Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 15.08.2018; Aktenzeichen 3d A 514/16.BDG) |
VG Düsseldorf (Entscheidung vom 21.01.2016; Aktenzeichen 38 K 8101/13.BDG) |
Gründe
Rz. 1
Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 69 BDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Verfahrensmangels (§ 69 BDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde der Beklagten ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
Rz. 2
1. Die 1960 geborene Beklagte ist Regierungshauptsekretärin (Besoldungsgruppe A 8 BBesO) im Dienst der Klägerin. Sie war bis Ende 1994, zuletzt im Amt einer Postobersekretärin (Besoldungsgruppe A 7 BBesO), bei der Postbeamtenkrankenkasse tätig und ist zum Januar 1995 auf die Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost übergeleitet worden. Im August 2011 leitete die Klägerin gegen die Beklagte ein Disziplinarverfahren wegen des Verdachts ein, ein innerdienstliches und außerdienstliches Dienstvergehen durch die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Beihilfe- und Kassenleistungen der Postbeamtenkrankenkasse begangen zu haben. Mit Strafbefehl vom 24. Februar 2012 - 44 Cs 85/12 - verurteilte das Amtsgericht Bergisch Gladbach die Beklagte wegen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 210 Fällen (191 vollendete und 19 versuchte Taten) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten; die Vollstreckung setzte es zur Bewährung aus.
Rz. 3
Im sachgleichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht die Beklagte aus dem Dienst entfernt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: In tatsächlicher Hinsicht seien die Feststellungen des Strafbefehls zugrunde zu legen, soweit sie nach der in der mündlichen Verhandlung erfolgten Beschränkung noch Gegenstand des Disziplinarverfahrens seien. Der Senat habe diejenigen Erstattungsfälle für Medikamente gegen Migräne und Augenverbände zu Gunsten der Beklagten aus dem Disziplinarverfahren ausgeschieden, von denen die Beklagte im Berufungsverfahren behauptet habe, sie tatsächlich bezogen und bezahlt zu haben. Diesen Erstattungsfällen komme bei der Maßnahmebemessung keine Bedeutung zu. Die Beklagte habe mit den verbliebenen Betrugshandlungen, die sowohl Beihilfe- als auch Kassenleistungen beträfen, in mehr als 160 Fällen in einem Zeitraum von mehr als vier Jahren ein schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen begangen, das ihre Entfernung aus dem Dienst erfordere.
Rz. 4
2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 69 BDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Rz. 5
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregelungen auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 5, vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9 und vom 20. Juni 2017 - 2 B 84.16 - juris Rn. 9).
Rz. 6
Die Beschwerde, die die Einordnung des Beihilfebetrugs zum Nachteil der Klägerin als innerdienstliches Dienstvergehen nicht angreift, hält die Frage für klärungsbedürftig,
"Sind Betrugshandlungen eines Beamten der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost zur Erlangung unberechtigter Kassenleistungen gegenüber der Postbeamtenkrankenkasse ein innerdienstliches Dienstvergehen oder außerdienstliches Dienstvergehen?"
Rz. 7
Der aufgeworfenen Frage kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Sie kann auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden.
Rz. 8
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 21. Oktober 1986 - 1 D 56.86 - BVerwGE 83, 237 ≪239≫, vom 25. August 2009 - 1 D 1.08 - NVwZ 2010, 713 Rn. 54, vom 19. August 2010 - 2 C 5.10 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 12 Rn. 9, vom 18. Juni 2015 - 2 C 9.14 - BVerwGE 152, 228 Rn. 10 und vom 15. November 2018 - 2 C 60.17 - NVwZ-RR 2019, 470 Rn. 19) ist das wesentliche Unterscheidungselement zwischen inner- und außerdienstlicher Pflichtverletzung im Sinne von Satz 1 und 2 des § 77 BBG (auch in der vormals bis zum 11. Februar 2009 geltenden Fassung) funktionaler Natur. Entscheidend für die rechtliche Einordnung eines Verhaltens als innerdienstliche Pflichtverletzung ist dessen kausale und logische Einbindung in ein Amt und die damit verbundene dienstliche Tätigkeit. Ist eine solche Einordnung nicht möglich - insbesondere wenn sich das Handeln als das einer Privatperson darstellt -, ist es als außerdienstliches (Fehl-)Verhalten zu qualifizieren.
