Tenor
Die Erinnerung der Klägerin gegen die Schlusskostenrechnung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 21. Januar 2008 wird zurückgewiesen.
Gründe
Die gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 GKG zulässige Erinnerung bleibt erfolglos.
Die Klägerin wendet sich dagegen, dass im Kostenansatz der Schlusskostenrechnung vom 21. Januar 2008 die Verfahrensgebühr nach dem Satz von 5,0 aus Nr. 5114 des Kostenverzeichnisses (KV) – Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG – berechnet worden ist. Sie ist der Ansicht, beim Kostenansatz sei die Ermäßigung der Gebühr auf den Satz 3,0 nach KV-Nr. 5115 anzusetzen gewesen, da sie ihre Klage mit Schriftsatz vom 20. Januar 2006 zurückgenommen habe. Dieser Einwand greift nicht durch.
Die Gebühr nach KV-Nr. 5114 ermäßigt sich auf den Satz 3,0 nach KV-Nr. 5115, wenn die Zurücknahme der Klage zur “Beendigung des gesamten Verfahrens” geführt hat. Verfahren im Sinne dieser Gebührenregelung ist das Verfahren, das die Klägerin gemeinsam mit einer Vielzahl anderer Kläger, die sämtlich von ihrem Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt B… vertreten worden sind, mit der am 18. Oktober 2004 unter dem Aktenzeichen BVerwG 4 A 1014.04 erhobenen Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 13. August 2004 zum Ausbau des Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld eingeleitet hat. Dieses Verfahren ist nach Abtrennung einer Klägergruppe zur Bildung eines Musterverfahrens (§ 93a VwGO) zunächst zum Ruhen gebracht worden und sodann unter dem Aktenzeichen BVerwG 4 A 1010.05 mit Beschluss vom 7. Juli 2005 gemäß § 93a Abs. 1 VwGO ausgesetzt worden. Mit Beschluss vom 25. Januar 2006 hat der Senat das Verfahren der Klägerin wegen der Rücknahme ihrer Klage von dem Verfahren BVerwG 4 A 1010.05 (vormals 4 A 1014.04) abgetrennt und unter dem Aktenzeichen BVerwG 4 A 1003.06 fortgeführt und mit Beschluss vom 2. Februar 2006 eingestellt. Im Zeitpunkt ihrer Klagerücknahme war die Klägerin Mitglied der unter dem Aktenzeichen BVerwG 4 A 1010.05 zusammengefassten Klägergemeinschaft. Dieses Verfahren ist durch die von der Klägerin erklärte Klagerücknahme nicht im Sinne von KV-Nr. 5115 insgesamt beendet worden. Die Klagerücknahme ist im Verfahren BVerwG 4 A 1010.05 erfolgt, nicht im Verfahren mit dem Aktenzeichen BVerwG 4 A 1003.06, unter dem der Einstellungsbeschluss vom 2. Februar 2006 ergangen ist. Die Vergabe eines neuen Aktenzeichens für den Einstellungsbeschluss vom 2. Februar 2006 geschah aus verfahrenstechnischen Gründen und trug dem Umstand Rechnung, dass das gesamte Verfahren BVerwG 4 A 1010.05 im Zeitpunkt der Klagerücknahme der Klägerin noch nicht beendet war. KV-Nr. 5115 ist daher nicht anwendbar.
Dieses Ergebnis und die ihm zugrundeliegende Auslegung von KV-Nr. 5115 verletzt entgegen der Ansicht der Klägerin den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht. Die Klägerin macht geltend: Sie (und ihr verstorbener Ehemann) hätten keine andere Möglichkeit gehabt, als sich der Klägergemeinschaft des Verfahrens BVerwG 4 A 1014.04 (später 4 A 1010.05) anzuschließen. Die Finanzierung der Gesamtkosten eines Großverfahrens zwinge dazu, sich einer Klägergemeinschaft anzuschließen. Seien aber an einem Verfahren wie hier 1 465 Kläger beteiligt gewesen, habe der einzelne, der seine Klage zurücknehme, keinen Einfluss darauf, ob die übrigen Kläger ebenfalls ihre Klage zurücknehmen. In derartigen Fällen werde deshalb niemals der Ermäßigungstatbestand der KV-Nr. 5115 einschlägig sein. Der Umstand, dass das Verfahren BVerwG 4 A 1010.05 noch nicht beendet sei, dürfe ihr – der Klägerin – nicht zum Nachteil gereichen. Sie sei kostenrechtlich so zu behandeln, als seien sie und ihr Ehemann die einzigen Kläger im Verfahren BVerwG 4 A 1010.05 gewesen. Bei verfassungskonformer Auslegung der KV-Nr. 5115 habe sie lediglich eine Verfahrensgebühr nach dem Satz 3,0 zu tragen.
