Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 04.04.2008; Aktenzeichen 7 B 06.1179) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. April 2008 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Tatbestand
I
Rz. 1
Der Kläger wendet sich gegen Äußerungen des Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen der beklagten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern über die rechtlich nicht verfasste Glaubensgemeinschaft “Universelles Leben”, deren Interessen der Kläger nach seiner Satzung vertritt.
Rz. 2
Nach einem Bericht der Zeitung “Main-Echo” äußerte der Beauftragte für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Beklagten, Kirchenrat Dr. B…, bei einem Vortrag unter anderem: Das “Universelle Leben” sei nach seiner Ansicht als totalitäre Sekte zu bezeichnen. Es sei vor allem gekennzeichnet durch die Merkmale einer Psychosekte. Der Mensch solle durch “Umprogrammierung der Gehirnzellen” seiner individuellen Persönlichkeit beraubt werden.
Rz. 3
Der Kläger hat Klage erhoben und unter anderem beantragt, der Beklagten zu untersagen, ausdrücklich oder sinngemäß zu äußern oder äußern zu lassen, das Universelle Leben sei vor allem durch die Merkmale einer Psychosekte gekennzeichnet, der Mensch solle durch Umprogrammierung der Gehirnzellen seiner individuellen Persönlichkeit beraubt werden und das Universelle Leben sei als “totalitäre Sekte” zu bezeichnen.
Rz. 4
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt: Aus den Schriften des Universellen Lebens ergäben sich hinreichende Anhaltspunkte für die beanstandete Aussage des Sektenbeauftragten. Dass die Nachforschungen des Sektenbeauftragten die Aussage trügen, bei der Glaubensgemeinschaft des Universellen Lebens handele es sich um eine totalitäre Organisation, habe er – der Verwaltungsgerichtshof – mehrfach entschieden, zuletzt mit Beschluss vom 18. Dezember 1995 – 7 CE 95.2108.
Rz. 5
Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben und die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen, soweit Gegenstand des Berufungsurteils das Begehren des Klägers war, der Beklagten die Äußerungen zu untersagen, das Universelle Leben sei vor allem durch die Merkmale einer Psychosekte gekennzeichnet, der Mensch solle durch Umprogrammierung der Gehirnzellen seiner individuellen Persönlichkeit beraubt werden und das Universelle Leben sei als totalitäre Sekte zu bezeichnen. Das Bundesverwaltungsgericht hat angenommen, das angefochtene Urteil beruhe insoweit auf einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes des § 108 Abs. 1 VwGO. Im rechtlichen Ausgangspunkt, der für die Feststellung eines Verfahrensfehlers maßgeblich sei, habe der Verwaltungsgerichtshof angenommen, der Sektenbeauftragte der Beklagten müsse bei Äußerungen über andere Religionsgemeinschaften einen angemessenen Grad an Sorgfalt, Sachlichkeit und Wahrhaftigkeit wahren. Hiervon ausgehend habe der Verwaltungsgerichtshof die beanstandete Äußerung nur dann für zulässig gehalten, wenn sich aus den Schriften des Universellen Lebens hinreichende Anhaltspunkte für die Aussagen des Sektenbeauftragten ergäben. In tatsächlicher Hinsicht habe der Verwaltungsgerichtshof angenommen, die Nachforschungen des Sektenbeauftragten trügen die Aussage, bei der Glaubensgemeinschaft des Universellen Lebens handele es sich um eine totalitäre Organisation. Diese Aussage habe der Verwaltungsgerichtshof in dem angefochtenen Urteil indes nicht weiter belegt. Er habe insoweit allein auf seine Entscheidung vom 18. Dezember 1995 – 7 CE 95.2108 – Bezug genommen. Weder aus dieser Entscheidung selbst noch aus der dort enthaltenen Verweisung in wiederum frühere Entscheidungen ergebe sich irgendein Beleg dafür, dass die Nachforschungen des Sektenbeauftragten die Aussage trügen, bei der Glaubensgemeinschaft des Universellen Lebens handele es sich um eine totalitäre Organisation.
