Verfahrensgang

VG Schwerin (Aktenzeichen 3 A 1427/96)

 

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 14. Juli 1999 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 225 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Kläger begehren die Restitution von landwirtschaftlichem Grundbesitz nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes (VermG). Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts hat mit dem Ergebnis der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Verwaltungsgericht Erfolg.

1. Allerdings weicht das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht, wie die Kläger meinen, von dem von ihnen erwähnten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 1990 – BVerwG 8 C 70.88 – (NJW 1991, 508) ab (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). In diesem Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, daß eine Rechtsbehelfsbelehrung dann im Sinne von § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO unrichtig erteilt ist, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Mindestangaben nicht enthält oder wenn diesen Angaben ein unzutreffender oder irreführender Zusatz beigefügt ist, der sich generell eignet, die Einlegung des Rechtsbehelfs zu erschweren. Zu dieser Feststellung hat sich das Verwaltungsgericht nicht in Widerspruch gesetzt. Es hat zunächst – zutreffend – ausgeführt, daß die Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid des Beklagten vom 15. März 1995 insofern fehlerhaft gewesen sei, als sie die Kläger auf die Möglichkeit hingewiesen habe, den Widerspruch zur Niederschrift bei der Behörde einzulegen; Entscheidungen des Amts zur Regelung offener Vermögensfragen könnten nach § 36 Abs. 1 Satz 2 VermG abweichend von der allgemeinen Regelung des § 70 VwGO vom Adressaten nur mit einem schriftlichen Rechtsbehelf angefochten werden. Dennoch hat das Verwaltungsgericht die Rechtsbehelfsbelehrung deswegen nicht als unrichtig angesehen, weil die Einlegung des Widerspruchs durch den fehlerhaften Zusatz nicht erschwert worden sei. Das Verwaltungsgericht hat demnach nicht in Abrede gestellt, daß ein fehlerhafter Zusatz in der Rechtsbehelfsbelehrung diese stets dann unrichtig macht, wenn er generell geeignet ist, die Einlegung des Rechtsbehelfs zu erschweren; es hat vielmehr lediglich angenommen, daß dem in Rede stehenden Zusatz eine solche Wirkung nicht zukam. Zu der Frage, ob der unzutreffende Hinweis auf die Möglichkeit der Einlegung des Widerspruchs zur Niederschrift den Adressaten des Bescheids davon abhalten kann, seine Rechte durch einen rechtzeitigen schriftlichen Widerspruch zu wahren, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 27. April 1990 nicht Stellung genommen.

2. Das Vorbringen der Kläger führt jedoch auf einen Verfahrensmangel, auf dem das angefochtene Urteil beruht (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Kläger machen sinngemäß geltend, das Verwaltungsgericht hätte wegen der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid des Beklagten vom 15. März 1995 ihren Widerspruch vom 21. August 1995 nicht als verspätet ansehen und die Klage darum nicht als unzulässig abweisen dürfen. Diese Rüge ist begründet. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, stand die Rechtsbehelfsbelehrung, wonach der Widerspruch „schriftlich oder zur Niederschrift” eingelegt werden konnte, nicht im Einklang mit § 36 Abs. 1 Satz 2 VermG, weil diese Vorschrift nur einen schriftlichen Widerspruch zuläßt. Der unzutreffende Hinweis auf die Möglichkeit der Einlegung des Widerspruchs zur Niederschrift war entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch generell geeignet, die Erlangung von Rechtsschutz zu erschweren. Denn ein solcher Hinweis kann, worauf die Kläger zutreffend aufmerksam gemacht haben, dazu führen, daß der Adressat des Bescheids die Einlegung des Widerspruchs zur Niederschrift vorzieht und infolgedessen den formgerechten schriftlichen Rechtsbehelf nicht rechtzeitig einlegt. Dies hat der Senat bereits mit Beschluß vom 14. Februar 2000 – BVerwG 7 B 200.99 – in einem vergleichbaren Streitfall festgestellt, in dem es ebenfalls um eine Entscheidung des Amts zur Regelung offener Vermögensfragen ging. Er hat dabei insbesondere auf die Gefahr hingewiesen, daß das Amt, das die unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung verfaßt hat und bei dem der Widerspruch gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 VermG einzulegen ist, die Einlegung des Widerspruchs zur Niederschrift zuläßt und daß deshalb die vorgeschriebene schriftliche Erklärung innerhalb der Frist unterbleibt; darüber hinaus hat der Senat in dem genannten Beschluß bemerkt, daß die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung nicht dadurch beseitigt wird, daß der Widerspruchsführer unter den genannten Umständen wegen der Versäumung der Widerspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) beanspruchen könnte, weil die nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO bei unzutreffenden Zusätzen entscheidungserhebliche Erschwernis für den Widerspruchsführer dann jedenfalls in der Notwendigkeit zu sehen wäre, die gesetzlichen Voraussetzungen der Wiedereinsetzung zu erfüllen. Da mithin die Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid des Beklagten vom 15. März 1995 im Sinne des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO unrichtig war, wurde durch sie nicht die Monatsfrist des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO, sondern die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO in Lauf gesetzt. Diese Frist haben die Kläger durch ihren Widerspruch vom 21. August 1995, der am darauffolgenden Tage bei der Behörde einging, gewahrt.

