Leitsatz (amtlich)
1. Die Anhörung der Vertrauensperson kann im einfachen Disziplinarverfahren vom Disziplinarvorgesetzten nicht auf den Rechtsberater delegiert werden.
2. Der Anhörung der Vertrauensperson zum Disziplinarmaß ist auch dann Rechnung getragen, wenn sich die verhängte Disziplinarmaßnahme in dem Verhängungsspektrum bewegt, das ihr mitgeteilt wurde.
3. Verfahrensfehler sind auch bei einfachen Disziplinarmaßnahmen im Beschwerdeverfahren nach Maßgabe der §§ 45 und 46 VwVfG heilbar und begründen keinen Aufhebungsanspruch (Änderung der Senatsrechtsprechung).
4. Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet bei Nötigungen, die nicht durch die Androhung von Gewalt gegen Leib und Leben erfolgen und sich nicht gegen die sexuelle Selbstbestimmung richten, die Kürzung der Dienstbezüge.
Tenor
Auf die weitere Beschwerde des Soldaten wird die Disziplinarbuße vom 12. März 2021 in Nr. 1 neu gefasst:
"Der Soldat hielt sich am 18.12.2020 zwischen 09:27 Uhr und 09:43 Uhr im Gebäude 107 in der...-Kaserne in... auf, obwohl ihm, wie er wusste, aufgrund seiner am 17.12.2020 erfolgten Rückkehr aus der Republik Niger in die Bundesrepublik Deutschland der Aufenthalt in diesem Gebäude aus Infektionsschutzgründen verboten war."
Im Übrigen wird die weitere Beschwerde zurückgewiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Der Soldat wendet sich gegen eine einfache Disziplinarmaßnahme.
Rz. 2
1. Der... geborene und verheiratete Soldat ist Vater von drei volljährigen Kindern. Er hat die nationale sowie amerikanische Generalstabsausbildung erfolgreich absolviert, weist acht förmliche Anerkennungen auf und ist mit dem Ehrenkreuz der Bundeswehr in Silber und Gold dekoriert. Er ist Berufssoldat und Abteilungsleiter in der... im Dienstgrad eines Obersten i.G. der Besoldungsgruppe B 3. Zum Zeitpunkt des ihm vorgeworfenen Dienstvergehens war er im... der Bundeswehr Leiter der Abteilung... In dieser Eigenschaft nahm er vom 27. November 2020 bis 17. Dezember 2020 an einer Dienstreise in den Niger teil.
Rz. 3
2. In der letzten, vom Befehlshaber des... verfassten regulären Beurteilung vom 2. Juli 2019 erlangte der Soldat im Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung "8,50". In der Beschreibung heißt es, sein Führungsverhalten sei charakterisiert durch den Dreiklang von hoher Zuverlässigkeit, der Einforderung von Höchstleistungen und Fürsorglichkeit. Der Soldat sei psychisch wie physisch hochbelastbar und ein herausragender Generalstabsoffizier. Mit seinem vorbildlichen Informations- und Kommunikationsverhalten sei er ein gesuchter und geschätzter Gesprächspartner. Mit seiner beispielgebenden Dienstauffassung gehe er voran. Es stehe außer Frage, dass der Soldat für weitere anspruchsvolle Folgeverwendungen in besonderem Maße geeignet sei. Der nächsthöhere Vorgesetzte hat sich dem angeschlossen und empfohlen, den Soldaten für eine mögliche Förderung in die Ebene B 6 weiterhin im Auge zu behalten.
Rz. 4
Nach Aussage des seit März 2022 aktuellen Disziplinarvorgesetzten sind die Leistungen des ihm seit 1995 bekannten Soldaten nach dem aktuellen Beurteilungssystem mit "D.O" einzureihen. Der Soldat gehöre im oberen Drittel zur Leistungsspitze. Er sei ein aufrichtiger, eher robuster Kamerad, als Angehöriger der Fallschirmjägertruppe körperlich belastbar und ein "Macher". Es gebe über den Soldaten keine Beschwerden aus dem Kameradenkreis und es hätte - abgesehen von den durch die Disziplinarbuße geahndeten Pflichtverletzungen - nur ein bis zwei kleinere dienstliche Verstöße gegeben, bei denen die disziplinaren Ermittlungen von ihm unter Feststellung eines Dienstvergehens eingestellt worden seien. Konkret sei es um den Verlust eines Mobilfunkgerätes bzw. um die ungeschützte Versendung einer E-Mail durch den Soldaten an dessen Ehefrau gegangen.
Rz. 5
3. Nach der ersten Anhörung des Soldaten am 18. Januar 2021 durch den Rechtsberater, der am 26. Februar 2021 durch den Rechtsberater erfolgten Anhörung der Vertrauensperson und der am 10. März 2021 vom Disziplinarvorgesetzten durchgeführten Schlussanhörung hat dieser am 12. März 2021 gegen den Soldaten eine Disziplinarbuße von 2 500 € mit der Begründung verhängt:
"1. Der Soldat hielt sich am 18.12.2020 zwischen 09:27 Uhr und 09:43 Uhr in Gebäude 107 in der...-Kaserne in... auf, obwohl ihm, wie er wusste, aufgrund seiner am 17.12.2020 erfolgten Rückkehr aus der Republik Niger in die Bundesrepublik Deutschland durch den Befehlshaber des... mit 'Weisung Nr. 2, 8. Änderung, für die Festlegung von Einsatz- und Missionsgebieten der Bundeswehr, für die eine isolierte Unterbringung vor und Absonderung nach Einsätzen und Missionen in DEU aufgrund COVID-19 durchzuführen ist' vom 14.12.2020 der Aufenthalt in häuslicher Absonderung befohlen worden war.
2. Der Soldat drohte am 12.01.2021 gegen 11:10 Uhr dem ihm unterstellten FltlArzt O. in dessen Dienstzimmer in Gebäude 79 in der...-Kaserne in..., um ihn von einer Zeugenaussage zu einem bestimmten Vorfall in der am selben Tag stattfindenden Vernehmung durch den Rechtsberater des... in disziplinaren Ermittlungen gegen den Soldaten abzuhalten, sinngemäß mit den Worten:
'Meine Empfehlung, lass das Thema Niger raus oder wir machen das Fass richtig auf.', sowie: 'Dann packe ich aus, dass ich Dr. H. beim Eintreffen in Niger beim Shisha-Rauchen angetroffen habe, ohne dass Abstände eingehalten wurden und ohne Masken. Ein vernünftiges Hygienekonzept hatte er damals auch noch nicht verfasst. Das kannst Du ihm auch ruhig sagen von mir. Also nochmal, überleg Dir gut, mein Lieber, ob Du dazu heute eine Aussage machst. Wenn Blut fließen soll, dann fließt richtig Blut.'
3. Der Soldat erklärte am 12.01.2021 gegen 14:30 Uhr in seinem Dienstzimmer in Gebäude 107 in der...-Kaserne in... dem ihm unterstellten OTL S., nachdem dieser eine Meldung von IT-Sicherheitsvorkommnissen, für die der Soldat die Verantwortung trug, verfasst hatte, sinngemäß: 'Ich bin enttäuscht. Das neue Beurteilungssystem wird für Sie nicht mehr passen. Sie sind kein guter Teamspieler.' Hierdurch fühlte sich OTL S., wie der Soldat billigend in Kauf nahm, bedroht, da er befürchten musste, infolge seiner Meldung eine schlechte Beurteilung zu erhalten."
Rz. 6
In der in Ziffer 1 der Disziplinarbuße in Bezug genommenen Weisung Nr. 2 für die Festlegung von Einsatz- und Missionsgebieten der Bundeswehr, für die eine isolierte Unterbringung vor und Absonderung nach Einsätzen und Missionen in DEU aufgrund COVID-19 durchzuführen ist (8. Änderung) (im Folgenden: Weisung Nr. 2), heißt es:
"Hiermit setze ich gem. Bezug 1 für die Einsatz-/Missionsgebiete die Regelungen gem. Anlage A und B in Kraft.
1. An der Durchführung einer isolierten Unterbringung (i.U.) wird festgehalten. Diese kann, je nach Auflage der Host Nation und/oder ggf. ergänzenden bilateralen Vereinbarungen und Vorgaben der multinationalen Operationsführung, entweder in DEU und/oder im Einsatz-/Missionsgebiet erforderlich sein.
2. Eine i.U. wird regelmäßig 14-tägig durchgeführt, wenn dies die Host Nation, bilaterale Abkommen oder die Operations- bzw. Missionsführung vorgeben. Für Einsatz-/Missionsgebiete, für die keine entsprechenden Vorgaben bestehen, kann hiervon abweichend eine i.U. als qualifizierte Einzelisolierung verbunden mit zwei SARS-CoV-2-Tests im Abstand von sieben Tagen durchgeführt werden, sofern ausreichend Testkapazitäten sichergestellt sind. Die jeweils aktuellen einsatz-/missionsspezifischen Vorgaben sind Anlage A zu entnehmen.
