Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 25.07.2007; Aktenzeichen 4 LB 91/07) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. Juli 2007 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 155 140 € festgesetzt.
Gründe
Die allein auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Beklagte beimisst. Eine grundsätzliche Bedeutung wäre nur dann zu bejahen, wenn für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Revisionsverfahren erheblich wäre und deren höchstrichterliche Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. August 1999 – BVerwG 11 B 61.98 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19). Dies ist nicht der Fall.
1. Die von dem Beklagten für klärungsbedürftig gehaltene Frage,
“ob der nach § 86c SGB VIII leistende Jugendhilfeträger verpflichtet ist, von einem vorrangig für die Leistung zuständigen Sozialhilfeträger die Übernahme des Hilfefalles und/oder Kostenerstattung zu verlangen oder ob der Anspruch des nachrangig verpflichteten Jugendhilfeträgers gegenüber dem nunmehr zuständigen Jugendhilfeträger auf Kostenerstattung nach § 89c SGB VIII dem Anspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger auf Kostenerstattung/Übernahme des Falles vorgeht, so dass der neu zuständige Jugendhilfeträger den Fall übernehmen muss, auch wenn ein Vorrang der Sozialhilfe vorliegt”,
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
Soweit die Zulassungsfrage davon ausgeht, dass ein vorrangiger Anspruch der Klägerin auf Übernahme/Kostenerstattung gegen den zuständigen Sozialhilfeträger bestanden habe, steht dies mit den nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen und daher bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht im Einklang. Das Berufungsgericht hat zwar ausgeführt, dem Beklagten sei einzuräumen, dass die Hilfebedürftige dem Grunde nach einen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG bzw. § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gehabt hätte, weil sie zum Personenkreis der nicht nur vorübergehend geistig wesentlich Behinderten im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG bzw. § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gehöre, hat es aber ausdrücklich als nicht entscheidungserheblich angesehen, “ob Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII bzw. § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII a.F. gegenüber den von der Klägerin erbrachten Leistungen der Jugendhilfe vorrangig gewesen sind”. Für die Frage der Rechtmäßigkeit der Leistungserbringung im Außenverhältnis zum Hilfebedürftigen ist das Berufungsgericht dabei im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. grundlegend Urteil vom 23. September 1999 – BVerwG 5 C 26.98 – BVerwGE 109, 325) zutreffend davon ausgegangen, dass ein etwaiger Nachrang der Jugendhilfe auf der Ebene der Verpflichtungen zum Hilfesuchenden keine Freistellung des nachrangig verpflichteten Jugendhilfeträgers und keine alleinige Zuständigkeit des vorrangig verpflichteten Sozialhilfeträgers bewirke, sondern der Jugendhilfeträger in eigener, ggfls. nach § 86c SGB VIII fortwirkender Zuständigkeit dem Hilfebedürftigen zur Leistung verpflichtet bleibe (s.a. Urteil vom 2. März 2006 – BVerwG 5 C 15.05 – BVerwGE 125, 95). Durch diese Rechtsprechung ist auch geklärt, dass der hiernach gemäß § 86c SGB VIII fortdauernd Leistungsverpflichtete, dessen aus § 89c SGB VIII folgender Erstattungsanspruch nicht von weiteren Tatbestandsvoraussetzungen abhängt, die Leistungen im Sinne des § 89f Abs. 1 SGB VIII rechtmäßig erbracht hat. Die Beschwerde macht insbesondere nicht geltend, dass die im Außenverhältnis rechtmäßige Leistungsgewährung für die Beurteilung der Gesetzeskonformität der aufgewendeten Kosten im Erstattungsrechtsverhältnis davon abhängig wäre, dass Leistungen der Sozialhilfe nicht vorrangig wären.
