Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 13.03.2012; Aktenzeichen 6 A 11385/11) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. März 2012 ergangenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die ordnungsbehördliche Untersagungsverfügung der Stadt K… vom 25. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion T… vom 16. Oktober 2008 im Zeitraum bis zu deren Erledigung rechtswidrig war. Mit dem angegriffenen Bescheid wurde der Klägerin sofort vollziehbar untersagt, in ihrer Betriebsstätte M…straße … in K… die Vermittlung von Sportwetten an die in Malta ansässige Firma T… fortzuführen; außerdem wurde ihr die Schließung des Betriebs aufgegeben und ein Zwangsgeld angedroht. Nach erfolglosen Eilverfahren hat die Klägerin am 31. Januar 2010 ihre Vermittlertätigkeit in der Betriebsstätte eingestellt, die Betriebsräume an einen Dritten unterverpachtet und diesem das Inventar verkauft. Ihre zuvor erhobene Anfechtungsklage hat sie auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellt. Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße hat der Klage stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.
Rz. 2
Die dagegen erhobene Beschwerde des Beklagten, die sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO beruft und Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO rügt, hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
Rz. 3
1. Die Beschwerdebegründung legt keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dar (§ 132 Abs. 2 Nr. 1, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Sie formuliert keine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukäme (vgl. zu diesen Kriterien Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14).
Rz. 4
a) Die zur Werbung für das Sportwettenangebot aufgeworfenen Fragen wären, soweit sie sich auf den Begriff der Werbung beziehen, im angestrebten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Das angegriffene Urteil stützt sich nicht auf eine einschränkende Begriffsdefinition, sondern auf eine strenge Konkretisierung der Grenzen, in denen Werbung für Sportwetten nach § 5 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GlüStV a.F. zulässig war. Die Fragen zur Vereinbarkeit dieser Zulässigkeitsgrenzen mit Verfassungs- und Unionsrecht und die daran anknüpfenden Fragen zur Erheblichkeit, zur Definition und zur Feststellung struktureller Defizite beim Vollzug der werbebeschränkenden Regelungen können nicht zur Zulassung der Revision führen. Sie betreffen bei Beschwerdeeinlegung bereits auslaufendes und seit dem Inkrafttreten des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrages (auch) in Rheinland-Pfalz zum 1. Juli 2012 ausgelaufenes Recht (vgl. Art. 1, Art. 2 Abs. 1 und 4 des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrages – ErsterGlüÄndStV vom 15. Dezember 2011 i.V.m. § 1 Abs. 1 des rheinland-pfälzischen Landesglücksspielgesetzes – LGlüG – vom 22. Juni 2012 ≪RhPfGVBl S. 166 mit Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 LGlüG≫), ohne dass Umstände dargelegt sind, deretwegen ihnen dennoch grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zukäme.
Rz. 5
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Rechtsfragen, die sich auf ausgelaufenes Recht beziehen, trotz anhängiger Fälle regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung, da § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO eine richtungweisende Klärung für die Zukunft herbeiführen soll. Eine Revisionszulassung wegen solcher Fragen kommt deshalb nur ausnahmsweise in Betracht, wenn die Fragen sich zu den Nachfolgevorschriften offensichtlich in gleicher Weise stellen oder wenn ihre Beantwortung für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung ist. Beides ist im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde substantiiert darzulegen (Beschlüsse vom 20. Dezember 1995 – BVerwG 6 B 35.95 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9 S. 11 ff., vom 17. Mai 2004 – BVerwG 1 B 176.03 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 29 S. 11 und vom 15. Dezember 2005 – BVerwG 6 B 70.05 – juris Rn. 6, je m.w.N.). Daran fehlt es hier.
