Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 11.09.2006; Aktenzeichen 16 A 4403/05.A) |
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. September 2006 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil er die in jedem Rechtszug gesondert vorzulegende Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht eingereicht hat. Darüber hinaus bietet seine Beschwerde, wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Die Beschwerde genügt hinsichtlich des Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO und die darüber hinaus geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.
1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen wird. Eine solche lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen.
Die als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Fragestellung,
“ob … von einer grundsätzlichen Kontrolle des Staatsgebiets durch staatliche und auch alliierte Kräfte nicht mehr gesprochen werden kann, so dass zwar noch zugrunde zu legen ist, dass eine neue Staatsgewalt im Irak vorhanden, diese aber nicht mehr prinzipiell schutz- und verfolgungsmächtig ist”,
zielt im Kern nicht, wie für eine Grundsatzrüge erforderlich, auf eine Rechtsfrage, sondern betrifft die den Tatsachengerichten vorbehaltene Klärung der tatsächlichen Verhältnisse im Irak. Die Beschwerde wendet sich insoweit gegen die ihrer Ansicht nach unzutreffende Feststellung und Würdigung der Sicherheitslage im Irak durch das Oberverwaltungsgericht. Indem sie dieser tatsächlichen Würdigung des Berufungsgerichts ihre eigene Auffassung entgegenstellt, kann sie die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht erreichen.
Soweit die Beschwerde auch die Frage zum Gegenstand haben sollte, ob ein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung voraussetzt, dass im Herkunftsstaat eine prinzipiell schutz- und verfolgungsmächtige Staatsgewalt vorhanden ist, wird auf das eine entsprechende Entscheidung des Berufungsgerichts betreffende Urteil vom 20. März 2007 – BVerwG 1 C 34.06 – verwiesen. Zu der von der Beschwerde als Hintergrund der Fragestellung angesprochenen Problematik der Anforderungen des Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK hat das Bundesverwaltungsgericht im Übrigen bereits entschieden, dass § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG seinem Inhalt nach dieser Bestimmung entspricht (Urteil vom 1. November 2005 – BVerwG 1 C 21.04 – BVerwGE 124, 276 ≪282 ff.≫; vgl. auch Beschluss vom 28. Juni 2006 – BVerwG 1 B 136.05 –). Schließlich verhilft auch die beiläufige Bezugnahme auf den Maßstab des Art. 11 Abs. 1 Buchst. e) der am 20. Oktober 2004 in Kraft getretenen Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (ABl Nr. L 304/12 vom 30. September 2004) – Qualifikationsrichtlinie – der Beschwerde nicht zum Erfolg. Die den Widerruf betreffenden Bestimmungen der Richtlinie gelten gemäß Art. 14 Abs. 1 nur bei Anträgen auf internationalen Schutz, die nach Inkrafttreten dieser Richtlinie gestellt wurden (Urteil vom 20. März 2007 – BVerwG 1 C 21.06 – Rn. 24) und sind demzufolge im vorliegenden Fall noch nicht anwendbar.
2. Die mit der Beschwerde darüber hinaus geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor. Das Berufungsgericht hat weder gegen seine Pflicht zur Aufklärung des maßgeblichen Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen noch hat es das rechtliche Gehör des Klägers (§ 108 Abs. 2 VwGO) verletzt.
Die Beschwerde sieht einen Verfahrensverstoß darin, dass das Oberverwaltungsgericht über die Berufung der Beklagten nach § 130a VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden hat, obwohl nach der ersten Anhörungsmitteilung ein förmlicher Beweisantrag gestellt worden war. Eine Entscheidung im Verfahren nach § 130a VwGO setzt gemäß Satz 2 der Vorschrift eine Anhörung nach § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO voraus. Die Rüge einer Verletzung der Anhörungspflicht hat deshalb Erfolg, wenn eine Anhörung zu dem beabsichtigten vereinfachten Berufungsverfahren gänzlich unterblieben ist. Hat das Berufungsgericht hingegen – wie im vorliegenden Verfahren – eine (erste) Anhörung durchgeführt, so bedarf es mit Blick auf einen danach gestellten Beweisantrag zwar in der Regel, aber nicht in allen Fällen einer erneuten (zweiten) Anhörung. Stellt ein Beteiligter einen Beweisantrag, der in der mündlichen Verhandlung gemäß § 86 Abs. 2 VwGO beschieden werden müsste, so wird das Gericht seiner Pflicht der Gewährung rechtlichen Gehörs in der Regel nur dadurch gerecht, dass es den Beteiligten durch eine erneute Anhörungsmitteilung im Sinne des § 130a VwGO in Verbindung mit § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die unverändert beabsichtigte Entscheidung durch Beschluss und damit darauf hinweist, dass es seinem Beweisantrag nicht nachgehen werde (vgl. Beschlüsse vom 10. April 1992 – BVerwG 9 B 142.91 – Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 5 und vom 3. Februar 1993 – BVerwG 11 B 12.92 – Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 10, jeweils m.w.N.). Sinn und Zweck des § 86 Abs. 2 VwGO ist es, einerseits das Gericht zu veranlassen, sich vor Erlass der Sachentscheidung über die Entscheidungserheblichkeit des Beweisantrags schlüssig zu werden, und andererseits die Beteiligten auf die durch die Ablehnung des Beweisantrags entstandene prozessuale Lage hinzuweisen. Gleiches wird durch die erneute Anhörung erreicht; dadurch wird insbesondere dem Beweisführer die Einschätzung ermöglicht, wie das Gericht seinen nach der ersten Anhörung gestellten Beweisantrag bewertet (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 1983 – BVerwG 9 C 15.83 – Buchholz 312 EntlG Nr. 32 und Urteil vom 16. März 1994 – BVerwG 11 C 48.92 – Buchholz 442.151 § 46 StVO Nr. 10).
