Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 31.01.2018; Aktenzeichen 10 LB 89/17) |
VG Oldenburg (Urteil vom 15.01.2016; Aktenzeichen 12 A 543/15) |
Gründe
I
Rz. 1
Die Klägerin ist nach eigenen Angaben syrische Staatsangehörige. Sie reiste im Mai 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Zuvor war ihr in Bulgarien die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Mit Bescheid vom 30. Dezember 2014 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Antrag als unzulässig ab (Ziffer 1.). Es drohte der Klägerin die Abschiebung nach Bulgarien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat an, wenn sie das Bundesgebiet nicht innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens verlässt. Nach Syrien dürfe sie nicht abgeschoben werden (Ziffer 2.). Zur Begründung führte das Bundesamt aus, der Asylantrag sei unzulässig, weil der Klägerin bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union internationaler Schutz zuerkannt worden sei.
Rz. 2
Das Verwaltungsgericht hat Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids des Bundesamts aufgehoben und die Klage im Übrigen (Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Bulgarien) abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Bulgarien besteht. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Beschwerde.
II
Rz. 3
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 4
1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.
Rz. 5
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110 und vom 14. Februar 2018 - 1 B 1.18 - juris Rn. 3).
Rz. 6
a) Die Beschwerde hält zunächst hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK für klärungsbedürftig,
"welchen Schweregrad eine auf die allgemeinen Verhältnisse zurückzuführende Situation jedenfalls erreichen muss, um der Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union mit Blick auf Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK entgegenzustehen"
und
"ob insoweit eine Eingriffsschwere erforderlich ist, die dem Grad der 'Extremgefahr', wie sie zur Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG erforderlich wäre, gleichkommt?".
Rz. 7
Diese Fragen rechtfertigen mangels Klärungsbedürftigkeit nicht die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Denn sie sind bereits durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.
Rz. 8
aa) Für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist auf die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen. Dieser fordert in ständiger Rechtsprechung nur für die Tatbestandsalternativen der "Folter" und der "unmenschlichen Behandlung" ein vorsätzliches Handeln, nicht hingegen für die Tatbestandsalternative der "erniedrigenden Behandlung". Hierzu führt er in seinem Urteil vom 21. Januar 2011 (GK) - Nr. 30696/09 - M.S.S./Belgien und Griechenland - (Rn. 220) aus: Es sei zwar zu berücksichtigen, ob es der Zweck der Behandlung gewesen sei, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließe dies die Feststellung einer Verletzung von Art. 3 EMRK nicht zwingend aus ("the absence of any such purpose cannot conclusively rule out a finding of a violation of Article 3"). Der EuGH und das Bundesverwaltungsgericht sind dieser Rechtsprechung gefolgt. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 [ECLI:EU:C:2011:865], N.S. u.a. - (Rn. 86 bis 94 und 106) entschieden, dass die Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Systems unter bestimmten Umständen gegen das Verbot einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC/Art. 3 EMRK verstoßen kann, wenn sie an einen Mitgliedstaat überstellt werden, bei dem ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller systemische Mängel aufweisen. Diese Rechtsprechung führt der EuGH in Folgeentscheidungen fort und legt die Merkmale der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in Übereinstimmung mit dem EGMR aus (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - C-578/16 PPU [ECLI:EU:C:2017:127], C.K. u.a. - Rn. 67). Entsprechendes gilt für die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 Rn. 22 ff.).
Rz. 9
In der Rechtsprechung des EGMR ist weiter geklärt, dass die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren ein gewisses "Mindestmaß an Schwere" (minimum level of severity) erreichen müssen, um ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK/Art. 4 GRC zu begründen (vgl. EGMR ≪GK≫, Urteil vom 13. Dezember 2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien - Rn. 174; EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - C-578/16 PPU, C.K. u.a. - Rn. 68). Die Bestimmung dieses Mindestmaßes an Schwere ist relativ und hängt von allen Umständen des Falls ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung, den daraus erwachsenen körperlichen und mentalen Folgen für den Betroffenen und in bestimmten Fällen auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Betroffenen (EGMR ≪GK≫, Urteile vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - Rn. 219 und vom 13. Dezember 2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien - Rn. 174). Nach den Schlussanträgen des Generalanwalts beim EuGH Wathelet vom 25. Juli 2018 (C-163/17 - Rn. 143) muss sich der Betroffene in "einer besonders gravierenden Lage" befinden. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK begründen (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 Rn. 23 und 25).
