Tatbestand
Rz. 1
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung betrifft Vorgaben des Bundesministeriums der Verteidigung zur Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache.
Rz. 2
Der Antragsteller ist als Oberstleutnant beim... in... eingesetzt. Ihn erreichte ein von einem beamteten Staatssekretär des Bundesministeriums der Verteidigung gezeichnetes Schreiben vom 28. Februar 2018, das alle Dienststellen dazu anhält, im gesprochenen und geschriebenen Wort die Gleichstellung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Ausdruck zu bringen. Es bittet darum, sich mit dem Merkblatt "Sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern - Hinweise, Anwendungsmöglichkeiten und Beispiele" des Bundesverwaltungsamts, 2. Aufl. 2002, (im Folgenden: Merkblatt) und mit der "G1-/A1-Information - Leitfaden zur sprachlichen Gleichbehandlung von Soldatinnen und Soldaten" des Bundesministeriums der Verteidigung vom 16. Januar 2009 (im Folgenden: Leitfaden) vertraut zu machen. Die darin enthaltenen Empfehlungen sollten genutzt werden.
Rz. 3
Das Merkblatt stellt verschiedene Möglichkeiten der deutschen Sprache zur Vermeidung maskuliner Bezeichnungen als Oberbegriff für männliche und weibliche Personen dar und macht verschiedene Vorschläge, wie sich die Forderung nach sprachlicher Gleichbehandlung von Frauen und Männern mit dem Streben nach verständlicher und bürgerfreundlicher Verwaltungssprache vereinbaren lässt.
Rz. 4
Mit einem an den Kommodore des... gerichteten und beim Bundesministerium der Verteidigung am 4. April 2018 eingegangenen Schreiben beschwerte sich der Antragsteller gegen den Inhalt des Merkblattes und des Leitfadens. Er verstehe insbesondere den Leitfaden als Anweisung zu einem bestimmten Verhalten. Dort werde ausschließlich von Männern und Frauen und der Notwendigkeit ihrer sprachlichen Gleichbehandlung gesprochen. Dies verstoße gegen das grundgesetzlich garantierte Persönlichkeitsrecht. Auf dieser Grundlage habe das Bundesverfassungsgericht ein drittes Geschlecht in den Rechtsraum eingeführt. Dem Recht auf Intersexualität müsse auch sprachlich Rechnung getragen werden. Auf Nachfrage hat der Antragsteller ergänzend ausgeführt, dass er eine korrigierte Fassung oder die Rücknahme der genannten Schreiben anstrebe. Seine individuelle Rechtsbetroffenheit liege darin, dass die Schreiben zu einer sprachlichen Gleichbehandlung von nur zwei Geschlechtern im täglichen Dienstbetrieb auffordern würden. Er habe daher die Persönlichkeitsrechte seiner Kameraden zu ignorieren, die sich keinem der Geschlechter zugehörig fühlten. Damit werde eine Minderheit aktiv ausgegrenzt. Diese sprachliche Diskriminierung sei ihm nicht zumutbar.
Rz. 5
Das Bundesministerium der Verteidigung hat das Schreiben des Soldaten als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewertet und zusammen mit einer Stellungnahme vom 30. Mai 2018 dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Rz. 6
Im gerichtlichen Verfahren hat sich der Antragsteller nicht geäußert.
Rz. 7
Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Rz. 8
Der Antrag sei unzulässig. Zwar handele es sich bei der Anrede von Angehörigen der Streitkräfte um eine truppendienstliche Angelegenheit. Das Wehrrecht kenne aber keine abstrakte Normenkontrolle. Hier fehle es an einer unmittelbaren Betroffenheit subjektiver Rechte. Pflichten eines militärischen Vorgesetzten seien nicht verletzt. Merkblatt und Leitfaden seien dem Bundesministerium der Verteidigung lediglich als Organhandeln zuzurechnen, nicht aber der Bundesministerin der Verteidigung als militärische Vorgesetzte. Das Schreiben des Staatssekretärs sei nicht in ihrer Vertretung gezeichnet. Weder Grundrechte bzw. grundrechtsgleiche Rechte des Antragstellers noch seine Rechte aus dem Soldatengesetz seien berührt. Es fehle ihm ebenfalls an einem Beschwerderecht, soweit er geltend mache, er werde aufgefordert, Rechte seiner Kameraden zu ignorieren. Beschweren könne sich ein Soldat dagegen, "Opfer" einer pflichtwidrigen Handlung zu werden, nicht aber dagegen, "Täter" zu sein. Kameradschaftspflichtverletzungen seien auch dann nicht vom Anwendungsbereich des § 17 Abs. 1 WBO umfasst, wenn er ihr "Opfer" wäre. Der Antrag bleibe auch aus anderen Gründen ohne Erfolg. Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze zum Schutz der geschlechtlichen Identität als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts seien auf die militärische Anrede nicht übertragbar. Die vom Antragsteller angegriffenen Dokumente verböten eine "dritte Anrede" nicht. Der Antragsteller könne Soldaten "dritten Geschlechts" fragen, wie diese angeredet werden wollten oder den Zusatz "Herr" oder "Frau" weglassen und nur den Dienstgrad mit Namen nutzen.
Rz. 9
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Rz. 10
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig. Weder liegt eine anfechtbare Maßnahme des Bundesministeriums der Verteidigung vor, noch ist der Antragsteller von den beanstandeten Dokumenten selbst betroffen.