Rz. 6
Der Beschwerdebegründung ist nicht zu entnehmen, dass die Rechtsfragen zur Zulässigkeit von Werbemaßnahmen sich unter der Geltung des auch in Rheinland-Pfalz zum 1. Juli 2012 in Kraft getretenen § 5 GlüStV n.F. offensichtlich in gleicher Weise stellen wie zuvor. Die in § 5 Abs. 1 GlüStV a.F. normierten Grenzen zulässiger Werbung, insbesondere deren Beschränkung auf Information und Aufklärung, wurden in den Wortlaut des § 5 GlüStV nicht übernommen. Auch das ausdrückliche Verbot zum Glücksspiel gezielt anreizender oder ermunternder Werbung (§ 5 Abs. 2 Satz 1 GlüStV a.F.) fehlt. Nach Absatz 1 der Neufassung ist die Werbung lediglich an den Zielen des – geänderten – Glücksspielstaatsvertrages auszurichten; Absatz 3 Satz 2 ermächtigt dazu, ausnahmsweise auch die zuvor nach § 5 Abs. 3 GlüStV a.F. absolut verbotene Werbung im Fernsehen, im Internet und über Telekommunikationsanlagen zuzulassen. Unter diesen neuen, die Werbebeschränkungen lockernden Regelungen stellen sich die Auslegungsfragen zu den Grenzen zulässiger Werbung nach § 5 GlüStV n.F. jedenfalls nicht offensichtlich in gleicher Weise wie unter der Geltung des § 5 GlüStV a.F. Gleiches gilt für die Fragen zur Vereinbarkeit der früher geltenden Werbebeschränkungen mit Verfassungs- und Unionsrecht. Da das experimentell eingeführte Konzessionssystem nach § 10a Abs. 1 und 2 GlüStV n.F. den Marktzugang für Veranstalter weniger stark beschränkt als die frühere Monopolregelung, stellen insbesondere Fragen der Verhältnismäßigkeit der Beschränkung – einschließlich der neu geregelten Werbebeschränkungen – sich nicht mehr offenkundig ebenso wie unter dem ausgelaufenen Recht. Die bloße Möglichkeit, dass sich ihre unveränderte Relevanz bei näherer Prüfung der neuen Rechtslage erweisen könnte, reicht nicht aus (Beschluss vom 15. Dezember 2005 a.a.O. m.w.N.).
Rz. 7
Die zum strukturellen Vollzugsdefizit bezüglich der Werbebeschränkungen aufgeworfenen Fragen wären im angestrebten Revisionsverfahren nur entscheidungserheblich, soweit sie sich auf Verstöße gegen die Werbebeschränkungen nach § 5 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GlüStV a.F. beziehen; insoweit betreffen auch sie ausgelaufenes Recht. Dass sie sich unter der neuen, die Werbung liberalisierenden Rechtslage offensichtlich in gleicher Weise stellen würden, ist nicht dargelegt.
Rz. 8
Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich auch nicht, dass mindestens eine der zum ausgelaufenen Recht aufgeworfenen Fragen noch in einer nicht überschaubaren Vielzahl von Fällen in unabsehbarer Zukunft von Bedeutung wäre. Selbst wenn derzeit noch zahlreiche Fortsetzungsfeststellungsklagen betreffend § 5 GlüStV a.F. bei den Verwaltungsgerichten anhängig sein sollten, ist daraus noch nicht auf eine unübersehbare Zahl offener Fälle zu schließen.
Rz. 9
b) Auf die unionsrechtliche Frage, ob die sektorübergreifende Kohärenzprüfung eine Folgenabschätzung erfordert, käme es im Revisionsverfahren nicht an. Das Berufungsgericht hat nicht auf eine Inkohärenz wegen des Erlasses oder der Anwendung von Regelungen in einem anderen Glücksspielsektor abgestellt, sondern allein auf den Verstoß gegen Werbebeschränkungen im monopolisierten Sektor der Sportwetten selbst. Die Frage, ob die Monopolregelung durch die Glücksspielpolitik im Bereich der Geldspielgeräte konterkariert werde und (auch) deshalb unverhältnismäßig sei, hat es ausdrücklich offen gelassen.
