Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 10.02.2003; Aktenzeichen 2 S 1367/02) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 10. Februar 2003 wird dieser Beschluss aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7 150 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Zwar rechtfertigt das Beschwerdevorbringen weder die Zulassung der Revision wegen Divergenz (1.) noch wegen grundsätzlicher Bedeutung (2.). Es liegt aber ein von der Beschwerde geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (3.). Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweidung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht (§ 133 Abs. 6 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
1. Eine die Revisionszulassung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtfertigende Abweichung des angefochtenen Beschlusses von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts haben die Kläger nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise bezeichnet. Eine solche Abweichung liegt nur dann vor, wenn sich das Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem in der angezogenen Entscheidung eines der genannten divergenzfähigen Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat; die Beschwerde muss darlegen, dass und inwiefern dies der Fall ist (stRspr; vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Juli 1988 – BVerwG 1 B 44.88 – Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 32 und vom 12. Dezember 1991 – BVerwG 5 B 68.91 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302). Daran fehlt es hier.
Die Kläger tragen zwar vor, der Verwaltungsgerichtshof sei von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abgewichen, wonach ein Vollzugsdefizit auf die Verfassungsmäßigkeit der materiellrechtlichen Norm durchschlage und nicht auf dem Rücken der Bürger gelöst werden dürfe. Sie benennen aber keinen davon abweichenden abstrakten Rechtssatz aus dem angefochtenen Beschluss. Vielmehr machen sie nur geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgestellte Rechtsgrundsätze im vorliegenden Fall nicht beachtet. Damit kann jedoch keine Divergenzrüge begründet werden.
Soweit die Kläger eine Abweichung von Entscheidungen des Bundesfinanzhofs rügen, übersehen sie, dass dieses Gericht in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht als divergenzfähig aufgeführt ist.
2. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt auch nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dieser Zulassungsgrund liegt vor, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BVerwGE 13, 90 ≪91 f.≫). Die von den Klägern in der Beschwerdebegründung bezeichneten Fragen erfüllen diese Anforderungen nicht.
Die aufgeworfenen Fragen zur Wirksamkeit einer Abtretung von Ansprüchen auf Rückzahlung der Vorausleistung oder auf Verzinsung einer solchen hat der Verwaltungsgerichtshof nach den landesrechtlichen Vorschriften für Kommunalabgaben beurteilt, deren Auslegung und Anwendung revisionsgerichtlicher Prüfung grundsätzlich entzogen sind (vgl. § 137 Abs. 1 VwGO). Mit der in § 3 Abs. 1 Nr. 2 KAG enthaltenen Anordnung, bestimmte für staatliche Steuern geltende Vorschriften der Abgabenordnung bei der Erhebung von Kommunalabgaben entsprechend anzuwenden, werden diese Vorschriften nicht als Bundesrecht in den landesrechtlichen Bereich übernommen. Vielmehr beruht ihre Anwendung in diesem Bereich allein auf dem Gesetzesbefehl des Landesgesetzgebers ebenso, wie wenn das Land mit jenen Vorschriften wörtlich übereinstimmende Gesetzesbestimmungen erlassen hätte (vgl. BVerwGE 114, 1 ≪4≫ m.w.N.). Eine Klärung dieser Fragen wäre deshalb im Revisionsverfahren nicht zu erwarten.
3. Die Beschwerde hat aber Erfolg, weil ein von ihr geltend gemachter Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Die Kläger beanstanden in ihrem durch Telefax am Montag, dem 14. April 2003, und damit noch innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist eingegangenen Nachtrag zur Beschwerdebegründung mit Recht, dass das Berufungsgericht ihren Tatsachenvortrag unbeachtet gelassen hat, es gebe bei der Beklagten keinen “amtlich vorgeschriebenen Vordruck”, dessen Verwendung das Berufungsgericht unter Berufung auf § 46 Abs. 3 AO im angefochtenen Beschluss als Voraussetzung der Wirksamkeit der Abtretung angesehen hat. Damit rügen sie der Sache nach eine Verletzung ihres durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör vor Gericht.
Zwar hat das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Kläger nicht schon deshalb gegen Verfahrensrecht verstoßen, weil es seine Entscheidung auf eine Verletzung von § 46 AO gestützt hat, obwohl in der ersten Instanz und im Berufungszulassungsverfahren weder die Beklagte noch das Gericht auf diese Vorschrift hingewiesen hatten. Ist die Berufung zugelassen, dann prüft das Berufungsgericht den Streitfall gemäß § 128 VwGO innerhalb des Berufungsantrags in vollem Umfang neu. Es ist dabei nicht auf die Gründe beschränkt, die im Zulassungsverfahren angesprochen worden sind (vgl. Meyer/Ladewich, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 124 a Rn. 86). Das gilt auch dann, wenn das Berufungsgericht gemäß § 130 a VwGO über die Berufung durch Beschluss entscheidet. Aus dem Prozessrecht und insbesondere aus der von den Klägern in diesem Zusammenhang genannten richterlichen Aufklärungspflicht folgt auch kein Anspruch einer Partei darauf, dass sich das Gericht in seiner Entscheidung ausdrücklich mit jeder Einzelheit des Parteivorbringens auseinandersetzt. Jedoch gebietet es der in Art. 103 Abs. 1 GG jedermann verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht, dass die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden (BVerfGE 47, 182 ≪189≫; 54, 43 ≪46≫; 58, 353 ≪357≫; 86, 133 ≪146≫). Hierzu gehörte das durch Benennung eines Zeugen unter Beweis gestellte und zudem unstreitig gebliebene Vorbringen der Kläger, die Beklagte verfüge über keinen amtlichen Vordruck für die Anzeige der Abtretung erschließungsbeitragsrechtlicher Forderungen. Das Berufungsgericht hat das Fehlen einer auf solchem Vordruck vorgenommenen Anzeige auch zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht, so dass der Vortrag der Kläger zu diesem Punkt nicht als unwesentlich angesehen werden kann. Gleichwohl ist es auf diesen Vortag in den Entscheidungsgründen nicht eingegangen.
Auf diesem Verfahrensfehler beruht auch der angefochtene Beschluss. Da das Berufungsgericht nicht verlautbart hat, wie es die Rechtslage beurteilt, wenn die zuständige Behörde es unterlassen hat, einen Vordruck für die Anzeige amtlich vorzuschreiben, und damit den Bürgern die Erfüllung einer sich aus § 46 Abs. 3 AO ergebenden Formpflicht unmöglich wäre, ist nicht auszuschließen, dass es die Berufung der Beklagten bei Berücksichtigung des diesbezüglichen Vortrags der Kläger zurückgewiesen hätte.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 2, § 14 GKG.
Unterschriften
Hien, Dr. Storost, Dr. Eichberger
Fundstellen