Rz. 9
Ausgehend von der danach maßgebenden funktionalen Betrachtungsweise sind Betrugshandlungen eines übergeleiteten Beamten zur Erlangung unberechtigter Kassenleistungen gegenüber der Postbeamtenkrankenkasse als innerdienstliches Dienstvergehen zu werten. Diese Kasse ist eine Sozialeinrichtung der früheren Deutschen Bundespost, die seit dem 1. Januar 1995 in ihrem Bestand geschlossen ist und mit dem Ziel der Abwicklung in der bestehenden Rechtsform einer bundesunmittelbaren rechtsfähigen Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Maßgabe des Bundesanstalt-Post-Gesetzes (BAPostG) und näherer Ausgestaltung durch die Satzung der Kasse für die Bundesanstalt und die Postnachfolgeunternehmen durch die Bundesanstalt weitergeführt wird (vgl. § 26 Abs. 2 des Gesetzes über die Errichtung einer Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost - Bundesanstalt-Post-Gesetz - vom 14. September 1994, BGBl. I S. 2325, geändert durch Art. 1 Nr. 24 Buchst. b des Gesetzes vom 14. September 2005, BGBl. I S. 2746 und durch Art. 3 Nr. 21 des Gesetzes vom 28. Mai 2015, BGBl. I S. 813). Die Krankenversicherung in der Postbeamtenkrankenkasse steht im funktionalen Zusammenhang mit dem Amt des versicherten Beamten. Die Mitgliedschaft in der Postbeamtenkrankenkasse war nicht für jedermann möglich, sondern sie knüpfte an den Status als Beamter der Deutschen Bundespost an. Ein Fehlverhalten des Beamten gegenüber der Postbeamtenkrankenkasse ist damit in sein Amt eingebunden; er steht ihr nicht als Privatperson gegenüber (s.a. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 1987 - 1 D 44.87 - juris Rn. 10, 11).
Rz. 10
Der Beschwerde lassen sich keine Gesichtspunkte entnehmen, die weitergehenden Klärungsbedarf aufwerfen. Die Beklagte war nach der unbestrittenen Feststellung des Berufungsgerichts zum Zeitpunkt ihrer ersten Anstellung verpflichtet, der Postbeamtenkrankenkasse beizutreten (vgl. UA S. 24).
Rz. 11
3. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 69 BDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Rz. 12
Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht hätte aufklären müssen, ob die Beklagte die in der Liste zu ihrem Schriftsatz vom August 2018 angegebenen Medikamente für ihr Augenleiden und andere Erkrankungen tatsächlich bezogen habe und ihr dadurch nicht durch Beihilfe und Kassenleistung gedeckte monatliche Kosten in Höhe von 806,23 € entstanden seien, die sie durch die betrügerisch erlangten Beträge vollständig finanziert habe. Es wäre nicht auszuschließen gewesen, dass das Berufungsgericht dann die Voraussetzungen für den anerkannten Milderungsgrund der unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage als erfüllt angesehen hätte; jedenfalls wäre im Rahmen der nicht vertypten Milderungsgründe maßnahmemildernd zu berücksichtigen gewesen, dass sie den Betrug begangen habe, um sich Finanzmittel für anderweitig nicht erstattungsfähige Medikamentenkosten zu verschaffen.
Rz. 13
Mit diesem Vorbringen legt die Beschwerde einen vermeintlichen Verstoß des Berufungsgerichts gegen seine Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 65 Abs. 1 Satz 1, § 58 Abs. 1, § 3 BDG und § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht in der nach § 69 BDG i.V.m. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise dar. Eine Aufklärungsrüge erfordert zum einen die substanziierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände aus der materiell-rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Zum anderen muss dargelegt werden, dass bereits im Berufungsverfahren, insbesondere in der mündlichen Berufungsverhandlung, auf die Sachverhaltsaufklärung, deren Unterlassen nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist, oder dass sich dem Berufungsgericht die Notwendigkeit der bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätte aufdrängen müssen. Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines anwaltlich vertretenen Beteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren, vor allem wenn er es - wie hier - unterlassen hat, einen Beweisantrag zu stellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1969 - 6 C 52.65 - BVerwGE 31, 212 ≪217 f.≫; Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14, vom 27. November 2000 - 2 B 42.00 - juris Rn. 10, vom 29. März 2017 - 2 B 26.16 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 13 Rn. 7 f. und vom 19. Februar 2018 - 2 B 51.17 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 56 Rn. 6).
