Entscheidungsstichwort (Thema)
Erfolgreiche Beschwerde gegen Durchsuchungsanordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Beschwerde nach § 114 WDO ist auch gegen Durchsuchungsanordnungen i. S. d. § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO außerhalb gerichtlicher Disziplinarverfahren statthaft.
Verfahrensgang
Truppendienstgericht Süd (Beschluss vom 25.01.2023; Aktenzeichen S 5 BLd 1/23 und S 5 DsL 1/23) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Soldatin wird der Beschluss des Vorsitzenden der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 25. Januar 2023 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Bund auferlegt, der auch die der Soldatin darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.
Tatbestand
Rz. 1
Das Verfahren betrifft eine Durchsuchung elektronischer Kommunikationsmittel.
Rz. 2
1. Die Soldatin ist Stabsunteroffizier. Im Zuge eines gegen ihren früheren Lebensgefährten geführten Disziplinarverfahrens wurde sie von Angehörigen des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) befragt. Dabei wurde das von ihr mitgeführte Mobiltelefon eingesehen und zwei darauf gespeicherte Bilder und ein Auszug aus einem Chatverlauf fotografiert.
Rz. 3
2. Auf Antrag des stellvertretenden Disziplinarvorgesetzten der Soldatin ordnete der Vorsitzende der Truppendienstkammer mit Beschluss vom 25. Januar 2023 die Durchsuchung ihres privaten Mobiltelefons und der darin befindlichen Speichermedien einschließlich der darauf befindlichen Daten an und gestattete deren Beschlagnahme. Die Anordnungen beruhten auf § 20 Abs. 1 WDO. Die Soldatin stehe im Verdacht, gegen die politische Treuepflicht verstoßen zu haben. Die den Verdacht begründenden Anhaltspunkte ergäben sich aus zwei Bildern mit Bezug zur Corona-Leugner- bzw. Querdenker-Szene sowie dem Auszug aus einem Chatverlauf mit szenetypischem Inhalt auf ihrem Handy. Damit sei sie eines Dienstvergehens nach § 23 Abs. 1 i. V. m. §§ 7, 8 und 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG hinreichend verdächtig. Es stehe zu erwarten, dass auf dem Handy Dateien, insbesondere Chatverläufe, zur Herkunft und/oder einer möglichen Weitergabe der genannten oder vergleichbarer Bilder gefunden würden. Durchsuchung und Beschlagnahme stünden in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und Stärke des Tatverdachts. Sie seien für die disziplinaren Ermittlungen des Disziplinarvorgesetzten notwendig. Der Antrag auf Anordnung einer Durchsuchung auch der von diesem Gerät räumlich getrennten Speichermedien (Cloud-Dienste und "WhatsApp"-Dienst), soweit darauf vom Gerät aus zugegriffen werden könne, werde mangels Rechtsgrundlage abgelehnt.
Rz. 4
3. Die Soldatin hat durch ihren Verteidiger am 15. Februar 2023 beim Truppendienstgericht Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt, "mit dem die Durchsuchung des Mobiltelefons und der darin befindlichen Speichermedien und Daten angeordnet wird". Es fehle am Anfangsverdacht eines Dienstvergehens. Das Mobiltelefon gehöre ihrem Ehemann. Die Angehörigen des BAMAD hätten sie zur Einsichtnahme in das Mobiltelefon genötigt. Sie habe das Fotografieren von Inhalten nicht gestattet. Mit Schriftsätzen vom 17. Februar und 28. April 2023 sind weitere Einwände erhoben worden.
Rz. 5
4. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft ist der Beschwerde entgegengetreten. Sie hat mit Schreiben vom 10. März 2023 mitgeteilt, dass sie am 25. Januar 2023 telefonisch vom stellvertretenden Disziplinarvorgesetzten über den Sachverhalt informiert worden sei. Sie hätten die Möglichkeit eines Antrags auf Durchsuchung und Beschlagnahme des Mobiltelefons erörtert. Wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen die politische Treuepflicht sei klar gewesen, dass sie Vorermittlungen aufnehmen müsse. Dies sei auch kommuniziert worden. Der Durchsuchungsantrag sei dann auf ihre Bitte bzw. in Absprache mit ihr gestellt worden. Krankheitsbedingt sei die förmliche Aufnahme der Vorermittlungen jedoch erst Anfang Februar 2023 verfügt worden. Mit Schreiben vom 9. November 2023 hat sie mitgeteilt, dass die Auswertung noch andauere.
Rz. 6
5. Die Bundeswehrdisziplinaranwältin hält die Beschwerde für unbegründet.
Rz. 7
6. Die nunmehrige Vorsitzende der Truppendienstkammer hat die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Anordnung der Durchsuchung richtet, als Beschwerde nach § 114 Abs. 1 WDO zur Entscheidung an das Bundesverwaltungsgericht abgegeben. Im Übrigen wird die Eingabe als Beschwerde nach § 42 Nr. 5 WDO beim Truppendienstgericht geführt.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die Beschwerde hat Erfolg.
