Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 20.03.2009; Aktenzeichen 14 LB 4/08) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. März 2009 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Rz. 2
1. Der Beklagte, ein im Dienst des klagenden Landes stehender Realschullehrer, ist wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes (§ 176 Abs. 1 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten (mit Bewährung) rechtskräftig verurteilt worden. Im sachgleichen Disziplinarverfahren ist auf Entfernung aus dem Dienst erkannt worden. Das 13-jährige Kind war nach den Feststellungen des Strafgerichts geistig zurückgeblieben; sein Entwicklungsstand entsprach in etwa dem eines sechsjährigen Mädchens, das sich Fremden gegenüber nur nonverbal äußerte. Das Kind besuchte regelmäßig die Kinder des Beklagten. Als dieser das Mädchen nach Hause brachte, kam es zu dem Übergriff, bei dem er – so die Feststellungen des Strafgerichts – dem Mädchen an die Scheide fasste.
Rz. 3
2. Die vom Beklagten geltend gemachte Divergenz i.S.v. § 41 Abs. 1 SH LDG, § 69 BDG, § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nicht dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
Rz. 4
Eine Divergenz im Sinne der genannten Vorschriften ist gegeben, wenn das Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil einen das Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, mit dem es einem Rechtssatz widersprochen hat, den eines der in den § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, § 127 Nr. 1 BRRG genannten Gerichte in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Es genügt nicht, wenn das Berufungsgericht einen Rechtssatz im Einzelfall rechtsfehlerhaft anwendet oder daraus nicht die rechtlichen Folgerungen zieht, die etwa für die Sachverhalts- und Beweiswürdigung im konkreten Fall geboten sind (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 und vom 3. Juli 2007 – BVerwG 2 B 18.07 – Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1).
Rz. 5
Die Beschwerde ist der Auffassung, das Berufungsurteil beruhe auf dem Rechtssatz, dass auch außerdienstlicher sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen ausnahmslos zu einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen müsse, ohne dass es der Ermittlung weiterer be- und entlastender Umstände des Einzelfalls bedürfe. Dies stelle eine Abweichung zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dar, das mit Urteil vom 20. Oktober 2005 – BVerwG 2 C 12.04 – BVerwGE 124, 252 ≪258 ff.≫ entschieden habe, dass aus § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 DiszG die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte folgt, über die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Insoweit sei auch auf die vom Berufungsgericht benannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2003 (gemeint sein dürfte der Beschluss vom 19. Februar 2003 – 2 BvR 1413/01) zu verweisen. Insbesondere habe das Berufungsgericht entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht als Milderungsgrund berücksichtigt, dass die Straftat nicht unmittelbar dienstbezogen gewesen und nicht zu Lasten einer Schülerin erfolgt sei.
Rz. 6
a) Mit diesen Ausführungen zeigt die Beschwerde nicht auf, dass das Berufungsgericht von den genannten Rechtssätzen abgewichen ist. Das Berufungsgericht hat die genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts vielmehr seinem Urteil ausdrücklich zugrunde gelegt und damit § 13 SH LDG den gleichen Bedeutungsinhalt beigemessen, wie er vom Senat für die inhaltsgleiche Norm des § 13 BDG grundlegend im Urteil vom 20. Oktober 2005 a.a.O. herausgearbeitet worden ist. Einen Rechtssatz des Inhalts, dass auch außerdienstlicher sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen ausnahmslos – also nicht nur im Regelfall – zu einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen müsse, ohne dass es der Ermittlung weiterer be- und entlastender Umstände des Einzelfalls bedürfe, hat das Berufungsgericht nicht aufgestellt, auch nicht sinngemäß. Es hat vielmehr die Umstände des Einzelfalls gewürdigt und einen besonderen Dienstbezug der außerdienstlich begangenen Straftat darin gesehen, dass ein Lehrer, der wegen einer Straftat i.S.d. § 176 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, im Hinblick auf seinen Erziehungsauftrag in der Regel sein Ansehen als Erzieher und Vorbild endgültig verliere. Hiervon ausgehend hat es geprüft, ob entlastende Umstände von solchem Gewicht vorliegen, dass die prognostische Gesamtwürdigung gleichwohl den Schluss rechtfertige, der Beamte habe das Vertrauensverhältnis noch nicht endgültig zerstört. Dies hat das Berufungsgericht letztlich verneint.
