Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 14.08.2008; Aktenzeichen 14 B 06.1181) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14. August 2008 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.
1.1 Die Beschwerde möchte in einem Revisionsverfahren rechtsgrundsätzlich geklärt wissen,
ob die Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB einem eingeschränkten Gewerbegebiet entsprechen kann.
Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren so nicht stellen. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht davon ausgegangen, dass ein (faktisches) “eingeschränktes” Gewerbegebiet ein in der BauNVO bezeichnetes Baugebiet und das Vorhaben der Klägerin nach seiner Art in einem solchen Gebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO allgemein nicht zulässig ist. Er hat die Zulässigkeit des Vorhabens vielmehr auf der Grundlage von § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verneint. § 15 Abs. 1 BauNVO ist eine besondere Ausprägung des Rücksichtnahmegebots; die Vorschrift ergänzt die §§ 2 bis 14 BauNVO; das gilt nicht nur für durch einen Bebauungsplan festgesetzte Baugebiete, sondern auch für unbeplante Gebiete, deren Eigenart gemäß § 34 Abs. 2 BauGB einem Plangebiet der BauNVO entspricht (Beschluss vom 29. Juli 1991 – BVerwG 4 B 40.91 – BRS 52 Nr. 56; Urteile vom 12. Dezember 1991 – BVerwG 4 C 5.88 – BRS 52 Nr. 47, vom 14. Januar 1993 – BVerwG 4 C 19.90 – BRS 55 Nr. 175 ≪490≫ und vom 23. September 1999 – BVerwG 4 C 6.98 – BVerwGE 109, 314 ≪317 f.≫). Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Die Eigenart eines einzelnen Baugebiets im Sinne von § 15 Abs. 1 BauNVO ergibt sich nicht allein aus den typisierenden Regelungen der BauNVO; nach der Rechtsprechung des Senats lässt sich die Eigenart eines in einem Bebauungsplan festgesetzten Gebietes abschließend erst bestimmen, wenn zusätzlich auch die jeweilige örtliche Situation, in die ein Gebiet “hineingeplant” worden ist, und der jeweilige Planungswille der Gemeinde, soweit dieser in den zeichnerischen und textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans unter Berücksichtigung der hierfür gegebenen Begründung zum Ausdruck gekommen ist, berücksichtigt werden; bei unbeplanten Gebieten im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB ist dementsprechend auf den sich aus den örtlichen Verhältnissen ergebenden besonderen Gebietscharakter des konkreten Baugebiets abzustellen (Beschluss vom 29. Juli 1991 a.a.O.). Nach diesen Grundsätzen hat der Verwaltungsgerichtshof das Gebiet, in dem der Betrieb der Klägerin liegt, für die Anwendung des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO als eingeschränktes Gewerbegebiet qualifiziert und ausgehend hiervon das Maß der gebotenen Rücksichtnahme gegenüber dem angrenzenden (faktischen) reinen Wohngebiet, in dem die Beigeladenen zu 1 bis 3 wohnen, bestimmt.
1.2 Die Frage,
ob bei der Prüfung des Rücksichtnahmegebotes in nach § 34 BauGB zu beurteilenden Gebieten unbebauten Grundstücken der gleiche Schutzstatus zu gewähren ist wie bebauten Grundstücken, wenn die unbebauten Grundstücke grundsätzlich bebaubar sind,
würde sich in dem Revisionsverfahren ebenfalls nicht stellen. Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht nur für einen etwaigen Neubau der Beigeladenen zu 1 auf dem südlichen, noch unbebauten Teil des Flurstücks 1792/5, sondern auch für die anderen maßgeblichen Immissionsorte, also die vorhandenen Wohngebäude der Beigeladenen zu 1 bis 3 festgestellt, dass der Immissionsrichtwert von 55 dB(A) überschritten wird (UA S. 13). Aus der Stellungnahme der S… GmbH vom 6. Februar 2005 ergibt sich nichts anderes.
2. Die geltend gemachte Abweichung vom Urteil des Senats vom 6. November 1968 – BVerwG 4 C 31.66 – (BVerwGE 31, 22) liegt nicht vor.
Ein Urteil weicht nur dann im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ab, wenn ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter Rechtssatz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widerspricht (Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328).
In seinem Urteil vom 6. November 1968 hat der Senat entschieden, dass es für die Frage, ob ein Bebauungszusammenhang vorliegt, grundsätzlich auf die Genehmigung der bestehenden Bebauung nicht ankomme; die zuständigen Behörden seien gehalten, gegen eine Bebauung, die weder formell noch materiell baurechtmäßig sei, einzuschreiten; wenn sie das unterließen, könne die Pflichtwidrigkeit nicht zu Lasten eines Bauwerbers gehen, der sich für sein Vorhaben auf den tatsächlich vorhanden Bebauungszusammenhang berufe; dementsprechend hätten tatsächlich vorhandene Baulichkeiten nur dann außer Betracht zu bleiben, wenn – wie namentlich durch den Erlass von Beseitigungsverfügungen – das Verhalten der zuständigen Behörden hinreichend klar ergebe, dass ihre Beseitigung absehbar sei (Urteil vom 6. November 1968 a.a.O. S. 26). Dass Baulichkeiten, die ohne eine erforderliche Baugenehmigung errichtet wurden, in jedem Fall Teil des Bebauungszusammenhangs sind, also auch dann, wenn ihre Beseitigung bereits angeordnet ist oder hiermit jedenfalls zu rechnen ist, hat der Senat mithin nicht entschieden.
