Verfahrensgang
VG Leipzig (Aktenzeichen 7 K 1493/97) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 4. April 2000 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 280 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg; ihr Vorbringen ergibt nicht, dass die geltend gemachten Zulassungsgründe vorliegen.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.
a) Die Beschwerde möchte geklärt wissen, ob die gesetzliche Vermutung der Verfolgungsbedingtheit des rechtsgeschäftlichen Vermögensverlusts eines kollektiv Verfolgten auch dann ausschließlich durch den Nachweis eines angemessenen Kaufpreises und der freien Verfügung über diesen widerlegt werden kann, wenn das Rechtsgeschäft vor dem 15. September 1935 geschlossen wurde (§ 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2 der Anordnung BK (O) 49/180 der Alliierten Kommandantur Berlin – REAO). Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass die gesetzliche Vermutung unter den genannten Voraussetzungen nur dann widerlegt sei, wenn feststehe, dass der Veräußerer einen angemessenen Kaufpreis erhalten habe und über ihn frei habe verfügen können. Diese Rechtsauffasung stimmt mit einem in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 1998 – BVerwG 8 C 14.98 – BVerwGE 108, 157 (161, 163, 165 f.); ebenso Urteil vom 24. August 2000 – BVerwG 7 C 85.99 – aufgestellten Rechtssatz überein. Danach kann die gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und b REAO nur durch den Beweis widerlegt werden, dass der Veräußerer einen angemessenen Kaufpreis erhalten hat und dass er über ihn frei verfügen konnte (Art. 3 Abs. 2 REAO).
Selbst wenn mit der Beschwerde angenommen wird, dass die gesetzliche Vermutung bei Verkäufen vor dem 15. September 1935 auch durch andere als die in Art. 3 Abs. 2 REAO genannten Beweise widerlegbar sei (vgl. Wasmuth, in: RVI, § 1 VermG Rn. 211; Neuhaus, in: Fieberg/Reichenbach, VermG, § 1 Rn. 147; Godin, Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände, 2. Auflage 1950, Art. 3 USREG Anm. 9; a.A. Schwarz, Rückerstattung nach den Gesetzen der Alliierten Mächte, 1974, S. 166 m.w.N.), ist die Revision entsprechend § 144 Abs. 4 VwGO nicht zuzulassen, weil sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts dann aus anderen Gründen als richtig darstellt. Der jüdische Rechtsvorgänger der Beigeladenen, Dr. med. Kurt T., hat nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts bei der Veräußerung des Grundstücks durch notariellen Vertrag vom 19. Oktober 1934 keinen angemessenen Kaufpreis erhalten. Die damit begründete gesetzliche Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensmögensverlusts müsste darum – hält man mit der Beschwerde andere als die in Art. 3 Abs. 2 REAO genannten Gegenbeweise für zulässig – auf andere Weise widerlegt werden. Die von der Beschwerde vorgetragenen und von der Klägerin bereits im Klageverfahren geltend gemachten Tatsachen sind offensichtlich nicht geeignet zu widerlegen, dass die Veräußerung des Grundstücks zu einem nicht angemessenen Kaufpreis mit Gründen zusammen hing, die sich aus der Kollektivverfolgung der Juden ergaben. Nach diesem Vorbringen hat der bis Ende März 1934 beim Verband der Ärzte Deutschlands (Hartmannbund) in Leipzig als Geschäftsführer angestellte Dr. med. T. sein Wohngrundstück in M. an seinen früheren Arbeitgeber veräußert, weil er ab 1. April 1934 als Geschäftsführer der Kassenärztlichen Vereinigung mit Sitz in Berlin angestellt worden sei. Allein der Beweggrund des Arbeitsplatzwechsels erlaubt jedoch nicht den Schluss, dass der Vermögensverlust nicht verfolgungsbedingt gewesen sei; denn auch mit Blick auf den Arbeitsplatzwechsel ist nicht ersichtlich, weshalb sich der Eigentümer dazu entschlossen haben sollte, das Grundstück zu einem nicht angemessenen Kaufpreis an seinen früheren Arbeitgeber zu veräußern, ohne dass hierfür verfolgungsbedingte Gründe maßgebend waren. Unerheblich ist, ob dem Erwerber diese Gründe bekannt waren oder hätten bekannt sein können.
