Verfahrensgang
OVG des Landes Sachsen-Anhalt (Entscheidung vom 02.12.2020; Aktenzeichen 2 K 101/18) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 2. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragstellerinnen als Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Sie ist unbegründet.
Rz. 2
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.
Rz. 3
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 ≪91≫ und vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 4).
Rz. 4
a) Die Beschwerde möchte der Sache nach rechtsgrundsätzlich klären lassen,
ob der Beschluss einer Gemeindevertretung wirksam ist, obwohl die Zahl der Ja- und Nein-Stimmen und der Enthaltungen unter Verletzung kommunalverfassungsrechtlicher Regelungen des Landesrechts nicht in die Sitzungsniederschrift aufgenommen worden ist.
Rz. 5
Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts berührt ein Verstoß gegen § 58 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 KVG LSA nur die Beweiskraft des Protokolls, lässt jedoch die Gültigkeit des gefassten Beschlusses unberührt (UA S. 40). Ob dies zutrifft, beurteilt sich nach dem Landesrecht und unterliegt nicht der nach § 137 Abs. 1 VwGO begrenzten Prüfung durch das Revisionsgericht. Die Frage ist auch nicht deshalb eine solche des Bundesrechts, weil sie sich auch nach Maßgabe des Kommunalverfassungsrechts weiterer Bundesländer stellen kann.
Rz. 6
b) Die Beschwerde sieht weiter grundsätzlichen Klärungsbedarf,
ob ein Bebauungsplan fehlerhaft ist, wenn in einem Baugebiet nach den §§ 2 bis 9 BauNVO eine mögliche Nutzungsart ausgeschlossen wird und zugleich eine Nutzungsart zugelassen wird, die einem anderen Baugebiet entspricht.
Rz. 7
Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, soweit der Fall sie aufwirft. Nach der für das Revisionsgericht gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO maßgebenden Auslegung des Bebauungsplans durch das Oberverwaltungsgericht, sind im Teilgebiet MI 2 Wohngebäude nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO ausgeschlossen, ausnahmsweise zulässig sind dort Betriebswohnungen im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO (UA S. 41). Die Beschwerde sieht grundsätzlichen Klärungsbedarf, ob die Gemeinde den Ausschluss einer allgemein zulässigen Nutzung in einem Baugebiet - hier: Wohnnutzungen - mit der Zulässigkeit einer Nutzungsart kombinieren darf, die sie einer Vorschrift zu einem anderen Baugebiet der Baunutzungsverordnung entnimmt - hier: Betriebswohnungen -.
Rz. 8
Rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt sie damit nicht auf. Das Oberverwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin kraft § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauNVO befugt gesehen, das festgesetzte Mischgebiet zu gliedern und im Teilgebiet MI 2 die nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO allgemein zulässigen Wohngebäude auszuschließen. Die Baunutzungsverordnung gestattet es nach § 1 Abs. 5 und 9 BauNVO, einen solchen Ausschluss durch Gegenausnahmen für bestimmte Arten von Anlagen der betreffenden Nutzungsart wieder ein Stück weit zurückzunehmen. Dabei bezieht sich der besondere Rechtfertigungsbedarf nach § 1 Abs. 9 BauNVO allein auf die Gegenausnahme (BVerwG, Urteil vom 26. März 2009 - 4 C 21.07 - BVerwGE 133, 310 Rn. 13). Die Vorinstanz hat die Zulässigkeit von Betriebswohnungen im MI 2 als eine solche Gegenausnahme zum Ausschluss der Wohnnutzung verstanden und nach § 1 Abs. 5 und 9 BauNVO für zulässig gehalten.