Rz. 7
Demgegenüber greift die Beschwerde mit ihren Ausführungen die einzelfallbezogene Würdigung des Berufungsgerichts an, zeigt aber keinen entgegenstehenden Rechtssatz auf. In Disziplinarverfahren kann eine Divergenz grundsätzlich nicht damit begründet werden, das Tatsachengericht habe die be- und entlastenden Umstände im Rahmen der Gesamtwürdigung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG (bzw. § 13 SH LDG) fehlerhaft gewichtet (Beschluss vom 3. Juli 2007 – BVerwG 2 B 18.07 – Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1).
Rz. 8
b) Die behauptete Divergenz ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen der Beschwerde, das Berufungsgericht habe entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht als Milderungsgrund berücksichtigt, dass die Straftat nicht unmittelbar dienstbezogen gewesen und nicht zu Lasten einer Schülerin erfolgt sei. Mit diesem Vorbringen wird kein Rechtssatzwiderspruch dargelegt, sondern allenfalls eine fehlerhafte Rechtsanwendung behauptet, die eine Abweichung i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht begründet. Davon abgesehen stehen die entsprechenden Rechtssätze des Berufungsgerichts im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Bei der Frage, ob die Straftat unmittelbar dienstbezogen oder zu Lasten einer Schülerin erfolgt war, geht es nicht um einen Milderungsgrund, sondern um die Einordnung des Dienstvergehens als außerdienstliches oder dienstliches Fehlverhalten. Auch strafbares außerdienstliches Verhalten stellt nur dann ein disziplinarrechtlich relevantes Fehlverhalten dar, wenn die besonderen qualifizierenden Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 Satz 2 SH LBG a.F. (seit 1. April 2009 § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG) erfüllt sind, d.h. es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen in einer für das Amt des Beamten oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen (Urteil vom 25. März 2010 – BVerwG 2 C 83.08 –, zur Veröffentlichung vorgesehen, Rn. 14 ff., m.w.N.).
Rz. 9
Ein einmaliges außerdienstliches Fehlverhalten eines Beamten – selbst wenn es den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt – lässt nicht ohne besondere qualifizierende Umstände den Rückschluss auf mangelnde Gesetzestreue oder mangelndes Verantwortungsbewusstsein bei der Erfüllung der dem Beamten obliegenden Dienstpflichten zu. Ein solcher Schluss erscheint nur bei einer Mehrzahl entsprechender außerdienstlicher Gesetzesverstöße möglich, wenn das Fehlverhalten dadurch eine neue Qualität im Hinblick auf die Beurteilung der dienstlichen Vertrauenswürdigkeit des Beamten erhält. Daneben kommt außerdienstlichem Fehlverhalten eine Indizwirkung für die Erfüllung der Dienstpflichten umso eher zu, je näher sein Bezug zu den dem Beamten übertragenen Dienst- und Obhutspflichten ist. So sind außerdienstliche Sexualdelikte gegen Kinder geeignet, Rückschlüsse auf die dienstliche Vertrauenswürdigkeit eines Lehrers zu ziehen (vgl. zum Ganzen: Urteil vom 30. August 2000 – BVerwG 1 D 37.99 – BVerwGE 112, 19 ≪23 ff,≫ = Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 23, vgl. auch Urteil vom 25. März 2010 a.a.O. Rn. 22).
Rz. 10
Vorsätzlich begangene schwerwiegende Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe geahndet worden sind, führen allerdings auch ohne Bezug auf das konkrete Amt in der Regel zu einer Ansehensschädigung wie die gesetzgeberische Wertung in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG (bzw. § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG, vormals § 48 Satz 1 Nr. 1 BBG a.F. bzw. § 60 Satz 1 Nr. 1 SH LBG a.F.) zeigt. Um eine solche schwerwiegende Straftat handelt es sich bei einem vorsätzlich begangenen außerdienstlichen Sexualdelikt gegen ein Kind i.S.d. § 176 Abs. 1 StGB, das mit einer Freiheitsstrafe geahndet worden ist. Eine solche Straftat ist – unabhängig vom konkreten Amt, das der Beamte innehat – geeignet, das Ansehen des Berufsbeamtentums derart schwerwiegend zu beeinträchtigen, dass als Richtschnur für die Maßnahmebemessung die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts zugrunde gelegt werden kann (zum Ganzen: Urteil vom 25. März 2010 a.a.O. Rn. 18 f. m.w.N.).
Rz. 11
Die Kostenentscheidung folgt aus § 41 Abs. 1 SH LDG i.V.m. § 77 Abs. 4 BDG, § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 41 Abs. 1 SH LDG i.V.m. § 78 Abs. 1 Satz 1 BDG a.F. gerichtskostenfrei.
Unterschriften
Herbert, Thomsen, Dr. Maidowski
Fundstellen