Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 20.02.2013; Aktenzeichen 10 A 11064/12.OVG) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Februar 2013 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde der Beklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, dass die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Das Berufungsurteil beruht auf dem von der Beklagten geltend gemachten Verstoß gegen die dem Gericht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO obliegende Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts.
Rz. 2
1. Der 1955 geborene Kläger steht als Zollbetriebsinspektor (BesGr A 9 m BBesO) im Dienst der Beklagten. In der Beurteilung für den Zeitraum vom 2. Juli 2008 bis zum 1. Juni 2010 wurde der Kläger abschließend mit der dritten Note der insgesamt fünfstufigen Notenskala “In vollem Umfang den Anforderungen entsprechend (7 Punkte)” beurteilt, wobei die vergebene Punktzahl in der Skala von 7 bis 9 der niedrigste Wert ist. Bei den 24 Einzelkompetenzen der dienstlichen Beurteilung wurde der Kläger neun Mal mit dem dritten von insgesamt sechs Ausprägungsgraden (“C… – stark ausgeprägt”) und fünfzehn Mal mit dem vierten Grad (“D… – durchschnittlich ausgeprägt”) bewertet. Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide verpflichtet, den Kläger zum Beurteilungsstichtag 1. Juni 2010 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut dienstlich zu beurteilen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 3
Das Gesamturteil sei rechtswidrig, weil es nicht aus den bereits bewerteten und gewichteten Einzelkompetenzen entwickelt worden sei. Vielmehr seien umgekehrt und “losgelöst” von den Einzelkompetenzen zunächst in einer Besprechung aufgrund einer vergleichenden Betrachtungsweise der zu beurteilenden Beamten jeweils Notenstufe und Punktzahl des Gesamturteils festgelegt worden. Erst anschließend seien die 24 Einzelkompetenzen bewertet worden. Die Ausprägungsgrade der Einzelkompetenzen seien letztlich durch ein Computerprogramm festgelegt worden, um zu einem “schlüssigen” und “rechnerisch richtigen” Gesamturteil zu gelangen.
Rz. 4
2. Entgegen der Ansicht der Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht bei der Niederschrift über die Berufungsverhandlung die Vorschriften der § 105 VwGO i.V.m. §§ 159 bis 165 ZPO nicht verletzt.
Rz. 5
Die Beschwerde sieht es als verfahrensfehlerhaft an, dass das Oberverwaltungsgericht nicht die Äußerungen der Prozessvertreterin der Beklagten in der Berufungsverhandlung in die Niederschrift aufgenommen hat. Bei Aufnahme dieser Aussagen in das Protokoll hätte das Oberverwaltungsgericht nicht zu der das Urteil tragenden Feststellung kommen können, Notenstufe und Punktzahl seien in einer Gremiumsbesprechung vorab und losgelöst von den 24 Einzelkompetenzen des Beurteilungsvordrucks festgelegt worden.
Rz. 6
Das Oberverwaltungsgericht war aber nicht verpflichtet, den Inhalt der Ausführungen der Vertreterin der Beklagten in der Berufungsverhandlung in die Niederschrift aufzunehmen. Der Begriff der wesentlichen Vorgänge im Sinne von § 105 VwGO i.V.m. § 160 Abs. 2 ZPO meint die Förmlichkeiten der Verhandlung, d.h. den äußeren Hergang der Verhandlung, nicht aber den Inhalt von Erklärungen (BGH, Urteil vom 21. März 1991 – IX ZR 186/90 – NJW 1991, 2084 ≪2085≫). Zwar sind nach § 105 VwGO i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO im Protokoll die Aussagen der vernommenen Parteien festzustellen. Das setzt aber eine Parteivernehmung nach §§ 445 ff. ZPO voraus. Eine solche hat das Oberverwaltungsgericht hier nicht vorgenommen. Im Übrigen stand der Vertreterin der Beklagten nach § 105 VwGO i.V.m. § 160 Abs. 4 ZPO die Möglichkeit offen, die Aufnahme ihrer Schilderung des Zustandekommens der dienstlichen Beurteilung des Klägers in das Protokoll zu beantragen, die wesentlich von der Darstellung des in der Berufungsverhandlung ebenfalls angehörten Beurteilers abweicht.
