Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 27.06.2003; Aktenzeichen 2 A 4150/01) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. Juni 2003 wird zurückgewiesen.
Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen, wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg. Die vorgetragenen Gründe rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.
1. Soweit die der Rechtssache von der Beschwerde als Zulassungsgrund beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) als im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ordnungsgemäß dargelegt betrachtet werden kann, liegt sie jedenfalls nicht vor.
Der – unter Bezugnahme auf andere bei dem Bundesverwaltungsgericht anhängige Verfahren zur Frage, ob der Direktor einer Sowchose, der Leiter einer Kolchose bzw. eines anderen landwirtschaftlichen Betriebes sowie Personen, die außerhalb des Parteiapparates in Leitungen von staatlichen Unternehmen gearbeitet haben, unter § 5 Nr. 2b BVFG fallen (entgegen der Beschwerdevorbringen wird offenbar Bezug genommen auf Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision) gemachte – Hinweis, auch der vorliegende Fall könne “dazu beitragen, grundsätzlich zu klären, ob auch Personen, die innerhalb der Verwaltung von Staatsbetrieben oder deren Leitung, soweit es sich nicht um Parteifunktionäre handelt, die Voraussetzungen des § 5 Nr. 2b BVFG erfüllen können und unter welchen Umständen dieses der Fall ist”, führt nicht auf eine Fragestellung, die einer revisionsgerichtlichen Klärung zugänglich wäre. Vielmehr erwartet die Beschwerde von einem Revisionsverfahren insoweit die Herausarbeitung einer Kasuistik von Sachverhalten, deren Subsumtion unter die Voraussetzungen des § 5 Nr. 2b BVFG eine Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles voraussetzt und die deshalb nicht Aufgabe des Revisionsgerichts ist. Entsprechendes gilt für die Frage, “unter welchen Umständen auch solche Personen, die dem Parteiapparat als hauptamtliche Mitarbeiter nicht angehören, jedoch leitende Funktionen in Wirtschaft oder anderen staatlichen Dispositionen haben, dennoch unter § 5 BVFG fallen können”.
Was das Grundsätzliche angeht, ist in der auch von der Beschwerde angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass solche Funktionen unter den Ausschlusstatbestand fallen können; denn der Senat hat insbesondere in seinem Urteil vom 29. März 2001 – BVerwG 5 C 15.00 – (Buchholz 412.3 § 5 BVFG Nr. 3 = DVBl 2001, 1526) klargestellt, dass Funktionen mit Entscheidungs- und Leitungskompetenz, “insbesondere soweit sie gelenkt von der KPdSU ausgeübt wurden, für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems als bedeutsam in Betracht kommen können”. Soweit in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (ebd.) weiter ausgeführt ist, es genüge nicht schon “jede Funktion auf einer mit Entscheidungs- und Leitungskompetenz ausgestatteten Ebene einer staatlichen Einrichtung, die aufgrund der Organisationsstruktur des kommunistischen Herrschaftssystems dessen Aufrechterhaltung diente”, und es könnten ungeachtet des Umstandes, dass die Partei auf die staatlichen, wirtschaftlichen und anderen Einrichtungen Einfluss habe nehmen können und genommen habe, “grundsätzlich alle diejenigen Funktionen, die auch in anderen, nichtkommunistischen Staats- und Gesellschaftsordnungen erforderlich sind und ausgeübt werden, nicht als für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich bedeutsam geltend angesehen werden”, lässt dies Raum für die vom Berufungsgericht vorgenommene Prüfung in Bezug auf herausgehobene Leitungspositionen in Wirtschaft und Landwirtschaft auch dann, wenn die Betroffenen nicht Mitglied der KPdSU oder hauptamtliche Parteifunktionäre gewesen sind (s.a. Beschluss des Senats vom 28. Oktober 2002 – BVerwG 5 B 226.02 – zur Tätigkeit als Berufsoffizier der Streitkräfte im Rang eines Oberstleutnants).
Indem die Beschwerde geltend macht, zwar seien Fälle denkbar, “in denen ein Sowchosdirektor, der eng mit dem Parteiapparat verflochten in der Leitungsstruktur der Wirtschaftsverwaltung im Einzelfall unter § 5 Abs. 2b BVFG fallen könnte”, in der Regel habe es sich indes um rein administrative Tätigkeit und Wirtschaftsfunktionen in einem Staatsgut gehandelt, wie sie auch in demokratisch organisierten Staaten vorkämen, behauptet sie allenfalls eine unrichtige Anwendung der vom Bundesverwaltungsgericht zu § 5 Nr. 2b BVFG herausgearbeiteten Grundsätze im Einzelfall. Ein revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf ist auch damit nicht aufgezeigt. Zudem geht dieses Vorbringen von einem Sachverhalt aus, der so von dem Berufungsgericht gerade nicht festgestellt wurde. Das Oberverwaltungsgericht hat vielmehr darauf abgestellt, dass die “mit einer umfassenden Kompetenz und Machtfülle ausgestattete Stellung des Sowchosdirektors, die Verflechtung seiner Tätigkeit mit der Tätigkeit der Partei im Betrieb und seine enge Verbindung zur Parteiverwaltung (…) die vom Kläger innegehabte Funktion als Sowchosdirektor (…) zu einer für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems bedeutsamen Funktion im Sinne des § 5 Nr. 2b BVFG” mache (S. 8 des angefochtenen Beschlusses).
