Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 14.12.2004; Aktenzeichen 9 A 4232/02) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. Dezember 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 153 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die von der Klägerin in Anspruch genommenen Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor, weil die von der Beschwerdeführerin bezeichneten Rechtsfragen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt sind.
a) So ist bereits geklärt, dass nationales Recht die Umsetzung einer Richtlinie des Gemeinschaftsrechts den Ländern überlassen darf und dass dies auch für die Umsetzung der Richtlinie 85/73/EWG des Rates vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der veterinär- und hygienerechtlichen Kontrollen von tierischen Erzeugnissen usw. (ABl Nr. L 32/14) in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG des Rates vom 22. Dezember 1993 (ABl Nr. L 340/15) gilt. Das schließt die Befugnis ein, gemäß Art. 2 Abs. 3 sowie gemäß Kap. I Ziff. 4 des Anhangs einen höheren Betrag als die Gemeinschaftsgebühren zu erheben, sofern die erhobene Gesamtgebühr die tatsächlichen Untersuchungskosten nicht überschreitet. Den Ländern ist unbenommen, zum Erlass der nötigen Bestimmungen durch hinlänglich bestimmtes Landesgesetz die kommunalen Gebietskörperschaften zu ermächtigen (EuGH, Urteil vom 10. November 1992 – Rs. C-156/91 – Hansa Fleisch Ernst Mundt, Slg. I-5567, 5589 ≪Rn. 22 ff.≫; Urteil vom 9. September 1999 – Rs. C-374/97 – Feyrer, Slg. I-5153, 5167 ≪Rn. 33 ff.≫; Senat, Beschlüsse vom 26. April 2001 – BVerwG 3 BN 1.01 – LRE 41, 115, vom 21. Juni 2002 – BVerwG 3 BN 9.01 – und vom 27. Juni 2002 – BVerwG 3 BN 4.01 –). Damit steht zugleich fest, dass jede hiernach zur Rechtsetzung befugte Gliedkörperschaft der Bundesrepublik Deutschland das Gemeinschaftsrecht für ihren jeweiligen Hoheitsbereich umsetzt und dass die Wirksamkeit dieser Umsetzungsakte nicht davon abhängig ist, dass die Umsetzung auch in allen anderen Gebieten der Bundesrepublik Deutschland bereits erfolgt ist.
Die Befugnis zur Umsetzung umfasst die Befugnis, von Regelungsspielräumen, die das Gemeinschaftsrecht lässt, Gebrauch zu machen. Beides ist nicht zweierlei, bei dem eine zeitliche Reihenfolge eingehalten werden müsste. Es versteht sich daher von selbst, dass von Regelungsspielräumen nicht erst Gebrauch gemacht werden darf, nachdem die Umsetzung „vollständig” erfolgt ist.
Inwiefern es auf die weitere Frage, ob eine wirksame Umsetzung der Richtlinie 85/73/EWG i.d.F. der Richtlinie 96/43/EG des Rates vom 26. Juni 1996 (ABl EG Nr. L 162/1) erfordert, Gebührentatbestände auch nach Maßgabe von Art. 2 in Verbindung mit dem Anhang B für andere Arten von Lebensmittelbetrieben festzulegen, für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ankommt, legt die Beschwerdeführerin nicht dar. Das Berufungsgericht ist hierauf nicht eingegangen, und es ist nicht ersichtlich, dass es dies hätte tun müssen.
b) Ferner ist geklärt, dass europäisches Gemeinschaftsrecht nicht grundsätzlich hindert, die erforderliche Umsetzung rückwirkend vorzunehmen. Namentlich darf eine Richtlinie des sekundären Gemeinschaftsrechts rückwirkend noch zu einem Zeitpunkt umgesetzt werden, zu dem sie bereits geändert oder außer Kraft gesetzt worden ist, sofern der Umsetzungsakt sich vermöge der Rückwirkung für einen Zeitraum Geltung beimisst, zu dem die umgesetzte Richtlinie ihrerseits noch in Geltung stand. Die Auffassung der Beschwerdeführerin, die Aufhebung der umzusetzenden Richtlinie hindere ihre Umsetzung für die Zukunft schlechthin, findet im geltenden Gemeinschaftsrecht keine Stütze (Urteil vom 18. Oktober 2001 – BVerwG 3 C 1.01 – Buchholz 316 § 60 VwVfG Nr. 6 ≪S. 10 f.≫ = NVwZ 2002, 486).