[...]
9. Für Einsatzrückkehrende aus Risikogebieten2 bzw. aus Einsatzliegenschaften mit erhöhtem Risiko ist eine Einreiseanmeldung gem. Bezug 3 mit anschließender 14-tägiger h.A. in DEU erforderlich. Die h.A. kann zentral/außerhäuslich oder in einem privaten Haushalt durchgeführt und, mit Nachweis eines negativen SARS-CoV-2-Tests direkt nach Rückkehr sowie nach Vorlage eines zweiten negativen SARS-CoV-2-Tests aus einem frühestens sieben Tage nach Rückkehr durchgeführten Abstrich, vorzeitig beendet werden.
[...]"
Rz. 7
4. Die vom Soldaten gegen die Disziplinarbuße eingelegte Beschwerde hat der Generalinspekteur der Bundeswehr mit am 6. September 2021 zugestelltem Bescheid vom 16. August 2021 zurückgewiesen.
Rz. 8
5. Der Soldat hat dagegen unter dem 4. Oktober 2021 weitere Beschwerde erhoben und sie - unter Bezugnahme auf seine früheren Einlassungen und Beschwerdebegründung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 9
a) Die Disziplinarmaßnahme sei formell rechtswidrig. Insbesondere seien die Anhörung der Vertrauensperson und die Erörterung ihrer Stellungnahme rechtsfehlerhaft, weil sie durch den Rechtsberater, nicht aber durch den Disziplinarvorgesetzten oder durch einen von ihm beauftragten Offizier erfolgt seien. Dabei solle selbst die Übertragung der Anhörung der Vertrauensperson auf einen Offizier gemäß der Vorschriftenlage nur in Ausnahmefällen stattfinden. Soweit die Entscheidung BVerwG 1 WB 144.82 als Begründung dafür angeführt werde, dass der Befehlshaber mit der Anhörung der Vertrauensperson seinen Rechtsberater habe beauftragen dürfen, überzeuge dies nicht, weil der zitierte Fall ein reines Beschwerdeverfahren betroffen habe. Bei alledem sei die Vertrauensperson nicht eigeninitiativ durch den Disziplinarvorgesetzten über das konkret beabsichtigte Disziplinarmaß in Kenntnis gesetzt worden. Der Rechtsberater habe ihr lediglich erklärt, der Disziplinarvorgesetzte denke eine Disziplinarbuße zwischen 2 000 € und 4 000 € zu verhängen. Im Übrigen müsse die Anhörung der Vertrauensperson die letzte Maßnahme vor Durchführung des Schlussgehörs sein, sodass die Vertrauensperson wegen der anschließenden Vernehmung des Stabsfeldwebels K. noch einmal hätte angehört werden müssen.
Rz. 10
Das Schlussgehör sei zudem erfolgt, ohne dass er vom vollständigen Inhalt der Ermittlungsakte Kenntnis gehabt habe. Dies verstoße gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs. Erst Anfang Juni 2021 habe er festgestellt, dass zum Zeitpunkt des Schlussgehörs wesentliche Aktenteile gefehlt hätten und ihm vorher nicht zugänglich gemacht worden seien. Ansonsten hätte er insbesondere die unrichtige Mitteilung an den Befehlshaber, die Ermittlungen in den jeweiligen Bußgeldverfahren seien noch nicht abgeschlossen, widerlegen und auf die Einstellung der Ermittlungen hinweisen können. Unbekannt geblieben sei ihm dadurch auch der Aktenvermerk vom 8. Februar 2021 und die Empfehlung des Leitenden Rechtsberaters des... vom 2. Februar 2021, obwohl es sich dabei um ein Schlüsseldokument gehandelt habe. Ansonsten hätte er sich unter anderem dahingehend verteidigen können, dass in einem Bescheid der Überwachungsstelle für öffentlich-rechtliche Aufgaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Ost keine Ordnungswidrigkeit festgestellt worden sei und ihm Oberfeldarzt Dr. K. bestätigt habe, am 18. Dezember 2020 alle erforderlichen Schutzmaßnahmen getroffen zu haben.
Rz. 11
b) Die Disziplinarmaßnahme sei ferner materiell-rechtlich rechtswidrig.
Rz. 12
aa) Zutreffend sei zwar, dass er sich am 18. Dezember 2020 kurz im Gebäude 107 der...-Kaserne unter Einhaltung der Hygieneregeln mit einer FFP2-Maske aufgehalten habe, um aus seinem Dienstzimmer den Schlüssel für sein Fahrzeug, welches im Kasernenbereich geparkt gewesen sei, sowie Arbeitsunterlagen und dienstliche Kommunikationsmittel zu holen. Zu Unrecht gehe der Disziplinarvorgesetzte jedoch davon aus, dass ihm die Weisung Nr. 2 bekannt gewesen sei. Überdies sei der Weisung Nr. 2 kein eindeutiger Befehl für den Aufenthalt in häuslicher Absonderung zu entnehmen.
Rz. 13
bb) Soweit es die angeblich zweite Dienstpflichtverletzung betreffe, bestreite er, den Zeugen Flottillenarzt O. bedroht zu haben. Hintergrund des Gesprächs sei gewesen, dass er den Befehlshaber des... habe schützen wollen, weshalb er die Hoffnung gehabt habe, dass der Zeuge die Veranstaltung in Niger nicht ansprechen werde, um nicht die Hintergründe für seine Teilnahme offenlegen zu müssen. Das hätte den Befehlshaber in keinem guten Licht erscheinen lassen. Aber auch der in Niger seinerzeit verantwortliche Hygienebeauftragte, Oberfeldarzt Dr. H., hätte durch eine Aussage Probleme bekommen können.
Rz. 14
cc) Soweit es die angeblich dritte Dienstpflichtverletzung betreffe, bestreite er auch diesen Vorwurf. Über Beurteilungen im Generellen oder speziell für Oberstleutnant S. sei nicht gesprochen worden. Der anwesende Zeuge Oberst i.G. B. habe Derartiges auch nicht bestätigt. Es sei seinerzeit um die Umstände der Meldung eines vermeintlichen Sicherheitsverstoßes gegangen, ohne dass er darüber zuvor als Abteilungsleiter informiert worden sei. Darüber sei er enttäuscht gewesen. Das emotionale Gespräch möge den Oberstleutnant S. verletzt haben und deshalb habe er - nach Hinweis von Oberst i.G. B. - am nächsten Tag noch einmal das Gespräch mit diesem gesucht; für die Sicherheitsverstöße sei indes nicht er verantwortlich, sondern ausschließlich Oberstleutnant S.
Rz. 15
6. Der Generalinspekteur tritt dem unter Hinweis auf die Begründung in der Beschwerdeentscheidung entgegen und trägt ergänzend im Wesentlichen vor, dem Disziplinarvorgesetzten sei es zeitlich schlichtweg nicht möglich gewesen, die Anhörung und Erörterung mit der Vertrauensperson zeitnah selbst durchzuführen. Selbst wenn eine Delegation unzulässig gewesen wäre, würde dies keinen schweren Verfahrensfehler begründen. Deren Anhörung sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Die beabsichtigte Höhe der Disziplinarbuße sei der Vertrauensperson im Rahmen der Erörterung erneut bekannt gegeben worden.
Rz. 16
Dem Soldaten sei bei der abschließenden rechtlichen Anhörung auch das Ergebnis der Ermittlungen mitgeteilt worden. Dabei könne offenbleiben, ob ihm auch alle internen Vermerke und die Entscheidung vorbereitenden Schriftstücke vorgelegen hätten. Einen Anspruch auf eine solche Offenlegung habe der Soldat nicht. Die WDO verlange nur, dem Soldaten klar zu eröffnen, welche Pflichtverletzungen ihm zur Last gelegt würden, und ihm die Ermittlungsergebnisse zu offenbaren, die als Tatsachengrundlage für die disziplinare Entscheidung gedient hätten. Eine Verpflichtung, die rechtliche Bewertung des Sachverhalts zu erörtern, bestehe indes nicht.
Rz. 17
7. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Generalinspekteurs der Bundeswehr und die Personalgrundakte des Beschwerdeführers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Rz. 18
Die gemäß § 42 Nr. 4 WDO i. V. m. § 16 Abs. 1 WBO zulässige weitere Beschwerde ist im Ergebnis unbegründet.