Rz. 11
1. Der Antragsteller hat keinen förmlichen Sachantrag gestellt. In der Sache wendet er sich gegen Vorgaben des Bundesministeriums der Verteidigung zur sprachlichen Gleichbehandlung der Geschlechter im militärischen Dienstbetrieb, die keine Bestimmungen über die korrekte Anrede von Angehörigen der Streitkräfte enthalten, welche sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2017 - 1 BvR 2019/16 - BVerfGE 147, 1).
Rz. 12
2. a) Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO (hier i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) kann ein Soldat die Wehrdienstgerichte (nur) anrufen, wenn sein Antrag eine Verletzung seiner Rechte oder eine Verletzung von Vorgesetztenpflichten ihm gegenüber zum Gegenstand hat, die im Zweiten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts des Soldatengesetzes mit Ausnahme der §§ 24, 25, 30 und 31 geregelt sind. Daraus folgt, dass der Soldat nur solche Maßnahmen und Unterlassungen (§ 17 Abs. 3 WBO) seiner militärischen Vorgesetzten einer gerichtlichen Überprüfung unterziehen kann, die unmittelbar gegen ihn gerichtet sind oder die - obwohl an andere Soldaten gerichtet - in Form einer Rechtsverletzung oder eines Pflichtenverstoßes in seine Rechtssphäre hineinwirken. In Ausnahmefällen kann auch eine Verwaltungs- oder Dienstvorschrift Gegenstand eines gerichtlichen Antragsverfahrens sein, wenn sie eine unmittelbar an den einzelnen Soldaten gerichtete Anordnung enthält, die keiner weiteren Konkretisierung durch einen Befehl mehr bedarf. Der Antragsteller muss insoweit die Möglichkeit der Verletzung eigener Rechte oder ihm gegenüber bestehender Pflichten eines Vorgesetzten substantiiert darlegen. Eine vom Einzelfall losgelöste allgemeine Nachprüfung von Anordnungen oder Erlassen auf ihre Rechtmäßigkeit im Sinne eines Normenkontrollverfahrens sieht die Wehrbeschwerdeordnung nicht vor.
Rz. 13
b) Hiernach liegt zwar eine die Zuständigkeit des Senats begründende truppendienstliche Angelegenheit vor, weil der Antragsteller sich gegen Vorgaben für die Kommunikation im militärischen Dienstbetrieb wendet, die im Leitfaden enthalten und deren Beachtung durch das Staatssekretärsschreiben den Adressaten aufgegeben wird. Der gegen die angegriffenen Dokumente im genannten Umfang gerichtete Antrag ist aber weder statthaft, noch ist der Antragsteller antragsbefugt.
Rz. 14
aa) Bei den vom Antragsteller gerügten Kommunikationsvorgaben handelt es sich zum einen nicht um anfechtbare truppendienstliche Maßnahmen im Sinne des § 17 Abs. 1 und 3 WBO. Den von ihm beanstandeten Dokumenten ist keine konkrete, unmittelbar an den Antragsteller gerichtete Anordnung zu entnehmen. Vielmehr bedarf die abstrakt-generelle Anordnung, in der Kommunikation die Gleichstellung von Frauen und Männern zum Ausdruck zu bringen, für ihre Anwendung auf den Einzelfall einer Konkretisierung, wie dies zu geschehen hat. Diese Konkretisierung enthalten die beanstandeten Dokumente nicht, stellen sie doch eine Mehrzahl von Formulierungsmöglichkeiten zur Auswahl. Dem Antragsteller wurde nicht das von ihm behauptete Verbot erteilt, Angehörige der Streitkräfte, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, korrekt zu adressieren. Der Leitfaden erlaubt ebenso wie das Merkblatt die Nutzung geschlechtsneutraler Ausdrücke.
Rz. 15
bb) Zum anderen ist der Antragsteller durch die angefochtene Regelung nicht in eigenen Rechten verletzt. Es gibt keinen hinreichenden Grund anzunehmen, dass der Antragsteller sich nicht dauerhaft dem männlichen Geschlecht zuordnet, dessen korrekte Anrede in der militärischen Kommunikation nicht in Zweifel steht. Es gibt zudem keinen Hinweis darauf, dass der Antragsteller in seinem täglichen Dienst überhaupt mit Angehörigen der Streitkräfte kommuniziert, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen. Nicht nachvollziehbar ist, wieso eine Persönlichkeitsrechte dieser Menschengruppe achtende Anredeform durch die im Leitfaden zur Auswahl gestellten "Stilmittel" ausgeschlossen sein könnte. Es ist nicht dargelegt oder ersichtlich, dass das Bemühen um geschlechtergerechte Sprache in Persönlichkeitsrechte von Menschen "dritten Geschlechts" eingreift, sind die bestehenden sprachlichen Möglichkeiten, biologischen Ausnahmefällen Rechnung zu tragen, doch faktisch begrenzt. Schließlich folgt aus der Pflicht des Antragstellers, innerdienstliche Anweisungen beachten zu müssen, kein im Wehrbeschwerdeverfahren durchsetzbares Recht darauf, nur im Verhältnis zu Dritten rechtmäßige innerdienstliche Anordnungen befolgen zu müssen. Ein solches Recht würde die Wehrbeschwerde zu einem abstrakten Kontrollverfahren über die Rechtmäßigkeit innerdienstlicher Weisungen umformen und damit seinen Zweck als Rechtsinstitut des Individualrechtsschutzes verfehlen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. August 2015 - 1 WB 25.15 - juris Rn. 23).
Fundstellen
Dokument-Index HI13709028 |