Eine andere Frage ist, ob der rückwirkende Erlass einer Gebührenordnung im jeweiligen Fall den – strengen – Voraussetzungen entspricht, die das Gemeinschaftsrecht und vor allem das nationale Verfassungsrecht hieran stellen. Mit Blick auf die Fleischuntersuchungsgebühren hat das Bundesverwaltungsgericht derartige rückwirkend erlassene Gebührenordnungen bereits verschiedentlich gebilligt. Es ist hierbei davon ausgegangen, dass das europäische Gemeinschaftsrecht die Mitgliedstaaten zur Erhebung kostendeckender Gebühren verpflichtet und dass die betroffenen Betriebe schon aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen und der bundesrechtlichen Vorgaben gemäß § 24 Abs. 2 FlHG mit der Erhebung derartiger kostendeckender Gebühren rechnen mussten. Die häufigen Verzögerungen beim Erlass der nötigen Rechtsgrundlagen hatten ihren Grund zumeist in anfänglichen Unklarheiten über Inhalt und Reichweite des einschlägigen Gemeinschaftsrechts. Bei dieser Sachlage hindern Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes nicht, die Rechtsgrundlage für die Gebührenerhebung erst nachträglich rückwirkend zu schaffen (Beschluss vom 27. April 2000 – BVerwG 1 C 12.99 – Buchholz 418.5 Nr. 21 ≪S. 18 ff.≫ = LRE 39, 45; Urteil vom 18. Oktober 2001 a.a.O. ≪S. 8, 10 f.≫; Beschlüsse vom 28. Juni 2002 – BVerwG 3 BN 5.01, 6.01 und 7.01 –). Die Beschwerdeführerin trägt nichts vor, woraus sich ergäbe, dass diese Grundsätze einer erneuten Überprüfung unterzogen werden müssten.
2. Inwiefern die weiteren von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Fragen der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung verleihen sollen, wird entgegen § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht schlüssig dargelegt.
a) Die Frage, ob der Mitgliedstaat von den gemeinschaftsrechtlichen Pauschalgebühren in der Weise nach oben abweichen darf, dass er von den Ermächtigungen der Ziff. 4 Buchstabe a und Buchstabe b des Anhangs (A) Kapitel I zur Richtlinie 85/73/EWG zugleich Gebrauch macht, stellt sich nicht. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass das einschlägige Ortsrecht allein von Ziff. 4 Buchstabe b des Anhangs zur Richtlinie Gebrauch gemacht hat und dass das Landesgesetz dem nicht entgegensteht. Diese Auslegung betrifft Landesrecht und bindet das Revisionsgericht. Damit ist auch unerheblich, ob Ziff. 4 Buchstabe a eine höhere Gebühr nur bei mangelhafter betrieblicher Organisation im Einzelfall zulässt, wie die Beschwerdeführerin meint.
Eine Auslegungsfrage allein zu Ziff. 4 Buchstabe b des Anhangs zur Richtlinie formuliert die Beschwerdeführerin nicht. Dieser Vorschrift hat das Berufungsgericht nur die Vorgabe entnommen, dass höhere als kostendeckende Gebühren nicht erhoben werden dürfen, und hat hierfür auf die Gesamtkosten der abzurechnenden Amtshandlungen abgestellt. Ferner hat es angenommen, dass Gemeinschaftsrecht nicht verbiete, bei der Kalkulation der einzelnen Gebühr auf Unterschiede zwischen den gebührenpflichtigen Betrieben – sachgerecht nach Betriebsgruppen typisierend – Rücksicht zu nehmen. Inwiefern dies grundsätzlich klärungsbedürftige Fragen aufwirft, zeigt die Beschwerdeführerin ebenfalls nicht auf. Der bloße Hinweis darauf, dass Ziff. 4 Buchstabe a des Anhangs zur EG-Richtlinie betriebsbezogene Zuschläge erlaubt, besagt für die Auslegung von Ziff. 4 Buchstabe b noch nichts. Auf eine nähere Darlegung kann umso weniger verzichtet werden, als der allgemeine Gleichheitssatz und das gebührenrechtliche Äquivalenzprinzip eine differenzierende Festsetzung der Gebührensätze bei wesentlichen Unterschieden zwischen den Gebührentatbeständen oder den Gebührenschuldnern geradezu gebieten.
