Entscheidungsstichwort (Thema)
Beanstandungsklage. Bundesbeauftragter. nachrangiger Abschiebungsschutz. notwendig Beigeladener. Streitgegenstand
Leitsatz (amtlich)
Hat die Beanstandungsklage des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten gegen die Gewährung von Abschiebungsschutz (hier: nach § 51 Abs. 1 und § 53 Abs. 4 AuslG) Erfolg, darf das Gericht über nachrangigen Abschiebungsschutz (hier: nach § 53 Abs. 6 AuslG), der nicht Gegenstand des angefochtenen Bescheides war, nicht entscheiden.
Normenkette
VwGO § 66 S. 2, § 144 Abs. 4; AuslG § 51 Abs. 1, § 53 Abs. 4, 6
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 07.03.2001; Aktenzeichen 11 A 10977/00) |
VG Koblenz (Entscheidung vom 30.06.1999; Aktenzeichen 6 K 3772/98) |
Tenor
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 7. März 2001 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladenen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Tatbestand
I.
Auf den Asylantrag der aus Bosnien-Herzegowina stammenden beigeladenen Eheleute lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) die Gewährung von Asyl ab, stellte aber zu Gunsten der Beigeladenen fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und des § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich Bosnien-Herzegowinas vorliegen. Weiter heißt es in dem Bescheid, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG im Übrigen nicht vorlägen und die Beigeladenen nicht nach Bosnien-Herzegowina abgeschoben werden dürften. Auf die Beanstandungsklage des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) hat das Verwaltungsgericht die zu Gunsten der Beigeladenen getroffenen Feststellungen zum Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 51 Abs. 1 und § 53 Abs. 4 AuslG aufgehoben. Eine Entscheidung über den von den Beigeladenen geltend gemachten Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG wegen gesundheitlicher Gefahren bei einer Rückkehr in ihr Heimatland hat das Verwaltungsgericht abgelehnt, da dieser Anspruch nicht Gegenstand der Beanstandungsklage des Bundesbeauftragten sei. Die Berufung der Beigeladenen hat das Oberverwaltungsgericht (nur) hinsichtlich des Abschiebungsschutzanspruchs nach § 53 Abs. 6 AuslG zugelassen, weil das Verwaltungsgericht zu Unrecht eine Entscheidung über dieses Begehren verweigert habe. In der Sache hat das Oberverwaltungsgericht allerdings die Berufung zurückgewiesen, weil nicht ersichtlich sei, dass die von den Beigeladenen geltend gemachten Erkrankungen bei einer Rückkehr nach Bosnien-Herzegowina zu einer Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 6 AuslG führten.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beigeladenen. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und hält sinngemäß die Frage für klärungsbedürftig, ob eine akute Erkrankung, wie hier der Schlaganfall des Beigeladenen zu 1, allein deshalb bei der Prüfung von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG unberücksichtigt bleiben kann, weil sie zur Reiseunfähigkeit und damit zu einem Duldungsgrund nach § 55 Abs. 2 AuslG führt. Darüber hinaus rügt sie mehrere Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) im Rahmen der Feststellung und Bewertung der von den Beigeladenen geltend gemachten Erkrankungen durch das Berufungsgericht.
Entscheidungsgründe
II.
