Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 15.04.2011; Aktenzeichen 1 KN 356/07) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. April 2011 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 25 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.
Rz. 2
1. Die als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage, ob Kompensationsflächen aus aufgegebenen Bebauungsplänen verrechnet werden dürfen, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Sie lässt sich ohne Weiteres auf der Grundlage des Gesetzes und der bisherigen Rechtsprechung des Senats mit dem Oberverwaltungsgericht bejahen.
Rz. 3
Gemäß § 1a Abs. 3 Satz 1 BauGB sind in der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB die Vermeidung und der Ausgleich der zu erwartenden Eingriffe in Natur und Landschaft zu berücksichtigen. Das Besondere der Regelung besteht darin, dass die in der Abwägung zu berücksichtigenden Naturschutzbelange über das Integritätsinteresse hinaus, falls dieses nicht gewahrt werden kann, auf das Kompensationsinteresse erweitert werden (Beschluss vom 31. Januar 1997 – BVerwG 4 NB 27.96 – BVerwGE 104, 68 ≪73≫). Nach § 1a Abs. 3 Satz 5 BauGB ist ein Ausgleich jedoch nicht erforderlich, soweit die Eingriffe bereits vor der planerischen Entscheidung erfolgt sind oder zulässig waren. Die vom Gesetzgeber bezweckte Klarstellung (BTDrucks 13/7589 S. 13), dass ein Ausgleich nicht erforderlich ist, soweit die Eingriffe bereits zulässig waren, bewirkt eine Freistellung für bisher baulich – auf der Grundlage eines Bebauungsplans oder nach Maßgabe des § 34 oder § 35 BauGB – nutzbare Flächen und verpflichtet zum Ausgleich nur insoweit, als zusätzliche und damit neu geschaffene Baurechte entstehen. Dabei muss das Baurecht noch nicht ausgenutzt worden sein.
Rz. 4
Im Fall der Überplanung eines nicht ausgenutzten Bebauungsplans hat die Gemeinde in eigener Verantwortung sowohl die Eingriffe, die im Fall der Verwirklichung auf den von der ursprünglichen Planung erfassten Grundstücke eingetreten wären, als auch die Eingriffe, die aufgrund des neuen Bebauungsplans eintreten, zu ermitteln und nach ihrer ökologischen Wertigkeit zu bewerten (Beschlüsse vom 23. April 1997 – BVerwG 4 NB 13.97 – Buchholz 406.401 § 8a BNatSchG Nr. 4 und vom 7. November 2007 – BVerwG 4 BN 45.07 – Buchholz 406.11 § 1a BauGB Nr. 7). Bei der Gegenüberstellung sind alle Grundstücke in den Blick zu nehmen, die von der alten und der neuen Planung erfasst sind. Werden im Bereich des alten Bebauungsplans unter Berücksichtigung der ökologischen Wertigkeit der Flächen keine oder geringere Eingriffe als nach der neuen Planung festgestellt, schlägt auch dies in der Flächenbilanz zu Buche. § 1a Abs. 3 Satz 5 BauGB erlaubt eine Verrechnung, bei der sowohl eine Abnahme als auch eine Zunahme der Eingriffstiefe im Verhältnis zum neuen Bebauungsplan berücksichtigt werden darf. Das gilt unabhängig davon, ob bei Aufstellung des ursprünglichen Bebauungsplans die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung zu berücksichtigen war. § 1a Abs. 3 Satz 5 BauGB unterscheidet nicht danach, wann und unter welcher Rechtslage bestehende Baurechte entstanden sind. Ob bei der Aufstellung oder dem Vollzug eines alten Bebauungsplans die Anforderungen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung zu berücksichtigen waren, ist für die Anwendbarkeit des § 1a Abs. 3 Satz 5 BauGB unerheblich. Angesichts des klaren Wortlauts der Regelung kommt eine einschränkende Auslegung, nach der von einem Ausgleich nur abgesehen werden darf, wenn bei der Aufstellung oder dem Vollzug des alten Bebauungsplans die Anforderungen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung erfüllt worden sind, nicht in Betracht (Beschluss vom 20. Mai 2003 – BVerwG 4 BN 57.02 – Buchholz 406.401 § 12 BNatSchG Nr. 2 zu § 1a Abs. 3 Satz 4 a.F., nunmehr § 1a Abs. 3 Satz 5 BauGB). Wie das Oberverwaltungsgericht ausgeführt hat, hat § 1a Abs. 3 Satz 5 BauGB nicht das Ziel, die Gemeinden zur Sanierung alter Nutzflächen anzuhalten, sondern nur – in der Bilanz – Verschlechterungen entgegenzuwirken.
Rz. 5
2. Die Frage, ob Kompensationsflächen bzw. Kompensationssicherungsmaßnahmen aus aufgegebenen oder teilnichtigen Bebauungsplänen dann verrechnet werden dürfen, wenn eine hinreichende rechtliche Sicherung bei realistischer Betrachtung gegeben ist, stellt sich nicht. War die Gemeinde bei Aufstellung des alten Bebauungsplans nicht zu Kompensationsmaßnahmen verpflichtet, kommt es nicht darauf an, ob ein Ausgleich durch geeignete Maßnahmen möglich (gewesen) wäre.