b) Die städtische Satzung sieht unterschiedliche Gebührensätze für Fleischuntersuchungen in privaten und in öffentlichen Schlachthöfen vor. Das Berufungsgericht hat dies am rechtlichen Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG überprüft und gebilligt. Die Beschwerdeführerin hält das für falsch und verweist darauf, dass die Gebühren für Fleischuntersuchungen in privaten Schlachthöfen im Ergebnis fast doppelt so hoch seien wie die für Untersuchungen in öffentlichen Schlachthöfen. Damit ist eine klärungsbedürftige Rechtsfrage, die zur Zulassung der Revision führen könnte nicht dargetan. Die Auslegung des nordrhein-westfälischen Landesrechts – einschließlich des kommunalen Satzungsrechts – unterliegt nicht der Nachprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht. Dass das bundesrechtliche Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) der weitergehenden Klärung bedürfte, ist aber nicht erkennbar.
c) Auf die von der Beschwerdeführerin bezeichneten Fragen zur Zulässigkeit der Erhebung von Sondergebühren für Trichinenuntersuchungen oder für bakteriologische Fleischuntersuchungen kommt es nicht an. Derartige Sondergebühren oder besondere Gebührenanteile wurden vorliegend nicht erhoben. Im Übrigen sind die von der Beschwerdeführerin angesprochenen Fragen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (EuGH, Urteil vom 30. Mai 2002 – Rs 284/00 und 288/00 – Stratmann, Slg. I-4613, 4632; BVerwG, Beschlüsse vom 27. Juni 2002 – BVerwG 3 BN 4.01 – und vom 28. Juni 2002 – BVerwG 3 BN 5.01, 6.01 und 7.01 –; Urteile vom 9. Oktober 2002 – BVerwG 3 C 17.02 – und vom 14. Oktober 2002 – BVerwG 3 C 16.02 –).
3. Die Revision ist nicht wegen einer Abweichung des angefochtenen Urteils von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Eine Abweichung vom Urteil des Senats vom 29. August 1996 (– BVerwG 3 C 7.95 – BVerwGE 102, 39) liegt nicht vor. Der Senat hatte entschieden, dass nach § 24 Abs. 2 FlHG die den Ländern überlassene Entscheidung, ob von den EG-Pauschalgebühren abgewichen werden soll, ob die Voraussetzungen für eine Abweichung erfüllt sind und wie ggf. die höheren Beträge berechnet werden, durch Rechtssatz getroffen werden muss. Damit hat sich das Berufungsgericht nicht in Widerspruch gesetzt. Es hat festgestellt, dass die angeführten Entscheidungen vom Landesgesetz getroffen worden sind, und die Frage demzufolge offen gelassen, ob sie auch durch kommunale Satzung hätten getroffen werden dürfen. Auch damit wäre es von dem erwähnten Senatsurteil im Übrigen nicht abgewichen. Der Senat hatte ausdrücklich dahinstehen lassen, ob die durch Rechtssatz zu treffende Entscheidung dem förmlichen Gesetz vorbehalten war oder auch durch administrativen Rechtssatz hätte erfolgen dürfen. Dies hat er in späteren Entscheidungen präzisiert (insb. Beschluss vom 21. April 1999 – BVerwG 1 B 26.99 – Buchholz 418.5 Nr. 18; Urteil vom 27. April 2000 – BVerwG 1 C 7.99 – BVerwGE 111, 143 ≪149 f.≫).
Die übrigen behaupteten Abweichungen betreffen Rechtsfragen, die nach dem Vorstehenden für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht erheblich oder nicht revisibel sind.
4. Der Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers (§ 133 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist nicht schlüssig dargetan (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Beschwerdeführerin meint, das Berufungsgericht habe sich in den Entscheidungsgründen seines Urteils nicht mit ihrem gesamten rechtlichen Vorbringen auseinander gesetzt, und sieht darin eine Verletzung des Gebots, rechtliches Gehör zu gewähren. In Wahrheit bemängelt sie jedoch lediglich, dass das Berufungsgericht ihren eigenen Rechtsstandpunkt nicht geteilt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 52 Abs. 3 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, Liebler, Prof. Dr. Rennert
Fundstellen