Entscheidungsstichwort (Thema)
Feuerbestattungsanlage. Krematorium. Gewerbegebiet. Gewerbebetrieb. öffentlicher Betrieb. Anlage für kulturelle Zwecke
Leitsatz (amtlich)
Ein Krematorium für menschliche Leichen ist jedenfalls dann, wenn es über einen Raum für eine Einäscherungszeremonie verfügt, nicht in einem Gewerbegebiet allgemein zulässig. Ob es als Anlage für kulturelle Zwecke ausnahmsweise zulässig ist, bleibt offen.
Normenkette
BauNVO § 8 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 30.06.2005; Aktenzeichen 15 BV 04.576) |
VG Regensburg (Entscheidung vom 20.01.2004; Aktenzeichen 6 K 03.1407) |
Tenor
Die Beschwerde des Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. Juni 2005 wird zurückgewiesen.
Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Tatbestand
I.
Das Landratsamt Passau erteilte dem Beigeladenen eine Baugenehmigung zur Errichtung einer Feuerbestattungsanlage in einem durch Bebauungsplan ausgewiesenen Gewerbegebiet. Nach seiner Ansicht sind in privater Trägerschaft betriebene Krematorien als Gewerbebetriebe aller Art nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO in Gewerbegebieten allgemein zulässig. Auf die Klage der Standortgemeinde hat das Verwaltungsgericht die Baugenehmigung aufgehoben. Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Auffassung vertreten, Krematorien seien als Anlage für kulturelle Zwecke nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO in Gewerbegebieten nur ausnahmsweise zulässig. Eine Ausnahme (§ 31 Abs. 1 BauGB) habe das Landratsamt nicht bewilligt. Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Beigeladene mit seiner Beschwerde.
Entscheidungsgründe
II.
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Sie ist entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichtshofs in seinem Nichtabhilfebeschluss allerdings zulässig. Dem Beigeladenen ist der Zugang zum Revisionsverfahren nicht deshalb versperrt, weil er gegen das erstinstanzliche Urteil keine Berufung eingelegt hat. Es trifft nicht zu, dass dieses Urteil ihm gegenüber rechtskräftig geworden ist. Vielmehr ist durch die Einlegung der Berufung durch den Beklagten auch sein Prozessrechtsverhältnis in die Berufungsinstanz gelangt (vgl. Jörg Schmidt in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl., § 66, Rn. 2) und nimmt er weiterhin als Dritter an dem Prozess zwischen den Hauptbeteiligten teil. Er ist deshalb nach § 66 VwGO befugt, das ihn beschwerende Berufungsurteil mit dem Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde anzugreifen.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Beigeladene beimisst.
Der Ausgang des Rechtsstreits hängt von der als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichneten Frage, ob Feuerbestattungsanlagen Anlagen für kulturelle Zwecke im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO sind, nicht ab. Selbst wenn die Frage zu verneinen wäre, stünde damit nicht fest, dass das Bauvorhaben als Gewerbebetrieb aller Art nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauGB genehmigungsfähig ist. Denkbar ist auch, dass Krematorien in Gewerbegebieten (oder anderen Baugebieten nach den §§ 2 bis 7 und 9 BauNVO) überhaupt nicht zulässig sind, sondern in Sondergebiete (§ 11 BauNVO), auf Flächen für den Gemeinbedarf (§ 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB) oder auf Friedhofsflächen (§ 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB) gehören.
Das angefochtene Urteil wäre nur dann unrichtig und bedürfte der Korrektur, wenn Krematorien in Gewerbegebieten allgemein zulässig wären. Hierzu hat sich das Bundesverwaltungsgericht bislang nicht geäußert. Dies nötigt jedoch nicht zur Zulassung der Revision. Von der Durchführung eines Revisionsverfahrens kann nach der Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts abgesehen werden, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beantworten lässt. So liegt es hier.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass ein Krematorium, das von einem Privaten in der Absicht der Gewinnerzielung betrieben wird, ein Gewerbebetrieb ist. Daraus folgt jedoch nicht, dass es in einem Gewerbegebiet nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO allgemein zulässig ist. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass sich nicht nur nach dem Wortlaut des § 8 BauNVO, sondern auch nach der Zweckbestimmung des Gewerbegebiets richtet, welche Gewerbebetriebe in ihm bei typisierender Betrachtung zulässig sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 1992 – BVerwG 4 C 43.89 – BVerwGE 90, 140 ≪145≫). Als Merkmal für die Typisierung ist dabei nicht nur die unterschiedliche Immissionsträchtigkeit oder Immissionsverträglichkeit einzelner Nutzungen maßgebend. Der Zweck der Baugebiete und die Zulässigkeit von Nutzungen in ihnen werden vielmehr auch von anderen Maßstäben der städtebaulichen Ordnung bestimmt. Dem Leitbild, “eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung und eine dem Wohl der Allgemeinheit entsprechende … Bodennutzung (zu) gewährleisten” (vgl. § 1 Abs. 5 Satz 1 BauGB) könnte eine Planung nicht gerecht werden, die den Zweck der Baugebiete und die in ihnen zulässigen Nutzungen ausschließlich nach dem Störgrad oder der Störanfälligkeit von Nutzungen im Hinblick auf Immissionen bestimmen könnte (BVerwG, Urteil vom 25. November 1983 – BVerwG 4 C 64.79 – BVerwGE 68, 207 ≪211≫).