Rz. 10
Allerdings enthält Art. 3 EMRK weder eine Verpflichtung der Vertragsstaaten, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen noch begründet Art. 3 EMRK eine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (EGMR ≪GK≫, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - Rn. 249). Der EGMR hat aber für die als besonders verletzlich gewertete Gruppe der Asylsuchenden eine gesteigerte Verantwortlichkeit der EU-Mitgliedstaaten gesehen, weil sich diese durch die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (ABl. L 31 S. 18) (heute: Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen ≪ABl. L 180 S. 96≫) zur Gewährleistung bestimmter Minimalstandards bei der Aufnahme von Asylsuchenden verpflichtet haben. Bei diesem besonders schutzbedürftigen Personenkreis können schlechte Lebensbedingungen im Zielstaat der Abschiebung das für Art. 3 EMRK erforderliche Mindestmaß an Schwere erfüllen, wenn die Betroffenen - in einem ihnen vollständig fremden Umfeld - vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und staatlicher Untätigkeit und Indifferenz gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (EGMR ≪GK≫, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - Rn. 250 ff.; BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 Rn. 24).
Rz. 11
Die vorstehend wiedergegebene Rechtsprechung von EGMR, EuGH und Bundesverwaltungsgericht ist auf anerkannte Flüchtlinge zu übertragen, die sich darauf berufen, dass die Lebensbedingungen, denen sie im Staat ihrer Flüchtlingsanerkennung ausgesetzt sind, Art. 3 EMRK widersprechen (so schon BVerwG, Beschluss vom 2. August 2017 - 1 C 37.16 - juris Rn. 20). Auch für diesen Personenkreis ergibt sich eine gesteigerte Schutzpflicht der EU-Mitgliedstaaten, der sie sich in Gestalt der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) unterworfen haben. Auch bei ihnen kann das für Art. 3 EMRK erforderliche Mindestmaß an Schwere im Zielstaat der Abschiebung erreicht sein, wenn sie ihren existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern können, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten. Die Unmöglichkeit der Sicherung des Lebensunterhalts kann auf der Verhinderung eines Zugangs zum Arbeitsmarkt oder auf dem Fehlen staatlicher Unterstützungsleistungen beruhen. Einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung ist das Erfordernis, dass ein gewisses "Mindestmaß an Schwere" erreicht sein muss, nicht zugänglich. Vielmehr bedarf es insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls.
Rz. 12
Die Frage, ob die vom Berufungsgericht tatrichterlich festgestellten Aufnahmebedingungen für nach Bulgarien zurückkehrende anerkannte Schutzbedürftige unter Berücksichtigung der aufgezeigten rechtlichen Maßstäbe gegen Art. 3 EMRK verstoßen, betrifft die richterliche Tatsachenwürdigung und -bewertung. Diese Frage wird von den Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten der einzelnen Bundesländer unterschiedlich beantwortet (eine vom Berufungsgericht abweichende Einschätzung trifft u.a. das OVG Magdeburg, Beschluss vom 31. August 2016 - 3 L 94/16 - juris; vgl. im Übrigen die Zusammenstellung im angefochtenen Urteil S. 11 f.). Tatsachenfragen - mögen sie auch von grundsätzlicher Bedeutung sein - reichen nach geltender Rechtslage für die Zulassung einer Revision nicht aus (s. nur BVerwG, Beschluss vom 24. April 2017 - 1 B 22.17 - InfAuslR 2017, 307). Eine etwa fehlerhafte Anwendung der rechtlich zu Art. 3 EMRK geklärten Maßstäbe im Einzelfall - mag sie auch die von individuellen Besonderheiten weitgehend unabhängige Beurteilung der Lage in einem bestimmten Abschiebungszielstaat betreffen - rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.
Rz. 13
bb) Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob die Annahme eines Abschiebungsverbots in Bezug auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK eine "Extremgefahr" voraussetzt, lässt sich mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens verneinen. Der Begriff der "Extremgefahr" wird im Zusammenhang mit dem nationalen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG verwendet. Danach kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 Rn. 38). Dieser strengere Maßstab ist zur Rechtfertigung der Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG geboten, lässt sich jedoch nicht auf die in § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK getroffene Regelung übertragen.
Rz. 14
b) Die Beschwerde sieht weiteren rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf, ob
"in einer solchen Konstellation vom Bundesamt (...) im Sinn einer zielstaatsbezogenen Gefahrenursache das Vorhandensein einer Unterkunftsmöglichkeit in die Prognose für Abschiebungsschutzgründe i.S.d. § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG einzustellen ist"
und
"die der Gefahrrealisierung entgegenstehende Einholung einer Zusage über die Sicherstellung einer Unterkunftsmöglichkeit durch die Behörden des Mitgliedstaats (hier: Bulgarien) dem Aufgabenbereich des Bundesamtes oder dem Aufgabenbereich der für die Durchführung der Überstellung zuständigen Ausländerbehörde unterfällt".
