Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 20.11.2008; Aktenzeichen 7 KS 39/06) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. November 2008 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
Rz. 2
1. Die Voraussetzungen einer Zulassung der Beschwerde nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen entscheidungserheblicher Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sind nicht erfüllt. Eine Abweichung im Sinne dieser Vorschrift liegt nur dann vor, wenn sich das Oberverwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat (stRspr; vgl. z.B. Beschluss vom 12. Dezember 1991 – BVerwG 5 B 68.91 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302 m.w.N.). Daran fehlt es hier.
Rz. 3
Die Beschwerde rügt eine Abweichung der angefochtenen Entscheidung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 1983 (BVerwG 4 C 40 und 41.80 – Buchholz 407.4 § 1 FStrG Nr. 5). Während das Bundesverwaltungsgericht in diesem Urteil den abstrakten Rechtssatz aufgestellt habe, für die Beantwortung der Frage, ob eine Bundesautobahn planfestgestellt worden sei, seien ausschließlich materielle Kriterien maßgeblich, habe das Oberverwaltungsgericht den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, die Rechtsnatur einer Bundesfernstraße – Bundesstraße oder Bundesautobahn – bestimme sich (ausschließlich) nach Titel und Inhalt des Planfeststellungsbeschlusses. Diese Rüge ist bereits deshalb nicht geeignet, eine Divergenz zu begründen, weil das Oberverwaltungsgericht den ihm zugeschriebenen Rechtssatz weder ausdrücklich noch sinngemäß aufgestellt hat. Mit der Formulierung, planfestgestellt sei “ausdrücklich und inhaltlich der Ausbau einer Bundesfernstraße im Sinne von § 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 (Bundesstraße) FStrG, nicht der einer Bundesautobahn nach Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift” (UA S. 10), hat das Oberverwaltungsgericht gerade nicht allein auf den Titel des Beschlusses und die Angaben des Vorhabenträgers in der Planbegründung abgestellt. Die Formulierung ist vielmehr erkennbar dahin zu verstehen, dass das Gericht aufgrund eigener Überprüfung der zeichnerischen und textlichen Festsetzungen des Planfeststellungsbeschlusses und der Planunterlagen zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Klassifizierung der Bundesfernstraße als Bundesstraße in der Sache (“inhaltlich”), also insbesondere hinsichtlich der geplanten technischen Ausführung und der Verkehrsbedeutung, den rechtlichen Vorgaben des Bundesfernstraßengesetzes entspricht.
Rz. 4
2. Die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kommt der Rechtssache nicht zu.
Rz. 5
a) Die als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage
“Wird die Rechtsnatur einer Bundesfernstraße als Bundesautobahn oder Bundesstraße mit Ortsdurchfahrten bestimmt durch die Bezeichnung (Etikett) im Planfeststellungsbeschluss oder durch die Abgrenzungsmerkmale gem. § 1 Abs. 1 – 3 FStrG?”
rechtfertigt die Zulassung der Revision schon deswegen nicht, weil das Oberverwaltungsgericht – wie unter 1. dargelegt – nicht isoliert auf das “Etikett” des Planfeststellungsbeschlusses, sondern auch auf inhaltliche Kriterien abgestellt hat. Die Frage ist mithin nicht entscheidungserheblich. Im Übrigen weist die Beschwerde selbst darauf hin, dass Klärungsbedarf im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO deswegen nicht bestehe, weil die “Rechtsfrage … bereits höchstrichterlich geklärt” sei.
Rz. 6
Auch die im Zusammenhang mit der vorgenannten Frage formulierten weiteren Teilfragen
“Hat die Planfeststellungsbehörde das Recht, eine Bundesstraße planfestzustellen, wenn die planfestgestellte Maßnahme nach dem Fernstraßengesetz eine Bundesautobahn ist?”
“Ist es rechtsfehlerhaft, eine – nach dem erstrebten Endzustand – gewollte Bundesautobahn zu planen und die Planung als Bundesstraße planfestzustellen?”
“Ist es abwägungsfehlerhaft, bei der Planung einer Bundesautobahn unter dem Deckmantel einer Bundesstraße, die zumindest in rechtlicher Hinsicht stärkere Belastung durch Nutzungsbeschränkungen und zumindest durch tatsächliche zusätzliche Belastungen durch Lärmimmissionen nicht in die Abwägung einzustellen?”
rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht. Diesen Fragestellungen liegt die Auffassung zugrunde, der angefochtene Planfeststellungsbeschluss beruhe auf einer unzutreffenden Klassifizierung der planfestgestellten Straße als Bundesstraße. Dies entspricht – wie bereits dargelegt – nicht den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts in dem angegriffenen Urteil.
