des § 626 BGB. Zu beachten sind die Grundsätze, die dazu in der Rechtsprechung der Gerichte für Arbeitssachen als der für den Kündigungsschutz von Arbeitnehmern zuständigen Gerichte (§ 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG) entwickelt worden sind. In dieser Hinsicht kommt die Wahrung der Rechtseinheit in besonderer Weise dem Bundesarbeitsgericht als dem höchsten Gericht für Arbeitssachen zu. Übernehmen die Verwaltungsgerichte in Verfahren nach § 47 Abs. 1 Satz 2, § 108 Abs. 1 Satz 2 BPersVG die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur außerordentlichen Kündigung von Arbeitnehmern, so kann dadurch die Rechtseinheit nicht gefährdet werden.
Im angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs finden sich folgende Rechtssätze: Bei Vertragsstörungen ist nicht nur im so genannten Leistungsbereich, sondern auch im so genannten Vertrauensbereich grundsätzlich vor der Kündigung eine Abmahnung erforderlich, wenn es um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers geht und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann, womit nur ausnahmsweise u.a. dann nicht gerechnet werden kann, wenn eine besonders schwere Pflichtverletzung vorliegt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar und bei der eine Hinnahme seines Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist. Diese Rechtssätze hat der Verwaltungsgerichtshof nicht eigenständig entwickelt, sondern aus der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts übernommen (vgl. Urteil vom 4. Juni 1997 – 2 AZR 526/96 – BAGE 86, 95, 102; Beschluss vom 10. Februar 1999 – 2 ABR 31/98 – BAGE 91, 30, 38; Urteil vom 11. März 1999 – 2 AZR 507/98 – AP Nr. 149 zu § 626 BGB, Bl. 1153; Urteil vom 8. Juni 2000 – 2 AZR 638/99 – BAGE 95, 78, 88; Urteil vom 21. Juni 2001 – 2 AZR 30/00 – PersR 2002, 261, 263 f.). Entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen hat der Verwaltungsgerichtshof die zitierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht fehlerhaft wiedergegeben. Insbesondere kommt es danach für die Frage der Entbehrlichkeit der Abmahnung entscheidend auf das Gewicht der Pflichtverletzung an (vgl. Urteil vom 21. Juni 2001 a.a.O. S. 264). Zwar mögen die Formulierungen des Bundesarbeitsgerichts teilweise eine Offenheit für die vergleichbare Bewertung anderer besonderer Fallkonstellationen signalisieren. Dazu steht die Zusammenfassung dieser Rechtsprechung im angefochtenen Beschluss jedoch nicht in Widerspruch. Ist der Verwaltungsgerichtshof mit den hier allein in Rede stehenden Rechtssätzen im vollen Umfang der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gefolgt, so kann sein Beschluss schon deswegen nicht Anknüpfungspunkt für eine erfolgreiche Divergenzrüge sein.
Dies gilt auch mit Blick auf den von den Antragstellerinnen zitierten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 28. November 1995 – PL 15 S 2169/94 – (PersR 1996, 439, 443). Auch dieser hat hinsichtlich des Abmahnungserfordernisses keine eigenen Rechtssätze aufgestellt, sondern ist lediglich der damaligen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gefolgt. Dass die in dieser Entscheidung und im angefochtenen Beschluss zitierten Rechtssätze des Bundesarbeitsgerichts nicht übereinstimmen, beruht darauf, dass dieses seine Rechtsprechung geändert hat. Während damals hinsichtlich des Abmahnungserfordernisses nach Störungen im Leistungs- und solchen im Vertrauensbereich unterschieden wurde (vgl. BAG, Urteil vom 30. November 1978 – 2 AZR 145/77 – BAGE 31, 153, 157), ist das Bundesarbeitsgericht von dieser Unterscheidung erstmals in seinem – zeitlich nach dem zitierten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg ergangenen – Urteil vom 4. Juni 1997 abgerückt (a.a.O. S. 102). Dass der Verwaltungsgerichtshof im angefochtenen Beschluss dieser neueren Rechtsprechung gefolgt ist, entspricht gerade dem Postulat der Rechtseinheit. Hingegen hätte es die Rechtseinheit gefährdet, wenn er der früheren, im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 28. November 1995 noch zitierten, inzwischen überholten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gefolgt wäre. Auch hier kommt der Grundsatz zum Tragen, dass sich die Divergenzrüge nicht auf frühere, inzwischen aufgegebene, sondern nur auf aktuelle Rechtsprechung stützen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. März 1993 – BVerwG 6 PB 11.92 – PersR 1993, 357; BAG, Beschluss vom 8. August 2000 – 9 AZN 520/00 – AP Nr. 40 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz).
Unterschriften
Bardenhewer, Gerhardt, Büge
Fundstellen
ZBR 2003, 180 |
ZTR 2003, 208 |
AP 2007 |
PersV 2003, 152 |
ZfPR 2003, 112 |