Rz. 15
Auch diese aufgeworfenen Rechtsfragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.
Rz. 16
aa) Die Frage, ob das Bundesamt das Vorhandensein einer Unterkunftsmöglichkeit in die Prognose für Abschiebungsschutzgründe im Sinne des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG einzustellen hat, lässt sich bereits aufgrund des Gesetzeswortlauts mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten. Die Zuständigkeit des Bundesamts für die Feststellung, ob die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen, folgt aus § 24 Abs. 2 und § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG. Aus dem Untersuchungsgrundsatz des § 24 Abs. 1 AsylG ergibt sich, dass das Bundesamt den Sachverhalt klärt und die erforderlichen Beweise erhebt. Für das hier relevante Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bedeutet dies, dass alle für die Beurteilung des Vorliegens einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung relevanten Lebensbedingungen im Zielstaat der Abschiebung zu ermitteln und zu würdigen sind. Dafür ist unter anderem auch von Bedeutung, ob der rückkehrende Ausländer eine Unterkunft finden kann.
Rz. 17
bb) Die weiter aufgeworfene Rechtsfrage, ob das Bundesamt oder die Ausländerbehörden für die Einholung einer der Gefahrrealisierung entgegenstehenden Zusage über die Sicherstellung einer Unterkunftsmöglichkeit durch die Behörden des Mitgliedstaats (hier: Bulgarien) zuständig ist, rechtfertigt schon deshalb nicht die Zulassung der Revision, weil diese Frage nicht entscheidungserheblich ist. Denn im vorliegenden Verfahren geht es nicht um die Einholung einer derartigen Zusicherung, sondern allgemein um die Verfügbarkeit einer Unterkunftsmöglichkeit. Hierbei handelt es sich um eine zielstaatsbezogene Tatsache, die das Bundesamt zu klären hat. In diesem Zusammenhang kann es gegebenenfalls auch zu der Feststellung gelangen, dass es zur Beseitigung eines ansonsten bestehenden Abschiebungsverbots einer Zusicherung bedarf. Etwas anderes gilt nur für Umstände, die Gefahren betreffen, die sich im Einzelfall im Zusammenhang mit der Durchführung einer Abschiebung ergeben. Hierzu zählt jedoch die Frage nicht, ob Flüchtlinge in Bulgarien Obdach finden können.
Rz. 18
2. Die geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) einer Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) und eines Verstoßes gegen das Gebot rechtsfehlerfreier Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) sind nicht dargelegt bzw. liegen nicht vor.
Rz. 19
a) Die geltend gemachte Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) genügt schon nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Rz. 20
Die Rüge einer solchen Verletzung erfordert eine substantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, durch einen Beweisantrag hingewirkt worden ist und die Ablehnung der Beweiserhebung im Prozessrecht keine Stütze findet, oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Februar 2013 - 8 B 58.12 - ZOV 2013, 40 und vom 12. Juli 2018 - 7 B 15.17 - juris Rn. 23). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde ersichtlich nicht. Sie hat schon die für erforderlich gehaltenen weiteren Aufklärungsmaßnahmen nicht hinreichend konkretisiert und auch nicht vorgetragen, welche tatsächlichen Feststellungen bei deren Vornahme voraussichtlich getroffen worden wären. Zudem ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht, dass die Beklagte durch einen Beweisantrag oder eine hinreichend bestimmte Beweisanregung im Berufungsverfahren auf eine Beweiserhebung hingewirkt hätte oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Berufungsgericht eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen.
Rz. 21
Bei der Frage, ob eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht vorliegt, ist im Übrigen auch zu berücksichtigen, dass es sich beim beklagten Bundesamt um eine spezialisierte Behörde handelt, zu deren Aufgabe die Ermittlung der allgemeinen Lage in den Herkunftsstaaten der Antragsteller sowie gegebenenfalls in den Staaten gehört, durch die sie gereist sind (Art. 10 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ≪ABl. L 180 S. 60≫). Die Behörde muss kraft Unionsrechts angemessen ausgestattet sein und über kompetentes Personal in ausreichender Zahl verfügen. Ferner hat die Beklagte die prozessuale Obliegenheit, an der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken, was die gerichtliche Aufklärungspflicht begrenzt. Das Gericht kann daher im Regelfall davon ausgehen, dass das Bundesamt ergänzende Erkenntnisquellen, die ihm vorliegen oder für die Behörde erreichbar sind, auch in das Verfahren einführt, zumal dann, wenn eine bestimmte, erkennbar entscheidungserhebliche Tatsachenfrage - wie hier - gerichtlich umstritten ist, und dass sich weitere, von dem Bundesamt selbst nicht wahrgenommene oder für erforderlich gehaltene Aufklärungsmaßnahmen auch für das Gericht nicht aufdrängen.