Das Beschwerdevorbringen führt nicht zur Zulassung der Revision. Hinsichtlich der Grundsatzrüge ist schon die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht dargetan und auch sonst nicht ersichtlich. Vielmehr ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres, dass das Bundesamt und die Gerichte bei einer Erkrankung, die zu einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis führt, nicht davon entbunden sind, auch etwaige aus dieser Erkrankung folgende zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 AuslG zu prüfen (vgl. zum Verhältnis von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG und sonstigen Duldungsgründen nach § 55 Abs. 2 AuslG Beschlüsse vom 11. Mai 1998 – BVerwG 9 B 409.98 – InfAuslR 1999, 525 und vom 22. Juli 1998 – BVerwG 9 B 452.98 – nicht veröffentlicht; zu den Besonderheiten bei allgemeinen Gefahren im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG vgl. aber Urteil vom 12. Juli 2001 – BVerwG 1 C 2.01 – DVBl 2001, 1531, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung vorgesehen). Abgesehen davon greift die Grundsatzrüge auch deshalb nicht durch, weil es auf die aufgeworfene Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren überhaupt nicht ankäme. Denn entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist das Verpflichtungsbegehren der Beigeladenen auf positive Feststellung zu § 53 Abs. 6 AuslG hinsichtlich Bosnien-Herzegowinas schon nicht zulässig. Dies wäre auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten. Fragen zur Begründetheit würden sich dem Revisionsgericht daher nicht stellen.
Die von den Beigeladenen erstrebte Verpflichtung des Bundesamts zur Feststellung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG hinsichtlich Bosnien-Herzegowinas ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts weder automatisch zum Gegenstand des Rechtsstreits geworden noch konnte sie zulässigerweise durch den Antrag der Beigeladenen in den Rechtsstreit einbezogen werden. Durch die Beanstandungsklage des Bundesbeauftragten ist ausweislich des eindeutigen Klageantrags nur die im Ausgangsbescheid getroffene positive Feststellung des Bundesamts zu § 51 Abs. 1 AuslG und § 53 Abs. 4 AuslG rechtshängig geworden. Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens war damit nur der Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG einerseits und der nach § 53 Abs. 1, 2 und 4 AuslG andererseits (zur Unteilbarkeit des letztgenannten Begehrens vgl. Urteil vom 20. Februar 2001 – BVerwG 9 C 21.00 – InfAuslR 2001, 306 = DVBl 2001, 1000, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung vorgesehen). Das abtrennbare Begehren auf nachrangigen Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG ist damit nicht „automatisch” ebenfalls zum Gegenstand des Rechtsstreits geworden. Die vom Berufungsgericht für seine gegenteilige Auffassung herangezogene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bezieht sich nur auf vom Asylbewerber selbst erhobene Klagen, bei denen aufgrund der typischen Interessenlage des Asylbewerbers in der Regel von einem umfassenden, alle Stufen des Abschiebungsschutzes einschließenden Klagebegehren auszugehen ist, das nach Haupt- und Hilfsanträgen gegliedert ist (vgl. grundlegend Urteil vom 15. April 1997 – BVerwG 9 C 19.96 – BVerwGE 104, 260; Beschluss vom 5. Juni 1998 – BVerwG 9 B 469.98 – NVwZ 1999, 642, stRspr). Die sich daraus ergebenden Folgerungen für den Umfang des Streitgegenstandes und das automatische Anfallen der hilfsweise gestellten Klageanträge in der nächsten Instanz – auch im vom Bundesbeauftragten betriebenen Berufungsverfahren – gelten dagegen nicht für den Fall der Beanstandungsklage des Bundesbeauftragten (vgl. Beschlüsse vom 17. November 1997 – BVerwG 9 B 750.97 – und vom 1. Oktober 1998 – BVerwG 9 B 913.98 –).