Rz. 9
Die Beschwerde beanstandet, diese Auffassung verkenne die Zuordnung der Betriebswohnungen in § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO zum Gewerbegebiet. Dies geht fehl. Festsetzungen nach § 1 Abs. 4, 5 und 9 BauNVO sind nur zulässig, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des jeweiligen Baugebiets - hier: Mischgebiet - gewahrt wird (vgl. § 1 Abs. 5 BauNVO und im Übrigen BVerwG, Urteil vom 23. April 2009 - 4 CN 5.07 - BVerwGE 133, 377 Rn. 9). Dies hat das Oberverwaltungsgericht erkannt, die allgemeine Zweckbestimmung aber als gewahrt angesehen (vgl. UA S. 42 f.). Dass Betriebswohnungen allein deshalb die Zweckbestimmung des Mischgebietes entfallen lassen könnten, weil sie im Gewerbegebiet jedenfalls ausnahmsweise zulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 2017 - 4 C 8.16 - BVerwGE 159, 322 Rn. 7) sind, ist nicht ersichtlich. Die Antragsgegnerin durfte vielmehr bei der Formulierung der Gegenausnahme abkürzend auf die Sprache der Baunutzungsverordnung Bezug nehmen und eine dort geregelte Nutzungsunterart auf diesem Weg in ihre textlichen Festsetzungen übernehmen. Andere inhaltliche rechtliche Maßstäbe für die Zulässigkeit von Feindifferenzierungen folgen aus dieser Gestaltung nicht.
Rz. 10
2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.
Rz. 11
Nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u.a.) des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Diese Abweichung setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes (BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2017 - 6 B 43.17 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 198 Rn. 4). In der Beschwerdebegründung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Entscheidung bezeichnet werden, von der das Urteil abweicht. Der Beschwerde obliegt es, aus einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts einen tragenden, abstrakten Rechtssatz zu einer revisiblen Rechtsvorschrift zu benennen und darzulegen, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abweichenden abstrakten Rechtssatz zu derselben Rechtsvorschrift beruht. Für einen Widerspruch im abstrakten Rechtssatz und damit eine Abweichung nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genügt dagegen nicht der Vorwurf, die Vorinstanz habe einen abstrakten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts fehlerhaft oder gar nicht angewandt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14 f.).
Rz. 12
Die Beschwerde macht eine Abweichung zu dem Senatsbeschluss vom 7. März 2019 - 4 BN 45.18 - (Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 39 Rn. 6) geltend. Danach wahrt die Gliederung eines Industriegebiets nach Emissionskontingenten die allgemeine Zweckbestimmung des § 9 Abs. 1 BauNVO nicht und ist von § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO nicht gedeckt, wenn mit den Emissionskontingenten Gewerbebetriebe ab einem gewissen Störgrad im gesamten Industriegebiet ausgeschlossen werden (ebenso BVerwG, Urteil vom 18. Februar 2021 - 4 CN 5.19 - juris Rn. 13). Einen hiervon abweichenden Rechtssatz hat das Oberverwaltungsgericht nicht aufgestellt, sondern hat sich zur Kontingentierung der als Industriegebiete festgesetzten Teilflächen gar nicht geäußert (UA S. 59). Die Beschwerde erschöpft sich damit in dem Vorwurf, das Oberverwaltungsgericht habe vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellte Rechtssätze nicht angewandt. Dies richtet sich gegen die Rechtsanwendung im Einzelfall, führt aber nicht auf eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.
Rz. 13
Die vorgenannte Unterscheidung erschwert nicht in unzumutbarer Weise den Zugang zur Revisionsinstanz. Es hätte den Antragstellerinnen (oder ihrem Rechtsvorgänger) offen gestanden, im Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht auf den Senatsbeschluss vom 7. März 2019 - 4 BN 45.18 - (Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 39 Rn. 6) hinzuweisen. Wäre das Oberverwaltungsgericht dem nicht nachgegangen, hätten sie dieses Unterlassen als Gehörsverstoß und damit als Verfahrensfehler nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO rügen können. Ein solcher Hinweis hätte dem Oberverwaltungsgericht zudem Anlass gegeben zu prüfen, ob die Kontingentierung der als Industriegebiet festgesetzten Teilgebiete als externe Gliederung auf § 1 Abs. 4 Satz 2 BauNVO gestützt werden konnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2017 - 4 CN 7.16 - BVerwGE 161, 53 Rn. 17), wie die Antragsgegnerin in ihrer Beschwerdeerwiderung geltend gemacht hat. Die Antragstellerinnen machen indes nicht geltend, im Verfahren der Vorinstanz seien Bedenken gegen die Kontingentierung der als Industriegebiet festgesetzten Teilgebiete vorgetragen worden. Die Begründung des Normenkontrollantrags verhält sich vielmehr unter II.9 nur zu den Gewerbegebieten.
Rz. 14
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
Haufe-Index 15061359 |
ZfBR 2021, 876 |
BBB 2022, 60 |