Rz. 19
1. Die Disziplinarbuße ist nicht bereits aus formal-rechtlichen Gründen aufzuheben.
Rz. 20
a) Kein Verfahrensfehler folgt aus dem Umstand, dass nach der am 26. Februar 2021 erfolgten Anhörung der Vertrauensperson am 8. März 2021 eine Befragung des Stabsfeldwebels K. erfolgt ist. In ihr konnte dieser zu keinem der behaupteten Pflichtverletzungen aus eigener Wahrnehmung berichten; er beschränkte sich auf eine positive Darstellung des Soldaten, der "ein eigener Typ und vielleicht manchmal etwas ruppig" sei, sodass dessen Vernehmung keinen Erkenntnisgewinn erbracht hat. In diesem Fall bedarf es keiner erneuten Anhörung der Vertrauensperson (BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2011 - 2 WNB 9.10 - Buchholz 449.7 § 27 SBG Nr. 6 Rn. 4).
Rz. 21
b) Ebenso wenig begründet einen Verfahrensfehler, dass der Vertrauensperson anlässlich ihrer Anhörung nicht die konkrete Höhe der beabsichtigten Disziplinarbuße, sondern lediglich ein Spektrum - im Bereich von 2 000 bis 4 000 € - mitgeteilt worden ist. An seiner älteren Rechtsprechung, demzufolge selbst dann eine erneute Anhörung der Vertrauensperson vorzunehmen ist, wenn die bei der Anhörung der Vertrauensperson avisierte Disziplinarmaßnahme milder ist als die tatsächlich verhängte (BVerwG, Beschluss vom 30. November 2011 - 2 WRB 1.11 - Buchholz 449.7 § 27 SBG Nr. 7 Rn. 22), hält der Senat - wie bereits entschieden - nicht mehr fest (BVerwG, Beschluss vom 8. November 2018 - 2 WRB 1.18 - BVerwGE 163, 345 Rn. 18 f.). Sie erweist sich als zu formalistisch und ist - den Interessen der Soldaten gerade zuwiderlaufend - geeignet, Disziplinarvorgesetzte zur Verhängung von avisierten Disziplinarmaßnahmen zu verleiten, auch wenn die Anhörung der Vertrauensperson mildernde Umstände ergeben hat. Von diesem Gedanken getragen, begegnet auch die Angabe des Spektrums einer Disziplinarbuße keinen Bedenken, soweit sie sich auf eine bestimmte Disziplinarmaßnahmeart beschränkt, das Spektrum nicht zu breit gefächert ist und die verhängte Disziplinarmaßnahme sich innerhalb des Spektrums bewegt.
Rz. 22
c) Soweit der Soldat ein fehlerhaftes Schlussgehör annimmt, weil er bis zum 10. März 2021 keine vollständige Akteneinsicht, insbesondere keine Kenntnis von der Empfehlung des Leitenden Rechtsberaters des... vom 2. Februar 2021 als "Schlüsseldokument" erhalten hat, begründet dies keinen Verfahrensmangel.
Rz. 23
aa) Die für das Schlussgehör nach § 32 Abs. 5 WDO geltende Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 2 WDO enthält keine nähere Bestimmung darüber, welche Unterlagen im Einzelnen zu der Akte zu nehmen sind und inwieweit Entwürfe der Akteneinsicht unterliegen. Dies eröffnet gemäß § 1 Abs. 1 VwVfG Raum für die subsidiäre Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Dem entspricht, dass das Wehrbeschwerderecht dogmatisch dem (Wehr-)Verwaltungsverfahrensrecht zuzuordnen ist (vgl. Dau/Scheuren, WBO, 7. Aufl. 2020, § 23a Rn. 1 i. V. m. Einführung, Rn. 33; zum sonstigen Wehrbeschwerdeverfahren: BVerwG, Beschluss vom 24. Februar 2022 - 1 WB 40.21 - NVwZ 2022, 889 Rn. 27 ff.).
Rz. 24
bb) Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 VwVfG gilt das Recht auf Akteneinsicht bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens nicht für Entwürfe zu Entscheidungen sowie die Arbeiten zu ihrer unmittelbaren Vorbereitung. Erfasst sind damit Entscheidungsvorschläge einschließlich Beratungsprotokolle, soweit sie Entscheidungsvorschläge enthalten (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 29 Rn. 18a; vgl. zu Akten zum innerdienstlichen Gebrauch nach § 3 Abs. 1 WDO: BVerwG, Beschluss vom 20. November 2012 - 1 WB 4.12 - BVerwGE 145, 102 Rn. 30; Dau/Schütz, WDO, 8. Aufl. 2022, § 3 Rn. 4). Vor diesem Hintergrund begegnet keinen Bedenken, dass dem Soldaten die ausdrücklich als Entscheidungsvorschlag bezeichneten Dokumente vom 2. Februar 2021 (Bl. 70 - 74) und 10. Februar 2021 (Bl. 64 - 65) sowie die vom Leitenden Rechtsberater dem Befehlshaber zur Information vorgelegten Dokumente vom 26. Februar 2021 (Bl. 103 - 104) und 8. März 2021 (Bl. 113 - 114) zunächst nicht zur Kenntnis gebracht worden sind. Dasselbe gilt für den Aktenvermerk vom 16. Februar 2021 zur Bewertung der Tatvorwürfe (Bl. 77 - 89) sowie für den VS-eingestuften Aktenvermerk des Disziplinarvorgesetzten über den Inhalt des mit dem Soldaten am 8. Februar 2021 geführten Gesprächs, da es ersichtlich ebenfalls nur der Vorbereitung des offiziellen Schlussgehörs diente (Bl. 66 - 67).
Rz. 25
cc) Die Dokumente wurden dem Soldaten auch nur, wie es § 29 Abs. 1 Satz 2 VwVfG verlangt, bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens vorenthalten und waren ihm im Beschwerdeverfahren nach § 42 Satz 1 WDO i. V. m. §§ 5 ff. WBO vollständig zugänglich, wie sich aus der Beschwerdebegründung ergibt.
Rz. 26
dd) Im Übrigen hatte der Soldat die Möglichkeit, zum Inhalt der ihm zuvor vorenthaltenen Dokumente sowie zu den sonstigen von ihm für bedeutsam erachteten Umständen - wie etwa Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens, Auskunft des Oberfeldarztes Dr. K., Inhalt des Disziplinarbuchs - im auf eine vollumfängliche Prüfung ausgerichteten Beschwerdeverfahren (Dau/Schütz, WDO, 8. Aufl. 2022, § 42 Rn. 65 i. V. m. 35 ff.) vorzutragen, sodass selbst ein etwaiger Verfahrensmangel nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG analog (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 45 Rn. 24) geheilt, jedenfalls aber nach § 46 VwVfG unbeachtlich geworden wäre (Kopp/Ramsauer, a. a. O., Rn. 32).
Rz. 27
d) Einen Verfahrensfehler begründet zwar die Anhörung der Vertrauensperson und die Erörterung mit ihr durch den Rechtsberater; der Verfahrensfehler ist jedoch nicht von solchem Gewicht, dass die Disziplinarbuße allein deshalb aufzuheben wäre. Soweit der Senat bislang den Standpunkt vertreten hat, bei einfachen Disziplinarmaßnahmen könnten Verfahrensmängel nicht im Beschwerdeverfahren geheilt werden (BVerwG, Beschlüsse vom 16. Dezember 2010 - 2 WDB 3.10 - Buchholz 449.7 § 27 SBG Nr. 5 Rn. 36 = NZWehrr 2011, 167 ff. und vom 30. November 2011 - 2 WRB 1.11 - Buchholz 449.7 § 27 SBG Nr. 7 Rn. 23), hält er daran nicht mehr fest.
Rz. 28
aa) Gemäß § 28 Abs. 1 SBG hat der Disziplinarvorgesetzte oder ein von ihm beauftragter Offizier die Vertrauensperson vor der Entscheidung über die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme zur Person des Soldaten, zum Sachverhalt und zum Disziplinarmaß anzuhören, sofern dieser dies nicht ausdrücklich ablehnt. Vorliegend ist die Anhörung jedoch durch einen Rechtsberater erfolgt. Einer Erweiterung der Delegationsmöglichkeit auf Rechtsberater stehen Gesetzeswortlaut, Gesetzeshistorie sowie der Telos der gesetzlichen Regelung entgegen.