Rz. 14
Diesen Darlegungsanforderungen genügt das Beschwerdevorbringen nicht. Es lässt außer Acht, dass für den Umfang der verfahrensrechtlichen Aufklärungspflicht des Tatsachengerichts dessen materielle Rechtsauffassung maßgebend ist; ob diese Rechtsauffassung zutrifft, ist keine Frage der Aufklärungspflicht, sondern des anzuwendenden materiellen Rechts (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 27. November 2000 - 2 B 42.00 - juris Rn. 11). Einen aus der materiell-rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts bestehenden Aufklärungsbedarf zeigt die Beschwerde weder im Hinblick auf den anerkannten Milderungsgrund der unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage noch im Hinblick auf sonstige bemessungsrelevante Umstände auf, die bei der Prognoseentscheidung nach § 13 Abs. 1 BDG zu berücksichtigen sind. Damit kann die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht auf dem vermeintlichen Verfahrensfehler im Sinne des § 69 BDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO "beruhen".
Rz. 15
Die Beschwerde übersieht, dass das Berufungsgericht die Voraussetzungen des Milderungsgrundes der unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage nicht allein mangels hinreichender Darlegung verneint hat. Das Berufungsgericht hat zwar ausgeführt, dass die Beklagte bereits nicht hinreichend dargetan habe, dass sie sich im Tatzeitraum in einer wirtschaftlichen Notsituation befunden habe; dies gelte sowohl für ihre familiäre Vermögenssituation als auch für die mit ihrer Augenerkrankung verbundenen Medikamentenausgaben, die im Übrigen in der behaupteten Höhe von ca. 440 € bei vollzeitiger Beschäftigung tragbar gewesen wären. Aber abgesehen davon hat das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2002 - 1 D 5.02 - juris Rn. 17) angenommen, dass der Milderungsgrund einer unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage auch deshalb nicht eingreift, weil es sich im Fall der Beklagten nicht um ein vorübergehendes, zeitlich und zahlenmäßig eng begrenztes Fehlverhalten gehandelt habe, sondern um wiederholte Straftaten über einen längeren Zeitraum, die diese Voraussetzungen nicht erfüllten (vgl. UA S. 32).
Rz. 16
Ebenso wenig bestand für das Berufungsgericht hinsichtlich der Motivlage der Beklagten, mit den betrügerisch erhaltenen Beträgen anderweitig nicht erstattungsfähige Medikamente zu finanzieren, Anlass, die Höhe der monatlichen Ausgaben für diese Medikamente zu ermitteln. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsausführungen zur Maßnahmebemessung ergibt sich, dass es nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts ohne Relevanz ist, wie hoch diese Ausgaben waren und ob sie der Höhe nach der betrügerisch erlangten Summe entsprachen. Wiederholt und über einen längeren Zeitraum Vermögensdelikte zu begehen, um auf diese Weise finanzielle Probleme zu lösen - seien sie auch durch die Anschaffung von nicht erstattungsfähigen Arznei- und Heilmitteln bedingt - ist nach seiner Auffassung kein Umstand, dem zu Gunsten der Beklagten maßnahmemildernde Bedeutung beizumessen ist. Das Berufungsgericht hat die finanziellen Belastungen durch nicht erstattungsfähige Medikamentenkosten in die Bemessungsentscheidung nach § 13 Abs. 1 BDG eingestellt und ausgeführt, dass diesem Aspekt kein solch durchgreifend milderndes Gewicht zukomme, dass seinetwegen von der durch die besondere Deliktsschwere (mehr als 160 Tathandlungen über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren) indizierten Entfernung aus dem Dienst abgesehen werden könne. In einer - zu unterstellenden - sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden schwierigen finanziellen Situation könne von einem Beamten erwartet werden, dass er sich mit seiner Situation auseinandersetze und vermeiden könne, den Ausweg über kriminelle Handlungen zu suchen und straffällig zu werden. Davon habe die Beklagte keinen Gebrauch gemacht.
Rz. 17
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 BDG, § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 BDG erhoben werden.
Fundstellen
Dokument-Index HI13724191 |