Rz. 10
c) Die sinngemäß gestellte Frage, ob der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 – 1 BvR 1054/01 – (BVerfGE 115, 276 ≪319≫) übergangsweise bis zum 31. Dezember 2007 weiter anwendbare Monopolregelung trotz der unionsrechtlichen Anerkennung eines mitgliedstaatlichen Regelungsspielraums und trotz der Erforderlichkeit einer intertemporären Regelung (auch) für diese Übergangszeit für unanwendbar erklären durfte, wäre im Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat die Unanwendbarkeit der Monopolregelung für die Übergangszeit bis zum 1. Juli 2007 nicht allein mit unionsrechtlichen Erwägungen begründet, sondern unabhängig davon und selbstständig tragend auf die Erwägung gestützt, die verfassungswidrigen Vorschriften hätten nur bei Beachtung der bundesverfassungsgerichtlichen Maßgaben übergangsweise weiter angewendet werden dürfen. Daran fehle es, weil das geforderte Mindestmaß an Konsistenz in Rheinland-Pfalz wegen fortgesetzter und systematischer Verstöße gegen die verfassungsrechtlich gebotenen Werbebeschränkungen nicht hergestellt worden sei. Gegen diese Annahmen hat der Beklagte keine wirksamen Rügen erhoben. Dazu kann für die Grundsatzrügen zu den Werbebeschränkungen auf die Ausführungen oben unter Rn. 4 ff. und für die Verfahrensrügen auf die Ausführungen unten zu Rn. 19 ff. verwiesen werden.
Rz. 11
Davon abgesehen ist die Frage, ob der Anwendungsvorrang der Grundfreiheiten mit innerstaatlich bindender Wirkung auch für die bundesverfassungsgerichtlich zugestandene Übergangszeit bejaht werden durfte, auf der Grundlage der bisherigen unions- und bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ohne Weiteres zu bejahen. Als primärrechtliche Gewährleistungen binden die Grundfreiheiten die Mitgliedstaaten der Union im definierten persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich unmittelbar, und zwar auch außerhalb der bereits durch sekundäres Unionsrecht harmonisierten Regelungsbereiche. Ihr Anwendungsvorrang schließt eine Anwendung grundfreiheitswidriger Regelungen prinzipiell aus (EuGH, Urteil vom 8. September 2010 – Rs. C-409/06, Winner Wetten – Slg. 2010, I-08015 Rn. 53 ff.). Eine übergangsweise Anwendung mitgliedstaatlicher, die Grundfreiheiten verletzender Vorschriften kommt daher nur in Betracht, soweit das Unionsrecht selbst eine solche Anwendung zulässt, etwa aus zwingenden Erwägungen der Rechtssicherheit, die der Gerichtshof im Fall des Sportwettenmonopols verneint hat (EuGH, Urteil vom 8. September 2010 a.a.O. Rn. 67, 69; zur Zulässigkeit einer staatsvertraglichen Übergangsregelung vgl. EuGH, Urteil vom 8. September 2010 – Rs. C-46/08, Carmen Media Group – Slg. 2010, I-08149 Rn. 106 ff.). Diese Rechtsprechung hält sich im Rahmen seiner unionsrechtlichen Kompetenzen und ist auch nicht mit verfassungsrechtlichen Erwägungen in Zweifel zu ziehen. Der Vortrag des Beklagten zum Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung nach Art. 5 EUV zeigt insoweit keine klärungsbedürftigen Fragen auf. Art. 5 EUV verbietet der Union, ihre Kompetenzen über den Kreis der ihr jeweils nach Art. 23 Abs. 1 GG übertragenen Hoheitsrechte hinaus auszudehnen. Die vertraglich begründete Rechtsprechungskompetenz des Gerichtshofs nach Art. 267 AEUV schließt die Befugnis ein, den Anwendungsvorrang der Grundfreiheiten und die Voraussetzungen einer übergangsweisen Anwendung sie verletzender mitgliedstaatlicher Vorschriften zu konkretisieren. Dass der Anwendungsvorrang von den mitgliedstaatlichen Gerichten aller Instanzen zu beachten ist, ergibt sich aus der Bindung der Mitgliedstaaten an den Vertrag, der als supranationales Primärrecht keiner Transformation bedarf, und aus der Bindung der Gerichte an das geltende Recht, zu dem auch das Unionsrecht zählt. Art. 100 GG greift nicht ein, da weder die Verfassungsmäßigkeit der Norm noch das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts in Frage steht. Eine unionsrechtswidrige und deshalb im konkreten Fall unanwendbare Norm wird wegen des Unionsrechtsverstoßes nicht für nichtig erklärt.