Rz. 7
3. Begründet ist aber die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe gegen die ihm obliegende Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verstoßen. Zwar hat die Beklagte in der Berufungsverhandlung keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt. Es wird aber in der Beschwerde dargelegt, dass sich dem Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung weitere Ermittlungen zum Zustandekommen der dienstlichen Beurteilung des Klägers von sich aus hätten aufdrängen müssen.
Rz. 8
Nach der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts muss das abschließende Gesamturteil einer dienstlichen Beurteilung aus den bereits bewerteten und gewichteten Einzelkompetenzen entwickelt werden (vgl. auch Urteile vom 24. November 1994 – BVerwG 2 C 21.93 – BVerwGE 97, 128 ≪130 f.≫ = Buchholz 232.1 § 41 BLV Nr. 3 und vom 4. November 2010 – BVerwG 2 C 16.09 – BVerwGE 138, 102 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 47 jeweils Rn. 46). Danach kommt der Frage, in welcher zeitlichen Reihenfolge die Einzelkompetenzen einerseits und das Gesamturteil andererseits bestimmt worden sind, entscheidende Bedeutung zu.
Rz. 9
Zur Klärung dieser Frage hat das Oberverwaltungsgericht aber, wie dem Beschluss vom 10. April 2013 über die von der Beklagten beantragte Tatbestandsberichtigung zu entnehmen ist, lediglich den in der Berufungsverhandlung anwesenden Beurteiler, RD B…, informatorisch angehört. Dieser hat nach den Gründen dieses Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts in der Berufungsverhandlung ausgesagt, die Einzelkompetenzen seien “nachträglich erstellt” worden. Zuvor hatte der Beurteiler allerdings auch mitgeteilt, die Einzelkompetenzen der zu beurteilenden Beamten seien – schlicht aus Zeitgründen – nicht Gegenstand der entscheidenden Gremiumsbesprechung gewesen.
Rz. 10
Angesichts des schriftlichen Vorbringens der Beklagten zum Zustandekommen der dienstlichen Beurteilung des Klägers, in dem dies – durchaus detailliert – anders dargestellt wird, der Gegenäußerung des Klägers und der Bedeutung, die das Oberverwaltungsgericht den Einzelkompetenzen selbst beigemessen hat, hätte sich dem Gericht eine weitergehende Aufklärung des Sachverhalts aufdrängen müssen. Insbesondere hätte das Oberverwaltungsgericht zumindest den für den Kläger zuständigen Berichterstatter, den Sachgebietsleiter RR H…, sowie den Fachgebietsleiter, ZOAR Ba., als Zeugen zur Klärung der Fragen hören müssen, ob, wann und wie (mit welcher Verbindlichkeit) die Einzelkompetenzen tatsächlich bewertet und gewichtet worden sind, insbesondere, ob dies erst nachträglich – nach Festlegung des Gesamturteils – geschehen ist, um die Gesamtbewertung plausibel zu machen, und welche Funktion dem Computerprogramm zukommt, das offenbar zur Kontrolle der Plausibilität des Gesamturteils und der Ausprägungsgrade der Einzelkompetenzen verwendet wird. Dann hätte sich das Oberverwaltungsgericht insbesondere hinsichtlich der Bedeutung des Computerprogramms nicht auf bloße Mutmaßungen beschränken müssen, wie zu verfahren ist, wenn das Programm eine Fehlermeldung dahingehend gibt, dass die vom Berichterstatter angekreuzten Ausprägungsgrade der Einzelkompetenzen im Hinblick auf das Gesamturteil nicht plausibel sind.
Rz. 11
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Rz. 12
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Domgörgen, Dr. Hartung, Dr. Kenntner
Fundstellen