Rz. 6
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch das nunmehr angefochtene Urteil die Berufung des Klägers einschließlich eines weiteren, jetzt nicht mehr verfolgten Antrags erneut zurückgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründung ausgeführt: Er nehme grundsätzlich auf die Entscheidungsgründe seines aufgehobenen Urteils Bezug und halte hieran fest. Er lasse nunmehr jedoch offen, ob der Sektenbeauftragte einer korporierten Religionsgemeinschaft bei kritischen Äußerungen in der Öffentlichkeit über andere Glaubensgemeinschaften allein deswegen einer gesteigerten Sorgfaltspflicht unterliege, weil er einen erhöhten Einfluss in Staat und Gesellschaft habe und in den Augen der Öffentlichkeit eine gesteigerte Sachkompetenz genieße. Denn selbst bei Zugrundelegung einer solchen gesteigerten Sorgfaltspflicht seien die beanstandeten Aussagen durch die religiöse Äußerungsfreiheit der Beklagten gedeckt. Er – der Verwaltungsgerichtshof – nehme hierzu nochmals auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts sowie auf seine eigenen Ausführungen in dem aufgehobenen Urteil Bezug. Ergänzend sei (unter anderem) darauf hinzuweisen, dass er in seinem Beschluss vom 28. März 1994 (NVwZ 1994, 787) unter Würdigung der vom Sektenbeauftragten herangezogenen Schriften dessen Äußerungen nicht beanstandet habe, die Gemeinschaft des “Universellen Lebens” sei eine totalitäre Organisation bzw. habe eine totalitäre Struktur, bei den Mitgliedern der Glaubensgemeinschaft seien Kritikfähigkeit und Gewissensbildung ausgeschlossen sowie psychische, materielle und geistige Abhängigkeit von einer Führerfigur gegeben. Dürften über eine Glaubensgemeinschaft anhand hinreichend sicherer, tatsächlicher Anhaltspunkte derartige Behauptungen aufgestellt werden, dürfe sie auch als Psychosekte bezeichnet werden.
Rz. 7
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 8
Die Beschwerde ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf dem allein geltend gemachten Verfahrensfehler einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes aus § 108 Abs. 1 VwGO.
Rz. 9
§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO verlangt, dass im Urteil die Gründe angegeben werden, die für die richterliche Überzeugungsbildung leitend gewesen sind. Wie umfangreich und detailliert dies zu geschehen hat, lässt sich nicht abstrakt umschreiben. Im Allgemeinen genügt es, wenn der Begründung entnommen werden kann, dass das Gericht eine vernünftige und der jeweiligen Sache angemessene Gesamtwürdigung und Beurteilung vorgenommen hat (Beschluss vom 12. Juli 1999 – BVerwG 9 B 374.99 – Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 43). Das Tatsachengericht muss das Ergebnis seiner Abwägung in den Entscheidungsgründen in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise darlegen. Es verstößt gegen § 108 Abs. 1 VwGO, wenn das Gericht gewichtige Tatsachen oder Tatsachenkomplexe in den Entscheidungsgründen übergeht. Auch die gebotene Beschränkung auf das Wesentliche kann insoweit keinen ausreichenden Grund für fehlende Erörterungen abgeben.
Rz. 10
Das Tatsachengericht kann zur Begründung auf andere, insbesondere eigene Entscheidungen Bezug nehmen und durch diese Bezugnahme sonst erforderliche eigene Darlegungen im Urteil ersetzen. Eine solche Bezugnahme ist zulässig, wenn sich für die Beteiligten und für das Rechtsmittelgericht aus einer Zusammenschau der Ausführungen in dem angefochtenen Urteil einerseits, den dort in Bezug genommenen Ausführungen in anderen Entscheidungen andererseits mit hinreichender Klarheit die Gründe ergeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das ist dann nicht mehr der Fall, wenn die Entscheidung des Gerichts völlig unverständlich ist, weil die Sachverhalte in beiden Entscheidungen nicht gleich gelagert waren und auch sonst keine Verbindung erkennbar ist, die eine gleiche Sachbehandlung rechtfertigt.
Rz. 11
Gemessen hieran hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem jetzt angefochtenen zweiten Berufungsurteil eine tragfähige Begründung gegeben, soweit er die Äußerung des Sektenbeauftragten der Beklagten nicht beanstandet hat, das Universelle Leben sei vor allem durch die Merkmale einer Psychosekte gekennzeichnet, der Mensch solle durch Umprogrammierung der Gehirnzellen seiner individuellen Persönlichkeit beraubt werden und das Universelle Leben sei als totalitäre Sekte zu bezeichnen. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese drei Äußerungen dahin gewürdigt, sie stünden im Zusammenhang und stellten letztlich die Behauptung dar, bei der Glaubensgemeinschaft des Universellen Lebens handele es sich um eine totalitäre Psychosekte.