Dem angefochtenen Urteil entnimmt die Beschwerde den Rechtssatz, dass für die Einordnung nach der Art der baulichen Nutzung gemäß § 34 Abs. 2 BauGB auf den genehmigten Zustand abzustellen sei; nicht genehmigte Nutzungen schieden aus der Beurteilung gemäß § 34 BauGB aus.
Abgesehen davon, dass dieser Rechtssatz nicht den Bebauungszusammenhang im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB und damit nicht dieselbe Rechtsvorschrift wie das Urteil des Senats vom 6. November 1968 beträfe, hat der Verwaltungsgerichtshof den Rechtssatz, dass ungenehmigte Nutzungen in keinen Fall zu berücksichtigen sind, also auch dann nicht, wenn die zuständigen Behörden die Nutzung nicht untersagt haben und hiermit auch nicht zu rechnen ist, weder ausdrücklich noch konkludent aufgestellt. Er hat das Gebiet, in dem der Betrieb der Klägerin liegt, als (faktisches) eingeschränktes Gewerbegebiet qualifiziert, weil für die südliche Betriebsfläche keine Baugenehmigungen vorlägen, die die Nutzung der dort vorhandenen Gebäude als Reparaturwerkstatt oder zur Durchführung größerer Wartungsarbeiten gestatteten; gleiches gelte für die vorhandenen Freiflächen (UA S. 11). Dass die Beigeladene zu 4 der Klägerin die ungenehmigte Nutzung der vorhandenen Gebäude und der Freiflächen zu den genannten Zwecken untersagt hatte und weiter untersagen würde, hat er in diesem Zusammenhang zwar nicht ausdrücklich festgestellt. Dies ergab sich jedoch aus dem Gesamtzusammenhang. Die Klägerin hatte die Genehmigung u.a. zur Nutzungsänderung der auf der südlichen Betriebsfläche gelegenen Halle 14 von einer Ausstellungshalle zur Reparatur/Montagehalle und eine betriebliche Neuordnung der Freiflächen “nach vorheriger Nutzungsuntersagung” (UA S. 3) beantragt. Die Beigeladene zu 4 hat die Genehmigung zwar erteilt; das Verwaltungsgericht hat jedoch die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Beigeladenen zu 1 bis 3 angeordnet. Die Widerspruchsbehörde hat die Genehmigung durch den streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid aufgehoben. Anhaltspunkte dafür, dass die Bauaufsichtsbehörden die Nutzung der Halle als Reparatur/Montagehalle und eine betriebliche Neuordnung der Freiflächen nach Außervollzugsetzung der Baugenehmigung geduldet haben und dulden würden, wenn die Aufhebung der Baugenehmigung unanfechtbar wird, waren nicht gegeben.
3. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
3.1 Als Verletzung rechtlichen Gehörs rügt die Beschwerde, dass der Verwaltungsgerichtshof mit den Beteiligten nicht erörtert habe, ob im Rahmen des § 34 Abs. 2 BauGB auch ein eingeschränktes Gewerbegebiet als faktisches Baugebiet in diesem Sinne angesehen werden könne. Hierzu war der Verwaltungsgerichtshof schon deshalb nicht verpflichtet, weil er – wie dargelegt – nicht davon ausgegangen ist, dass auch ein eingeschränktes Gewerbegebiet ein in der BauNVO bezeichnetes Baugebiet sei, in dem Betriebe, die das Wohnen stören, ihrer Art nach gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO allgemein unzulässig wären.
3.2 Einen Aufklärungsmangel hat die Beschwerde nicht hinreichend bezeichnet. Hierfür hätte sie substantiiert darlegen müssen, hinsichtlich welcher tatsächlicher Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auch die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O.).
Die Beschwerde rügt, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht ermittelt hat, ob tatsächlich ausgeübte, jedoch nicht genehmigte Nutzungen von der Bauaufsichtsbehörde geduldet werden, ob zu erwarten ist, dass ungenehmigte Nutzungen untersagt werden und ob bestandskräftige Nutzungsuntersagungen vollstreckt werden sollen. Sie zeigt jedoch nicht auf, welche ungenehmigten, das Wohnen störenden gewerblichen Nutzungen die Bauaufsichtsbehörde geduldet haben sollte und aufgrund welcher Umstände sich dem Verwaltungsgerichtshof die Erforderlichkeit einer Beweisaufnahme, die die Klägerin nicht beantragt hatte, hätte aufdrängen sollen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Rojahn, Dr. Jannasch, Dr. Philipp
Fundstellen
ZfBR 2009, 376 |
GV/RP 2009, 598 |
KomVerw 2009, 272 |
BBB 2009, 43 |
FuHe 2009, 593 |