Entscheidungsstichwort (Thema)
Investive Veräußerung. Anspruch des Berechtigten auf Auskehr des Veräußerungserlöses. Ausschluss des Restitutionsanspruchs wegen gewerblicher Nutzung des Vermögenswerts
Leitsatz (amtlich)
Der Restitutionsausschlussgrund der Betriebsnotwendigkeit (§ 5 Abs. 1 Buchst. d VermG) kommt Unternehmen nicht zugute, die sich in Liquidation befinden.
Normenkette
VermG § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Buchst. d; InVorG § 16 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
VG Potsdam (Entscheidung vom 02.11.2000; Aktenzeichen 1 K 502/98) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 2. November 2000 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 500 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg, soweit die geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO) an die Auslegung der Vorschriften von § 4 Abs. 1 Satz 1 und § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG durch das Verwaltungsgericht anknüpfen (1. – 3.). Die Beschwerde rügt jedoch zutreffend einen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz von § 86 Abs. 1 VwGO, soweit das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, die Rückübertragung der Grundstücke sei nach § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG nicht ausgeschlossen gewesen (4.).
1. Die Beschwerde wirft eingangs in Bezug auf § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG die Rechtsfrage auf, ob dieser Restitutionsausschlussgrund entfalle, sobald sich der Unternehmensträger in Liquidation befinde. Die Frage ist zu bejahen, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
§ 5 Abs. 1 Buchst. d VermG will vor Gefährdung der Funktionsfähigkeit eines Unternehmens schützen. Die geforderte Herausgabe eines Vermögenswertes stellt sich daher dann als dessen „erhebliche Beeinträchtigung” im Sinne dieser Vorschrift dar, wenn sie die Lebensfähigkeit des Unternehmens berührt (Urteil vom 20. März 1997 – BVerwG 7 C 55.96 – BVerwGE 104, 193 ≪200≫ = Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 13 S. 28 ≪34≫). Für ein Unternehmen im Liquidationsstadium kann die Herausgabe des Vermögenswerts jedoch nicht zu einer „erheblichen Beeinträchtigung” führen, da sich das Unternehmen als nicht lebensfähig erwiesen hat (Urteil vom 27. August 1998 – BVerwG 3 C 24.97 – Buchholz 428.2 § 11 VZOG Nr. 19 S. 32 ≪34≫). Diese zum gleich lautenden Restitutionsausschlussgrund von § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 VZOG vertretene Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts trifft auch auf den Ausschlusstatbestand der Betriebsnotwendigkeit gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG zu, geht jene doch auf diese Vorschrift zurück und wollen beide gleichermaßen verhindern, dass die unbedingte Durchsetzung von Restitutionsansprüchen zu einer sachlich und volkswirtschaftlich nicht gerechtfertigten Zerschlagung von Vermögenswerten führen könne (BTDrucks 12/5553 S. 169).
Der Umstand, dass das Vermögensgesetz einen sozial verträglichen Ausgleich zwischen Restitutionsbelasteten und Rückübertragungsberechtigten anstrebt, verlangt nicht, den durch § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG vermittelten Bestandsschutz auch dafür aufrechtzuerhalten, dass dem betroffenen Unternehmen die Abwicklung erleichtert wird. Es mag zwar sein – wie die Beschwerde weiter einwendet –, dass ein anmeldebelastetes Betriebsgrundstück den betrieblichen Erfordernissen eines später fortzuführenden Betriebsteils dienen könnte. Der Ausschlusstatbestand der Betriebsnotwendigkeit würde aber auf den Fortbestand des Gesamtunternehmens keine belebende Wirkung mehr entfalten, sondern letztlich nur dessen Gläubigern zugute kommen können. Die Wahrung ihrer Interessen ist jedoch kein Anliegen von § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG (Urteil vom 6. April 1995 – BVerwG 7 C 11.94 – BVerwGE 98, 154 ≪156≫ = Buchholz 111 Art. 22 EV Nr. 10 S. 26 ≪27 f.≫). Da die der Liquidation vorangegangene Auflösung der Gesellschaft (§ 145 Abs. 1 HGB, § 66 Abs. 1 GmbHG, § 264 Abs. 1 AktG) den Anlass dafür gibt, einen bis dahin bestehenden Schutz vor Restitution entfallen zu lassen, kann daran auch die bloße Hoffnung auf Rückkehr des Unternehmens aus dem abwickelnden in das werbende Stadium nichts ändern (a.A. Schmidt NJ 1999 S. 47 zum Urteil vom 27. August 1998 – BVerwG 3 C 24.97 – a.a.O.).
2. Der Urteilsbegründung folgend hat die Beschwerde sodann die Frage aufgeworfen,
ob der Restitutionsausschlussgrund von § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG auch greifen könne, wenn ein Unternehmen oder eine selbständige Unternehmenseinheit eines Unternehmensträgers – eine Treuhandkapitalgesellschaft im Sinne von § 11 Abs. 1 TreuhG – im Wege des „assetdeals” zum Zwecke der Fortführung des Unternehmens veräußert wird.