Rz. 29
Zwar hat der Senat mit Beschluss vom 29. März 1984 - 1 WB 144.82 - (NZWehrr 1984, 163 = juris Rn. 29) befunden, dass der Disziplinarvorgesetzte in einem Beschwerdeverfahren nicht an der Delegation von Ermittlungshandlungen, die nach § 10 Abs. 1 Satz 2 WBO nur einem Offizier übertragen werden dürfen, an einen seinem Stab angehörenden Rechtsberater gehindert sei. Dies folge aus der sinngemäßen Anwendung des § 86 Abs. 2 WDO 1972 (§ 92 Abs. 1 Satz 1 WDO n. F.), demzufolge in einem disziplinargerichtlichen Verfahren zur Vorbereitung ihrer Entschließung die Einleitungsbehörde den Wehrdisziplinaranwalt um die Vornahme von Vorermittlungen ersuchen könne. Von daher sei nicht einsichtig, warum ein Divisionskommandeur oder ein Offizier in vergleichbarer Stellung schon bei der Vorbereitung einer für den betroffenen Soldaten so einschneidenden Entscheidung wie der Einleitung eines disziplinargerichtlichen Verfahrens den Rechtsberater in seiner Eigenschaft als Wehrdisziplinaranwalt einschalten dürfe, nicht jedoch bei der Aufklärung des Sachverhalts in einer (einfachen) Wehrbeschwerdeangelegenheit.
Rz. 30
Diese Erwägungen tragen aber vorliegend bereits deshalb nicht, weil die Anhörung der Vertrauensperson keine Sachaufklärungsmaßnahme ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2012 - 2 WD 34.10 - Buchholz 450.2 § 91 WDO 2002 Nr. 6 Rn. 51). Zudem sind sie durch das Gesetz zur Änderung soldatenbeteiligungs- und personalvertretungsrechtlicher Vorschriften vom 29. August 2016 (BGBl. I S. 2065) überholt. Denn durch das Änderungsgesetz wurde in § 28 Abs. 1 SBG erstmalig die Möglichkeit einer Delegation zur Anhörung der Vertrauensperson (durch den Disziplinarvorgesetzten) zugelassen und ausdrücklich auf Offiziere beschränkt. Dabei sollen nach dem Willen des Gesetzgebers die Änderungen die sich aus der Wehrdisziplinarordnung ergebende Verpflichtung des Disziplinarvorgesetzten, diese Aufgaben grundsätzlich persönlich wahrzunehmen und nur im Ausnahmefall Beauftragte einzusetzen, unberührt bleiben (BT-Drs. 18/8298 S. 44; Gronimus, Soldatenbeteiligungsgesetz, 2021, § 28 Rn. 15a). Dem Ausnahmecharakter einer Delegation widerspräche somit, eine Delegationsmöglichkeit auf andere Amtswalter als Offiziere zuzulassen. Außerdem ist anders als in § 28 Abs. 2 SBG nicht davon die Rede, dass die Anhörung auf eine vom Disziplinarvorgesetzten "bestimmte Stelle" übertragen werden darf (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2022 - 1 WB 7.21 - juris Rn. 35).
Rz. 31
bb) Die Verfahrensfehler haben die Entscheidung in der Sache jedoch offensichtlich nicht beeinflusst, sodass aus ihnen gemäß § 46 VwVfG kein Aufhebungsanspruch folgt. Die Vertrauensperson konnte umfassend vortragen und der Disziplinarvorgesetzte hat die Argumente berücksichtigt. Nach den Umständen des Falles besteht somit nicht die konkrete Möglichkeit, dass ohne die Verfahrensfehler eine günstigere Entscheidung getroffen worden wäre (BVerwG, Beschluss vom 13. November 2019 - 2 C 24.18 - Buchholz 316 § 46 VwVfG Nr. 28 Rn. 3).
Rz. 32
2. Die angegriffene Disziplinarmaßnahme ist auch in der Sache nicht unverhältnismäßig. Dies festzustellen ist der Senat befugt, weil er nicht auf eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der vom Disziplinarvorgesetzten verhängten Disziplinarmaßnahme beschränkt ist, sondern gemäß § 42 Nr. 4 Satz 4 WDO eigene Disziplinargewalt ausübt. Gegen den Soldaten ist - nach Maßgabe der Beschlusstenorierung - mindestens eine Disziplinarbuße zu verhängen.
Rz. 33
a) In tatsächlicher Hinsicht steht zur Überzeugung des Senats fest:
Rz. 34
aa) Nach der insoweit geständigen Einlassung des Soldaten hat sich dieser am 18. Dezember 2020 im Zeitraum von etwa 9:27 bis 9:43 Uhr im Gebäude 107 in der...-Kaserne in... aufgehalten. Er trug dabei Handschuhe sowie eine FFP2-Maske, stellte in seinem Büro Unterlagen zusammen und wollte dort auch die Berechtigung des ihm telefonisch am 16. Dezember 2020 durch den Oberstabsfeldwebel G. übermittelten Hinweises, nach seiner Rückkehr aus Niger nicht sogleich in die Kaserne kommen zu dürfen, anhand der Weisung Nr. 2 überprüfen.
Rz. 35
Der zusammen mit dem Oberstabsbootsmann R. am 17. Dezember 2020 aus dem Niger in W. gelandete Soldat war zur Vermeidung eines Kontakts mit anderen Soldaten in telefonischer Absprache mit dem Zeugen Oberstabsfeldwebel G. am 16. Dezember 2020 dergestalt abgeholt worden, dass beide Rückkehrer in einem Fahrzeug nach Hause fahren konnten. Der Soldat hat diesen Sachverhalt nicht bestritten, der zur Überzeugung des Senats auf der Grundlage der in die mündliche Verhandlung eingeführten Aussagen des Oberstabsfeldwebels G. (vom 13. Januar 2021) und des Oberst B. (vom 26. Januar 2021) feststeht. Letzterer hat ebenfalls erklärt, der Soldat sei am 17. Dezember 2020 unter Einhaltung aller COVID-Schutzmaßnahmen aufgenommen worden. Man habe zwei Fahrzeuge nach W. geschickt, sodass den zwei Rückreisenden ein gemeinsames Fahrzeug zur Verfügung gestanden habe. Man hätte dem Soldaten auch Unterlagen zusammengestellt.
Rz. 36
Der Soldat hat ferner gegenüber dem Zeugen G. in einem Gespräch am 5. Januar 2021, in dem es um dessen Verhalten am 18. Dezember 2020 ging, erklärt, gewusst zu haben, dass er gemäß der Weisung zur häuslichen Absonderung nicht in die Abteilung hätte gehen dürfen. Auch dies steht zur Überzeugung des Gerichts auf der Grundlage der in die mündliche Verhandlung eingeführten Aussage des Zeugen G. fest. Dieser Zeuge ist auch deshalb glaubwürdig, weil er auf das Verhalten des Soldaten besonnen reagiert hat. Denn nachdem er am 23. Dezember 2020 vom Zeugen B. darüber informiert worden war, dass der Soldat positiv getestet worden sei, hat er - entgegen seinem ersten Impuls - keine Meldung geschrieben, sondern noch am 5. Januar 2021 ein Gespräch mit dem Soldaten geführt und ihm gesagt, dass er dessen Verhalten unkameradschaftlich und verantwortungslos finde, zumal sie in der Abteilung auch eine schwangere Kameradin gehabt hätten. Der Soldat halte sich nicht an die Weisungen, obwohl er andere Soldaten wegen COVID-Verdachts zum Arzt befohlen habe. Er sei der Auffassung, dass ein Vorgesetzter hinsichtlich der Einhaltung von Weisungen bei einer Pandemie mit gutem Beispiel vorangehen solle.
Rz. 37
bb) Nach der insoweit geständigen Einlassung des Soldaten kam es am 12. Januar 2021 zwischen dem Soldaten und dem ihm unterstellten Zeugen Flottillenarzt O. in dessen Dienstzimmer in der...-Kaserne zu einem Gespräch. Unstreitig fand das Gespräch vor der Befragung des Zeugen in einem gegen den Soldaten geführten disziplinarischen Ermittlungsverfahren statt, nachdem der Zeuge - basierend auf einer Meldung von Dr. H. - angebliche Verstöße des Soldaten gegen COVID-19-Bestimmungen im Rahmen seines Niger-Aufenthaltes gemeldet hatte.
