Verfahrensgang
Hamburgisches OVG (Urteil vom 30.04.2008; Aktenzeichen 2 E 4/05.N) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. April 2008 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Die Divergenzrüge greift nicht durch. Eine die Revision eröffnende Abweichung, also ein Widerspruch im abstrakten Rechtssatz, läge nur vor, wenn das Normenkontrollgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen wäre (stRspr). Das Beschwerdevorbringen ergibt keinen derartigen Widerspruch.
Die Beschwerde nimmt Bezug auf das Urteil des beschließenden Senats vom 30. Januar 2003 – BVerwG 4 CN 14.01 – (BVerwGE 117, 351 ≪364≫) sowie den dort in Bezug genommenen Beschluss vom 21. Februar 1997 – BVerwG 4 B 177.96 – (NVwZ-RR 1997, 607). Danach ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung im Rahmen der straßenrechtlichen Fachplanung entschieden, dass Ermittlungen nur durchzuführen sind, soweit sie für eine sachgerechte Planungsentscheidung erforderlich sind. Die Eingriffsregelung dient nicht einer allgemeinen Bestandsaufnahme. Es wird häufig nicht erforderlich sein, die von einem Vorhaben betroffenen Tier- und Pflanzenarten vollständig zu erfassen. Es kann vielmehr ausreichen, für den Untersuchungsraum besonders bedeutsame Repräsentanten an Tier- und Pflanzengruppen festzustellen und für die Bewertung bestimmte Indikationsgruppen heranzuziehen. Im Einzelfall können Rückschlüsse auf die Tierarten anhand der vorgefundenen Vegetationsstrukturen (und vorhandenen Literaturangaben) methodisch hinreichend sein. Je typischer die Gebietsstruktur des Eingriffsbereichs ist, desto eher kann auch auf typisierende Merkmale und allgemeine Erfahrungen abgestellt werden. Gibt es dagegen Anhaltspunkte für das Vorhandensein besonders seltener Arten, wird dem im Rahmen der Ermittlungen nachzugehen sein. Diese Rechtsprechung legt das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung ausdrücklich zugrunde (UA S. 39).
Die Beschwerde meint demgegenüber, das Oberverwaltungsgericht habe für die Schwelle, ab der in diesem Sinn nicht mehr von einer typischen Gebietsstruktur ausgegangen werden könne, einen von der Rechtsprechung des Senats abweichenden Rechtsgrundsatz aufgestellt. Hierfür ist indes nichts ersichtlich. Das Oberverwaltungsgericht hat die Frage, ob das hier betroffene Gebiet – als früherer Anzuchtgarten einer Friedhofsgärtnerei – anhand bestimmter typisierbarer Merkmale eingeschätzt werden kann, nicht als abstrakte Rechtsfrage behandelt, sondern das konkret betroffene Gebiet anhand der vorliegenden Gutachten in tatsächlicher Hinsicht gewürdigt. Schon deswegen ist nicht zu erkennen, dass das Oberverwaltungsgericht einen abweichenden Rechtsgrundsatz aufgestellt hätte. Eine fehlerhafte Anwendung der Rechtsgrundsätze des Bundesverwaltungsgerichts – für die vorliegend nichts ersichtlich ist – würde keine Abweichung darstellen (stRspr).
2. Auch die Verfahrensrügen bleiben ohne Erfolg.
2.1 Die Beschwerde rügt als verfahrensfehlerhaft, dass das Normenkontrollgericht zu dem Ergebnis gelangt ist, angesichts des Umfangs der Tieferlegung einer Straßenunterführung von lediglich ca. einem Meter habe die Antragsgegnerin davon ausgehen dürfen, dass eine solche Maßnahme ohne Gefahren für Anlieger möglich sein werde. Für die als Begründung angeführte Aussage, Maßnahmen dieses Umfangs seien in heutiger Zeit selbst bei einem schwierigen Baugrund technisch typischerweise ohne weiteres umsetzbar (UA S. 32), habe dem Gericht die Sachkunde gefehlt; jedenfalls habe es seine Sachkunde nicht begründet. Dasselbe gelte für die mit der Tieferlegung verbundenen Grundwasserprobleme.