Die Beigeladenen konnten den Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG auch nicht durch ihren Antrag im gerichtlichen Verfahren zum Gegenstand des Rechtsstreits machen. Allerdings kann der notwendig Beigeladene – um solche handelt es sich hier – nach § 66 Satz 2 VwGO auch von den Anträgen der übrigen Beteiligten abweichende Sachanträge stellen. Ob daraus gegebenenfalls auch die Befugnis des notwendig beigeladenen Asylbewerbers hergeleitet werden kann, den Streitgegenstand einer Beanstandungsklage des Bundesbeauftragten zu erweitern, braucht hier nicht abschließend geklärt zu werden. Denn eine solche Befugnis wäre den Beigeladenen wegen des Gebots der Gewährung effektiven Rechtsschutzes allenfalls dann zuzubilligen, wenn sie andernfalls in der Verfolgung ihrer Rechte nach § 53 Abs. 6 AuslG beeinträchtigt wären. Das könnte nur dann in Betracht kommen, wenn das Bundesamt zuvor bereits eine negative Feststellung über Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 AuslG hinsichtlich Bosnien-Herzegowinas getroffen hätte, deren Bestandskraft die Beigeladenen sich später möglicherweise entgegenhalten lassen müssten. Eine solche Entscheidung ist hier indes nicht ergangen. Die in dem Bescheid des Bundesamts unter Nr. 3 Halbsatz 2 getroffene Feststellung, „im übrigen” lägen „Abschiebungshindernisse nach § 53 des Ausländergesetzes nicht vor”, bezog sich ausweislich der Begründung des Bescheides nur auf Abschiebungshindernisse hinsichtlich anderer Staaten, nicht aber auf weitere Abschiebungshindernisse hinsichtlich Bosnien-Herzegowinas nach § 53 Abs. 6 AuslG. Eine Abschiebung in diesen Zielstaat kam wegen des zuerkannten vorrangigen Abschiebungsschutzes nach § 51 Abs. 1 und § 53 Abs. 4 AuslG nach Auffassung des Entscheiders des Bundesamts ohnehin nicht in Betracht (vgl. Nr. 4 des Bescheides), so dass eine (negative) Entscheidung zu weiteren, nachrangigen Abschiebungshindernissen hinsichtlich dieses Zielstaats erkennbar nicht getroffen werden sollte und auch nicht getroffen worden ist.
Zur Vermeidung von Missverständnissen bemerkt der Senat, dass die Beigeladenen durch diese Begrenzung des Streitgegenstands des gerichtlichen Verfahrens nicht rechtsschutzlos gestellt sind. Denn nach rechtskräftiger Aufhebung des einen Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 und § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich Bosnien-Herzegowinas zusprechenden Bescheides wird das Bundesamt nunmehr nicht nur über die Abschiebungsandrohung, sondern auch über die geltend gemachten Gründe für die Gewährung von nachrangigem Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG ohne Bindung an die im Berufungsurteil vorgenommene Würdigung erstmals und neu durch rechtsmittelfähigen Bescheid zu befinden haben (vgl. den Rechtsgedanken in § 39 AsylVfG). Die Entscheidung des Berufungsgerichts erwächst nämlich nur nach Maßgabe der Gründe dieses Beschlusses in Rechtskraft, d.h. mit der Begründung, dass der Antrag auf gerichtliche Verpflichtung des Bundesamts zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG unzulässig war.
Auch die geltend gemachten Verfahrensrügen können, unabhängig davon, ob sie ordnungsgemäß erhoben und begründet sind, der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Denn nach § 144 Abs. 4 VwGO, der im Beschwerdeverfahren entsprechend angewendet werden darf (stRspr; vgl. etwa Beschlüsse vom 22. August 1996 – BVerwG 8 B 100.96 – Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 62 und vom 5. Februar 1998 – BVerwG 2 B 56.97 – Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 25, jeweils m.w.N.), kann die Beschwerde zurückgewiesen werden, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts sich jedenfalls im Ergebnis aus anderen Gründen als richtig erweist. Dem liegt der Rechtsgedanke zugrunde, dass nicht nur das Revisionsverfahren, sondern regelmäßig auch das Beschwerdeverfahren nicht um eines Fehlers willen fortgeführt werden soll, der mit Sicherheit für die endgültige Entscheidung bedeutungslos bleiben würde. So liegt der Fall hier, weil die Berufung der Beigeladenen – wie oben ausgeführt – schon wegen der Unzulässigkeit des Verpflichtungsbegehrens zu § 53 Abs. 6 AuslG keinen Erfolg haben konnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Beck, Dr. Eichberger
Fundstellen
Haufe-Index 706529 |
InfAuslR 2002, 203 |
AuAS 2002, 70 |
DVBl. 2002, 854 |