Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 02.03.2007; Aktenzeichen 11 A 11126/06) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. März 2007 wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin hat mit der Maßgabe Erfolg, dass die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO, § 69 BDG an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen vor, weil das Berufungsgericht gegen seine Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 3 BDG verstoßen hat.
Das Oberverwaltungsgericht hat im Disziplinarklageverfahren auf die Berufung des Beklagten auf Kürzung der Dienstbezüge erkannt. Es hat als schuldhafte Dienstpflichtverletzung den mehrfachen Verstoß gegen die Gehorsamspflicht durch Weigerung der Annahme schriftlich erteilter Anweisungen als erwiesen erachtet. Der Beamte habe in Kauf genommen, zwischen Ende November 2001 und Mitte April 2002 die Übertragung dienstlicher Aufgaben unmöglich gemacht zu haben.
Bei diesem Verhalten handele es sich allerdings nicht um eine dem vorsätzlich unerlaubten Fernbleiben vom Dienst gleichzusetzende Dienstverweigerung. Denn die Einlassung des Beklagten, er habe jedenfalls seit April 2002 an dem Projektauftrag 1860 gearbeitet und auch verwertbare Arbeitsergebnisse erzielt, lasse sich nicht widerlegen. Der Beklagte habe in der Vergangenheit keine Arbeitsergebnisse vorgelegt, eine nunmehrige Vorlage lasse keine verlässliche Prüfung zu, ob die Arbeiten in dem fraglichen Zeitraum erbracht worden seien. Die Klägerin könne nicht mehr objektiv aufklären, ob die Arbeitsergebnisse vor ca. fünf Jahren verwertbar gewesen wären. Auch der Vortrag der Klägerin, der Beklagte habe nicht die technischen Möglichkeiten gehabt, um die nötigen Informationen zur Erfüllung des Auftrags zu erlangen, sei angesichts seines Einwands, er habe diese Informationen gehabt, mit denselben Erwägungen heute nicht mehr endgültig aufklärbar.
Demgegenüber hat die Klägerin mit der Beschwerde dargelegt, dass das Berufungsgericht hierdurch die ihm obliegende Aufklärungspflicht verletzt habe, weil es keine weiteren Beweise erhoben habe, obwohl sich dies ihm hätte aufdrängen müssen. Es hätte der entscheidungserheblichen Frage, ob der Beklagte ab Erhalt der Projektbeschreibung im April 2002 an dem Projekt gearbeitet und auch Ergebnisse erzielt habe, nachgehen müssen.
Gemäß § 58 Abs. 1 BDG erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise. Demnach hat es grundsätzlich selbst diejenigen Tatsachen festzustellen, die für den Nachweis des Dienstvergehens und die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sind (vgl. auch BTDrucks 14/4659 S. 49, zu § 58 BDG). Entsprechend § 86 Abs. 1 VwGO folgt daraus die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen der Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen. Dies gilt gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 BDG auch für die Berufungsinstanz (Beschluss vom 8. Februar 2007 – BVerwG 2 B 9.07 – juris).
Zwar verletzt das Berufungsgericht seine Aufklärungspflicht grundsätzlich nicht, wenn es von einer Beweisaufnahme absieht, die weder von einer Partei beantragt ist noch sich den Umständen nach aufdrängt (vgl. Beschlüsse vom 6. März 1995 – BVerwG 6 B 81.94 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265, vom 14. Juni 2005 – BVerwG 2 B 108.04 – Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 1 = NVwZ 2005, 1199 und vom 8. Februar 2007 a.a.O.).
Hier hat sich eine weitere Beweisaufnahme jedoch aufgedrängt, ohne dass die Klägerin sie förmlich beantragen musste.
Das Berufungsgericht ist der Frage nicht nachgegangen, ob der Beklagte nach Erhalt der Projektbeschreibung im April 2002 an dem Projekt 1860 gearbeitet und auch Ergebnisse erstellt hat. Das Berufungsgericht hat es wegen des eingetretenen Zeitablaufs nicht für möglich erachtet, verlässliche Feststellungen zu treffen und deshalb von weiterer Aufklärung abgesehen. Dies durfte mit der bloßen Begründung des Zeitablaufs nicht geschehen.
Ob Aufklärungsmaßnahmen den beabsichtigten Erfolg haben werden, lässt sich – soweit sie überhaupt geeignet sind, zur Feststellung bestimmter Tatsachen beizutragen – erst nach deren Durchführung beurteilen. Das Absehen von einer weiteren Sachaufklärung mit der Begründung, etwa in Betracht kommende Beweismittel würden voraussichtlich nicht den gewünschten Aufschluss erbringen, stellt eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung und damit eine Verletzung der Verpflichtung des Gerichts gemäß § 86 Abs. 1 VwGO dar, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (vgl. Urteil vom 19. März 1998 – BVerwG 2 C 5.97 – BVerwGE 106, 263 ≪265 f.≫). Die nach Einschätzung des Gerichts geringe Wahrscheinlichkeit, dass Aufklärungsmaßnahmen zu weiteren Erkenntnissen führen werden, rechtfertigt nicht die Begrenzung der Amtsermittlungspflicht (Beschlüsse vom 22. August 2000 – BVerwG 2 B 29.00 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 310 und vom 14. Juni 2005 – BVerwG 2 B 108.04 – Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 1).
Auf eine weitere Beweiserhebung durch das Berufungsgericht durfte auch nicht deshalb verzichtet werden, weil taugliche Beweismittel nicht zur Verfügung standen.
Feststellungen zu den seit April 2002 erzielten Arbeitsergebnissen mögen zwar infolge Zeitablaufs erschwert sein, waren aber nicht von vornherein ausgeschlossen. Da der erste Teilauftrag des dem Beklagten zugewiesenen Projektauftrags in der Analyse des Bestandes an Postfächern und des Anteils belegter Postfächer im Zeitraum 1995 bis 2001 unter Nutzung vorhandenen Datenmaterials bestand, war ohne Weiteres zum Beispiel durch Zeugenbeweis aufzuklären, woher der Beklagte dieses Datenmaterial erhalten haben will, da er selbst keinen Zugang zu den im internen IT-Netz befindlichen Datenquellen hatte. Die Vernehmung des bereits in der Disziplinarklageschrift wiederholt als Zeugen benannten damaligen Abteilungsleiters 186, W… D…, kommt als Beweismittel in Betracht. Die Beschwerde hat dargelegt, dass sich der Beklagte widersprüchlich dazu eingelassen hat, ob er überhaupt seit April an dem Projekt gearbeitet habe. Das Berufungsgericht (UA S. 7 unten) ist selbst davon ausgegangen, dass der Beklagte erstmals in der (ersten) mündlichen Berufungsverhandlung behauptet hat, er sei für die Erfüllung des Projektauftrags tätig geworden. Dies wird das Berufungsgericht zu würdigen haben. Es liegt auf der Hand, dass gerade bei widersprüchlichen Einlassungen dazu, ob Arbeitsergebnisse erzielt wurden, auch aus der Vorlage der vom Beklagten behaupteten Arbeitsergebnisse – diese mögliche Aufklärungsmaßnahme benennt das Berufungsgericht sogar ausdrücklich selbst (UA S. 15) – Erkenntnisse gewonnen werden können.
Unterschriften
Prof. Dr. Kugele, Dr. Müller, Thomsen
Fundstellen