Soweit das nicht zu beanstandende rechtliche Ergebnis, dass sich die Klägerin selbst bei einem (unterstellten) etwaigen Vorrang von Sozialhilfeleistungen ihrer Inanspruchnahme durch den Hilfesuchenden nicht hätte entziehen können, der zum Kostenerstattungsanspruch nach § 89c SGB VIII aufgeworfenen Frage nicht schon die Grundlage entzieht, bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu klären, dass bei im Verhältnis zum Hilfeempfänger rechtmäßiger Jugendhilfegewährung der hier zu beurteilende Erstattungsanspruch gegen den zuständig gewordenen Jugendhilfeträger nicht davon abhängt, dass der leistende Jugendhilfeträger etwaige Erstattungsansprüche gegen einen möglicherweise vorrangig zuständigen Sozialhilfeträger geltend macht oder es unternommen hat, diesen zur Übernahme der Leistungsgewährung anzuhalten. Insbesondere enthält der Wortlaut des § 89c SGB VIII keinen Hinweis auf eine entsprechende Einschränkung des Kostenerstattungsanspruchs, die sich auch nicht aus systematischen Gründen ergibt. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zudem geklärt, dass eine die Weiterleistungspflicht des bisher zuständig gewesenen örtlichen Jugendhilfeträgers aus § 86c Satz 1 SGB VIII beendende “Fortsetzung” der Leistung durch den zuständig gewordenen örtlichen Träger auch in dessen Leistungsablehnung bestehen kann (Urteil vom 14. November 2002 – BVerwG 5 C 51.01 – BVerwGE 117, 179), weil der durch § 86c SGB VIII bezweckte verfahrensrechtliche Schutz der Leistungsberechtigten vor den Folgen eines Zuständigkeitswechsels sich nicht auf den Schutz vor den materiellrechtlichen Folgen eines Ortswechsels erstreckt. Hieraus ergibt sich, ohne dass ein weitergehender revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf besteht, zugleich, dass der durch einen Ortswechsel örtlich zuständig gewordene Jugendhilfeträger in eigener Zuständigkeit über die Hilfegewährung zu befinden und daher auch die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen hat, um einen aus seiner Sicht bestehenden Vorrang der Sozialhilfe durchzusetzen. Übernimmt er ungeachtet bestehender örtlicher Zuständigkeit den Jugendhilfefall nicht, kann er sich im Erstattungsrechtsverhältnis gegenüber dem deswegen nach § 86c SGB VIII fortdauernd leistungsverpflichteten Jugendhilfeträger nicht darauf berufen, dass dieser nach Maßgabe der Rechtsauffassung des örtlich zuständig gewordenen Jugendhilfeträgers gegenüber dem Sozialhilfeträger hätte tätig werden können oder müssen. Die Klägerin benennt auch keine Anhaltspunkte für den geltend gemachten Vorrang eines Erstattungs- oder Übernahmeanspruchs gegen den Sozialhilfeträger, die sich mit dem Wortlaut der §§ 86c, 89c SGB VIII, der Zwecksetzung dieser Regelungen oder ihrer systematischen Stellung auseinandersetzen.
2. Aus den vorbezeichneten Gründen rechtfertigt auch die von dem Beklagten weiter als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,
“ob zunächst das Kostenerstattungsverhältnis zwischen den Jugendhilfeträgern und dann als nächster Schritt der Anspruch des örtlich zuständigen Jugendhilfeträgers gegenüber dem vorrangig sachlich zuständigen Sozialhilfeträger zu erfolgen hat, also in einem zweistufigen Verfahren oder ob dem neu zuständig gewordenen Jugendhilfeträger das Recht einzuräumen ist, den zuvor zuständigen Jugendhilfeträger auf die fehlende sachliche Zuständigkeit zu verweisen, um somit in einem einheitlichen Verfahren die örtliche als auch die sachliche Zuständigkeit zu klären”,
die Zulassung der Revision nicht. Auch diese Frage geht von der Annahme eines Vorranges der Rechtsbeziehungen vom leistenden Jugendhilfeträger zum Sozialhilfeträger aus, die nach Vorstehendem mit dem Gesetz nicht in Einklang steht. Wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend im Einzelnen näher dargelegt hat, ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, das Prozessrisiko einer Klage gegen den Sozialhilfeträger dem früher örtlich zuständigen Jugendhilfeträger nur deshalb aufzuerlegen, weil er wegen der unberechtigten Weigerung des örtlich zuständig gewordenen Jugendhilfeträgers nach § 86c SGB VIII weiterhin zur Leistung verpflichtet war.
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 und 3 GKG; sie entspricht der von dem Beteiligten nicht in Zweifel gezogenen Festsetzung durch das Oberverwaltungsgericht.
Unterschriften
Hund, Dr. Franke, Dr. Brunn
Fundstellen
FEVS 2009, 367 |
JAmt 2008, 438 |