Von der erneuten Anhörung kann das Berufungsgericht jedoch verfahrensfehlerfrei absehen, wenn das Vorbringen des Beweisführers nicht den Anforderungen genügt, die erfüllt sein müssen, um dem Gericht überhaupt Veranlassung zu geben, sich damit zu befassen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör bezieht sich nur auf entscheidungserhebliches Vorbringen; er verpflichtet das Gericht nicht, Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen oder zu erörtern, auf die es aus seiner Sicht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ankommt. Deshalb erübrigt sich eine erneute Anhörung beispielsweise, wenn das Vorbringen unsubstantiiert ist, neben der Sache liegt oder früheren Vortrag lediglich wiederholt; entsprechendes gilt bei Beweisanträgen (Beschluss vom 18. Juni 1996 – BVerwG 9 B 140.96 – Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 16). Maßgeblich für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit ist hierbei die sachlich-rechtliche Auffassung des Berufungsgerichts.
Wenn es hiernach auch im Rahmen von § 130a VwGO nicht zwingend einer Vorabentscheidung über einen gestellten Beweisantrag bedarf, muss allerdings – wenn das Berufungsgericht an einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung festhält – aus den Entscheidungsgründen seines Beschlusses ersichtlich sein, dass es die Ausführungen des Beteiligten zur Kenntnis genommen und seine Beweisanträge vorher auf ihre Rechtserheblichkeit geprüft hat. Insoweit korrespondiert der Verzicht auf eine Vorabentscheidung über einen Beweisantrag mit der Pflicht des Berufungsgerichts, die Erheblichkeit der Beweiserhebung vor der Entscheidung zu prüfen und sich in den Entscheidungsgründen damit auseinanderzusetzen (Beschluss vom 24. November 1994 – BVerwG 8 B 176.94 – Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 12).
Diesen Erfordernissen genügt der angefochtene Beschluss; denn eine erneute Anhörungsmitteilung war ausnahmsweise wegen des eingeschränkten Streitgegenstands des Berufungsverfahrens und die im Hinblick darauf unzureichende Substantiierung des Beweisantrags entbehrlich. Nach der vollumfänglichen Aufhebung des angefochtenen Widerrufsbescheids vom 9. Mai 2005 durch das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2005 hat das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 23. Mai 2006 die Berufung auf Antrag der Beklagten nur hinsichtlich des Widerrufs der Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG zugelassen. Damit ist die gerichtliche Aufhebung des Widerrufs der Feststellung nach § 53 Abs. 4 und Abs. 6 AuslG in Rechtskraft erwachsen und die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 und Abs. 6 Satz 1 AuslG im Bescheid vom 10. Januar 2001 besteht fort. Vor diesem Hintergrund hätte der Kläger mit Blick auf den eingeschränkten Prüfungsmaßstab des – nunmehr geltenden – § 60 Abs. 1 AufenthG im Berufungsverfahren näher dazu vortragen müssen, warum ihm die geltend gemachte Gefahr der Blutrache in Anknüpfung an ein Merkmal des § 60 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. Satz 1 AufenthG und zudem landesweit droht. Dafür war weder etwas vorgetragen noch sonst wie ersichtlich. Demzufolge sind die – äußerst knappen – Ausführungen des Berufungsgerichts (BA S. 14) zur Begründung fehlender Erheblichkeit des Vortrags drohender Blutrache im Hinblick auf den Prüfungsmaßstab des § 60 Abs. 1 AufenthG noch als ausreichend anzusehen.
Für die von der Beschwerde in diesem Zusammenhang ebenfalls gerügte Verletzung des Grundsatzes freier richterlicher Beweiswürdigung bietet ihr Vorbringen – unabhängig von der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO revisionsrechtlich als Verfahrensfehler gerügt werden kann – keinen Anhaltspunkt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 RVG.
Unterschriften
Dr. Mallmann, Richter, Prof. Dr. Kraft
Fundstellen