Rz. 6
Soweit geltend gemacht wird, es liege – so wird man wohl ergänzen müssen: im Hinblick auf den angefochtenen Bebauungsplan – eine Verletzung des § 1a Abs. 3 Satz 4 BauGB vor, da eine hinreichend sichere rechtliche Sicherung nicht beachtet wurde (Beschwerdebegründung S. 9) und gerügt wird, ausreichende Ausgleichsmaßnahmen seien nicht in der Bekanntmachung enthalten (Beschwerdebegründung S. 10), geht dieser Vortrag an den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts vorbei. Danach sind in einer Anlage zur Begründung des Bebauungsplans die Ausgleichsmaßnahmen einem konkreten Flurstück zugeordnet, das nach dem Liegenschaftskataster im Eigentum der Antragsgegnerin steht, so dass eine nachträgliche Kontrolle jederzeit möglich ist (UA S. 21). Es wird entgegen der Behauptung des Antragstellers also keineswegs lediglich pauschal auf einen Ausgleich im Rahmen des gemeindlichen Flächenpools verwiesen.
Rz. 7
Soweit geltend gemacht wird, eine Gemeinde dürfe sich nicht von der einseitig gegebenen Erklärung eines in Aussicht gestellten Ausgleichs im Nachhinein wieder lossagen (Beschwerdebegründung S. 9), bleibt unklar, worauf dieser Einwand zielt.
Rz. 8
3. Die Frage, ob es der obergerichtlichen Rechtsprechung widerspricht, dass Kompensationsflächen aus aufgegebenen oder teilnichtigen Bebauungsplänen unter Verletzung der umfassenden und hinreichend gesicherten Deckung des Ausgleichsbedarfs vorgenommen werden, wenn ein Verzicht auf früher einmal vorgesehene Maßnahmen mit neuen Eingriffen verrechnet wird, die bislang noch nicht vorgesehen waren, deckt sich der Sache nach mit der ersten Frage. Insoweit wird auf die Ausführungen unter 1. verwiesen.
Rz. 9
4. Mit der Frage, ob die Antragsgegnerin bei der Ermittlung des notwendigen Umfangs der Ausgleichsmaßnahmen eine unzulässige Verrechnung vorgenommen hat, insbesondere dadurch, dass die “Flächenbilanz-Kompensation” nicht an den aufgegebenen oder teilnichtigen Bebauungsplan hätte anknüpfen dürfen, wird ebenfalls kein Klärungsbedarf dargelegt.
Rz. 10
Soweit der Antragsteller – wie die Beschwerdebegründung es nahelegt – mit der Frage darauf abhebt, dass der Vorgängerbebauungsplan in demjenigen Teilbereich nicht mehr gültig ist, in welchem er im damaligen Normenkontrollverfahren für nichtig erklärt worden ist, erschöpft sich der Vortrag in dem Vorwurf, die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass die Teilnichtigkeit ohne Folgen bleibe, sei rechtswidrig (Beschwerdebegründung S. 11). Damit wird ein grundsätzlicher Klärungsbedarf nicht aufgezeigt. Im Übrigen wird nicht beachtet, dass das Oberverwaltungsgericht insoweit darauf abgestellt hat, dass für diesen aufgrund der Teilnichtigkeit vom alten Bebauungsplan nicht erfassten Bereich – vor der Überplanung – eine Bebauung gemäß § 34 BauGB und damit ein Eingriff zulässig war, mithin die Fläche – mit der entsprechenden Bewertung – in die Flächenbilanz gemäß § 1a Abs. 3 Satz 5 BauGB eingestellt und verrechnet werden durfte. Die Frage, ob eine Bebauung bereits vor der planerischen Entscheidung nach § 34 BauGB zulässig war, ist zwar eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt (Beschluss vom 4. Oktober 2006 – BVerwG 4 BN 26.06 – Buchholz 406.11 § 1a BauGB Nr. 6). Im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde genügt es jedoch nicht, die Rechtsanwendung als verfehlt anzugreifen, weil die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass die nach Beseitigung der Gebäude verbleibende Freifläche nach § 34 BauGB bebaubar gewesen sei, mit Zweifeln behaftet sei (Beschwerdebegründung S. 8). Die vom Oberverwaltungsgericht bejahte Anwendbarkeit des § 34 BauGB beruht auf einer Würdigung der örtlichen Gegebenheiten im konkreten Einzelfall und ist einer verallgemeinernden Klärung nicht zugänglich. Grundsätzliche Fragen i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu § 34 BauGB werden von der Beschwerde nicht aufgeworfen.
Rz. 11
5. Die Divergenzrüge gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung liegt nur vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden Rechtssatz zu einem ebensolchen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts in Widerspruch tritt (stRspr; vgl. nur Beschluss vom 20. Dezember 1995 – BVerwG 6 B 35.95 – NVwZ-RR 1996, 712). Einen solchen Rechtssatzwiderspruch zeigt die Beschwerde nicht auf.
Rz. 12
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Rubel, Dr. Jannasch, Dr. Bumke
Fundstellen