Diese Rüge bleibt ohne Erfolg. Sie zielt der Sache nach auf eine mangelnde Sachaufklärung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO. Das Normenkontrollgericht hat zu der allgemeinen Frage, ob derartige Maßnahmen in heutiger Zeit selbst bei einem schwierigen Baugrund technisch typischerweise ohne weiteres umsetzbar sind, keinen Sachverständigenbeweis eingeholt; vielmehr ist es ersichtlich davon ausgegangen, dass es eines solchen nicht bedürfe. Dieses Vorgehen ist nicht zu beanstanden. Grundsätzlich befindet das Gericht selbst darüber, ob es zur Entscheidung des Rechtsstreits die Hilfe eines Sachverständigen benötigt. Daher kann die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens nur dann als verfahrensfehlerhaft beanstandet werden, wenn das Gericht für sich eine ihm unmöglich zur Verfügung stehende Sachkunde in Anspruch nimmt oder wenn es sich in einer Frage für sachkundig hält, in der seine Sachkunde ernstlich zweifelhaft ist, ohne dass es für die Beteiligten und das zur Nachprüfung berufene Revisionsgericht überzeugend darlegt, dass ihm das erforderliche Fachwissen in genügendem Maße zur Verfügung steht (Beschluss vom 16. Januar 2002 – BVerwG 4 BN 27.01 – BRS 65 Nr. 58 m.w.N.). Dafür ist hier nichts ersichtlich. Das Normenkontrollgericht hat eine Sachkunde nur für die Frage in Anspruch genommen, ob eine Maßnahme der vorliegenden Art typischerweise technisch möglich ist. Auf die Besonderheiten, die eine konkrete Bauausführung zu beachten haben wird, kam es dabei nicht an. Die Beschwerde nennt keinen Gesichtpunkt, der Anhaltspunkte dafür böte, dass vorhandene Straßen nicht um einen Meter tiefer gelegt werden könnten. Nach den Feststellungen des Normenkontrollgerichts war überdies die Vertiefung der Straße zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits erfolgt (UA S. 33; vgl. auch das von den Antragstellern selbst in anderem Zusammenhang vorgelegte Lichtbild OVG-GA S. 294). Im Hinblick hierauf bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Sachkunde eines mit baurechtlichen Verfahren befassten Gerichts. Ferner legt die Beschwerde in keiner Weise dar, dass das Oberverwaltungsgericht zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es die Antragsteller vor seiner Entscheidung auf die in Anspruch genommene Sachkunde hingewiesen hätte.
Auch soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang rügt, die Entscheidung sei nicht mit Gründen versehen und unter Verstoß gegen das rechtliche Gehör sowie auf der Grundlage aktenwidriger Feststellungen zustande gekommen, greift sie aus den genannten Gründen nicht durch. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.
2.2 Auch die Schlussfolgerungen des Normenkontrollgerichts, es bedürfe keiner weiteren Ermittlungen zur Frage der Gefährdung der Schüler der Albert-Schweitzer-Schule durch die Zunahme des Verkehrs auf der vorhandenen Straße, begründen nicht die geltend gemachten Verfahrensfehler. Das Gericht durfte auf die im Rahmen des Planaufstellungsverfahrens erhobenen Untersuchungen Bezug nehmen. Mit dieser Bezugnahme erfüllte es auch die Begründungspflicht.