Rz. 22
b) Auch die Rüge eines Verstoßes gegen das Gebot rechtsfehlerfreier Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) greift nicht durch.
Rz. 23
Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen. Es darf nicht einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse aus seiner Würdigung ausblenden. Im Übrigen darf es zur Überzeugungsbildung die ihm vorliegenden Tatsachen und Beweise frei würdigen. Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist nicht schon dann infrage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Gericht. Diese Grenzen sind erst dann überschritten, wenn das Gericht nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen (vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 7. Februar 2017 - 6 B 30.16 - juris Rn. 10 und vom 20. Februar 2018 - 1 B 3.18 - juris Rn. 12). Nach diesen Maßgaben ergeben sich verfahrensrechtliche Mängel der Überzeugungsbildung aus der Beschwerdebegründung nicht.
Rz. 24
Die Beschwerde sieht einen Verstoß gegen die sich aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergebenden Vorgaben darin, dass das Berufungsgericht die staatliche Gleichgültigkeit Bulgariens gegenüber schutzsuchenden Ausländern gerade mit Blick auf die fehlende Akzeptanz der im Juli 2017 in Bulgarien erlassenen Integrationsverordnung hergeleitet habe (faktische Nichtumsetzung), ohne dies tragfähig zu begründen. Aus den in den Urteilsgründen angeführten Erkenntnisquellen ergäben sich keine für den maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der Berufungsverhandlung inhaltlich relevanten Aussagen zur Akzeptanz und tatsächlichen Umsetzung dieser neuen Integrationsverordnung. Teilweise stammten die Erkenntnisquellen aus einem Zeitraum vor dem Erlass der Verordnung am 19. Juli 2017, die daneben noch angeführten Mitteilungen aus dem Internet hätten allenfalls Geltung für einen ersten Umsetzungszeitraum bis zum 21. November 2017 und würden keine Informationen darüber enthalten, ob bzw. in welchem Umfang sich seitdem bis zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung mögliche Verbesserungen ergeben hätten. Es sei nicht auszuschließen, dass inzwischen sehr wohl Bemühungen des bulgarischen Staates zur effektiveren Umsetzung der Integrationsverordnung feststellbar sein könnten.
Rz. 25
Der Senat hat im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge nicht über die dem materiellen Recht zuzuordnende Frage zu entscheiden, ob die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage beruht, wofür einiges sprechen könnte (keine genauen Aussagen zum Inhalt der Integrationsverordnung Bulgariens vom Juli 2017, nur zwei mit google translate übersetzte Erkenntnisquellen zu deren Anwendung). Maßgeblich für das Einhalten der verfahrensrechtlichen Grenzen der Überzeugungsbildung ist vielmehr, dass das Gericht auch nach dem Vorbringen der Beschwerde keinen entscheidungserheblichen Akteninhalt unberücksichtigt gelassen oder aktenwidrige Tatsachen zugrunde gelegt hat und die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen auch nicht gegen die Denkgesetze verstoßen. Insoweit ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht sich auch auf Erkenntnisquellen stützt, die vor dem Erlass der neuen Integrationsverordnung vom Juli 2017 datieren. Denn es verstößt nicht gegen die Denkgesetze, wenn für die tatrichterliche Schlussfolgerung, die Bemühungen der Republik Bulgarien zur Verbesserung der Unterbringung von anerkannten Schutzberechtigten seien unzureichend, neben den ersten Erfahrungen seit der Umsetzung der neuen Integrationsverordnung auch Erfahrungen im Umgang mit der früheren Integrationsverordnung einbezogen werden. Soweit die Beschwerde einwendet, das Berufungsgericht habe keine Informationen für den Zeitraum vom 21. November 2017 bis zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung (hier am 31. Januar 2018) einbezogen, genügt die Beschwerde nicht den Darlegungsanforderungen. Sie hätte konkret aufzeigen müssen, aufgrund welcher Bemühungen des bulgarischen Staates zur effektiveren Umsetzung der Integrationsverordnung eine Verbesserung festzustellen ist, die für das Ergebnis der tatrichterlichen Würdigung von Bedeutung sein könnte. Die bloße Vermutung, es sei nicht auszuschließen, dass inzwischen Bemühungen des bulgarischen Staates feststellbar sein könnten, genügt dafür nicht.
Rz. 26
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.
Fundstellen
Dokument-Index HI12034079 |