Ob diese Frage im Lichte dessen noch von grundsätzlicher Bedeutung ist, dass dieser Restitutionsausschlussgrund nach dem Urteil vom 20. Dezember 1999 – BVerwG 7 C 34.98 – (Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 32 S. 8 ff.) auch dem Unternehmen zugute kommen kann, in das der Vermögenswert einbezogen wurde (vgl. hierzu auch Urteil vom 15. Juni 2000 – BVerwG 3 C 8.99 – Buchholz 428.2 § 11 VZOG Nr. 26 S. 16 ≪20 f.≫), kann dahinstehen. Denn zum einen betrifft sie nur eine Alternativbegründung des Verwaltungsgerichts und zum anderen befand sich die hier restitutionsbelastete Gesellschaft bereits vor Abschluss des ersten investiven Kaufvertrages im Stadium der Liquidation (siehe UA S. 10), so dass die Schutzwirkung von § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG erledigt war.
3. Zulassungseröffnend ist schließlich nicht die Rechtsfrage in Bezug auf § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG. Insofern macht die Beschwerde zwar zu Recht eine Abweichung im Sinne von § 132 Abs. 1 Nr. 2 VwGO geltend. Das Verwaltungsgericht widerspricht mit seiner Annahme, dieser Ausschlussgrund könne im Hinblick auf einen Erlösauskehranspruch nicht greifen, der in seinem Urteil vom 29. Juli 1999 – BVerwG 7 C 31.98 – (Buchholz 428 § 4 Abs. 1 VermG Nr. 2 S. 4 ≪5≫) vertretenen Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts. Aber trotz einer Zulassung der Revision müsste der Rechtsstreit voraussichtlich wegen des in diesem Zusammenhang stehenden und ebenfalls geltend gemachten Verfahrensfehlers zurückverwiesen werden, so dass es angezeigt ist, diese Entscheidung gemäß § 133 Abs. 6 VwGO schon im Beschwerdeverfahren zu treffen (vgl. Beschluss vom 3. Februar 1993 – BVerwG 11 B 12.92 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 10 S. 10 ≪11≫).
4. Dieser Verfahrensmangel liegt in der Tat darin, dass das Verwaltungsgericht den nach dem Gesetz gebotenen Versuch einer abschließenden Klärung des Sachverhalts zur Beurteilung von § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG nicht unternommen hat. Darin liegt der Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO).
Der Amtsermittlungsgrundsatz weist das Zusammentragen der Informationen über die Tatsachen, aus denen die Tatsachengrundlage für die gerichtliche Entscheidung gewonnen werden soll, dem Gericht als eine „von Amts wegen” zu erfüllende Aufgabe zu; eine Klageabweisung wegen Unschlüssigkeit des Klagevorbringens kann es danach nicht geben (Dawin in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 86 Rn. 8 ff.). Allerdings muss der Kläger gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO den „Gegenstand des Klagebegehrens” bezeichnen, dabei soll er die zur Begründung dienenden Tatsachen benennen. Solche die Richtung der gerichtlichen Aufklärung weisenden Anhaltspunkte hat die Klägerin im vorliegenden Falle hinreichend geliefert.
In ihrem Schriftsatz vom 24. Oktober 2000 hat sie umfangreich zum Vorliegen der Voraussetzungen von § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG vorgetragen, das ursprüngliche Flurstück 85 habe nach der Schädigung mehrfachen Teilungen und Verschmelzungen mit anderen Flurstücken unterlegen; dem angefochtenen Bescheid sei in keiner Weise zu entnehmen, welche Teilflächen der Flurstücke 78/5 und 85/6 von dem Restitutionsanspruch betroffen seien; hinzu komme, dass die Flurstücke umfangreich bebaut seien und bisher ein die Gebäudeeinheiten tragendes Stammgrundstück noch nicht bestimmt sei; nicht auszuschließen sei ferner, dass beanspruchte Teilflächen nur mittels eines Notwegs nutzbar seien. Im Verwaltungsverfahren hatte die Klägerin mit Schriftsatz vom 16. September 1997 einen Übersichtsplan vorgelegt, dem Hinweise auf rechtlich erhebliche Nutzungskonflikte im Falle einer Restitution zu entnehmen sind. Vor diesem Hintergrund ist die Ansicht des Verwaltungsgerichts verfehlt, der Sachvortrag der Klägerin erschöpfe sich „in der pauschalen Umschreibung von Voraussetzungen, bei deren Vorliegen möglicherweise die Restitution gehindert wäre”. Der dazu gegebene Verweis auf den Beschluss vom 15. April 1998 – BVerwG 2 B 26.98 – (juris) trägt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht. Da heißt es, dass die Pflicht der Tatsachengerichte zur Aufklärung des Sachverhaltes ihre Grenze dort finde, wo das Klagevorbringen keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung biete; einem Kläger obliege es, bei der Erforschung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes mitzuwirken; das gelte im besonderen Maße für Tatsachen, die nur ihm bekannt seien. Keiner dieser Gründe liegt hier vor oder würde es rechtfertigen, eine katasterliche Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse der betroffenen Grundstücke durch das Gericht zu unterlassen.
Damit beruht das angefochtene Urteil im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf dem von der Klägerin gerügten Verfahrensmangel. Der Senat nimmt dies zum Anlass, das Urteil nach § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 13, 14 GKG.
Unterschriften
Dr. Pagenkopf, Sailer, Postier
Fundstellen
Haufe-Index 635184 |
NJ 2002, 216 |