2. Die Zulassung der Revision wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) scheidet aus.
Die von der Beschwerde behauptete Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem von der Beschwerde herangezogenen Urteil vom 29. März 2001 – BVerwG 5 C 15.00 – (a.a.O.), das das Berufungsgericht wegen der Beurteilungsmaßstäbe für die Anwendung und Auslegung des § 5 Nr. 2b BVFG zugrunde gelegt hat, – wie bereits unter 1. ausgeführt – gerade nicht dahin erkannt, dass – so das Beschwerdevorbringen – “nur hauptamtliche Parteifunktionäre bzw. diejenigen, die diesen hauptamtlichen Parteifunktionären gleichzustellen sind, unter § 5 Nr. 2b BVFG fallen”. Im Übrigen bezeichnet die Beschwerde insoweit keine Aussage aus dem Berufungsurteil, die den vom erkennenden Senat in seinem Urteil vom 29. März 2001 (a.a.O.) aufgestellten Rechtssätzen widerspräche, sondern behauptet nur eine unrichtige Subsumtion des vom Oberverwaltungsgericht beurteilten Sachverhalts unter diese Rechtssätze.
Weitere Abweichungen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts legt die Beschwerde nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar. Soweit sie unter Hinweis auf Art. 3 Abs. 1 GG ausführt, das Berufungsgericht habe in den Fällen, in denen es sich um Leiter eines staatlichen Industrieunternehmens handele, keine Position im Sinne des § 5 Nr. 2b BVFG angenommen, wohl aber für den Leiter einer “Sowchose”, obwohl “zwischen einem landwirtschaftlichen Betrieb, der wesentlich weniger Bedeutung hatte und einem Industriebetrieb, der unter Umständen hervorragende Bedeutung haben könnte, (…) insoweit, als auch in diesem Betrieb unabhängig von der Partei Managementfunktionen ausgeübt werden mussten, kein Unterschied (besteht)”, bezeichnet dies schon keinen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichenden, von dem Berufungsgericht aufgestellten abstrakten Rechtssatz. Dieses Vorbringen betrifft, ohne rechtsgrundsätzliche, revisionsgerichtlicher Klärung fähige und bedürftige Fragen aufzuwerfen (s.o. 1.), die einzelfallbezogene Anwendung der für die Anwendung und Auslegung des § 5 Nr. 2b BVFG aufgestellten Beurteilungsmaßstäbe, und vernachlässigt im Übrigen die von dem Berufungsgericht für die im Ergebnis unterschiedliche Bewertung getroffenen tatsächlichen Feststellungen.
Materielle Rechtsanwendungsfehler, wie sie der Kläger sinngemäß mit dem Hinweis auf Art. 3 Abs. 1 GG gerügt haben mag, rechtfertigten die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 VwGO überdies selbst dann nicht, wenn sie vorlägen.
3. Die Revision kann auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden.
a) Der Kläger macht unter den Gesichtspunkten des Gebotes effektiver Rechtsschutzgewähr, des fairen Verfahrens, des Anspruchs auf Gewährung von rechtlichem Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 138 Nr. 3 VwGO) und des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) im Wesentlichen geltend, das Berufungsgericht habe ungeachtet dessen, dass er nicht auf mündliche Verhandlung verzichtet habe, ohne mündliche Verhandlung entschieden und – vor allem – erstmalig Erkenntnisse aus anderen Verfahren eingeführt, die ihm nie zur Kenntnis gegeben worden seien, so dass ihm die Möglichkeit genommen worden sei, das auf einen anderen Fall bezogene Gutachten in einer mündlichen Verhandlung zu erörtern, den Gutachter zu dem Gutachten zu befragen und weitere Beweiserhebung zu beantragen, insbesondere “ein weiteres Gutachten in Auftrag zu geben, das hätte feststellen können, er sei gerade weil seine Position eine besondere gewesen sei, nicht in das System der Nomenklatura aufgenommen worden”, und den Nachweis zu führen, dass er – der Kläger – “in seinem individuellen Fall, trotz der Verwaltungsposition in dem Staatsbetrieb, nicht mit dem Herrschaftssystem, sondern gegen dieses gearbeitet habe”.
b) Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers zu bewirken.
