Verfahrensgang

Bayerischer VGH (Beschluss vom 31.08.2001; Aktenzeichen 9 B 99.30937)

 

Tenor

Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 31. August 2001 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

 

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat dem Senat ein Doppel der Beschwerdeschrift vom 24. September 2001 und einen auf ein entsprechendes Schreiben verweisenden Telefax-Sendebericht vom selben Tag an das Berufungsgericht vorgelegt. Auf Frage des Senats hat das Berufungsgericht mitgeteilt, dass dieses Beschwerdeschreiben nicht zu den Akten gelangt sei, am 24. September 2001 jedoch im Fax-Journal des Gerichts der Eingang eines einseitigen Schreibens aus dem Büro der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nachgewiesen sei. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass das von der Prozessbevollmächtigten nunmehr vorgelegte Beschwerdeschreiben vom 24. September 2001 dem Berufungsgericht übermittelt worden, dort jedoch in Verstoß geraten sei. Damit ist der fristgerechte Zugang der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem angefochtenen Beschluss des Berufungsgerichts nachgewiesen.

Die Beschwerde ist auch mit einer Verfahrensrüge begründet (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Beschwerde beanstandet zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit der Klägerin abweichend vom Verwaltungsgericht gewürdigt hat, ohne sich persönlich einen Eindruck von ihrer Glaubwürdigkeit verschafft zu haben. Damit hat es gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO) und, wie die Beschwerde der Sache nach zu Recht beanstandet, gegen die richterliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen. Wegen dieses Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruht, weist der Senat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO im Interesse der Verfahrensbeschleunigung unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht zurück.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt es grundsätzlich im Ermessen des Berufungsgerichts, ob es einen im ersten Rechtszug gehörten Zeugen oder Beteiligten erneut vernimmt. Es kann dessen schriftlich festgehaltene Aussage auch ohne nochmalige Vernehmung zu dem unverändert gebliebenen Beweisthema selbständig würdigen. Von der erneuten Anhörung des Zeugen oder Beteiligten darf das Berufungsgericht jedoch dann nicht absehen, wenn es die Glaubwürdigkeit des in erster Instanz Vernommenen abweichend vom Erstrichter beurteilen will und es für die Beurteilung auf den persönlichen Eindruck von dem Zeugen oder Beteiligten ankommt (vgl. Beschluss vom 20. November 2001 – BVerwG 1 B 297.01 – ≪zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen≫; Beschluss vom 28. April 2000 – BVerwG 9 B 137.00 – AuAS 2000, 148; Beschluss vom 27. Januar 2000 – BVerwG 9 B 613.99 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 228; Urteil vom 29. Juni 1999 – BVerwG 9 C 36.98 – BVerwGE 109, 174 ≪179≫). Tut es dies dennoch, weil es nach § 130 a VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, verstößt das Berufungsgericht regelmäßig gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO) und auch gegen die richterliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO).

So liegt der Fall hier. Das Verwaltungsgericht hatte nach Anhörung der Klägerin in mündlicher Verhandlung und vor dem Hintergrund der ihm vorliegenden Unterlagen zu Äthiopien ihrem Vorbringen geglaubt, dass sie vor ihrer Ausreise wegen ihres Engagements für die AAPO inhaftiert worden sei und dort im Gefängnis asylrelevante Erniedrigungen habe erleiden müssen (UA S. 7). Aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ergibt sich zwar nicht, dass die Klägerin ausdrücklich zu dem von ihr behaupteten Vorfluchtgeschehen angehört worden ist. Gleichwohl hätte das Berufungsgericht nach den dargelegten Verfahrensrechtsgrundsätzen nicht ohne persönliche Anhörung der Klägerin zu einer insoweit von der Würdigung des Verwaltungsgerichts abweichenden Überzeugung gelangen dürfen. Das Berufungsgericht benennt in dem angefochtenen Beschluss auf der Grundlage der ihm über Äthiopien vorliegenden Erkenntnisse zwar verschiedene Gründe, die objektiv gegen die von der Klägerin behauptete frühere Mitgliedschaft in der AAPO sprechen. Selbst wenn sein daraus gezogener Schluss auf die Unglaubhaftigkeit des Vorbringens der Klägerin in diesem Punkt revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden sein sollte, hätte es daraus ohne persönliche Anhörung der Klägerin jedoch nicht in Abweichung von der Beurteilung des Verwaltungsgerichts folgern dürfen, dass die Klägerin auch im Übrigen die in der Heimat erlittene politische Verfolgung nur vorgegeben habe, um ihrem Asylgesuch zum Erfolg zu verhelfen (so aber BA S. 5). Insbesondere hätte es sich angeboten, bei einer Anhörung der Klägerin die vom Berufungsgericht in ihrem Vortrag vermissten substantiierenden Angaben zu Art und Inhalt der Schriftstücke, die bei ihrer angeblichen Verhaftung gefunden worden sein sollen und ihre Kenntnisse über die AAPO, die sie in der Haft verraten haben will, durch entsprechende Nachfragen weiter aufzuklären oder die Behauptungen zu widerlegen. Entsprechendes gilt im Hinblick auf den vom Berufungsgericht ebenfalls als fehlend beanstandeten „stichhaltigen Grund für ihr Untertauchen” (BA S. 5). Nach dem bisherigen Verfahrensverlauf durfte das Berufungsgericht der Klägerin – ungeachtet ihrer Pflicht, von sich aus die Gründe für eine ihr drohende politische Verfolgung vollständig und schlüssig vorzutragen (§ 15 AsylVfG; vgl. dazu auch Beschluss vom 19. Oktober 2001 – BVerwG 1 B 24.01InfAuslR 2002, 149) – eine mangelnde Substantiierung ihres Vortrags in diesen Punkten nicht ohne weiteres vorhalten, da das Verwaltungsgericht ihr insoweit geglaubt hatte und auch das Bundesamt seine ablehnende Entscheidung nicht mit einer fehlenden Substantiierung der Schilderung ihres Vorfluchtschicksals begründet hatte (zum Umfang der Darlegungspflicht des Ausländers auf der einen und der „Nachfragepflicht” des Tatsachengerichts auf der anderen Seite vgl. Beschluss vom 10. Mai 2002 – BVerwG 1 B 392.01 – ≪zur Veröffentlichung vorgesehen≫).

Da bereits der festgestellte Verfahrensrechtsverstoß zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht führt, bedarf es keiner Entscheidung mehr über die weiteren von der Beschwerde geltend gemachten Revisionszulassungsgründe.

 

Unterschriften

Eckertz-Höfer, Dr. Mallmann, Dr. Eichberger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI763781

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