Entscheidungsstichwort (Thema)
Unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst bei fehlender zeitlicher und örtlicher Konkretisierung der Dienstleistungspflicht. Revisionszulassung
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 04.07.2013; Aktenzeichen 3 A 1879/11) |
Tenor
Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. Juli 2013 wird aufgehoben, soweit das Oberverwaltungsgericht darin die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen und die Bescheide der Bezirksregierung Münster über den Verlust seiner Dienstbezüge für die Zeit vom 15. Juli 2010 bis zum 9. August 2010 (Schulferien) zurückgewiesen hat.
Insoweit wird die Revision zugelassen.
Im Übrigen wird die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. Juli 2013 zurückgewiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Schlussentscheidung in der Hauptsache vorbehalten.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 10 000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. Juli 2013 ist begründet, soweit er sich gegen den Verlust seiner Dienstbezüge wegen schuldhaften Fernbleibens vom Dienst für die Zeit vom 15. Juli 2010 bis zum 9. August 2010 (Schulferien) wendet. Insoweit ist die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Im Übrigen ist die Beschwerde hinsichtlich des weiter streitgegenständlichen Zeitraums des Verlustes der Dienstbezüge vom 28. Mai 2010 bis zum 14. Juli 2010 (Unterrichtszeit) unbegründet. Die von der Beschwerde weiter nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemachten Revisionszulassungsgründe einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache liegen nicht vor.
Der 1951 geborene Kläger steht seit 1975 als beamteter Lehrer im Dienst des Beklagten. Seit November 2009 versah er krankheitsbedingt keinen Dienst. Sein behandelnder Facharzt bescheinigte ihm fortwährend Arbeitsunfähigkeit. Der vom Beklagten mit der Überprüfung der Dienstfähigkeit beauftragte Amtsarzt befand den von ihm untersuchten Kläger als Lehrer hingegen für uneingeschränkt dienstfähig. Daraufhin forderte der Beklagte den Kläger auf, spätestens am 17. Mai 2010 den Dienst an der M-Schule mit der bisherigen Stundenzahl wieder aufzunehmen. Gleichwohl trat der Kläger seinen Dienst erst an, nachdem er dazu am 9. August 2010 seine Bereitschaft erklärt hatte. Zuvor hatte das Verwaltungsgericht eine vom Kläger beantragte einstweilige Anordnung gegen die Aufforderung zur Dienstaufnahme am 5. August 2010 abgelehnt.
Mit weiterem Bescheid stellte der Beklagte den Verlust der Dienstbezüge des Klägers wegen schuldhaften Fernbleibens vom Dienst fest. Die dagegen gerichtete Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass der Kläger auf der Grundlage der amtsärztlichen Feststellungen für den Zeitraum vom 28. Mai 2010 bis zum 9. August 2010 dienstfähig gewesen sei. Daher sei er dem Dienst auch während der Ferien vom 15. Juli 2010 bis zum 9. August 2010 unerlaubt ferngeblieben. Zwar habe während dieser Zeit für den Kläger keine in örtlicher Hinsicht konkretisierte Dienstleistungspflicht bestanden. Der Kläger habe seinem Dienstherrn mit Ferienbeginn aber nicht zu erkennen gegeben, wieder Dienst tun zu wollen. Insbesondere habe er nicht erklärt, eigenverantwortlich zu Hause zu arbeiten oder Erholungsurlaub zu nehmen. Dazu sei er verpflichtet gewesen, weil sich die in seiner Person liegenden Umstände weder objektiv noch subjektiv gegenüber der Zeit seines schuldhaften Fernbleibens vom Dienst vor Ferienbeginn verändert hätten.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang bundesgerichtlich nicht geklärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ≪91≫ = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18 S. 21 f. und vom 2. Februar 2011 – BVerwG 6 B 37.10 – NVwZ 2011, 507 Rn. 2). Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung oder des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln eindeutig beantwortet werden kann (stRspr; vgl. Beschluss vom 24. Januar 2011 – BVerwG 2 B 2.11 – NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4 ≪insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 237.7 § 15 NWLBG Nr. 9≫).
Der Kläger wirft als rechtsgrundsätzlich bedeutsam die Frage auf, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Lehrer während der Schulferien unerlaubt dem Dienst fernbleiben kann.
Der gesetzliche Begriff des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst im Sinne von § 9 BBesG ebenso wie in § 96 Abs. 1 BBG, § 62 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW erfasst Verstöße gegen die formale Dienstleistungspflicht. Diese Pflicht verlangt von Beamten, sich während der vorgeschriebenen Zeit an dem vorgeschriebenen Ort aufzuhalten, um die dienstlichen Aufgaben zu erfüllen. Solange ein Beamter dienstunfähig ist, ist er von der Dienstleistungspflicht befreit, weil er sie nicht erfüllen kann (stRspr; vgl. Urteile vom 25. September 2003 – BVerwG 2 C 49.02 – Buchholz 240 § 9 BBesG Nr. 26, vom 11. Oktober 2006 – BVerwG 1 D 10.05 – Buchholz 232 § 73 BBG Nr. 30 Rn. 34 und vom 10. April 1997 – BVerwG 2 C 29.96 – BVerwGE 104, 230 ≪232≫).