Rz. 7
b) Die Frage
“Ist ein Planfeststellungsbeschluss rechtsfehlerhaft, wenn die Planfeststellungsbehörde eine Abwägung einerseits zwischen einer vom Einwendenden vorgetragenen, sich aufdrängenden und andererseits vom Vorhabenträger geplanten Trassenführung nicht vornimmt und insbesondere die Gründe für die geplante Trassenführung nicht nennt und die Planfeststellungsbehörde soweit auch keine Abwägung der Trassenführung vornimmt?”
rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Die Beschwerde legt nicht dar (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), inwiefern vor dem Hintergrund der von ihr selbst zitierten ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur abwägungsfehlerfreien Trassenauswahl noch weiterer Klärungsbedarf in einem Revisionsverfahren bestehen soll. Sie wendet sich mit ihrer Grundsatzrüge vielmehr gegen die im Planfeststellungsbeschluss getroffene Trassenentscheidung und kritisiert, das Oberverwaltungsgericht habe die eigene Abwägung an die Stelle einer Abwägung der Straßenbauverwaltung gesetzt und sei mit nicht nachvollziehbarer Begründung zu dem Schluss gekommen, dass eine erhebliche zusätzliche Wertminderung nicht eintreten werde. Damit erweist sich die vorstehende Frage in Wahrheit als Angriff auf die konkrete Rechtsanwendung des Oberverwaltungsgerichts, ohne anzugeben, worin die über den konkreten Einzelfall hinausgehende fallübergreifende Bedeutung der Rechtssache liegen soll (vgl. auch hierzu Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14 m.w.N.).
Rz. 8
c) Grundsätzliche Bedeutung kommt auch nicht der Frage zu:
“Ist ein Kläger mit der Geltendmachung des Übernahmeanspruches präkludiert, wenn er einerseits erhebliche Einwendungen gegen die Planung erhebt und auf die unzumutbaren Auswirkungen der Planung für die Nutzung seines Grundstückes hinweist, andererseits einen Übernahmeanspruch erst im gerichtlichen Verfahren geltend macht?”
Rz. 9
Es fehlt an der Entscheidungserheblichkeit der Frage. Die Beschwerde übersieht, dass ihre Frage nur eine von zwei jeweils selbständig tragenden Begründungen betrifft, mit denen das Oberverwaltungsgericht den Einwand des Klägers zurückgewiesen hat, die Beeinträchtigungen seines Grundstücks hätten unter dem Aspekt eines Übernahmeanspruchs gegen Entschädigung gewürdigt werden müssen. Denn das Oberverwaltungsgericht hat unabhängig von Erwägungen zur Präklusion die Frage verneint, ob eine Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme des Grundstücks des Klägers bestand. Bei einer solchen mehrfachen, die Entscheidung jeweils selbständig tragenden Begründung kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr; vgl. etwa Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O. S. 15). Daran fehlt es hier. Zwar hat die Beschwerde die weitere Urteilsbegründung ebenfalls mit einer Grundsatzrüge angegriffen. Auch die insoweit aufgeworfene Frage
“Kann der enteignungsbetroffene Kläger verlangen, dass im verwaltungsgerichtlichen Verfahren insgesamt über die Zulässigkeit und Gebotenheit eines Übernahmeanspruches entschieden wird?”
rechtfertigt aber nicht die Zulassung der Revision. Diese Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt.
Rz. 10
Ob über einen Anspruch auf Grundstücksübernahme gegen Entschädigung bereits im Planfeststellungsbeschluss zu befinden ist, richtet sich nach der Art der anspruchsbegründenden Beeinträchtigungen. Ermöglicht ein Planfeststellungsbeschluss den unmittelbaren Zugriff auf das Grundeigentum durch Entzug oder Teilentzug dieser Rechtsposition, bildet er also die Grundlage für eine Enteignung (Art. 14 Abs. 3 GG), so ist die Regelung der damit verbundenen Entschädigungsfragen einschließlich der Frage einer Übernahme des Gesamtgrundstücks dem von der Planfeststellung gesonderten Enteignungsverfahren vorbehalten. Wirkt eine Planung demgegenüber nur mittelbar – ohne Grundstücksinanspruchnahme – durch die mit ihr verbundene Situationsveränderung in der Umgebung des Planvorhabens auf Rechtspositionen Dritter ein, so entfaltet der Planfeststellungsbeschluss keine enteignende (Vor-)Wirkung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG, sondern bestimmt – unabhängig von der Intensität der Beeinträchtigung – lediglich die Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Da mittelbare Beeinträchtigungen durch den Planfeststellungsbeschluss hervorgerufen werden, ohne dass es – wie beim Rechtsentzug – eines gesonderten Rechtsakts in Gestalt des Enteignungsbeschlusses bedarf, hat die Planfeststellungsbehörde dem Grunde nach schon im Planfeststellungsbeschluss über daraus resultierende Entschädigungsansprüche gemäß § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG zu entscheiden. Dies trifft auch für den Übernahmeanspruch wegen schwerer und unerträglicher mittelbarer Beeinträchtigungen zu, denn bei ihm handelt es sich um eine besondere Art des Entschädigungsanspruchs nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG (vgl. Urteil vom 7. Juli 2004 – BVerwG 9 A 21.03 – Buchholz 406.16 Grundeigentumsschutz Nr. 87 S. 9 f. m.w.N.).
