Verfahrensgang
Tenor
Die Anhörungsrüge des Klägers gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Mai 2012 – BVerwG 5 C 17.11 – wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rügeverfahrens.
Gründe
Rz. 1
1. Die Anhörungsrüge ist unzulässig, weil sie nicht die durch Zustellung des beanstandeten Urteils an den Prozessbevollmächtigten des Klägers in Lauf gesetzte Rügefrist wahrt.
Rz. 2
Nach § 152a Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 VwGO ist die Rüge innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Kenntnis von der Verletzung rechtlichen Gehörs meint positive Kenntnis der Umstände, aus denen sich die Berechtigung zur Erhebung der Anhörungsrüge ergibt. Der Zeitpunkt der Kenntnis kann, muss aber nicht mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der beanstandeten Entscheidung an den betroffenen Beteiligten zusammenfallen. Hat dieser die Entscheidung beispielsweise erst später gelesen, weil er im Zeitpunkt der Bekanntgabe urlaubsbedingt abwesend war, fallen die Zeitpunkte auseinander (Beschluss vom 22. Januar 2013 – BVerwG 4 B 4.13 – NVwZ-RR 2013, 340 Rn. 4). Knüpft eine Bestimmung an die positive Kenntnis bestimmter Umstände Rechtsfolgen, so kann es einer solchen Kenntnis gleichstehen, wenn der Betroffene sich dieser bewusst verschließt und vorsätzlich eine gleichsam auf der Hand liegende Kenntnisnahmemöglichkeit, die jeder andere in seiner Lage wahrgenommen hätte, übergeht (vgl. BGH, Urteile vom 20. März 1995 – II ZR 205/94 – BGHZ 129, 136 ≪175 f.≫, vom 9. Juli 1996 – VI ZR 5/95 – BGHZ 133, 192 ≪198≫ und vom 6. Mai 2008 – XI ZR 56/07 – BGHZ 176 Rn. 46; BAG, Urteil vom 20. August 2002 – 3 AZR 133/02 – BAGE 102, 242 ≪248≫). Dementsprechend wird die Frist für die Einlegung der Anhörungsrüge auch zu dem Zeitpunkt in Lauf gesetzt, in dem sich der Betroffene der erforderlichen Kenntnis von einer (angeblichen) Verletzung des rechtlichen Gehörs bewusst verschließt (vgl. Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 152a Rn. 33; Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: August 2012, § 152a Rn. 22; Kautz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2013, § 152a Rn. 21; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 321a Rn. 14, Schwab, in: ders./Weth, ArbGG, 3. Aufl. 2011, § 78a Rn. 18). Dieses Verständnis steht mit Verfassungsrecht im Einklang (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. April 2010 – 1 BVR 299/10 – NJW-RR 2010, 1215 Rn. 5). Gemessen daran ist die Rüge nicht fristgerecht erhoben.
Rz. 3
Die beanstandete Entscheidung vom 24. Mai 2012 wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 2. August 2012 zugestellt. Der Prozessbevollmächtigte hat nach seinen eigenen Angaben in dem Begründungsschriftsatz vom 23. August 2012 nach Empfang der Entscheidung und erteilten Empfangsbekenntnis die Entscheidung bis zum Beginn seines Urlaubs am 10. August 2012 “nicht durchgelesen und daraufhin überprüft”, ob der Vortrag des Klägers, er habe nach dem (vermeintlichen) Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit seine bisherige kasachische Staatsangehörigkeit verloren, vom Senat in seinen Entscheidungsgründen Verwendung gefunden habe. Vielmehr habe er erst nach Rückkehr aus dem Urlaub, der bis zum 21. August 2012 gedauert habe, Kenntnis vom Inhalt der Entscheidung und der Gehörsverletzung genommen. Damit hat er sich im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Kenntnisnahme bewusst verschlossen (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 14. April 2010 a.a.O. Rn. 7). Dieses Verhalten ist dem Kläger zuzurechnen (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). In einem solchen Fall ist jedenfalls in der Regel – und so auch hier – kein Raum für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO.
Rz. 4
2. Die Rüge wäre auch unbegründet. Der Senat hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht, wie in § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO vorausgesetzt, in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
Rz. 5
Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (stRspr, vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1997 – 1 BvR 1621/94 – BVerfGE 96, 205 ≪216≫). Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings nur dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (stRspr, vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1975 – 2 BvR 1086/74 – BVerfGE 40, 101 ≪104 f.≫). Die Gerichte sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (BVerfG, u.a. Beschluss vom 5. Oktober 1976 – 2 BvR 558/75 – BVerfGE 42, 364 ≪368≫). Deshalb müssen, wenn ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt werden soll, im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfG, u.a. Beschlüsse vom 19. Mai 1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133 ≪146≫ und vom 1. Februar 1978 – 1 BvR 426/77 – BVerfGE 47, 182 ≪187 f.≫). Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht dargetan und auch nicht erkennbar.
Rz. 6
Der Kläger rügt, der Senat habe sein Vorbringen im Berufungsverfahren, wonach er nach dem (vermeintlichen) Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit seine bisherige kasachische Staatsangehörigkeit verloren habe, nicht zur Kenntnis genommen. Er nimmt insoweit ausdrücklich Bezug auf sein Vorbringen zu Nummer 2.4 in seiner Berufungsbegründungsschrift vom 4. Oktober 2010 (Seite 5). Dort hat er dargelegt, das Verwaltungsgericht habe auch vernachlässigt, dass der Beklagte bei der Ausübung des Rücknahmeermessens nicht den Umstand eingestellt habe, “dass der Kläger nach dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit seine bisherige kasachische Staatsangehörigkeit verloren hat”. Dieses Vorbringen war für die Entscheidung des Senats nicht erheblich. In seinem Urteil vom 24. Mai 2012 hat der Senat angenommen, dass der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erlangt hat. Deshalb war auf dieses Vorbringen, das der Kläger im Revisionsverfahren nicht wieder aufgegriffen hat, in den Entscheidungsgründen nicht einzugehen.
Rz. 7
Soweit der Kläger in der Begründung seiner Anhörungsrüge darlegt, die Rücknahme der Spätaussiedlerbescheinigung komme tatsächlich dem Entzug einer Staatsangehörigkeit gleich und dem müsse entweder durch eine bestimmte Auslegung des § 7 des Staatsangehörigkeitsgesetzes oder im Rahmen des Rücknahmeermessens Rechnung getragen werden, vermögen diese Erwägungen zum materiellen Recht die Annahme einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht zu begründen.
Rz. 8
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Vormeier, Dr. Störmer, Dr. Häußler
Fundstellen