Rz. 12
Im rechtlichen Ausgangspunkt, der für die Feststellung eines Verfahrensfehlers maßgeblich ist, hat der Verwaltungsgerichtshof zwar nunmehr offen gelassen, ob der Sektenbeauftragte der Beklagten bei Äußerungen über andere Religionsgemeinschaften einen angemessenen Grad an Sorgfalt, Sachlichkeit und Wahrhaftigkeit wahren muss. Gleichwohl beruht das jetzt angefochtene Urteil ebenso wie das erste Berufungsurteil entscheidungstragend auf der Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, die streitigen Äußerungen des Sektenbeauftragten genügten tatsächlich diesem Maßstab, denn nur aus diesem Grund hat der Verwaltungsgerichtshof offen gelassen, ob rechtlich ein solcher Maßstab gefordert werden kann. Hiervon ausgehend hat der Verwaltungsgerichtshof durch Bezugnahme auf das erste Berufungsurteil die beanstandete Äußerung nur dann für zulässig gehalten, wenn sich aus den Schriften des Universellen Lebens hinreichende Anhaltspunkte für die Aussagen des Sektenbeauftragten ergäben. In tatsächlicher Hinsicht hat der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls unter Bezugnahme auf sein erstes Berufungsurteil angenommen, die Nachforschungen des Sektenbeauftragten trügen die Aussage, bei der Glaubensgemeinschaft des Universellen Lebens handele es sich um eine totalitäre Organisation.
Rz. 13
Anders als in seinem aufgehobenen ersten Berufungsurteil hat der Verwaltungsgerichtshof in dem jetzt angefochtenen Urteil diese Aussage in einer Weise belegt, die dem Überzeugungsgrundsatz genügt. Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht mehr allein auf seine Entscheidung vom 18. Dezember 1995 – 7 CE 95.2108 – Bezug genommen. Er hat vielmehr unter gezielter Anführung der einschlägigen Passagen auf seinen Beschluss vom 28. März 1994 – 7 CE 93.2403 – (NVwZ 1994, 787) verwiesen. Dort hat er die Äußerungen des Sektenbeauftragten über die Gemeinschaft “Universelles Leben” nicht beanstandet, bei den Mitgliedern des “Universellen Lebens” seien Kritikfähigkeit und Gewissensbildung ausgeschlossen, diese hätten ihre geistige und gewissensmäßige Freiheit verloren, im “Universellen Leben” sei eine psychische, materielle und geistige Abhängigkeit von einer Führergestalt gegeben, Gabriele Wittek versuche mit einem Absolutheitsanspruch ihre Mitglieder abhängig zu machen, die Mitglieder der Gemeinschaft hingen ideologisch absolut von den Weisungen ihrer “Prophetin” sowie den Umsetzungsdirektiven des UL-Führungsmanagements ab und seien in eine totalitäre Struktur eingebunden. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss konkret die Stellen aus den Schriften des “Universellen Lebens” angeführt (NVwZ 1994, 787 ≪791 ff.≫), auf die der Sektenbeauftragte seine wertenden Äußerungen nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs jeweils stützten konnte. Die jetzt streitigen Äußerungen des Sektenbeauftragten stellen sich als zusammenfassende Wertung der seinerzeit streitigen Äußerungen dar, halten sich jedenfalls in deren Rahmen. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit dem Hinweis auf seinen Beschluss vom 28. März 1994 und die dort im Einzelnen getroffenen Feststellungen die tatsächliche Grundlage seiner Aussage hinreichend bezeichnet, die Nachforschungen des Sektenbeauftragten (insbesondere in den Schriften des “Universellen Lebens”) trügen dessen Aussage, bei der Glaubensgemeinschaft des Universellen Lebens handele es sich um eine totalitäre Organisation. Der Verwaltungsgerichtshof hat damit nachvollziehbar dargelegt, worauf sich seine Beweiswürdigung in tatsächlicher Hinsicht stützt, und so im Sinne von § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Gründe angegeben, die für seine richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
Rz. 14
Die Beweiswürdigung selbst ist dem materiellen Recht zuzuordnen und einer weiteren Überprüfung auf eine Verfahrensrüge hin entzogen. Auf die Angriffe des Klägers gegen die Beweiswürdigung kommt es nicht an.
Rz. 15
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Sailer, Neumann, Guttenberger
Fundstellen