Rz. 9
1. Gegenstand der beim Bundesverwaltungsgericht geführten Beschwerde ist nur die mit Beschluss des früheren Vorsitzenden der Truppendienstkammer erfolgte Anordnung der Durchsuchung des Mobiltelefons der Soldatin. Denn der Verteidiger der Soldatin hat nur Beschwerde erhoben "gegen den Beschluss des Gerichts vom 25.01.2023, mit dem die Durchsuchung des Mobiltelefons und der darin befindlichen Speichermedien und Daten angeordnet wird". Mit Schriftsatz vom 28. April 2023 hat er klargestellt, dass mit Schreiben vom 15. Februar 2023 (nur) Beschwerde "gegen den Durchsuchungsbeschluss des Gerichts vom 25.01.2023 erhoben" worden sei; Beschwerdegegenstand sei der Erlass des Durchsuchungsbeschlusses.
Rz. 10
Nicht hingegen ist Beschwerdegegenstand zudem eine Beschlagnahmeanordnung. Denn der Verteidiger hat in der Beschwerdeschrift vom 15. Februar 2023 in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2023 - 1 BvR 58/23 - juris Rn. 10 m. w. N.) betont, dass seines Erachtens noch keine Beschlagnahmeanordnung vorliege. Daraus ist zu schließen, dass er auch nicht gegen eine etwaige Beschlagnahmeanordnung vorgehen wollte.
Rz. 11
2. Die Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung ist zulässig.
Rz. 12
a) Sie ist nach § 114 Abs. 1 WDO statthaft.
Rz. 13
Offen bleiben kann insoweit, ob die Durchsuchungsanordnung vor oder nach Aufnahme der Vorermittlungen der Wehrdisziplinaranwaltschaft gegen die Soldatin erging. Dies ist unklar, weil sich aus dem Schreiben der Wehrdisziplinaranwaltschaft vom 10. März 2023 und der Vorermittlungsakte nicht eindeutig ergibt, ob bei Erlass der Durchsuchungsanordnung bereits ein Vorermittlungsverfahren der Wehrdisziplinaranwaltschaft oder nur disziplinare Ermittlungen des Disziplinarvorgesetzten geführt wurden.
Rz. 14
Denn eine Beschwerde gegen eine Durchsuchungsanordnung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO ist nicht nur dann gemäß § 114 Abs. 1 WDO statthaft, wenn diese in einem gerichtlichen Disziplinarverfahren einschließlich des dazugehörigen Vorermittlungsverfahrens der Wehrdisziplinaranwaltschaft erging (dazu BVerwG, Beschluss vom 13. Dezember 2022 - 2 WDB 8.22 - juris Rn. 14), sondern auch, wenn sie im Rahmen disziplinarer Ermittlungen des Disziplinarvorgesetzten erlassen wurde. An der anderslautenden Rechtsprechung zur Vorgängervorschrift § 109 WDO a. F. (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Juni 1975 - 2 WDB 8.75 - und vom 23. Mai 1977 - 2 WDB 3.77 - juris Rn. 6) hält der Senat nicht länger fest.
Rz. 15
Zwar steht § 114 WDO wie § 109 WDO a. F. im Dritten Abschnitt ("Das gerichtliche Disziplinarverfahren") des Zweiten Teils der Wehrdisziplinarordnung. Nach ihrer systematischen Stellung zählt die Vorschrift zum gerichtlichen Disziplinarverfahren, das mit dem im selben Abschnitt in § 92 WDO geregelten Vorermittlungsverfahren der Wehrdisziplinaranwaltschaft beginnt. Dies gilt nicht für die im Zweiten Abschnitt ("Die Disziplinarbefugnis der Disziplinarvorgesetzten und ihre Ausübung") des Zweiten Teils in § 32 WDO geregelten disziplinaren Ermittlungen des Disziplinarvorgesetzten.