Rz. 12
Verfassungsrechtliche Grundsatzfragen ließen sich an das unionsgerichtliche Verneinen einer übergangsweisen Anwendbarkeit der grundfreiheitswidrigen Monopolregelung nur knüpfen, wenn dargelegt würde, dass die Übertragung der ihr zugrunde liegenden Rechtsprechungskompetenz auf den Gerichtshof den integrationsfesten, die Identität der Verfassung prägenden Kernbereich von Hoheitsbefugnissen beeinträchtigte (vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 u.a. – BVerfGE 123, 267 ≪353 f.≫) oder dass sich die Wahrnehmung dieser Kompetenz durch den Gerichtshof im konkreten Fall als eine hinreichend qualifizierte, nämlich offensichtliche und strukturell bedeutsame Missachtung der Kompetenzgrenzen darstellte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 – BVerfGE 126, 286 ≪301 ff.≫). Das trägt der Beklagte nicht vor.
Rz. 13
d) Seine Rüge, die Berufungsentscheidung verletze das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG, formuliert keine klärungsbedürftige Rechtsfrage zu dessen Auslegung und übersieht, dass die Bindung an Recht und Gesetz die Bindung an das die Mitgliedstaaten verpflichtende Unionsrecht einschließt. Die gerichtliche Durchsetzung der unionsrechtlichen Grundfreiheiten ist Teil des verfassungsrechtlich gewährleisteten effektiven (Individual-)Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), steht also nicht im Widerspruch zur Aufgabe der Verwaltungsgerichte, den Schutz subjektiver Rechte zu gewähren. Ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip ergibt sich auch nicht daraus, dass bei einer Inkohärenz der Monopolregelung – wie der Beklagte meint – sämtliche Schutzschranken außer Kraft gesetzt würden. Vielmehr ist in der Rechtsprechung geklärt, dass in einem solchen Fall zwar die Monopolregelung nicht mehr anzuwenden ist, dies aber nicht zwangsläufig zur Unanwendbarkeit etwa des Erlaubnisvorbehalts führt. Er bleibt vielmehr anwendbar, wenn er nicht allein der Durchsetzung des Monopols, sondern darüber hinaus anderen Zwecken dient und insoweit verfassungs- und unionsrechtskonform ist (Urteil vom 24. November 2010 – BVerwG 8 C 13.09 – Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 273 Rn. 73, 77 ff.). Entgegen der Auffassung des Beklagten verleiht die Aufhebung eines rechtswidrigen Verbots dem Betroffenen auch keine Rechtsposition, die über den konkreten Rechtsgrund der Aufhebung hinausginge. Insbesondere ist die Behörde durch die Aufhebung des rechtswidrigen Verbots nicht gehindert, ein mit dem geltenden Recht zu vereinbarendes neues Verbot zu erlassen.
Rz. 14
e) Die zur Ermessensreduzierung auf Null und zum intendierten Ermessen aufgeworfenen Fragen rechtfertigen ebenfalls nicht die Zulassung der Revision.
Rz. 15
Aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt sich, dass die Erfüllung des objektiven Tatbestands des § 284 Abs. 1 StGB nicht genügt, das Verbotsermessen der Behörde zulasten des Betroffenen auf Null zu reduzieren. Unerlaubtes, d.h. formell rechtswidriges Veranstalten oder Vermitteln von Sportwetten allein verpflichtet die zuständige Behörde noch nicht zum Erlass einer Verbotsverfügung; vielmehr ist auch die materielle Erlaubnisfähigkeit zu berücksichtigen (Urteil vom 1. Juni 2011 – BVerwG 8 C 4.10 – NVwZ 2011, 1326 = ZfWG 2011, 341 je Rn. 55). Umstände, deretwegen der Klägerin die Erlaubnis aus anderen, nicht monopolakzessorischen Gründen hätte versagt werden müssen (vgl. dazu Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 73 ff.), hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt.