Rz. 38
Soweit der Soldat in Abrede stellt, den Zeugen O. mit den in Ziffer 2 der Disziplinarbuße beschriebenen Äußerungen von Aussagen anlässlich der Vernehmung abhalten zu wollen, glaubt der Senat nicht ihm, sondern dem Zeugen O. Dass dessen Aussagen nicht bereits ohne jeglichen tatsächlichen Anhalt sind, bestätigt der Umstand, dass der Soldat selbst eingeräumt hat, in dem Gespräch geäußert zu haben, es werde "Blut fließen". Soweit er behauptet, damit sei ausschließlich sein Blut gemeint gewesen, handelt es sich um eine Schutzbehauptung. Der Zeuge Flottillenarzt O. ist glaubwürdig. Bei ihm ist insbesondere kein Belastungsmotiv ersichtlich. Er konnte sich in der mündlichen Verhandlung zwar sogleich daran erinnern, dass der Soldat ihn in dem Gespräch erklärt habe, er solle sich seine Aussage noch einmal überlegen, weil sonst der Befehlshaber des... mit hineingezogen werde; er habe dieses Gespräch auch als bedrohlich angesehen. An die konkreten in Ziffer 2 der Disziplinarbuße zitierten Äußerungen des Soldaten erinnerte er sich jedoch erst auf Vorhalt seiner früheren Aussage (vom 12. Januar 2021). Ein solch tastendes Aussageverhalten widerspricht der Annahme, dem Zeugen O. sei es darum gegangen, den Soldaten unberechtigt zu belasten. Dass der Zeuge O. sich nicht daran erinnerte, vom Soldaten angeblich einen Auftrag zur Untersuchung des Verhaltens von Dr. H. im Niger erhalten zu haben, spricht nicht gegen dessen Glaubwürdigkeit.
Rz. 39
Hinzu tritt, dass Oberstabsfeldwebel He. sowie Oberstabsfeldwebel Hä. ausweislich ihrer in die mündliche Verhandlung eingeführten Aussagen vom 20. und 27. Januar 2021 die Aussagen des Zeugen O. bestätigt haben und es - anders als vom Soldaten angenommen - keineswegs abwegig ist, dass der Zeuge O. ihnen emotional bewegt von dem Gespräch berichtet hat. Dies gilt insbesondere bezogen auf den Oberstabsfeldwebel He., den der Zeuge O. nach eigener Aussage seit 12 Jahren kennt und mit dem ihn bis heute ein sehr gutes kameradschaftliches Verhältnis verbindet.
Rz. 40
cc) Zur Überzeugung des Senats hat sich auch das in Ziffer 3 der Disziplinarbuße beschriebene Verhalten des Soldaten in tatsächlicher Hinsicht bestätigt.
Rz. 41
Danach hat am 12. Januar 2021 gegen 14:30 Uhr in dem Dienstzimmer des Soldaten im Gebäude 107 in der...-Kaserne in... ein Gespräch zwischen diesem und dem Zeugen Oberstleutnant S. stattgefunden, in dem der Soldat sich diesem gegenüber wie in Ziffer 3 der Disziplinarbuße beschrieben geäußert hat. Grund für die Enttäuschung war die zuvor abgesetzte Meldung des als Referatsleiter IT-Unterstützung eingesetzten Zeugen an den IT-Sicherheitsbeauftragten über IT-Sicherheitsvorkommnisse, für die der Soldat die Verantwortung trug. Aufgrund dieser Äußerung befürchtete der Zeuge S., eine schlechte Beurteilung zu erhalten. Dessen Meldung war erfolgt, weil telefonisch zur Morgenlage der Abteilung ein Soldat zugeschaltet worden war, der eine ungeschützte Verbindung benutzt hatte, und nicht auszuschließen war, dass in der Morgenlage Themen der Geheimhaltungsstufe "NfD" oder höher angesprochen worden waren. Der Soldat fragte den Zeugen S. erst im Laufe des Gesprächs, ob die Meldung bereits abgesetzt war.
Rz. 42
Soweit der Soldat behauptet, am 12. Januar 2021 sei nicht über eine Beurteilung des Zeugen S. gesprochen worden, erst im Gespräch am 13. Januar 2021 habe er sich entschuldigt und dem Zeugen erklärt, dieser brauche wegen seiner Meldung keine schlechte Beurteilung zu befürchten, glaubt der Senat ihm die zeitliche Abfolge und den Gesprächsinhalt am 12. Januar 2021 nicht. Das Gespräch am 13. Januar 2021 ist nach eigener Aussage des Soldaten durch Oberst B. initiiert worden, der dem Soldaten nach dem Gespräch am 12. Januar 2021 mitgeteilt hatte, dass sich der Zeuge S. über seine Beurteilung Sorgen mache. Bereits dies stellt ein gewichtiges Indiz dafür dar, dass das Thema Beurteilung schon am 12. Januar 2021 Gesprächsgegenstand geworden war und der Soldat nun Anlass für eine Entschuldigung sah, die - anders als vom Soldaten behauptet - nur wenig mit familiären Belastungen des Zeugen zu tun hatte. Entkräftet wird dies auch nicht durch die durch Verlesen in die Berufungshauptverhandlung eingeführte Aussage des Zeugen Oberst B., sich nicht mehr an den Inhalt des Gesprächs am 12. Januar 2021 erinnern zu können. Damit hat er jedenfalls nicht bestätigt, dass die Beurteilungsthematik kein Gegenstand des ersten Gesprächs gewesen ist. Zudem ist die Aussage des Oberstleutnants S. glaubhaft. Sie ist konsistent und der Zeuge konnte sich insbesondere an seine Nachfrage, ob der Soldat ihn nötigen wolle, erinnern. Bei dem Zeugen ist auch kein Belastungseifer ersichtlich; er hat insbesondere positiv betont, vom Soldaten später einen wohlwollenden Beurteilungsbeitrag erhalten zu haben.
Rz. 43
Schließlich spricht für die Richtigkeit der Aussage des Zeugen S. der Umstand, dass sich auch in diesem Verhalten ein hohes Maß an Impulsivität ausdrückt, welches den Soldaten zwar einerseits zu einem "Macher" macht, ihm jedoch andererseits die Sensibilität für Kameraden und Stresssituationen nimmt. Dem entspricht, dass bereits der seinerzeitige unmittelbare Disziplinarvorgesetzte (im Aktenvermerk vom 8. Februar 2021) ausgeführt hat, nach dem von ihm gewonnenen Stimmungsbild in der Abteilung reagiere der Soldat unter Stress teilweise überaktiv und überschnell mit der Tendenz zur Überforderung des eigenen Personals. Dokumentiert ist diese Neigung exemplarisch durch die aktenkundig erfasste Chat-Äußerung des Soldaten (vom 30. März 2020), wenn die Soldaten ihre Probleme mit der Kinderbetreuung nicht in den Griff bekämen, führe dies "ganz ehrlich zur Ausentwicklung einer womöglich hoffnungsvollen Karriere!"
Rz. 44
b) Das Verhalten des Soldaten begründet ein vorsätzliches Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG.
Rz. 45
aa) Mit dem unter Ziffer 1 der Disziplinarbuße beschriebenen Verhalten hat der Soldat mehrere soldatische Pflichten verletzt.
Rz. 46
aaa) Ein Verstoß gegen die Gehorsamspflicht nach § 11 SG liegt indes nicht vor, weil es an einem Befehl fehlt. Ein Befehl im Sinne des § 2 Nr. 2 WStG setzt voraus, dass einem militärischen Untergebenen durch einen militärischen Vorgesetzten schriftlich, mündlich oder in anderer Weise eine Anweisung zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen mit Gehorsamsanspruch erteilt wird. Zwar muss dabei der Ausdruck "Befehl" nicht verwendet werden. Der Anspruch auf Gehorsam muss aber aus Sicht eines objektiven Betrachters nach dem Kontext und dem objektiven Erklärungsgehalt der Äußerung eindeutig erkennbar sein. Dem Adressaten muss vermittelt und deutlich werden, dass der militärische Vorgesetzte nicht nur eine bloße Erwartung kundtut, sondern mit seinem Verlangen die Gehorsamspflicht einfordert, die notfalls mit einer Drohung mit disziplinar- und/oder strafrechtlichen Konsequenzen oder anderen Maßnahmen durchgesetzt werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. März 2022 - 2 WD 7.21 - Rn. 36 m. w. N.). Nach Maßgabe dessen spricht hier bereits die Wortwahl "Weisung Nr. 2" gegen einen Befehl, weil die Anordnung sich ausdrücklich als "Weisung" bezeichnet und weil bei dem Befehlshaber des... der Bundeswehr die Unterscheidung zwischen Befehl und Weisung als bekannt zugrunde gelegt werden muss. Außerdem räumt die Weisung insbesondere bei der hier einschlägigen Regelung für Rückkehrende (Nr. 9) Entscheidungsspielräume hinsichtlich der Art und der Dauer der Absonderung ein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. März 2022 - 1 WB 37.21 - NVwZ-RR 2022, 544 Rn. 17 f.).