2.3 Soweit die Antragsteller unter II. 2.1 eine Verletzung des rechtlichen Gehörs mit der Begründung rügen, das Gericht habe ihr Vorbringen nicht in seine Entscheidungsfindung einbezogen, bleiben sie erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht hat ihr Vorbringen, man müsse von einem höheren Kraftfahrzeugaufkommen aus dem Plangebiet ausgehen, als die Antragsgegnerin angenommen habe, zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Soweit die Antragsteller im Normenkontrollverfahren selbst “erstmals näher” substantiiert behauptet hatten, man müsse von einem konkret bezifferten, höheren Kraftfahrzeugaufkommen aus dem Plangebiet ausgehen, ist das Normenkontrollgericht zu dem Ergebnis gelangt, diese nähere Substantiierung sei in dieser Form nicht Gegenstand von Anregungen und Einwendungen im Auslegungsverfahren gewesen und habe die Antragsgegnerin daher nicht veranlasst, sich mit konkreten anderen Verkehrsannahmen auseinanderzusetzen. Das Normenkontrollgericht hat somit entgegen der Ansicht der Antragsteller nicht an ihren Vortrag im gerichtlichen Verfahren – möglicherweise – überhöhte Anforderungen gestellt. Vielmehr ist es lediglich zu dem Ergebnis gelangt, die Antragsgegnerin sei zu weiteren Ermittlungen (als den bereits erfolgten) nicht verpflichtet gewesen. Damit hat es lediglich die Pflicht der Antragsgegnerin, im Rahmen des Planaufstellungsverfahrens weitere Ermittlungen anzustellen, anders gewürdigt, als dies die Antragsteller für richtig halten. Dies begründet indes keine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Normenkontrollgericht.
2.4 Die Beschwerde macht ferner als Verfahrensfehler geltend, das Gericht habe den Sachverhalt “aktenwidrig” festgestellt. Diese Verfahrensrüge erfordert die schlüssig vorgetragene Behauptung, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt bestehe ein Widerspruch. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss dieser Widerspruch offensichtlich sein, so dass es keiner weiteren Beweiserhebung zur Klärung des richtigen Sachverhalts bedarf; der Widerspruch muss also “zweifelsfrei” sein (vgl. Beschluss vom 19. November 1997 – BVerwG 4 B 182.97 – Buchholz 406.11 § 153 BauGB Nr. 1; Urteil vom 2. Februar 1984 – BVerwG 6 C 134.81 – BVerwGE 68, 338 ≪340≫). Die Verfahrensrüge der “Aktenwidrigkeit” verlangt eine genaue Darstellung des Verstoßes, und zwar durch konkrete Angaben von Textstellen aus den vorinstanzlichen Verfahren, aus denen sich der Widerspruch ergeben soll. Diese Voraussetzungen sind erforderlich, da eine Kritik an der tatrichterlichen Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung als solche nicht als Verfahrensmangel rügefähig ist (vgl. Beschlüsse vom 2. November 1999 – BVerwG 4 BN 41.99 – UPR 2000, 226 und vom 4. Juli 2001 – BVerwG 4 B 51.01 –).
Die Beschwerde nimmt Bezug auf folgende Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts:
Unrichtig ist insbesondere die Behauptung, der Gutachter Dr. K… habe das Gelände des früheren Anzuchtgartens gar nicht betreten. Dies wird durch die Angaben zur Durchführung der Kartierung im Gutachten widerlegt. Nicht näher untersucht und anscheinend auch nicht betreten hat er lediglich den auch zukünftig verbleibenden Teil des Anzuchtgartens, dessen Nutzung von den Festsetzungen des Plans nicht betroffen ist (UA S. 41).
Die Beschwerde sieht einen Widerspruch zu den Ausführungen des Gutachters Dr. K…, der darlegt:
Die Bestandserfassungen fanden mit einer Genauigkeit von einem Quadratkilometer (…) statt. Bei einer Reihe von Daten muss daher unklar bleiben, ob die Brutplätze sich auf dem Gelände des Plangebiets oder auf dem angrenzenden Friedhof befanden. Das eigentliche Gelände der Anzuchtgärtnerei konnte bei der Kartierung nicht betreten werden. Es wurden aber die Lautäußerungen der Vögel der unmittelbaren Umgebung und der Fläche selbst vom Zaun aus wahrgenommen. Wegen der größeren Reichweite des Vogelgesangs kann von einer weitgehend vollständigen Erfassung ausgegangen werden (Gutachten Dr. K… S. 5 = OVG-GA S. 146).