Der gerügte Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz liegt nicht vor. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt betont, mit einer Gebührenregelung dürften neben der Kostendeckung auch andere Zwecke verfolgt werden. Innerhalb seiner jeweiligen Regelungskompetenzen verfüge der Gebührengesetzgeber über einen weiten Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum, welche individuell zurechenbaren öffentlichen Leistungen er einer Gebührenpflicht unterwerfen, welche Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze er hierfür aufstellen und welche über die Kostendeckung hinausgehenden Zwecke, etwa einer begrenzten Verhaltenssteuerung in bestimmten Tätigkeitsbereichen, er mit einer Gebührenregelung anstreben will (vgl. BVerfGE 97, 332 ≪345≫ m.w.N.). Das gilt auch für die vom Gesetzgeber angeordnete gebührenmäßige Begünstigung für die vollständige Erledigung eines Verfahrens ohne Urteil, wie sie u.a. in KV-Nr. 5115 geregelt ist (vgl. BVerfG ≪1. Kammer des Ersten Senats≫, Beschlüsse vom 27. August 1999 – 1 BvL 7/96 – und vom 25. August 1999 – 1 BvL 9/98 – NJW 1999, 3550 ≪3551≫ und NJW 1999, 3549 ≪3550≫ – zur vergleichbaren Ermäßigung der Gerichtsgebühren bei Beendigung einer zivilrechtlichen Streitigkeit ohne Urteil). Die Ermäßigungstatbestände sollen Anreize zu einer gütlichen Streitbeilegung schaffen bzw. den Prozessbeteiligten einen Anreiz geben, die “Instanz jeweils durch aktives Handeln…endgültig” zu beenden (vgl. die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Kostenrechtsänderungsgesetzes 1994, BTDrucks 12/6962 S. 69, 70, betreffend die Ermäßigungstatbestände in KV-Nr. 1202 des Gesetzentwurfs). Zugleich verfolgt die Gebührenermäßigung den sachlich begründeten Zweck, durch eine Beendigung des Verfahrens ohne Urteil den richterlichen Arbeitsaufwand gering zu halten (vgl. BVerfG a.a.O. S. 3550, 3551; BTDrucks 12/6962 S. 69, 70). Es ist ferner höchstrichterlich geklärt, dass der Gesetzgeber sich bei der Regelung von Gebührenmaßstäben und Gebührensätzen von den Zielen der Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit leiten lassen darf und bei der Ordnung von Massenerscheinungen einen – freilich nicht unbegrenzten – Spielraum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen hat (BVerfG, Beschluss vom 10. April 1997 – 2 BvL 77/92 – BVerfGE 96, 1 ≪6≫ m.w.N.).
Diese Sachgesichtspunkte rechtfertigen es, KV-Nr. 5115 dahin auszulegen, dass bei einer Mehrheit von Klägern eine die Ermäßigung auslösende Beendigung “des gesamten Verfahrens” nur dann eintritt, wenn alle Kläger einen der Ermäßigungstatbestände erfüllen (ebenso zur vergleichbaren Gebührenermäßigung in KV-Nr. 1211: Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., 2008, Rn. 2 zu KV-Nr. 1211; Oestreich/Winter/Hellstab, GKG, 2006, Rn. 5 zu KV-Nr. 1211). Die vom Gesetzgeber mit der Gebührenermäßigung verfolgten Zwecke verlieren ihre sachliche Berechtigung auch in solchen komplexen Klageverfahren nicht, in denen sich eine große Klägergemeinschaft gegen einen Planfeststellungsbeschluss für ein Infrastrukturvorhaben (internationaler Verkehrsflughafen) zur Wehr setzt, das mit erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen verbunden ist. Die Verknüpfung der Gebührenermäßigung mit einer Gesamtbeendigung des (Groß-)Verfahrens aufgrund eines (oder mehrerer) der in KV-Nr. 5115 bezeichneten Beendigungstatbestände verlässt den weiten Gestaltungsspielraum des Gebührengesetzgebers nicht.
Die wirtschaftlichen Vorteile einer Sammelklage, die sich daraus ergeben, dass sich die Gebühren nach dem Kostenverzeichnis zum Gerichtskostengesetz mit der Vervielfachung des Streitwertes nicht im gleichen Verhältnis vervielfachen, sondern sich degressiv erhöhen, bleiben einem an der Sammelklage beteiligten Kläger, der seine Klage zurückgenommen hat, gemäß § 36 Abs. 2 GKG erhalten. Die angegriffene Schlusskostenrechnung hat § 36 Abs. 2 GKG zu Gunsten der Klägerin berücksichtigt.
Der Vorschlag zur Kostenregelung in Nr. 3 der von der Klägerin angeführten Erklärung des Beklagten vom 31. August 2006 war nicht zu berücksichtigen. Er betrifft die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache durch übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten (vgl. Nr. 2 der Erklärung). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Entscheidung im Erinnerungsverfahren ergeht gebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG).
Unterschriften
Dr. Paetow, Prof. Dr. Rojahn, Dr. Jannasch
Fundstellen