Verfahrensgang
OVG des Landes Sachsen-Anhalt (Urteil vom 09.11.2005; Aktenzeichen 3 L 264/03) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 9. November 2005 wird verworfen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und einen Verfahrensmangel durch Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) gestützte Beschwerde ist unzulässig. Sie entspricht nicht den Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Zulassungsgründe aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
1. Die Beschwerde rügt zunächst eine Verletzung des rechtlichen Gehörs mit der Begründung (Beschwerdebegründung S. 3 ff.), das Berufungsgericht habe einen wesentlichen Teil des Klagevortrags – nämlich die “tragenden Erwägungen des verwaltungsgerichtlichen Urteils” zu einer Verweigerung der Wiedereinreise von staatenlosen Kurden in das Land ihres früheren gewöhnlichen Aufenthalts Syrien, die sich die Kläger zu eigen gemacht hätten – übergangen. Damit und mit den hierzu gemachten weiteren Ausführungen wird der behauptete Verfahrensmangel nicht schlüssig geltend gemacht. Vielmehr wendet sich die Beschwerde im Gewande der Gehörsrüge lediglich gegen die dem Berufungsgericht als Tatsachengericht vorbehaltene Feststellung und Würdigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts und dabei insbesondere gegen seine (umfangreich begründete, vgl. UA S. 11 ff.) Einschätzung, dass die Rückkehrverweigerung (das Wiedereinreiseverbot) für staatenlose Kurden nach illegaler Ausreise aus Syrien nicht an eines der in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Merkmale anknüpft, insbesondere nicht an die Ethnie. Dass sich das Oberverwaltungsgericht hierbei nicht im Detail mit den – zu einer gegenteiligen Wertung gelangenden – Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil auseinander setzt, lässt sich bei verständiger Würdigung der umfangreichen Entscheidungsgründe zu dieser Frage nicht darauf zurückführen, dass es den Vortrag der Kläger unter Bezugnahme auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils nicht zur Kenntnis genommen oder in Erwägung gezogen hat, zumal im Tatbestand der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich darauf hingewiesen ist, dass sich die Kläger “auf die Gründe des verwaltungsgerichtlichen Urteils” berufen.
2. Die Beschwerde hält außerdem für grundsätzlich bedeutsam die Frage, “ob unter Berücksichtigung der EU-Qualifikationsrichtlinie ≪Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004≫ der Flüchtlingsbegriff in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 1 A Nr. 2 GFK dergestalt auszulegen ist, dass eine Wiedereinreiseverweigerung durch Staaten gegenüber Staatenlosen, die in diesem Staat früher ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, unabhängig von Motiv und Ziel der Wiedereinreiseverweigerung als politische Verfolgung zu werten ist”.
Die Kläger meinen hierzu, soweit sich das Oberverwaltungsgericht auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 1985 – BVerwG 9 C 30.85 – (Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 39) beziehe, sei trotz dieser und in der Folgezeit ergangener gleichlautender Entscheidungen eine neuerliche gerichtliche Klärung angebracht. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verweise nunmehr explizit auf den Flüchtlingsbegriff in Art. 1 A Nr. 2 Halbs. 2 GFK, zu dem der UNHCR in seinem Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft vor 1979 Ausführungen gemacht habe. Darin stelle sich der UNHCR auf den Standpunkt, dass eine Rückkehr staatenloser Personen in das Land ihres früheren gewöhnlichen Aufenthalts regelmäßig nicht mehr möglich sei. Daraus könne und dürfe die Schlussfolgerung gezogen werden, dass eine Wiedereinreiseverweigerung in der Regel und ohne Ansehung der beim Verfolgerstaat diesbezüglich festzustellenden Gründe eine Schutzgewährung nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht ausschließe. Abweichend von der bisherigen deutschen Rechtsprechung zum Begriff der politischen Verfolgung seien nunmehr neben der Genfer Flüchtlingskonvention auch die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben der sog. Qualifikationsrichtlinie maßgeblich, die auch während der noch laufenden Umsetzungsfrist zu beachten seien, zumal das Aufenthaltsgesetz erst nach der Richtlinie erlassen worden sei. In dieser Richtlinie fänden sich keine Hinweise darauf, dass die Motivation der Wiedereinreiseverweigerung durch den Verfolgerstaat bei der Statusfeststellung maßgeblich sei. Das Gegenteil sei der Fall, wie sich aus dem Erlöschenstatbestand in Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie ergebe. Hinzu komme, dass die Kläger durch das Staatenlosenübereinkommen, auf welches sie vom Berufungsgericht verwiesen würden, nicht ausreichend geschützt seien.