Die Gegenüberstellung der Urteilsgründe mit der Formulierung des Gutachters ergibt keinen zweifelsfreien Widerspruch, der die Annahme einer aktenwidrigen Feststellung des Sachverhalts belegen könnte. Vielmehr ist die Äußerung des Gutachters, das eigentliche Gelände der Anzuchtgärtnerei habe bei der Kartierung nicht betreten werden können, durchaus interpretationsfähig und damit einer Würdigung zugänglich, die Sache des Tatsachengerichts ist. Die Annahme der Antragsteller, damit sei das gesamte Gelände, auf dem die neue Wohnbebauung vorgesehen ist, gemeint, ergibt sich nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit aus dem Gutachten. Eine derartige Schlussfolgerung lässt sich auch nicht aus der vom Gutachter an anderer Stelle vorgenommenen Einschränkung ziehen, die Teile der Anzuchtgärtnerei im Südosten des Gebiets, die bestehen bleiben werden, seien von der Kartierung ausgenommen worden (Gutachten Dr. K… S. 3 = OVG-GA S. 144).
Im Übrigen legt die Beschwerde nicht ausreichend dar, dass das Normenkontrollgericht zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es das Gutachten in dem Sinne interpretiert hätte, den die Antragsteller für zutreffend halten. Denn der Gutachter hat, wie sich aus dem oben wiedergegebenen Wortlaut ergibt, deutlich gemacht, dass er die Kartierung mit den von ihm ausdrücklich angeführten Einschränkungen vornehmen konnte. Er geht von einer “weitgehend vollständigen Erfassung” aus. Das Oberverwaltungsgericht ist – auch nach Würdigung der inhaltlichen Einwände der Antragsteller – zu dem Ergebnis gelangt, nachdem der Gutachter neben den eigenen Feststellungen auch die vorhandenen Vogelkartierungen im hamburgischen Brutvogelatlas und weitere dokumentierte Vogelbeobachtungen des Gebiets in seine Beurteilung einbezogen habe, sei der Einwand der Antragsteller, es handele sich um eine unzureichende Erfassung, unzutreffend. Ergänzend hebt das Gericht hervor, auch die Antragsteller führten nicht an, dass andere Arten als die vom Gutachter erfassten im Plangebiet als Brutvögel oder mit ihren Wohnstätten vorkämen. Vor diesem Hintergrund haben die Antragsteller im Beschwerdeverfahren nicht dargelegt, dass das Oberverwaltungsgericht zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es ihrem Vortrag gefolgt wäre, der Gutachter habe das Gelände des früheren Anzuchtgartens gar nicht betreten.
2.5 Soweit die Antragsteller unter II. 2.3 Verstöße gegen das Recht der Beweiserhebung und Beweiswürdigung sowie eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes rügen, beachten sie nicht ausreichend die materiellrechtliche Rechtsauffassung des Normenkontrollgerichts. Dieses führt aus, aus Rechtsgründen seien weitergehende Untersuchungen durch die Antragsgegnerin nicht veranlasst gewesen. Die Antragsgegnerin habe ein kleineres Vorkommen mit saisonalen Wohnstätten unterstellen können. Damit bringt das Normenkontrollgericht zum Ausdruck, dass auch dann, wenn man dieses kleinere Vorkommen unterstelle, der Bebauungsplan nicht an einem zu seiner Unwirksamkeit führenden Mangel leide. Dies macht auch die Formulierung deutlich, die Antragsgegnerin sei für das Planungsverfahren nicht verpflichtet festzustellen, ob … (UA S. 43).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Gatz, Dr. Jannasch
Fundstellen