Rz. 16
§ 114 Abs. 1 WDO ist aber verfassungskonform so auszulegen, dass die Beschwerde auch gegen eine Durchsuchungsanordnung i. S. d. § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO außerhalb eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens statthaft ist. Jede andere Sichtweise widerspräche Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, der ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen gerichtlichen Schutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt enthält. Als öffentliche Gewalt i. S. d. Art. 19 Abs. 4 GG werden auch die Gerichte eingeordnet, wenn sie außerhalb ihrer spruchrichterlichen Tätigkeit aufgrund eines ausdrücklich normierten Richtervorbehalts tätig werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 ≪406≫). Dazu zählt die dem Richter vorbehaltene Durchsuchungsanordnung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO. Denn das typische Kennzeichen rechtsprechender Tätigkeit - die letztverbindliche Klärung der Rechtslage in einem Streitfall im Rahmen besonders geregelter Verfahren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Dezember 2014 - 1 BvR 3106/09 - BVerfGE 138, 33 Rn. 18) - fehlt bei ihr. Die Besonderheit gegenüber der spruchrichterlichen Tätigkeit wirkt sich vor allem im Ausschluss vorherigen rechtlichen Gehörs des Betroffenen aus. Umso wichtiger ist die Garantie einer anschließenden gerichtlichen Kontrolle der Maßnahme unter Gewährung rechtlichen Gehörs. Dies garantiert Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 ≪406≫).
Rz. 17
Eine verfassungskonforme Auslegung einer Norm ist geboten, wenn unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Zweck mehrere Deutungen möglich sind, von denen nicht alle, aber zumindest eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 2005 - 2 BvR 167/02 - BVerfGE 112, 164 ≪182≫ m. w. N.). Grenzen werden der verfassungskonformen Auslegung durch den Wortlaut und den Gesetzeszweck gezogen. Ein Normverständnis, das mit dem Gesetzeswortlaut nicht mehr in Einklang zu bringen ist, kann durch verfassungskonforme Auslegung ebenso wenig gewonnen werden wie ein solches, das in Widerspruch zu dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes träte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 2009 - 1 BvR 825/08 u. a. - BVerfGE 124, 25 ≪39≫ m. w. N.).
Rz. 18
Ausgehend davon gebietet Art. 19 Abs. 4 GG die Auslegung des § 114 Abs. 1 WDO, dass die Beschwerde danach auch gegen eine außerhalb eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens erlassene Durchsuchungsanordnung i. S. d. § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO eröffnet ist. Diese Auslegung entspricht dem Wortlaut des § 114 Abs. 1 Satz 1 WDO. Danach ist gegen Beschlüsse des Truppendienstgerichts und richterliche Verfügungen die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zulässig, soweit das Gesetz nicht ausdrücklich etwas Anderes bestimmt. Die einzige insoweit in Betracht kommende Ausnahme für "Entscheidungen, die der Urteilsfällung vorausgehen" (§ 114 Abs. 1 Satz 2 WDO) gilt ausdrücklich nicht für Entscheidungen, welche eine Beschlagnahme oder Durchsuchung betreffen.
Rz. 19
Die Entstehungsgeschichte steht dieser Auslegung nicht entgegen. Ausweislich der Gesetzesmaterialien sollte mit dem Zweiten Gesetz zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts und zur Änderung anderer Vorschriften vom 16. August 2001 (BGBl. I S. 2093) eine Verbesserung des rechtlichen Instrumentariums u. a. durch eine Neuregelung der Vorschriften über das Verfahren bei der Durchsuchung und Beschlagnahme erreicht werden; zugleich sollten die Rechte der Soldaten vor allem durch Ergänzung der Rechtsschutzmöglichkeiten gestärkt werden (vgl. BT-Drs. 14/4660 S. 1). Der Schwerpunkt der Novellierung bestand in einer Stärkung der Rechte des Soldaten (BT-Drs. 14/4660 S. 22). Dabei wollte der Gesetzgeber eine klare Trennung zwischen Beschwerden gegen Entscheidungen und Maßnahmen des Disziplinarvorgesetzten einerseits und gegen gerichtliche Entscheidungen andererseits vorsehen (vgl. BT-Drs. 14/4660 S. 29 und 36), ohne dass sich aus den Gesetzesmaterialien Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er Durchsuchungsanordnungen nach § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO außerhalb im Gegensatz zu solchen innerhalb gerichtlicher Disziplinarverfahren von der Beschwerdemöglichkeit gegen gerichtliche Entscheidungen ausnehmen wollte.
Rz. 20
Ein solcher Ausschluss ist auch nach Sinn und Zweck des § 114 Abs. 1 WDO nicht geboten. Denn der mit einer Durchsuchungsanordnung verbundene Eingriff wiegt unabhängig davon, ob diese inner- oder außerhalb eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens ergeht, für den Betroffenen gleichermaßen schwer. Eine anderweitige Rechtsschutzmöglichkeit gegen richterliche Durchsuchungsanordnungen außerhalb gerichtlicher Disziplinarverfahren besteht nicht. Eine Beschwerde nach § 42 Nr. 5 WDO zum Truppendienstgericht ist nicht statthaft (a. A. Stauf, Wehrdisziplinarordnung, 1. Aufl. 2012 § 20 Rn. 6 zu § 42 Nr. 3 a. F.). Denn § 42 WDO eröffnet ausdrücklich und nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 14/4660 S. 29 und 36) die Beschwerde zum Truppendienstgericht nur gegen Maßnahmen und Entscheidungen des Disziplinarvorgesetzten, nicht gegen richterliche Anordnungen.