Rz. 11
Die Beschwerde zeigt keine Gesichtspunkte auf, die diese Beurteilung in Frage stellen und Anlass zu einer revisionsgerichtlichen Prüfung geben könnten. Sie beschränkt sich darauf, die Unterscheidung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Beeinträchtigungen und die danach gegebenen unterschiedlichen Zuständigkeiten als wenig geglückt zu kritisieren und eine umfassende Prüfung von Übernahmeansprüchen hinsichtlich unmittelbarer und mittelbarer Beeinträchtigungen “im verwaltungsgerichtlichen Verfahren” zu fordern. Diese Ausführungen berücksichtigen nicht, dass der Entscheidung im Planfeststellungsbeschluss, welche Flächen für das Vorhaben benötigt werden und dem bisherigen Eigentümer entzogen werden dürfen, die Abwägung vorauszugehen hat, ob der Eigentumsentzug und die sonstigen mit der Inanspruchnahme verbundenen Nachteile für den Betroffenen im Interesse der für das Vorhaben sprechenden öffentlichen Belange in Kauf genommen werden sollen. Dabei hat der Planfeststellungsbeschluss bei Entzug einer Teilfläche auch die von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen des Restgrundstücks in die Abwägung einzubeziehen. Die Frage, ob die Beeinträchtigungen in ihrer Summe das Maß des Erträglichen übersteigen und zu einem Übernahmeanspruch führen, kann der Planfestellungsbeschluss in einem solchen Falle allerdings offen lassen, wenn er unabhängig von dieser Frage den für die Planung sprechenden Gesichtspunkten den Vorrang einräumt (Urteil vom 7. Juli 2004 a.a.O. S. 8).
Rz. 12
d) Die Frage
“Ist es rechtsfehlerhaft, wenn bei der Prüfung eines Übernahmeanspruches durch mittelbare Beeinträchtigung lediglich auf die Auswirkungen einer planfestgestellten Bundesstraße, nicht aber auf diejenigen einer tatsächlich rechtlich planfestgestellten Bundesautobahn abgestellt wird?”
rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Wie bereits oben unter 1. dargelegt, ist nach den nicht erfolgreich mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts eine Bundesstraße und keine Bundesautobahn planfestgestellt worden. Die von der Beschwerde formulierte Grundsatzfrage ist mithin nicht entscheidungserheblich.
Rz. 13
e) Schließlich möchte die Beschwerde die Frage geklärt wissen:
“Welche Rechtsfolgen hat es, wenn der Vorhabensträger im Erörterungstermin eine Planänderung zusichert, keinen schriftlichen Planänderungsantrag stellt und die Planfeststellungsbehörde nach den eingereichten Planungen entscheidet, ohne die zugesagte Planänderung zu berücksichtigen?”
Rz. 14
Diese Frage bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sie nicht entscheidungserheblich ist. Das Oberverwaltungsgericht hat die Festsetzung einer Kombination eines 1 m hohen Walles und einer 5 m hohen Lärmschutzwand nordöstlich des Grundstücks des Klägers als abwägungsfehlerfrei erachtet und daher die Frage, ob hinsichtlich des Wunsches des Klägers nach einer reinen Lärmschutzwand durch den Vorhabenträger eine Zusage zur Planänderung abgegeben wurde, nicht angesprochen. Es hat lediglich im Rahmen zusätzlicher, die Entscheidung nicht tragender Erwägungen zum Rechtsschutzbedürfnis darauf hingewiesen, dass nach den Erklärungen des Beklagten und der Beigeladenen dem Kläger mehrfach erfolglos angeboten worden sei, statt der Kombination eine reine Wandkonstruktion zu errichten. Die die Entscheidung tragende rechtliche Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, nach der es auf die genannte Frage nicht ankommt, greift die Beschwerde zwar als rechtsfehlerhaft an. Einen eigenständigen Revisionszulassungsgrund bringt sie insoweit aber nicht vor.
Rz. 15
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.
Unterschriften
Dr. Storost, Dr. Nolte, Prof. Dr. Korbmacher
Fundstellen