b) Nach Ansicht der Beschwerde „ist es im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG zweifelhaft, dass die Beigeladene im Vergleich zu den anderen in § 2 (VermG) genannten juristischen Personen und Personenhandelsgesellschaften hinsichtlich der Anforderungen an eine fristwahrende Anmeldung privilegiert sein soll”. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung verbindet sich mit diesem Vorbringen schon deswegen nicht, weil die Beschwerde nicht erkennen lässt, worin die Sachwidrigkeit der Ungleichbehandlung gegenüber den anderen in § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG genannten juristischen Personen und Personenhandelsgesellschaften bestehen könnte. Es liegt auf der Hand, dass sich die Beigeladene als Rechtsnachfolgerin einer Vielzahl unbekannter jüdischer Berechtigter in Bezug auf die fristwahrende Anmeldung in einer anderen Situation befindet, als juristische Personen und Personenhandelsgesellschaften, die in aller Regel ihre Rechtsvorgänger und deren von Maßnahmen nach § 1 VermG betroffenen Vermögenswerte kennen oder jedenfalls mit überschaubarem Aufwand relativ kurzfristig ermitteln können.
2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Das Verwaltungsgericht weicht mit seiner dem angegriffenen Urteil zugrunde liegenden Rechtsauffassung, dass die gesetzliche Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlusts (Art. 3 Abs. 1 REAO) nur durch den Nachweis eines angemessenen Kaufpreises und die freie Verfügung des Verkäufers über ihn widerlegt werden könne, nicht von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Februar 1999 – BVerwG 8 C 15.98 – BVerwGE 108, 301 ab. Darin hat das Bundesverwaltungsgericht den Rechtssatz aufgestellt, dass die gesetzliche Vermutung des Art. 3 Abs. 1 REAO für Rechtsgeschäfte in der Zeit vom 15. September 1935 bis zum 8. Mai 1945 nur durch die in Art. 3 Abs. 2 und 3 REAO vorgesehenen Beweise widerlegt werden kann. Einen Rechtssatz des Inhalts, dass die gesetzliche Vermutung bei Veräußerungen vor dem 15. September 1935 auch durch andere als die in Art. 3 Abs. 2 REAO genannten Beweise widerlegt werden könne, enthält die Divergenzentscheidung nicht.
3. Die Revision ist auch nicht wegen der behaupteten Verstöße gegen die gerichtliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) und die Hinweispflicht des Vorsitzenden (§ 86 Abs. 3 VwGO) zuzulassen. Die Beschwerde bemängelt, dass das Verwaltungsgericht nicht von Amts wegen ermittelt habe, auf welchen Unterlagen und Berechnungsmethoden die Angaben beruhten, die das Finanzamt Leipzig in seiner Einheitswert-Bescheinigung vom 23. März 2000 mitgeteilt hat. Da die Klägerin, die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht durch einen zum Richteramt befähigten Bediensteten vertreten war, einen entsprechenden Beweisantrag nicht gestellt hat, könnte der behauptete Aufklärungsmangel nur dann angenommen werden, wenn sich dem Verwaltungsgericht nach seiner materiellrechtlichen Ansicht Ermittlungen in dieser Richtung aufdrängen mussten. Davon kann jedoch schon deswegen nicht ausgegangen werden, weil die Klägerin die Richtigkeit der Bescheinigung, wonach der Einheitswert des Mietwohngrundstücks zum 1. Januar 1935 auf 39 500 RM festgestellt worden ist, nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht in Zweifel gezogen hat. Da das Verwaltungsgericht die Bescheinigung als ausreichenden Nachweis des von ihm als maßgeblich erachteten Einheitswerts bewertet und die Darlegung der Berechnungsgrundlagen nicht für erforderlich gehalten hat, bedurfte es in diesem Zusammenhang auch keines richterlichen Hinweises an die Klägerin.
Die Kostentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Franßen, Gödel, Herbert
Fundstellen