3. Auch die weiteren Ausführungen des Verwaltungsgerichts, mit denen es die Klage zugleich als unbegründet beurteilt hat, leiden an einem Verfahrensmangel. Die Kläger beanstanden zu Recht, daß das Verwaltungsgericht bei der Prüfung des Restitutionsanspruchs ihrem Vorbringen, die dem Eigentumsentzug vorangegangene Verpachtung des umstrittenen Grundstücks sei nicht freiwillig, sondern zwangsweise erfolgt und der frühere Eigentümer habe sich in diesem Zusammenhang einer drohenden Verhaftung durch Flucht entzogen, nicht die nötige Beachtung geschenkt hat. Denn es hat zu diesem Vorbringen in seinem Urteil mit keinem Wort Stellung genommen; vielmehr hat es sich auf die nicht näher begründete Bemerkung beschränkt, daß den von ihm beigezogenen Akten über das damalige Verwaltungsverfahren keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen manipulativen Eigentumsentzug im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG zu entnehmen seien. Es muß daher angenommen werden, daß das Verwaltungsgericht das Vorbringen der Kläger nicht in der nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO gebotenen Weise in seine Erwägungen einbezogen hat. Eine Stellungnahme des Verwaltungsgerichts zu dem Vorbringen der Kläger erübrigte sich nicht deshalb, weil dieses Vorbringen offenkundig nicht entscheidungserheblich gewesen wäre. Denn nach den im angefochtenen Urteil enthaltenen Tatsachenfeststellungen und dem Inhalt der Akten, auf die das Verwaltungsgericht Bezug genommen hat, hatte der Rat des Kreises auf den Antrag der in der DDR verbliebenen Ehefrau des früheren Eigentümers zunächst beschlossen, diesem im Hinblick auf seine vier Kinder das Eigentum an dem verpachteten und zu entschuldenden Hof zu belassen; dieser Beschluß ist später ohne Angabe von Gründen aufgehoben und durch den Beschluß ersetzt worden, das Eigentum dem Pächter zu übertragen. Es kann daher nach dem bisherigen Sach- und Streitstand nicht ausgeschlossen werden, daß die Sinnesänderung der Behörde an die von den Klägern vorgetragenen früheren Geschehnisse anknüpfte und der vorgenommenen Enteignung folglich die Absicht zugrunde lag, dem früheren Eigentümer und Rechtsvorgänger der Kläger in unlauterer Weise zu schaden.

4. Der Senat nimmt die dem Verwaltungsgericht unterlaufenen Verfahrensmängel zum Anlaß, das Urteil gemäß § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Franßen, Dr. Bardenhewer, Herbert

 

Fundstellen

Dokument-Index HI566606

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