Rz. 16
Ob die Untersagungsermächtigung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV a.F. ein intendiertes Ermessen einräumt, dessentwegen das Verbot einer allein formell rechtswidrigen Tätigkeit keiner weiteren Begründung bedarf, ist keine Frage revisiblen Rechts. Der Glücksspielstaatsvertrag alter Fassung galt aufgrund der Transformationsgesetze der Länder als irrevisibles Landesrecht; eine Revisibilitätsklausel wurde erst mit § 33 GlüStV zum 1. Juli 2012 eingefügt.
Rz. 17
f) Auch die weiter aufgeworfene Frage nach der Zulässigkeit einer “Rückwirkung” einer Änderung der bisherigen Rechtsprechung führt nicht zur Zulassung der Revision, da sie sich ohne Weiteres auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung beantworten lässt. Danach liegt in einer Änderung der Rechtsprechung aufgrund einer nachträglichen Klärung gemeinschaftsrechtlicher (jetzt: unionsrechtlicher) Fragen durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) keine Änderung der materiellen Rechtslage, der Rückwirkung zukommen könnte, sondern nur eine die bisherige Rechtsprechungslinie korrigierende Erkenntnis des bestehenden Rechts (vgl. Urteil vom 22. Oktober 2009 – BVerwG 1 C 15.08 – BVerwGE 135, 121 Rn. 21 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 55).
Rz. 18
g) Soweit die Beschwerde Fragen zur Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO aufwirft, genügt sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Aus welchen Gründen es der Klägerin trotz ihrer prozessualen Dispositionsbefugnis verwehrt sein sollte, ihr Fortsetzungsfeststellungsbegehren bei einem Dauerverwaltungsakt zeitlich einzugrenzen, wird nicht dargetan. Soweit der Beklagte die berufungsgerichtliche Präzisierung des Streitgegenstands in zeitlicher Hinsicht angreift, formuliert er keine Grundsatzfrage zu § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO oder zur Auslegung des Klagebegehrens nach § 88 VwGO. Seine Anregung, die Voraussetzungen des besonderen Feststellungsinteresses nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO restriktiver zu konkretisieren, genügt ebenfalls nicht den Substantiierungsanforderungen, da sie sich nicht mit der bisherigen Rechtsprechung zum Präjudizinteresse auseinandersetzt und nicht darlegt, inwieweit diese klärungsbedürftige Fragen offen lässt oder aus Rechtsgründen einer grundsätzlichen Überprüfung bedürfte.
Rz. 19
2. Das angegriffene Urteil beruht auch nicht auf den vom Beklagten gerügten Verfahrensmängeln.
Rz. 20
a) Offen bleiben kann, ob die – nach Auffassung des Beklagten – unzutreffende Bestimmung des Erledigungszeitpunkts und die seines Erachtens ebenfalls unzutreffende Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses als Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO oder als materiellrechtlicher Mangel im Sinne des Revisionsrechts einzuordnen wären. Jedenfalls legt die Beschwerdebegründung nicht dar, dass die Berufungsentscheidung auf einem der beiden Mängel beruhte.
Rz. 21
Ob die Klägerin ihren Betrieb am 31. Januar 2010 endgültig aufgegeben hatte und ob eine Erledigung schon an diesem Tag oder erst mit der Auflösung des Mietvertrags über den Geschäftsraum vorlag, ist für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage bezüglich des Zeitraums bis zum 31. Januar 2010 unerheblich, weil der Dauerverwaltungsakt sich für den gesamten zurückliegenden Zeitraum erledigt hat und insoweit – selbst ohne endgültige Geschäftsaufgabe – Gegenstand eines Fortsetzungsfeststellungsantrags sein kann.
