Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 11.06.2013; Aktenzeichen 6 LD 1/12) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. Juni 2013 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten kann keinen Erfolg haben. Die Beschwerdebegründung lässt nicht erkennen, dass ein Revisionszulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO vorliegt.
Der Beklagte ist Bundesbeamter im Amt eines Posthauptsekretärs (Besoldungsgruppe A 8). Er ist seit 2006 als Innenbetriebsleiter in einer Filiale der Deutschen Postbank AG beschäftigt. Um die Kosten der Reparatur seines Kraftfahrzeugs bezahlen zu können, buchte der Beklagte den Betrag von 3 145 EUR von einer von ihm geführten Kasse auf eine eigens eröffnete Kasse um, entnahm Bargeld in dieser Höhe und schloss diese Kasse. Als einige Monate später eine Kassenprüfung bevorstand, legte der Beklagte einen beschrifteten Umschlag mit einem Geldbetrag von 3 145 EUR in das Schlüsselwertgelass des Wertraums der Filiale, nachdem er sich vor Dienstbeginn unter dem Namen eines Kollegen Zutritt zu diesem Raum verschafft hatte. Das Geld hatte er sich im Familienkreis geliehen. Auf die Disziplinarklage hat das Oberverwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. In den Gründen des Berufungsurteils heißt es im Wesentlichen:
Die Unterschlagung oder Veruntreuung dienstlich anvertrauten Geldes (Zugriffsdelikt) stelle ein gravierendes Dienstvergehen dar, das regelmäßig die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach sich ziehe. Davon könne nur abgesehen werden, wenn ein anerkannter Milderungsgrund oder sonstige mildernde Umstände von vergleichbarem Gewicht vorlägen. Dies sei hier nicht der Fall. Dem Beklagten sei erschwerend anzulasten, dass er die Tat unter Ausnutzung seiner dienstlichen Stellung verschleiert und einen Kollegen dem Tatverdacht ausgesetzt habe.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Beklagte geltend, das Oberverwaltungsgericht sei bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme von den Wertungen abgewichen, die das Bundesverwaltungsgericht für die Gesamtwürdigung der be- und entlastenden Umstände bei einem Zugriffsdelikt vorgebe. Handele es sich wie im vorliegenden Fall um ein einmaliges Fehlverhalten ohne belastende Begleitumstände und mit einem begrenzten Schaden, müsse die Fortführung des Beamtenverhältnisses ins Auge gefasst werden.
Der Beklagte hat sein Beschwerdevorbringen keinem Revisionszulassungsgrund zugeordnet. Aus dem Vorbringen ergibt sich nicht, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) oder das Oberverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen ist (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist nicht gegeben, weil die im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt sind (vgl. Beschluss vom 24. Januar 2011 – BVerwG 2 B 2.11 – NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4).
Danach folgt aus § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte, über die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall be- und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Dabei ist die Schwere des Dienstvergehens nach § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG Richtschnur für die Maßnahmebemessung. Ein Zugriffsdelikt, d.h. die Unterschlagung oder Veruntreuung amtlich anvertrauter Gelder, zieht nach seiner Schwere im Regelfall die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach sich, wenn die veruntreuten Beträge oder Werte die Schwelle der Geringwertigkeit deutlich übersteigen. Diese Regeleinstufung entbindet die Verwaltungsgerichte jedoch nicht von der Aufklärung und Würdigung aller Umstände des Einzelfalls. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis kommt regelmäßig nicht in Betracht, wenn ein in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannter Milderungsgrund vorliegt. Diese Milderungsgründe erfassen typisierend Beweggründe oder Verhaltensweisen des Beamten, die regelmäßig Anlass für eine noch positive Persönlichkeitsprognose geben (stRspr; Urteile vom 20. Oktober 2005 – BVerwG 2 C 12.04 – BVerwGE 124, 252 ≪258 ff.≫ = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1 Rn. 20 ff., vom 3. Mai 2007 – BVerwG 2 C 9.06 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 13 ff. und vom 23. Februar 2012 – BVerwG 2 C 38.10 – NVwZ-RR 2012, 479 Rn. 11 ff.).