Gewerbegebiete zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen gearbeitet wird. Nach dem Leitbild der BauNVO sind sie den produzierenden und artverwandten Nutzungen vorbehalten (vgl. Schlichter/Friedrich, WiVerw 1988, 199 ≪226≫). Ob eine Feuerbestattungsanlage diesem Leitbild widerspricht, wenn in ihr nur der technische Vorgang der Verbrennung stattfindet, kann offen bleiben; denn sie ist zumindest dann nicht gewerbegebietstypisch, wenn sie wie hier und wohl allgemein üblich über eine Pietätshalle verfügt, in der die Hinterbliebenen von dem Verstorbenen Abschied nehmen können.
Der traditionelle Standort eines Krematoriums ist – von möglichen Ausnahmen abgesehen – das Friedhofsgelände (Gröschner, Menschenwürde und Sepulkralkultur in der grundgesetzlichen Ordnung, S. 55). Friedhöfe sind üblicherweise Orte der Ruhe, des Friedens und des Gedenkens an die Verstorbenen. Sie bieten das kontemplative Umfeld, in das eine pietätvolle Totenbestattung nach herkömmlicher Anschauung und Erwartungshaltung einzubetten ist. Im Gegensatz zu Friedhöfen sind Gewerbegebiete nicht durch Stille und Beschaulichkeit, sondern durch werktägliche Geschäftigkeit geprägt. Deshalb sind Krematorien jedenfalls dann, wenn sie mit Räumlichkeiten für Trauerfeierlichkeiten ausgestattet sind, für Gewerbegebiete nicht charakteristisch.
Vor der gesetzlichen Zulassung von Feuerbestattungsanlagen in privater Trägerschaft ist, soweit ersichtlich, nicht bezweifelt worden, dass Krematorien der allgemeinen Zweckbestimmung des Gewerbegebiets fremd sind; denn es findet sich niemand, der die Auffassung vertritt, diese Anlagen seien als öffentliche Betriebe nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO im Gewerbegebiet allgemein zulässig. Als Beispiele für öffentliche Betriebe werden Elektrizitäts-, Gas-, Wasser-, Fernheizwerke, Umspannwerke, Depots für die Fahrzeugparks von Polizei, Müllabfuhr, Tiefbauverwaltung oder Verkehrsbetrieben (Busse, Straßenbahnen), Schlachthöfe in öffentlicher Trägerschaft sowie Klär- und Abfallbeseitigungsanlagen genannt (vgl. Bielenberg in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 8 BauNVO, Rn. 19; Stock in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 2. Aufl., § 8, Rn. 29; Fickert/Fieseler, BauNVO, 10. Aufl., § 8, Rn. 10.1; Boeddinghaus, BauNVO, 4. Aufl., § 8, Rn. 8). Von diesen Betrieben, in denen dem alltäglichen Geschäft der Daseinsvorsorge nachgegangen wird, unterscheidet sich ein Krematorium mit einem Pietätsraum, der es Trauergästen ermöglichen soll, in einem würdevollen, dem Anlass angemessenen äußeren Rahmen von dem Verstorbenen Abschied zu nehmen. An diesem Unterschied hat sich durch die Zulassung der Privatisierung von Krematorien nichts geändert. Es ist freilich nicht auszuschließen, dass sich die Anschauungen über den Umgang mit den Verstorbenen in Zukunft wandeln. Dies mag dann dazu führen, dass Feuerbestattungsanlagen den im Gewerbegebiet typischerweise vertretenen Betrieben gleichzustellen sind.
§ 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO bestätigt, dass Krematorien mit einem Raum für die Bestattungszeremonie nicht mit der typischen Funktion eines Gewerbegebiets im Einklang stehen. Nach der genannten Vorschrift sind in Gewerbegebieten Anlagen für kirchliche Zwecke nur ausnahmsweise zulässig. Zu diesen Anlagen zählen u.a. Kapellen und Betsäle (Stock in: König u.a., a.a.O., § 4, Rn. 47). Mit ihnen sind Pietätsräume vergleichbar. Auch wenn sie nicht aus religiösen Motiven in Anspruch genommen werden, so sind sie doch ein Ort für Ruhe, Besinnung und innere Einkehr.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertentscheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Gatz, Dr. Philipp
Fundstellen
Haufe-Index 1471814 |
BauR 2006, 659 |
NuR 2006, 599 |
VR 2006, 215 |
BayVBl. 2006, 285 |
GV/RP 2006, 531 |
Städtetag 2006, 42 |
UPR 2006, 232 |
FSt 2006, 257 |
FuBW 2006, 461 |
FuHe 2006, 556 |