Rz. 22
Die Beschwerdebegründung zeigt auch nicht auf, dass das Berufungsurteil auf einer fehlerhaften Annahme eines besonderen Feststellungsinteresses gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO beruhen kann. Ob die Vorinstanz zu Recht die Möglichkeit des Bestehens eines Amtshaftungsanspruchs oder anderer Ansprüche nach revisiblem Recht bejaht hat, ist unerheblich. Sie hat ihre Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses unabhängig davon auf die selbstständig tragende Erwägung gestützt, die Geltendmachung verschuldensunabhängiger Haftungsansprüche nach § 68 Abs. 1 Satz 2 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes des Landes Rheinland-Pfalz (POG RP) sei nicht offensichtlich aussichtslos. Die berufungsgerichtliche Anwendung der irrevisiblen landesrechtlichen Haftungsregelung ist nach § 137 Abs. 1 VwGO auch im Revisionsverfahren zugrunde zu legen. Der Senat wäre daher auch an die Annahme der Vorinstanz gebunden, die Voraussetzungen der landesrechtlichen Staatshaftung seien jedenfalls nicht von vornherein unter jedem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt zu verneinen. Die Einwände des Beklagten gegen die Annahme einer geschützten Rechtsposition und eines ersatzfähigen Schadens gehen daher fehl, soweit sie die Anwendung des irrevisiblen Landesrechts betreffen. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich auch keine im angestrebten Revisionsverfahren erhebliche Grundsatzfrage zu revisiblen Rechtsgrenzen der landesrechtlichen Regelung oder ihrer berufungsgerichtlichen Anwendung.
Rz. 23
b) Das Oberverwaltungsgericht hat seine Pflicht zur Amtsaufklärung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO nicht verletzt. Soweit der Beklagte die berufungsgerichtliche Würdigung der Werbemaßnahmen und des Verhaltens der Aufsichtsbehörden beanstandet, rügt er keine Versäumnisse gerichtlicher Tatsachenermittlung, sondern zum einen die strenge berufungsgerichtliche Konkretisierung der Werbebeschränkungen gemäß § 5 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GlüStV a.F., die nicht mit der Verfahrensrüge angegriffen werden kann, und zum anderen die Beweiswürdigung der Vorinstanz (dazu sogleich Rn. 24). Dem Berufungsgericht musste sich auf der Grundlage seiner – für die Prüfung von Verfahrensfehlern maßgeblichen – materiellrechtlichen Rechtsauffassung ohne einen förmlichen Beweisantrag des Beklagten auch nicht aufdrängen, ein Sachverständigengutachten zum Einfluss von Werbemaßnahmen einzuholen. Da es unter Berufung auf die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung davon ausging, das Sachlichkeitsgebot des § 5 Abs. 1 GlüStV a.F. und das Anreizverbot des § 5 Abs. 2 Satz 1 GlüStV a.F. verböten bei unionsrechtskonformer Auslegung jede Werbung mit einer gemeinnützigen Verwendung der Mittel sowie jede Werbung mit Sonderauslosungen aus Anlass bestimmter hervorgehobener Sportereignisse, erübrigte sich eine sachverständige Begutachtung der tatsächlichen Wirkung solcher Werbemaßnahmen. Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe sich insoweit entgegen § 108 Abs. 2 VwGO eigene Sachkunde zur Beurteilung entscheidungserheblicher Tatsachen angemaßt, trifft danach ebenfalls nicht zu.
Rz. 24
c) Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts verletzt auch nicht den Überzeugungsgrundsatz gemäß § 108 Abs. 1 VwGO. (Angebliche) Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Tatsachengerichts sind regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen. Eine Ausnahme kommt bei einer selektiven oder aktenwidrigen Beweiswürdigung, bei einem Verstoß gegen die Denkgesetze oder einer sonst von objektiver Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung in Betracht. Diese Voraussetzungen legt die Beschwerde nicht dar. Zwar meint der Beklagte, das Berufungsgericht habe seine tatsächlichen Annahmen zum strukturellen Vollzugsdefizit auf unzulängliche, bruchstückhafte, nicht nachvollziehbar bewertete Einzelinformationen und Erklärungen gestützt sowie fehlerhaft das Fehlen eines Einwilligungsvorbehalts für Werbemaßnahmen trotz anhaltender Vollzugsprobleme angeführt. Damit legt er jedoch keinen Verfahrensmangel dar, sondern wendet sich lediglich gegen die gerichtliche Beweiswürdigung. Soweit die Lückenhaftigkeit der Feststellungen gerügt wird, kann auf die Ausführungen zur Aufklärungsrüge (oben unter Rn. 23) verwiesen werden. Dass die Würdigung der getroffenen Feststellungen denkfehlerhaft wäre, ist nicht schon mit dem Vorbringen dargetan, die gezogenen Schlussfolgerungen seien unwahrscheinlich oder fernliegend. Denkfehlerhaft ist die Beweiswürdigung nur, wenn ihre Schlussfolgerungen denklogisch schlechthin unmöglich sind (stRspr, z.B. Beschlüsse vom 6. März 2008 – BVerwG 7 B 13.08 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 54 S. 17 und vom 22. Mai 2008 – BVerwG 9 B 34.07 – Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 65). Das legt die Beschwerdebegründung nicht dar.