Unter der Geltung der Bemessungsvorgaben des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG dürfen entlastende Umstände bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme für ein Zugriffsdelikt nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil sie für das Vorliegen eines anerkannten Milderungsgrundes ohne Bedeutung sind oder nicht ausreichen, um dessen Voraussetzungen – im Zusammenhang mit anderen Umständen – zu erfüllen. Die Verwaltungsgerichte müssen bei der fallbezogenen Aufklärung und Würdigung der bemessungsrelevanten Umstände dafür offen sein, dass mildernden Umständen auch dann ein beachtliches Gewicht für die Maßnahmebemessung zukommen kann, wenn sie zur Erfüllung eines anerkannten Milderungsgrundes nicht ausreichen. Auch solche Umstände dürfen nicht von vornherein als nebensächlich oder geringfügig zurückgestellt werden, ohne dass sie in ihrer Gesamtheit in Bezug zur Schwere des Dienstvergehens gesetzt werden (stRspr; Urteile vom 23. Februar 2012 a.a.O. Rn. 14 und vom 25. Juli 2013 – BVerwG 2 C 63.11 – NVwZ-RR 2014, 105 Rn. 25 und 32 ≪zur Veröffentlichung in den Entscheidungssammlungen BVerwGE und Buchholz bestimmt≫).
Daher können mildernde Umstände bei einem Zugriffsdelikt das Absehen von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis rechtfertigen, wenn sie in ihrer Gesamtheit das Gewicht eines anerkannten Milderungsgrundes aufweisen. Diese Gründe bieten Vergleichsmaßstäbe für die Bewertung, welches Gewicht entlastenden Gesichtspunkten in der Summe zukommen muss, um das Beamtenverhältnis mit einer pflichtenmahnenden Disziplinarmaßnahme, in aller Regel mit einer Zurückstufung nach § 9 BDG, fortführen zu können. Das Gewicht der Entlastungsgründe muss umso größer sein, je schwerer das Zugriffsdelikt aufgrund der Höhe des Schadens, der Anzahl und Häufigkeit der Zugriffshandlungen, der Begehung von „Begleitdelikten” und anderer belastender Gesichtspunkte im Einzelfall wiegt. Im umgekehrten Fall eines weniger schwerwiegenden, etwa die Geringfügigkeitsgrenze nur unwesentlich überschreitenden Zugriffsdelikts kann ein geringeres Gewicht der Entlastungsgründe ausreichen. Danach kommt jedenfalls bei einem einmaligen Fehlverhalten ohne belastende Begleitumstände mit einem begrenzten Schaden ernsthaft in Betracht, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen (stRspr; Urteile vom 24. Mai 2007 – BVerwG 2 C 25.06 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 4 Rn. 20 f. und vom 23. Februar 2012 a.a.O. Rn. 15).
Das Oberverwaltungsgericht hat diese Rechtsgrundsätze zum Bedeutungsgehalt des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG dem Berufungsurteil zugrunde gelegt und auf den festgestellten Sachverhalt angewandt. Ausgehend von seiner Würdigung, dass kein anerkannter Milderungsgrund eingreift, hat es die belastenden Umstände, insbesondere die Höhe des Schadens und das Nachtatverhalten des Beklagten, in Bezug zu den entlastenden Umständen gesetzt. Die Würdigung, die entlastenden Umstände reichten in ihrer Gesamtheit nicht aus, um angesichts der Tatumstände von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen, hält sich innerhalb des Rahmens, den die Bemessungsvorgaben des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG den Tatsachengerichten für das Ergebnis der Gesamtabwägung belassen. Zum einen ist die Höhe des entwendeten Geldbetrags durchaus beachtlich. Zum anderen hat das Oberverwaltungsgericht zutreffend herausgearbeitet, dass der Beklagte nahe liegende Möglichkeiten, sich das Geld für die Bezahlung der Reparaturkosten auf legale Weise zu beschaffen, nicht wahrgenommen hat.
Nach alledem liegt auch der Revisionszulassungsgrund der Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht vor. Das Oberverwaltungsgericht ist nicht von einem abstrakten Rechtssatz abgewichen, den das Bundesverwaltungsgericht für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme im Wege der Gesamtabwägung nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG aufgestellt hat (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14). Vielmehr hat das Oberverwaltungsgericht dem Berufungsurteil die entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssätze des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde gelegt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Ein Streitwert für das Beschwerdeverfahren muss nicht festgesetzt werden, weil die Höhe der Gerichtsgebühren betragsgenau festgelegt ist (§ 85 Abs. 12 Satz 1 und 2, § 78 Satz 1 BDG i.V.m. Nr. 10 und 62 des Gebührenverzeichnisses der Anlage zu diesem Gesetz).
Unterschriften
Domgörgen, Dr. Heitz, Dr. von der Weiden
Fundstellen