aa) Das Berufungsgericht hat allerdings nicht aufgrund mündlicher Verhandlung, auf die der Kläger nicht nach § 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO verzichtet hatte, sondern durch Beschluss nach § 130 a Satz 1 VwGO entschieden. Hierzu war das Berufungsgericht auch befugt. Das Berufungsgericht hat den Kläger hierzu gehört (Verfügung vom 5. Mai 2003) und in der Anhörung darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung nach § 130a Satz 1 VwGO hier vor dem Hintergrund einer nach Datum und Aktenzeichen genau bezeichneten anderen Entscheidung des Berufungsgerichts zur Funktion eines Sowchosdirektors in Betracht komme. In seiner Stellungnahme (Schriftsatz vom 5. Juni 2003) hatte der Kläger allerdings darauf hingewiesen, dass aus seiner Sicht die Entscheidung von weiteren tatsächlichen Erwägungen abhänge, weil bezweifelt werden müsse, dass seine Situation in tatsächlicher Hinsicht die Gleiche sei wie in jenem Verfahren, in welchem die von dem Berufungsgericht in dem Anhörungsschreiben bezeichnete, ihm bekannte Entscheidung ergangen sei, und es ihm – dem Kläger – ermöglicht werden müsse, das Gegenteil nachzuweisen durch seine Anhörung und “die Anhörung weiterer Personen, die bestätigen können, dass er diese Funktion nur deshalb angenommen hat, um das deutsche Dorf davor zu bewahren, in den Sog der weitergehenden kommunistischen Verfolgung zu geraten”. Damit hat der Kläger, der in seiner Stellungnahme zur Anhörungsnachricht einen förmlichen Beweisantrag nicht gestellt und lediglich sein früheres Vorbringen wiederholt hat (dazu BVerwG, Beschluss vom 19. April 1999 – BVerwG 8 B 150.98 –, NVwZ-RR 1999, 537), keine wesentlichen neuen Tatsachen vorgetragen, welche das Gericht zu einer weiteren Anhörungsmitteilung hätten veranlassen müssen. Nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts ist zudem “für die Frage, ob die Funktion des Sowchosdirektors für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt, vertriebenenrechtlich nicht relevant”, dass “es sich im Falle des Klägers um eine Tätigkeit in einem fast ausschließlich von Deutschen bewohnten Dorf gehandelt haben soll”. Auch seien die vom Kläger in der Stellungnahme “geäußerten Zweifel, ob die Situation des Klägers derjenigen des Klägers im Verfahren 2 A 5622/00 in tatsächlicher Hinsicht vergleichbar ist, (…) nicht näher konkretisiert bzw. substantiiert”.
bb) Das Berufungsgericht hat dem Kläger das gebotene rechtliche Gehör auch nicht dadurch verwehrt, dass es für seine Bewertung, die von dem Kläger innegehabte Funktion eines Sowchosdirektors sei eine für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems bedeutsame Funktion im Sinne des § 5 Nr. 2b BVFG, ein in dem berufungsgerichtlichen Verfahren 2 A 5622/00 eingeholtes Sachverständigengutachten verwertet hat. Das in jenem Verfahren ergangene Urteil, in dem der wesentliche Inhalt dieses Sachverständigengutachtens wiedergegeben und dessen Bewertung durch das Berufungsgericht offengelegt ist, war den Beteiligten – auch dem Kläger – bekannt. Aufgrund des Hinweises in der Anhörungsverfügung vom 5. Mai 2003 musste der Kläger damit rechnen, dass das Berufungsgericht dieses Gutachten auch im vorliegenden Verfahren verwerten werde. Wegen des Hinweises auf sein Urteil vom 7. März 2003 – 2 A 5622/00 –, in dem dieses Sachverständigengutachten verwertet worden war, brauchte das Berufungsgericht dem Kläger, um dessen Anspruch auf rechtliches Gehör zu beachten, dieses Gutachten nicht vor der Entscheidung zu übermitteln oder zu der Stellung eines Sowchosdirektor auch im vorliegenden Verfahren ein (weiteres) Sachverständigengutachten einzuholen. Der Kläger hatte aufgrund des Hinweises in dem Anhörungsschreiben hinreichend Gelegenheit und Anlass, zu diesem Gutachten (einschließlich seiner Bewertung durch das Berufungsgericht) Stellung zu nehmen, darzulegen, dass und aus welchen Gründen dieses Gutachten nicht verwertbar und ein weiteres Gutachten einzuholen sei oder sonst auf das Gutachten bezogene Beweisanträge zu stellen. Dies hat der Kläger nicht getan und es dadurch auch versäumt, sich im Rahmen der gegebenen prozessualen Möglichkeiten Gehör zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 1983 – BVerwG 9 B 10275.83 – Buchholz 340 § 3 VwZG Nr. 9 S. 4, und Beschluss vom 13. Januar 2000 – BVerwG 9 B 2.00 –, Buchholz 310 § 133 (n.F.) VwGO Nr. 53). Es kommt hinzu, dass nach § 5 Nr. 2b Alternative 1 BVFG die Rechtsstellung nach § 4 Abs. 1 oder 2 BVFG nicht erwirbt, wer in den Aussiedlungsgebieten eine Funktion ausgeübt hat, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems “gewöhnlich” als bedeutsam galt, mithin bei dieser Alternative die Frage, ob der Inhaber einer solchen Funktion auch in seiner konkreten “Amtsführung” aufrechterhaltend für das kommunistische Herrschaftssystem gewirkt hat oder er von einem anderen Rollen(selbst)verständnis ausgegangen ist, grundsätzlich nicht erheblich ist.
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
5. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist abzulehnen, weil es aus den oben genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO, §§ 114, 121 Abs. 2 ZPO).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 GKG.
Unterschriften
Dr. Säcker, Dr. Franke, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen