Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Beschluss vom 06.08.2012; Aktenzeichen 10 LC 135/10) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 6. August 2012 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 843,60 € festgesetzt.
Tatbestand
I
Rz. 1
Der Kläger wendet sich gegen die Neufestsetzung von Zahlungsansprüchen nach der Betriebsprämienregelung der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 und die hierauf beruhende Rückforderung von Betriebsprämien.
Rz. 2
Mit Bescheid vom 30. Juni 2006 setzte die Beklagte für den Kläger 34,8 Zahlungsansprüche für Ackerland und Stilllegungsflächen (255,12 €/ha) sowie 1,26 Zahlungsansprüche für Dauergrünland (99,75 €/ha) fest. Diese Festsetzungen wurden mit Änderungsbescheid vom 20. Februar 2008 aufgehoben; dafür wurden nunmehr 26,6 Zahlungsansprüche für Ackerland und Stilllegungsflächen sowie 9,46 Zahlungsansprüche für Dauergrünland zugewiesen. Im Rahmen einer Überprüfung sei festgestellt worden, dass eine 8,2 ha große Fläche nur als Grünland habe berücksichtigt werden können. Mit Bescheid vom 25. März 2008 wurden die auf der Grundlage der bisherigen Festsetzung erfolgten Betriebsprämienbewilligungen im entsprechenden Umfang zurückgenommen und der zuviel bezahlte Betrag zurückgefordert.
Rz. 3
Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat das Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Die 8,2 ha große Fläche sei für das Antragsjahr 2003 als Dauergrünland angegeben worden und gelte daher für die Bestimmung der Zahlungsansprüche als Dauergrünland.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 4
Die auf alle Revisionszulassungsgründe (§ 132 Abs. 2 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 5
1. Die Sache hat nicht die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die aufgeworfene Frage, ob die Bestimmung des Art. 32 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. a VO (EG) Nr. 795/2004 eine “gesetzliche Fiktion” (gemeint ist eine unwiderlegliche Vermutung) oder eine widerlegliche Vermutung enthält, betrifft auslaufendes Recht, ohne dass Umstände dargelegt oder sonst ersichtlich sind, deretwegen ihr dennoch grundsätzliche Bedeutung zukommen würde.
Rz. 6
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Rechtsfragen, die sich auf auslaufendes, ausgelaufenes oder nur übergangsweise geltendes Recht beziehen, regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung, da § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO eine richtungweisende Klärung für die Zukunft herbeiführen soll. Eine Revisionszulassung wegen solcher Fragen kommt deshalb nur ausnahmsweise in Betracht, wenn die Fragen sich zu den Nachfolgevorschriften offensichtlich in gleicher Weise stellen oder wenn ihre Beantwortung für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung ist und dies substantiiert dargelegt wird (Beschlüsse vom 24. Oktober 1994 – BVerwG 9 B 83.94 – DVBl 1995, 568 ≪569≫, vom 20. Dezember 1995 – BVerwG 6 B 35.95 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9 S. 11, vom 8. März 2000 – BVerwG 2 B 64.99 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 21 S. 4, vom 17. Mai 2004 – BVerwG 1 B 176.03 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 29 S. 11 und vom 15. Dezember 2005 – BVerwG 6 B 70.05 – juris Rn. 6, jeweils m.w.N.). Daran fehlt es hier.
Rz. 7
Die Verordnung (EG) Nr. 795/2004 der Kommission vom 21. April 2004 (ABl Nr. L 141 S. 1) wurde von der Verordnung (EG) Nr. 1120/2009 der Kommission vom 29. Oktober 2009 (ABl Nr. L 316 S. 1) abgelöst und gilt nur noch für Beihilfeanträge, die sich auf Prämienzeiträume vor dem 1. Januar 2010 beziehen (Art. 52 VO ≪EG≫ Nr. 1120/2009). Darüber hinaus handelte es sich bei der Bestimmung des Art. 32 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. a VO (EG) Nr. 795/2004 im Zusammenhang mit Art. 61 VO (EG) Nr. 1782/2003 um Übergangsrecht, das die Umstellung auf die mit der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik 2003 eingeführte einheitliche Betriebsprämie betraf. Denn die Zuweisung von Zahlungsansprüchen an Betriebsinhaber im Sinne von Art. 33 Abs. 1 Buchst. a und b VO (EG) Nr. 1782/2003 und Betriebsinhaber, die Zahlungsansprüche aus der nationalen Reserve erhalten, setzte mit Ausnahme von Fällen höherer Gewalt oder außergewöhnlicher Umstände voraus, dass die einheitliche Betriebsprämie bis zum 15. Mai 2005 beantragt wurde (Art. 34 Abs. 3 und Art. 156 Abs. 2 Buchst. d VO ≪EG≫ Nr. 1782/2003). Soweit jenseits dessen – etwa für Neueinsteiger und in den Fällen der Art. 18 – 23 VO (EG) Nr. 795/2004 – die Zuweisung von Zahlungsansprüchen aus der nationalen Reserve in Betracht kam, folgte diese eigenen Regelungen. Die Verordnung (EG) Nr. 1120/2009 enthält auch keine Nachfolgeregelung, bei der sich die als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Frage in gleicher Weise stellen könnte. Zwar gestattet es die Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates vom 19. Januar 2009 (ABl Nr. L 30 S. 16) für neue Mitgliedstaaten und die Mitgliedstaaten, die die Betriebsprämie – anders als Deutschland – zunächst nach dem Standardmodell eingeführt haben, die Betriebsprämie regional anzuwenden. Damit ist parallel zu der aufgehobenen Bestimmung des Art. 61 VO (EG) Nr. 1782/2003 die Befugnis verbunden, abhängig von der Flächennutzung unterschiedlich wertige Zahlungsansprüche festzusetzen (Art. 49 und 61 ≪EG≫ Nr. 73/2009). Eine Art. 32 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. a VO (EG) Nr. 795/2004 gleichende Vorschrift wurde in den Durchführungsbestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1120/2009 jedoch nicht vorgesehen.
Rz. 8
Ungeachtet dessen käme eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung auch deshalb nicht in Betracht, weil die Frage geklärt ist. Wie der Senat mit Beschluss vom 29. Januar 2013 – BVerwG 3 B 31.12 – (juris) entschieden hat, ist die Frage mit Hilfe der üblichen Regeln der Gesetzesauslegung unzweifelhaft dahin zu beantworten, dass eine im Beihilfeantrag 2003 als Dauergrünland angemeldete Fläche für die Festsetzung von Zahlungsansprüchen unwiderleglich als Dauergrünland gilt.
Rz. 9
Bereits der Wortlaut deutet darauf hin, dass die Kommission mit der Durchführungsbestimmung des Art. 32 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. a VO (EG) Nr. 795/2004 das Tatbestandsmerkmal der Nutzung als Dauergrünland für das Jahr 2003 im Interesse der Praktikabilität vom Nachweis der tatsächlichen Nutzung gelöst hat. Auch wenn nach dem Wortlaut der deutschen Sprachfassung eine widerlegliche Vermutung damit nicht von vornherein ausgeschlossen ist, sind insoweit verbleibende Zweifel aus systematischen und teleologischen Gründen ausgeräumt. Die Regelung des Art. 32 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. a und b VO (EG) Nr. 795/2004 sieht nur in der Variante des Buchst. b die Möglichkeit eines Gegenbeweises vor. Das drängt den Umkehrschluss auf, dass die Vermutung des Art. 32 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. a VO (EG) Nr. 795/2004 unwiderleglich ist. Anderenfalls würde auch die den Mitgliedstaaten in Art. 32 Abs. 4 Unterabs. 2 VO (EG) Nr. 795/2004 für diesen Fall eingeräumte Option praktisch wenig Sinn machen. Dem entspricht Sinn und Zweck der Regelung. Nur mit der Annahme einer unwiderleglichen Vermutung lässt sich effektiv das Ziel erreichen, mit der Durchführungsbestimmung die notwendigen Voraussetzungen für die praktische Durchführung der Reform zu schaffen (im Einzelnen vgl. Beschluss vom 29. Januar 2013 a.a.O. Rn. 9 ff.).
Rz. 10
2. Die Revision ist auch nicht wegen einer Abweichung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Der Kläger verweist – pauschal – auf eine Entscheidung eines Oberverwaltungsgerichts. Damit ist eine Entscheidung eines Gerichts, auf die eine Abweichung gestützt werden könnte, nicht bezeichnet. Im Übrigen betrifft die angesprochene Entscheidung Art. 32 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. b VO (EG) Nr. 795/2004; zu der hier maßgeblichen Regelung des Art. 32 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. a VO (EG) Nr. 795/2004 referiert das Oberverwaltungsgericht lediglich aus der Rechtsprechung (OVG Koblenz, Urteil vom 28. Januar 2009 – 8 A 11055/08 – juris Rn. 22).
Rz. 11
3. Schließlich ist auch ein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht ersichtlich.
Rz. 12
a) Soweit der Kläger rügt, das Oberverwaltungsgericht hätte angesichts der Nichtzulassung der Revision eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einholen müssen, begründet dies keinen Verfahrensmangel. Die Verpflichtung, eine Frage zur Auslegung des Unionsrechts dem Gerichtshof vorzulegen, besteht grundsätzlich nur dann, wenn die Entscheidung im Sinne des Art. 267 AEUV nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann. Die – hier statthafte – Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist jedoch ein Rechtsmittel in diesem Sinne, weshalb eine Verpflichtung zur Einholung einer Vorabentscheidung nicht bestand (stRspr, Beschlüsse vom 22. Dezember 2004 – BVerwG 10 B 21.04 – Buchholz 401.65 Hundesteuer Nr. 8 S. 20 f. m.w.N., vom 12. Oktober 2010 – BVerwG 7 B 22.10 – Rn. 9, vom 8. September 2011 – BVerwG 3 B 19.11 – ZfS 2012, 597 ≪598≫ und vom 29. Februar 2012 – BVerwG 3 B 81.11 – NL-BzAR 2012, 165).
Rz. 13
b) Mit dem nicht weiter substantiierten Vorbringen, das Oberverwaltungsgericht habe verschiedene Umstände “nicht ausreichend berücksichtigt”, ist ein Verfahrensmangel nicht gemäß den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO bezeichnet.
Rz. 14
Ein Gericht verletzt das Gebot, seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), wenn es gewichtige, in das Verfahren eingeführte Tatsachen nicht in Betracht zieht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. Allerdings erlaubt nicht schon der Umstand, dass sich ein Gericht in seinem Urteil nicht mit allen Einzelheiten des Sachverhalts auseinandersetzt, den Schluss, dass es den ihm unterbreiteten Prozessstoff nicht umfassend in Erwägung gezogen hat (Urteile vom 25. Juni 1992 – BVerwG 3 C 16.90 – Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 68 S. 64 und vom 5. Juli 1994 – BVerwG 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 ≪208 f.≫). Hieran gemessen hat der Kläger einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz bereits ansatzweise nicht dargetan.
Rz. 15
Soweit er sich darüber hinaus mit seinem Vorbringen gegen die tatsächliche und rechtliche Würdigung des Berufungsgerichts wendet, ist ein Verfahrensfehler gleichermaßen nicht ersichtlich. Ein Fehler hierin ist revisionsrechtlich grundsätzlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen. Ausnahmsweise kann ein Verfahrensmangel bei einer aktenwidrigen, gegen die Denkgesetze verstoßenden oder sonst von objektiver Willkür geprägten Würdigung gegeben sein (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 13. Februar 2012 – BVerwG 9 B 77.11 – NJW 2012, 1672 ≪1673≫, vom 29. Juni 2011 – BVerwG 6 B 7.11 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 410 Rn. 3 und vom 8. April 2008 – BVerwG 9 B 13.08 – Buchholz 451.29 Schornsteinfeger Nr. 44 Rn. 10 m.w.N.). Hierzu hat der Kläger jedoch nichts weiter vorgetragen.
Rz. 16
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 und 3 sowie § 39 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Kley, Dr. Kuhlmann, Rothfuß
Fundstellen