Rz. 47
bbb) Jedoch hat der Soldat gegen die Pflicht zum treuen Dienen nach § 7 SG willentlich und wissentlich verstoßen, weil er die Verpflichtung einschließt, auch Weisungen des Dienstherrn zu befolgen (BVerwG, Urteil vom 4. Mai 2021 - 2 WD 16.20 - Buchholz 450.2 § 38 WDO Nr. 92 Rn. 27). Denn dass eine - in Ziffer 9 der Weisung Nr. 2 vorausgesetzte - Anordnung des Befehlshabers für Rückkehrer aus dem Niger am 17. Dezember 2020 bestand, die Kaserne einstweilen nicht wieder betreten zu dürfen, war ihm durch das Telefonat mit dem Zeugen Oberstabsfeldwebel G. am 16. Dezember 2020 bekannt und wurde ihm erneut durch die Umstände deutlich, unter denen er am 17. Dezember 2020 abgeholt und von anderen Soldaten separiert wurde. Als Leiter der Abteilung... im... war ihm diese für alle Auslandsaufenthalte im Prinzip gleiche Verpflichtung zu einem mindestens einwöchigen Fernbleiben vom Arbeitsplatz bekannt. Insoweit begegnet die Weisung auch keinen rechtlichen Bedenken (anders zur früheren Rechtslage und zur Beschränkung auf die Wohnung, BVerwG, Beschluss vom 31. März 2022 - 1 WB 37.21 - a. a. O. Rn. 29 ff.). Er hat zudem selbst ausgeführt, der Aufenthalt in der Kaserne am 18. Dezember 2020 habe auch der Überprüfung gedient, ob man ihm die Rechtslage zutreffend übermittelt habe. Mit dem Aufenthalt hat er somit einen Verstoß gegen die Weisungslage jedenfalls billigend und somit vorsätzlich in Kauf genommen.
Rz. 48
Auch wenn sich die Pflichtverletzung damit nicht gegen einen Verstoß gegen Nr. 2 der Weisung ableitet, hindert dies den Senat nicht daran, den in dieser Art feststehenden Sachverhalt disziplinarisch zu würdigen. Denn die Verfügung über die Disziplinarmaßnahme hat nicht die Bedeutung einer Anschuldigungsschrift wie im disziplinargerichtlichen Verfahren. Unmittelbar aus § 42 Nr. 4 Satz 4 WDO folgt, dass die angefochtene Disziplinarmaßnahme "in vollem Umfang" der wehrdienstgerichtlichen Prüfung unterliegt und dass das Gericht "zugleich die in der Sache erforderliche Entscheidung trifft". Demnach kann das Wehrdienstgericht die angefochtene Maßnahme bestätigen, sie in ihrer Höhe oder Art mildern oder auch ganz aufheben. Die Entscheidung des Gerichts beschränkt sich nicht auf eine Prüfung der Rechtmäßigkeit der verhängten Maßnahme. Vielmehr übt es selbst Disziplinargewalt aus; daran ändert nichts, dass es wegen des auch hier geltenden Verschlechterungsverbots die Maßnahme nicht verschärfen kann. Aus dem eindeutigen Wortlaut der Regelung ergibt sich damit, dass das Wehrdienstgericht auch befugt ist, den im Tenor einer Disziplinarmaßnahme enthaltenen Tatvorwurf durch eine neue Fassung zu präzisieren und an seine Tatsachenfeststellungen anzupassen (BVerwG, Beschluss vom 17. April 2019 - 2 WNB 2.19 - juris Rn. 5).
Rz. 49
ccc) Der Soldat hat mit seinem Verhalten zudem gegen die Kameradschaftspflicht nach § 12 Satz 1 SG verstoßen. Die Rechte der Kameraden zu achten (Satz 2), verlangt insbesondere, ihre körperliche Integrität zu achten und sie nicht unnötigen Gesundheitsgefährdungen auszusetzen. Dagegen hat der Soldat dadurch verstoßen, dass er am 18. Dezember 2020 wissentlich und willentlich das - durch das Zusammentreffen mit dem Zeugen Oberstabsfeldwebel G. auch realisierte - Risiko einging, andere Kameraden in ihrer Gesundheit durch eine Corona-Infektion zu gefährden. Dass er dabei unter anderem eine Maske trug, führte lediglich zu einer Risikominimierung.
Rz. 50
ddd) Verbunden war damit ein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht nach § 10 Abs. 3 SG. Sie gehört zu den vornehmlichsten Pflichten eines Vorgesetzten gegenüber seinen Untergebenen und verpflichtet ihn, sich bei allen Handlungen vom Wohlwollen einem Untergebenen gegenüber leiten zu lassen, diesen bei seiner dienstlichen Tätigkeit und in seiner dienstlichen Stellung zu schützen, ihn vor Nachteilen und - wie hier gesundheitlichen - Risiken oder Schäden zu bewahren und alles zu unterlassen, womit er seine Stellung als Vorgesetzter zum Nachteil des Untergebenen ausnutzen würde (BVerwG, Urteil vom 19. April 2007 - 2 WD 7.06 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 21 Rn. 26).
Rz. 51
eee) Schließlich bewirkt sein Verhalten einen Verstoß gegen die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 1 SG, weil dem Verhalten des Soldaten - unabhängig von anderen Pflichtverstößen - auch die Eignung zur Ansehensminderung innewohnt. Die Achtungs- und die Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten können durch sein Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn es Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt. Für die Feststellung eines solchen Verstoßes reicht aus, dass das Verhalten des Soldaten geeignet war, eine ansehensschädigende Wirkung auszulösen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2021 - 2 WD 6.21 - juris Rn. 35). Dies ist der Fall, zumal das Verhalten des Soldaten in der Einheit und Öffentlichkeit (... online) publik geworden ist und die Aussage des Zeugen G. eindringlich dokumentiert, wie sehr das Verhalten des Soldaten als verantwortungslos angesehen wurde und dessen Integrität als Vorgesetzter infrage stellte.
Rz. 52
bb) Mit dem unter Ziffer 2 der Disziplinarbuße beschriebenen Verhalten hat der Soldat ebenfalls mehrere soldatische Pflichten verletzt.
Rz. 53
aaa) Zwar hat der Soldat nicht gegen § 34 Abs. 1 WStG verstoßen, weil die Tat, zu der er den Zeugen O. verleiten wollte, keinen Straftatbestand erfüllt hätte (zu § 33 WStG: BVerwG, Urteil vom 19. April 2007 - 2 WD 7.06 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 21 Rn. 25). Eine unwahre Aussage vor der Wehrdisziplinaranwaltschaft begründet keinen strafbaren Verstoß gegen § 153 StGB, weil sie nicht zu eidlichen Vernehmungen berechtigt ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. Mai 2011 - 3 Ws 215/10 - NStZ-RR 2012, 11 = juris Rn. 14). Ebenso wenig liegt ein strafbares Unterdrücken von Beschwerden im Sinne von § 35 WStG vor, weil es sich bei den Aussagen vor der Wehrdisziplinaranwaltschaft nicht um eine Eingabe, Meldung oder Beschwerde (gegenüber den dort bezeichneten Institutionen) oder um eine Anzeige oder um einen Rechtsbehelf gehandelt hat. Die Arten der Erklärungen, die geschützt werden sollen, sind dort abschließend geregelt (vgl. BT-Drs. 2/3040 S. 40).
Rz. 54
Schließlich begründet das festgestellte Verhalten auch keinen Verstoß gegen § 32 WStG in der Variante, dass der Soldat als Vorgesetzter seine Dienststellung zu Forderungen oder Zumutungen missbraucht hätte, die dienstlichen Zwecken zuwiderlaufen. Denn mit der Androhung, über seine Kenntnisse über etwaige disziplinarisch relevante Vorfälle im Niger zu berichten, hat der Soldat noch nicht seine dienstliche Stellung speziell als Vorgesetzter missbraucht.
Rz. 55
bbb) Der fehlenden Ausnutzung der Vorgesetztenstellung steht indes nicht entgegen, dass der Soldat damit gleichwohl eine versuchte, gemäß § 240 Abs. 3 StGB strafbare Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB begangen (zum Verhältnis zu § 32 WStG: Lingens/Korte, Wehrstrafgesetz, 5. Aufl. 2012, § 33 Rn. 11) und somit gegen die Pflicht zum treuen Dienen nach § 7 SG verstoßen hat. Denn diese soldatische Pflicht schließt die Verpflichtung zur Loyalität gegenüber der geltenden Rechtsordnung ein (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2022 - 2 WD 14.21 - juris Rn. 43) und gilt insbesondere gegenüber dem Strafrecht (BVerwG, Urteil vom 11. November 2021 - 2 WD 28.20 - Buchholz 450.2 § 99 WDO 2002 Nr. 5 Rn. 31).
Rz. 56
Die Androhung, über disziplinarisch relevante Vorgänge im Niger zu berichten, ist die Drohung mit einem empfindlichen Übel mit dem Ziel, den Zeugen Flottillenarzt O. von Aussagen über etwaig disziplinarisch relevantes Verhalten des Soldaten abzuhalten. Die Androhung eines empfindlichen Übels im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB kann auch dann vorliegen, wenn - wie hier - ein nachteiliges legales Verhalten angekündigt wird und der Nachteil einen Dritten treffen soll (Altvater/Coen, in: Leipziger Kommentar, StGB, 13. Aufl. 2023, § 240 Rn. 82 f.).