Rz. 25
d) Eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) ist nicht prozessordnungsgemäß nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gerügt. Soweit der Beklagte sinngemäß beanstandet, das Gericht habe die rechtlichen Maßstäbe und tatsächlichen Annahmen nicht ausreichend mit den Beteiligten erörtert, fehlt eine substantiierte Darlegung der Gründe, aus denen das angegriffene Urteil auf einer Gehörsverletzung beruhen kann. Da es sich in materiellrechtlicher Hinsicht an der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesverwaltungsgerichts orientiert, sind keine für die Beteiligten überraschenden Erwägungen erkennbar. Zum Erörterungsbedarf in tatsächlicher Hinsicht legt der Beklagte nicht dar, dass er die Entscheidungserheblichkeit bestimmter Tatsachen nicht schon auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und des Verfahrensverlaufs hätte erkennen und – auch ohne richterlichen Hinweis – entsprechend hätte vortragen können. Er hat auch nicht substantiiert dargetan, welche Beweisanträge er zu – aus der Sicht des Berufungsgerichts entscheidungserheblichen – Tatsachen gestellt hätte, wenn die vermisste (weitere) Erörterung stattgefunden hätte, welches Ergebnis diese Beweisaufnahme erbracht und inwieweit sie eine andere Entscheidung in der Sache ermöglicht hätte.
Rz. 26
Der Einwand, das Berufungsgericht habe sich nicht hinreichend mit dem schriftsätzlichen Vorbringen des Beklagten vom 6. Januar 2012 zur Ausgestaltung der Werberichtlinien und zum Umgehen mit Beanstandungsfällen auseinandergesetzt, legt ebenfalls keinen Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör dar. Das Gericht ist nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO nicht verpflichtet, auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe des Verfahrens von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind. Nur wenn es auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer seines Erachtens zentralen entscheidungserheblichen Frage nicht eingeht, kann dies die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass es dieses Vorbringen nicht berücksichtigt hat (Urteil vom 20. November 1995 – BVerwG 4 C 10.95 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 23 m.w.N.). Davon kann hier nicht die Rede sein. Das Berufungsgericht hat sich auf Seite 14 der Entscheidungsgründe seines Urteils im Einzelnen mit den Werberichtlinien auseinandergesetzt, die es schon wegen der Zulassung der Imagewerbung mit Förderprojekten für rechtswidrig hielt, und hat auch den Vortrag des Beklagten zur Reaktion auf Beanstandungsfälle gewürdigt. Insoweit hat es darauf abgestellt, dass Beanstandungen weder rechtzeitig noch hinreichend konsequent erfolgten und trotz systematischer Verstöße keine schärferen Kontrollinstrumente wie etwa ein Zustimmungsvorbehalt eingesetzt wurden. Soweit der Beklagte sich gegen diese Beurteilung der Sanktionspraxis wendet, rügt er die materiellrechtliche Würdigung seines Vorbringens, die nicht Gegenstand der Verfahrensrüge sein kann.
Rz. 27
Soweit der Schriftsatz des Beklagten vom 10. Oktober 2012 neues Beschwerdevorbringen enthält, kann er nicht berücksichtigt werden, da er nicht vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist gemäß § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO bei Gericht eingegangen ist.
Rz. 28
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab.
Rz. 29
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert, Dr. Held-Daab, Dr. Rudolph
Fundstellen