Mit diesem Vortrag wird eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht aufgezeigt. Eine solche ergibt sich insbesondere nicht aus der Neufassung des § 60 Abs. 1 AufenthG, da auch die Vorgängervorschrift des § 51 Abs. 1 AuslG auf die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention bezogen war und die flüchtlingsrechtliche Anerkennung bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 1 A Nr. 2 GFK umfasste. Bereits in der von der Beschwerde zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 1985 – BVerwG 9 C 30.85 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 39 heißt es, dass politische Verfolgung bei einer Einreiseverweigerung (Einreisesperre oder Rückkehrverbot) gegeben sein kann, sofern der darin liegenden Entziehung des Aufenthaltsrechts “politische Motive … zugrunde liegen, die Verweigerung der Wiedereinreise also auf die Rasse, Religion, Nationalität, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Überzeugung des von ihr Betroffenen zielt”. Bereits daran wird deutlich, dass die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts insoweit eine Anknüpfung der Einreiseverweigerung an eines der unverfügbaren, in Art. 1 A Nr. 2 GFK genannten (und nunmehr zusammen mit dem Verweis auf die Genfer Flüchtlingskonvention in § 60 Abs. 1 AufenthG ausdrücklich in Bezug genommenen) Ausgrenzungsmerkmale verlangt. Schon deshalb ist nicht erkennbar, inwiefern die Neufassung der Vorschrift im vorliegenden Zusammenhang eine andere rechtliche Beurteilung und eine erneute rechtsgrundsätzliche Befassung des Bundesverwaltungsgerichts gebieten soll. Die Beschwerde setzt sich auch nicht, obwohl sie diese Rechtsprechung in Bezug nimmt, mit deren Begründung auseinander. Im Übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht in zahlreichen weiteren Entscheidungen an dieser Auffassung festgehalten und ausgeführt, dass nicht jede Ausbürgerung oder Aussperrung in Gestalt einer Rückkehrverweigerung eine asylrechtlich erhebliche Verfolgung darstellt, sondern dass es entscheidend darauf ankommt, ob solche Maßnahmen wegen asylerheblicher Merkmale des Betroffenen erfolgen, wobei es nicht auf die subjektiven Motive des Verfolgenden, sondern auf die objektive Gerichtetheit der Maßnahme ankommt (vgl. etwa den Beschluss des früher für das Asylrecht zuständigen 9. Senats vom 7. Dezember 1999 – BVerwG 9 B 474.99 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 224 m.w.N.; vgl. ferner danach etwa Beschluss vom 1. August 2002 – BVerwG 1 B 6.02 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 263; Urteil vom 22. Februar 2005 – BVerwG 1 C 17.01 – BVerwGE 123, 18 = Buchholz 402.25 § 26 AsylVfG Nr. 11 sowie zuletzt Urteil vom 12. Juli 2005 – BVerwG 1 C 22.04 – NVwZ 2006, 99, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE und in Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG vorgesehen). In der Entscheidung vom 22. Februar 2005 (a.a.O.) hat der beschließende Senat auch erneut bestätigt, dass der Status der von einer Rückkehrverweigerung ohne Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal betroffenen Personen, der sich nach dem Übereinkommen vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen richtet, diesen einen besonderen Ausweisungs- und Abschiebungsschutz gewährleistet. Es trifft deshalb auch nicht zu, dass diese Personen – wie die Beschwerde meint – “schutzlos” bleiben.
Auch soweit sich die Beschwerde schließlich noch auf die Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG beruft, entspricht sie nicht dem Darlegungserfordernis nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. So teilt sie schon nicht mit, ob sie diese Rechtsfrage überhaupt zum Gegenstand ihres Vortrags in der Berufungsinstanz gemacht hat. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann sie dies nicht nachholen und damit – unter Übergehung der Berufungsinstanz – sich bereits zuvor stellende Rechtsprobleme an das Revisionsgericht zur erstmaligen Befassung und Entscheidung herantragen. Nach Aktenlage haben sich die Kläger im Berufungsverfahren nicht weiter zur Sache geäußert und sich demgemäß auch nicht auf die Richtlinie 2004/83/EG berufen. Unabhängig hiervon behauptet die Beschwerde zwar, dass sich aus der Richtlinie 2004/83/EG nunmehr etwas Abweichendes ergeben soll, führt dies aber nicht unter Auseinandersetzung mit der bisherigen Rechtsprechung aus. Ob die der Sache nach zugleich mittelbar als klärungsbedürftig angesprochene Frage, ob das Berufungsgericht insbesondere Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG (in dem dieser Bestimmung von der Beschwerde beigelegten Sinne) bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist hätte berücksichtigen müssen, hinreichend bezeichnet ist, kann dahingestellt bleiben. Sie würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nämlich nicht selbständig, sondern nur im Zusammenhang – als Vorfrage – mit der Auslegung des § 60 Abs. 1 AufenthG stellen. Außerdem kann die von der Beschwerde angesprochene Frage auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens dahin beantwortet werden, dass die – konstitutiv wirkende – Flüchtlingsanerkennung voraussetzt, dass – wie der Verwaltungsgerichtshof in Übereinstimmung mit der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung angenommen hat – im Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung eine asylrelevante Verfolgungsgefahr – bezogen auf die Rückkehr in den Heimatstaat – aktuell besteht. Es reicht deshalb nicht aus, worauf die Ansicht der Beschwerde letztlich hinausläuft, lediglich auf eine bei der Ausreise bestandene (Vor-)Verfolgung wegen der Ethnie abzustellen. Die von der Beschwerde angeführten Bestimmungen der Richtlinie 2004/38/EG enthalten keine dem entgegenstehenden Aussagen. Ebenso wenig kann ihnen entnommen werden, dass andere als asylerhebliche Gefahren, die dem Einzelnen wegen der in Art. 1 A Nr. 2 GFK genannten und nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG schutzbegründenden Merkmale bei einer Rückkehr im Heimatstaat drohen, eine Flüchtlingsanerkennung rechtfertigen können.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Streitwert ergibt sich aus § 30 RVG.
Unterschriften
Hund, Richter, Prof. Dr. Dörig
Fundstellen