Rz. 57
Ein empfindliches Übel wurde im vorliegenden Fall angedroht, weil der Soldat dem Zeugen Flottillenarzt O. zum einen avisierte, ihn in ein Disziplinarverfahren jedenfalls gegen Dr. H. involvieren zu wollen, und ihn zum anderen als Übermittler der Botschaft instrumentalisierte, dass der Soldat von einem disziplinarisch relevanten Verhalten des mit dem Zeugen O. jedenfalls kameradschaftlich verbundenen Dr. H. ausging. Damit stand eine nachteilig empfundene Veränderung der Außenwelt für den Zeugen O. im Raum (BGH, Beschluss vom 5. September 2013 - 1 StR 162/13 - NJW 2014, 401 = juris Rn. 47; Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 240 Rn. 32). Die Realisierung des vom Soldaten in Aussicht gestellten Nachteils war diesem auch möglich und objektiv geeignet, den Zeugen in seinem Verhalten zu beeinflussen, somit auch ein empfindliches Übel (BGH, Beschluss vom 5. September 2013, a. a. O. Rn. 51). Dies gilt umso mehr, als es sich bei dem Soldaten um den Vorgesetzten des Zeugen handelte (vgl. BGH, a. a. O. Rn. 55).
Rz. 58
Die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck war zudem verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB, weil die Verquickung von Mittel und Zweck mit den Grundsätzen eines geordneten Zusammenlebens unvereinbar, also "sozial unerträglich" war (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 253/16 - NJW 2017, 1487 = juris Rn. 51). Zwar ist die Ankündigung des Soldaten, ein für disziplinar bedeutsam erachtetes Verhalten disziplinarischer Prüfung zuzuführen (Mittel), an sich nicht verwerflich; seine Verwerflichkeit erhält sie jedoch durch die Ankündigung, davon (nur) abzusehen, wenn der Zeuge Flottillenarzt O. in dem gegen den Soldaten geführten disziplinarischen Ermittlungsverfahren nicht vollständig aussagt (Zweck). Denn der Zeuge hätte zur Erfüllung des Ansinnens Dienstpflichten verletzen und ein Dienstvergehen nach § 23 SG begehen müssen. Dadurch wird die Verknüpfung zwischen Mittel und Zweck zu einem sozialwidrigen Verhalten (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 240 Rn. 41). Für den Zeugen Flottillenarzt O. bestand gemäß § 13 Abs. 1 SG die gesetzliche Verpflichtung, vor dem Disziplinarvorgesetzten oder der Wehrdisziplinaranwaltschaft, die als Dienststelle des Bundes (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 - 2 WD 5.12 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 44 Rn. 24) gemäß § 97 Abs. 1 WDO staatsanwaltsähnlich im Disziplinarverfahren die belastenden und entlastenden Umstände zu ermitteln hat, in dienstlichen Angelegenheiten wahrheitsgemäß und mithin vollständig auszusagen. Die Behauptung des Soldaten, er habe mit seinem Ansinnen letztlich uneigennützig den Befehlshaber des... schützen wollen, ist unglaubwürdig und führt schon wegen ihrer Allgemeinheit nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung.
Rz. 59
ccc) Einher geht damit auch hier ein Verstoß gegen die Kameradschaftspflicht nach § 12 Satz 1 SG, weil der Soldat den Zeugen O. mit der Aufforderung, zu bestimmten Gegenständen wahrheitswidrig nichts auszusagen, der Gefahr disziplinarischer Verfolgung ausgesetzt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 2021 - 2 WD 26.20 - Rn. 26). Hinzu tritt ein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht nach § 10 Abs. 3 SG und gegen die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 1 Satz 1 SG (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. April 2007 - 2 WD 7.06 - Rn. 31).
Rz. 60
cc) Auch mit dem unter Ziffer 3 der Disziplinarbuße beschriebenen Verhalten hat der Soldat mehrere soldatische Pflichten verletzt.
Rz. 61
aaa) Ein nach § 35 Abs. 3 WStG auch als Versuch strafbarer Verstoß gegen den Wehrstraftatbestand des Unterdrückens von Beschwerden (§ 35 Abs. 1 WStG) liegt indes nicht vor. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Soldat zum Zeitpunkt seiner Äußerungen angenommen hat, der Zeuge Oberstleutnant S. habe die fragliche Meldung bereits abgesetzt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zutrifft und bereits dadurch - wie von der Wehrdisziplinaranwaltschaft angenommen - der Wehrstraftatbestand des § 35 Abs. 1 WStG ausgeschlossen ist. Jedenfalls erfasst der Begriff der Meldung nicht jede Mitteilung. Geschützte Erklärungen sind solche, die - wie sich schon aus der Generalüberschrift "Unterdrücken von Beschwerden" ergibt - zur Wahrnehmung eigener oder fremder Belange an die Volksvertretungen, an Dienststellen oder Vorgesetzte gerichtet werden und strafrechtliche Anzeigen oder Rechtsbehelfe, nicht aber Meldungen exklusiv fachlicher Natur (vgl. BT-Drs. 2/3040 S. 40; Lingens/Korte, Wehrstrafgesetz, 5. Aufl. 2012, § 35 Rn. 1a, 2).
Rz. 62
bbb) Ebenso wenig liegt ein Missbrauch der Befehlsbefugnis zu unzulässigen Zwecken nach § 32 WStG vor. Der Soldat hat seine Dienststellung gegenüber dem ihm untergebenen Zeugen S. zwar durch die Drohung missbraucht, ihn wegen seiner Meldung schlechter zu beurteilen und diesen dadurch in eine missliche Lage gebracht. Denn der Zeuge war nach der Erlasslage verpflichtet, das IT-Sicherheitsvorkommnis zu melden. Es bestand der dringende Verdacht, dass bei der vom Soldaten geleiteten Morgenlage der Abteilung... die Sicherheitsvorschriften für Telefonkonferenzen missachtet worden waren. Es fehlt aber am Tatbestandsmerkmal eines Befehls, einer Forderung oder Zumutung. Da die Meldung zum Zeitpunkt des Gesprächs bereits abgesetzt war, lag nur eine unzulässige nachträgliche Rüge vor. Sie war nicht mit einem Befehl, der Forderung oder der Zumutung verbunden, die Meldung nicht abzugeben oder zurückzunehmen.
Rz. 63
ccc) Verstoßen hat der Soldat hingegen gegen die Mäßigungspflicht nach § 10 Abs. 6 SG. Das Vertrauen in den Soldaten als Vorgesetzten wird durch derart affektgesteuerte und unverhältnismäßige Äußerungen erschüttert. Ein Offizier darf einem Untergebenen nicht berufliche Nachteile allein deswegen androhen, weil dieser vorschriftsgemäß seinen Verdacht der Missachtung von Sicherheitsvorschriften gemeldet hat. Dies begründet einen weiteren Verstoß gegen die Fürsorgepflicht nach § 10 Abs. 3 SG sowie die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 1 SG.
Rz. 64
c) An der Disziplinarbuße als nach § 22 Abs. 1 Nr. 3, § 24 WDO einfacher Disziplinarmaßnahme ist festzuhalten.
Rz. 65
aa) Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten ("Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin der Bundeswehr", vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juni 2008 - 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 Rn. 23 m. w. N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Im Einzelnen geht der Senat von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
Rz. 66
bb) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen". Dabei bildet vorliegend das in Ziffer 2 der Disziplinarbuße beschriebene Nötigungsverhalten den Schwerpunkt des Dienstvergehens.
Rz. 67
(1) Für Fallgestaltungen, in denen das Dienstvergehen in einer außerdienstlich begangenen, vorsätzlichen sexuellen Nötigung besteht (§ 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB), hat der Senat grundsätzlich die Dienstgradherabsetzung als gerichtliche Disziplinarmaßnahme zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bestimmt (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2021 - 2 WD 29.20 - Buchholz 449 § 17 SG Nr. 51 Rn. 25). Entsprechendes gilt, wenn eine außerdienstliche Nötigung durch Androhung von Gewalt gegen Leib und Leben erfolgt (BVerwG, Urteil vom 28. September 2021 - 2 WD 11.21 - Rn. 33 ff.). Da sich die Nötigung des Soldaten weder gegen die sexuelle Selbstbestimmung noch gegen Leib und Leben des Zeugen Flottillenarzt O. richtete, verbietet sich zwar, von einer Dienstgradherabsetzung als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen auszugehen; unberührt bleibt davon jedoch die grundsätzliche Ahndung durch eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme. Denn die Nötigung wies in zweifacher Hinsicht einen Bezug zum Dienstherrn auf. Zum einen erfolgte sie in Ausübung des Dienstes gegen einen anderen Soldaten und zum anderen zielte sie darauf ab, wehrdisziplinare Ermittlungstätigkeiten zu unterlaufen.