Demzufolge ist geklärt, dass der dienstfähige Beamte dem Dienst unerlaubt fernbleibt, wenn er die zeitlich und örtlich konkretisierte Pflicht zur Dienstleistung nicht erfüllt, d.h. nicht (rechtzeitig) zum Dienst erscheint oder sich vor der Zeit entfernt. Dagegen hat das Bundesverwaltungsgericht bislang nicht entschieden, ob unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst im Sinne von § 9 BBesG auch ohne zeitliche und örtliche Konkretisierung der Dienstleistungspflicht in Betracht kommt, wie dies bei Lehrern während der Zeiten der Schulferien der Fall ist.
Das Bundesverwaltungsgericht hat zu der Frage der Dienstleistung von Lehrern während der Unterrichtszeit im Urteil vom 30. August 2012 – BVerwG 2 C 23.10 – BVerwGE 144, 93 Rn. 13 ausgeführt:
Für Lehrer ist zu beachten, dass die zeitliche Festlegung der Unterrichtsverpflichtung, nicht aber der übrigen Dienstpflichten der Besonderheit Rechnung trägt, dass Lehrer nur während ihrer Unterrichtsstunden und weiteren anlassbezogenen Dienstpflichten (wie Teilnahme an Klassenkonferenzen, Gespräche mit Eltern, Pausenaufsicht u.a.) zur Anwesenheit in der Schule verpflichtet sind. Dagegen bleibt es ihnen überlassen, wo und wann sie die Dienstpflichten der Vor- und Nachbereitung des Unterrichts einschließlich der Korrektur von Klassenarbeiten erfüllen (vgl. Urteile vom 23. September 2004 – BVerwG 2 C 61.03 – BVerwGE 122, 65 ≪66 f.≫ = Buchholz 240 § 6 BBesG Nr. 23 S. 5 m.w.N. und vom 23. Juni 2005 – BVerwG 2 C 21.04 – BVerwGE 124, 11 ≪13≫ = Buchholz 240 § 6 BBesG Nr. 24 S. 13).
Dagegen hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, soweit das Oberverwaltungsgericht ein schuldhaftes unerlaubtes Fernbleiben des Klägers vom Dienst für die Zeit vom 28. Mai 2010 bis zum 14. Juli 2010 angenommen hat. Für diesen Zeitraum bestand eine zeitlich und örtlich konkretisierte Dienstleistungspflicht des Klägers während der Unterrichtsstunden und weiterer dienstlicher Anlässe, die seine Anwesenheit in der Schule erforderten. Die entscheidungserhebliche Frage nach der Feststellung der Dienstfähigkeit eines abwesenden Beamten ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt: Danach kommt der medizinischen Beurteilung des Amtsarztes hinsichtlich desselben Krankheitsbildes im Grundsatz Vorrang vor der Beurteilung des behandelnden Privatarztes zu (vgl. zu den Voraussetzungen des Vorrangs: Urteil vom 11. Oktober 2006 a.a.O. Rn. 36). Das Oberverwaltungsgericht hat diese Rechtsprechung dem Berufungsurteil zugrunde gelegt.
Auch die weitere Frage der Beschwerde, ob der Kläger dem Dienst während des von ihm angestrengten einstweiligen Anordnungsverfahrens gegen die Aufforderung zur Dienstaufnahme zum 17. Mai 2010 habe fernbleiben dürfen, lässt sich auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eindeutig beantworten. Die Aufforderung zur Dienstaufnahme nach Feststellung der Dienstfähigkeit durch den Amtsarzt ist ein bloßer Hinweis auf die gesetzliche Pflicht des Beamten zur Dienstleistung im Sinne einer innerdienstlichen Weisung (Urteil vom 13. Juli 1999 – BVerwG 1 D 81.97 – Buchholz 232 § 73 BBG Nr. 13 S. 6). Der dagegen vom Kläger beantragten einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kommt deshalb keine aufschiebende Wirkung zu, sodass er die Weisung bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts hätte befolgen müssen (Beschluss vom 27. Januar 1995 – BVerwG 2 VR 5.94 – Buchholz 310 § 80 Nr. 60).
Des Weiteren rechtfertigt auch die Frage nach dem Verhältnis von Urlaubs- und Eigenarbeitszeit während der Schulferien keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, weil sie im angestrebten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich wäre. Entscheidungserheblich ist allein, ob der Kläger dem Dienst gemäß § 9 Satz 1 BBesG schuldhaft ferngeblieben ist. Für die Entscheidung, ob es daran fehlt oder ein schuldhaftes Fernbleiben zu bejahen ist, kommt es auf die Verteilung von Urlaub und Eigenarbeit während der (Sommer-)Schulferien nicht an.
Soweit sich die Beschwerde für ein erlaubtes Fernbleiben des Klägers vom Dienst schließlich auf die Verwaltungsvorschrift des § 12 Abs. 1 der Allgemeinen Dienstordnung für Lehrer und Lehrerinnen, Schulleiter und Schulleiterinnen an öffentlichen Schulen in Nordrhein-Westfalen vom 20. September 1992 (ADO, GABl. NW I S. 235) beruft, handelt es sich nicht um revisibles Recht im Sinne des § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO (Beschluss vom 1. April 2009 – BVerwG 2 B 90.08 – juris Rn. 6).
Die Feststellung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Unterschriften
Domgörgen, Dr. Heitz, Dollinger
Fundstellen