Rz. 68
(2) Innerhalb des Spektrums gerichtlicher Disziplinarmaßnahmen bildet allerdings die Kürzung der Dienstbezüge als mildeste gerichtliche Disziplinarmaßnahmeart nach § 58 Abs. 1 Nr. 1 WDO den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Denn durch die Alternative der Drohung in § 240 Abs. 1 StGB wird ein weiter Bereich sozial üblichen Verhaltens erfasst, der auch niederschwellige Verstöße einschließt. Der daraus erwachsenen Vielgestaltigkeit potenzieller Nötigungshandlungen hat der Gesetzgeber durch das Verwerflichkeitserfordernis in § 240 Abs. 2 StGB mit dem Ziel einer Tatbestandsbegrenzung Rechnung getragen (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 240 Rn. 38 ff.). Der Senat trägt dem dadurch Rechnung, dass er bei Nötigungen, die keine sexuellen Nötigungen sind, auch keine Drohung mit Gewalt gegen Leib und Leben zum Inhalt haben, die niedrigste gerichtliche Disziplinarmaßnahmeart zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen nimmt und - wie auch angesichts der Vielgestaltigkeit sexueller Nötigungen der Fall (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2021 - 2 WD 29.20 - Buchholz 449 § 17 SG Nr. 51 Rn. 26) - erst auf der zweiten Bemessungsstufe den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung trägt.
Rz. 69
(3) Dass die Nötigung im Versuchsstadium stecken geblieben sein mag, verändert den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen nicht. Zum einen ist bereits die versuchte Nötigung nach § 240 Abs. 3 StGB strafbar. Zum anderen steht im Wehrdisziplinarrecht nicht die Tat als solche im Vordergrund, sondern der durch sie zum Ausdruck gekommene Charakter- und Persönlichkeitsmangel. Deshalb stellt der strafbare Versuch einer Straftat bereits ein Dienstvergehen dar, die einen Soldaten disziplinarisch grundsätzlich genauso wie eine vollendete Straftat belastet. Etwas anderes gilt dann, wenn der Nichteintritt des Taterfolges - anders als hier - auf zurechenbarem Handeln des Soldaten beruht (BVerwG, Urteil vom 28. September 2021 - 2 WD 11.21 - Rn. 35 m. w. N.).
Rz. 70
cc) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme gebieten. Dabei ist zu klären, ob es sich angesichts der be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Dabei müssen mildernde Umstände umso gewichtiger sein, je schwerer das Dienstvergehen wiegt (BVerwG, Urteil vom 4. März 2021 - 2 WD 11.20 - Buchholz 450.2 § 84 WDO 2002 Nr. 10 Rn. 53).
Rz. 71
aaa) Nach Maßgabe dessen wirkt zulasten des Soldaten, dass er nicht nur durch die Verwirklichung des Straftatbestandes gegen die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG), sondern darüber hinaus gegen zahlreiche weitere soldatische Pflichten verstoßen hat, wodurch das Dienstvergehen zusätzliche Schwere erlangt.
Rz. 72
Hinzu kommt als Folge des Dienstvergehens, dass der Soldat auf seinem bisherigen Dienstposten nicht mehr verwendet werden konnte und es auch - über...-Online - in der Öffentlichkeit bekannt wurde. Soweit die Wehrdisziplinaranwaltschaft den Verlust des Dienstpostens als Umstand angesehen hat, der es rechtfertige, von der Einleitung eines disziplinargerichtlichen Verfahrens abzusehen (vgl. Vermerk des Leitenden Rechtsberaters vom 2. Februar 2021), hat sie diesen belastenden Umstand entgegen § 38 Abs. 1 WDO als gleichsam entlastenden Umstand gewichtet.
Rz. 73
Äußerst erschwerend wirkt zudem der Verstoß gegen die Vorbildfunktion nach § 10 Abs. 1 SG. Der Soldat nimmt nicht nur als Oberst bereits eine hohe Vorgesetztenfunktion wahr (BVerwG, Urteil vom 22. April 2021 - 2 WD 15.20 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 91 Rn. 41); darüber hinaus hatte er zum Tatzeitpunkt im... der Bundeswehr die exponierte Funktion als Leiter der Abteilung... inne. Der damit verbundenen Vorbildfunktion ist er nicht gerecht geworden. Vielmehr hat er dem Grundsatz "Wer Disziplin fordert, hat aber zuerst selbst Disziplin zu üben" (BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 1989 - 2 WDB 4.89 - BVerwGE 86, 188 ≪194 f.≫) zuwidergehandelt. Unrechtseinsicht und Reue waren nicht festzustellen; der Soldat hat in der mündlichen Verhandlung vielmehr seine jahrzehntelangen Verdienste hervorgehoben. Die damit verbundene Relativierung ist zwar nicht zu seinen Lasten einzustellen, kann jedoch auch nicht zu seinen Gunsten gewichtet werden (BVerwG, Urteil vom 28. September 2021 - 2 WD 11.21 - Rn. 39 m. w. N.).
Rz. 74
bbb) Zu seinen Gunsten zu gewichten ist indes, dass die Bedrohung ausschließlich verbaler Natur war und im Versuchsstadium stecken blieb. Hinzu treten die erfolgreichen und zahlreichen Auslandsaufenthalte des Soldaten und seine - ausweislich der Aussage seines aktuellen Disziplinarvorgesetzten - bis in die Gegenwart hinein durchweg überdurchschnittlichen Leistungen. Die kontinuierliche Erbringung von Spitzenleistungen kommt einer Nachbewährung gleich und bewirkt regelmäßig den Übergang zur nächstmilderen Disziplinarmaßnahme (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. September 2020 - 2 WD 18.19 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 82 Rn. 71). Eine Nachbewährung setzt zwar zusätzlich eine tadelfreie Führung voraus, mit der der Soldat dokumentiert, dass er die Zweifel an seiner charakterlichen Integrität und fachlichen Eignung durch besonders korrekte Pflichterfüllung ausräumen will (BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2016 - 2 WD 21.15 - Rn. 52, 53), was durch die vom aktuellen Disziplinarvorgesetzten beschriebenen neuen Pflichtverletzungen in Frage gestellt wird. Da der Disziplinarvorgesetzte es für ausreichend erachtet hat, lediglich ein Dienstvergehen festzustellen, ohne es disziplinarisch zu ahnden (vgl. § 145 Abs. 2 WDO), wird dadurch seine Nachbewährung noch nicht grundsätzlich in Frage gestellt.
Rz. 75
dd) Das Vorliegen erheblich mildernder Umstände rechtfertigt den Übergang zum Katalog einfacher Disziplinarmaßnahmen nach § 22 Abs. 1 WDO. Dabei ist der Senat einerseits gemäß § 42 Nr. 6 WDO daran gehindert, die verhängte Disziplinarmaßnahme zu verschärfen, andererseits aber auch nicht nach § 42 Nr. 4 Satz 5 WDO i. V. m. § 40 Abs. 4 Satz 7 WDO verpflichtet, das Verfahren auszusetzen und die Einleitungsbehörde zur Prüfung aufzufordern, ob ein gerichtliches Disziplinarverfahren einzuleiten ist (vgl. Dau/Schütz, WDO, 8. Aufl. 2022, § 42 Rn. 78, § 40 Rn. 47).
Rz. 76
Der Senat braucht wegen des Verschlechterungsverbots nicht zu entscheiden, ob wegen der Schwere des Dienstvergehens und namentlich der exponierten Vorgesetztenstellung des Soldaten das Dienstvergehen mit der konkreten Disziplinarbuße zu milde geahndet wurde. Jedenfalls ist es damit nicht unangemessen schwer geahndet worden. Denn ohne die auf der zweiten Bemessungsstufe festgestellten Milderungsgründe hätte gegen den Soldaten eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme verhängt werden müssen (BVerwG, Urteil vom 22. April 2021 - 2 WD 15.20 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 91 Rn. 42). Die Disziplinarbuße begegnet deshalb auch ihrer Höhe nach keinen Bedenken. Mit 2 500 € übersteigt sie nicht den nach § 24 Abs. 1 Satz 1 WDO maßgeblichen einmonatigen Betrag der Dienstbezüge des nach der Besoldungsgruppe B 3 besoldeten Soldaten.
Rz. 77
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 42 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Fundstellen
BVerwGE 2023, 296 |
JZ 2023, 277 |