Rz. 21
b) Die Soldatin ist beschwerdebefugt. Zwar gehören ihr nach eigenen Angaben das Mobiltelefon und die darin befindlichen Speichermedien nicht. Jedoch sind darauf Kommunikationsinhalte von ihr gespeichert, so dass eine Verletzung in eigenen Rechten durch die Durchsuchungsanordnung möglich ist.
Rz. 22
c) Das Rechtsschutzbedürfnis ist nicht durch Vollzug der Durchsuchungsanordnung entfallen (dazu BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Juli 2023 - 1 BvR 58/23 - juris Rn. 11). Denn die zur Durchsuchung gehörende Durchsicht (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. November 2021 - 2 BvR 2038/18 - juris Rn. 46) dauert noch an.
Rz. 23
d) Die Beschwerde wurde frist- und formgerecht gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 und 3, § 112 Satz 1 WDO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der angefochtenen Entscheidung eingelegt.
Rz. 24
e) Die Vorsitzende der Truppendienstkammer hat - wie sich aus ihrem Vorlageschreiben vom 7. November 2023 ergibt - eine Abhilfe gemäß § 114 Abs. 3 Satz 1 WDO nicht für angebracht gehalten.
Rz. 25
3. Die Beschwerde ist auch begründet. Denn die auf § 20 Abs. 1 WDO gestützte Durchsuchungsanordnung ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. Mai 2014 - 2 BvR 683/12 - juris Rn. 17) rechtswidrig. Es fehlt am Verdacht eines Dienstvergehens der Soldatin.
Rz. 26
a) Das Gewicht des mit einer Durchsuchungsanordnung verbundenen Grundrechtseingriffs verlangt auf konkreten Tatsachen beruhende Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Zwar muss sich aus den Umständen, die den Anfangsverdacht begründen, noch keine exakte Tatpräzisierung ergeben. Denn das Stadium des Anfangsverdachts zeichnet sich gerade dadurch aus, dass noch Ermittlungen nötig sind, weil die Tat in ihren Einzelheiten noch nicht aufgeklärt ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 2 WDB 12.21 - BVerwGE 175, 1 Rn. 49). Daher genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass ein Dienstvergehen begangen wurde und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt, ohne dass es eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf (vgl. BGH, Beschluss vom 6. September 2023 - StB 40/23 - juris Rn. 11 m. w. N.). Eine Durchsuchung darf aber nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Anfangsverdachts erst erforderlich sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 2 WDB 12.21 - BVerwGE 175, 1 Rn. 49).
Rz. 27
b) Die im Durchsuchungsbeschluss angeführten beiden Bilder und der Auszug aus dem Chatverlauf begründen nur vage Anhaltspunkte und die Vermutung, dass die Soldatin die im Beschluss genannten Dienstpflichten verletzt hat.
Rz. 28
aa) Das eine Bild trägt die Überschrift "Bald kommt eine Zeit, in der wieder differenziert wird". Darunter sind zwei Fotos abgedruckt. Das erste Foto zeigt ein braunes Hemd mit einer roten Armbinde und weißem Kreis mit der Inschrift "geimpft" in Frakturschrift, das zweite Foto ein blaues Hemd mit einem gelben sog. Judenstern mit der Inschrift "ungeimpft" in Imitation hebräischer Schriftzeichen. Zwischen den Fotos sind die Worte "Und alle schauen zu" abgedruckt.
Rz. 29
Aufgrund des von den Angehörigen des BAMAD gefertigten Fotos steht zwar fest, dass das Bild am 25. Januar 2023 auf dem von der Soldatin mitgeführten Mobiltelefon gespeichert war. Jedoch begründet das bloße Mitsichführen des Mobiltelefons mit diesem Bild keinen Verdacht einer Verletzung von §§ 8, 7 und/oder § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG.
Rz. 30
(1) § 8 SG verlangt von Soldatinnen und Soldaten, die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes anzuerkennen und durch ihr gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung einzutreten.
Rz. 31
(a) Der Begriff "freiheitliche demokratische Grundordnung" hat denselben Inhalt wie in Art. 21 Abs. 2 und 3 GG (dazu BVerfG, Urteile vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 - BVerfGE 144, 20 Rn. 530 ff. und vom 23. Januar 2024 - 2 BvB 1/19 - juris Rn. 247 ff.). Daraus folgt eine Konzentration auf wenige zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Ausgangspunkt für die Bestimmung des Begriffsinhalts sind die Würde des Menschen und das Demokratieprinzip, für das die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller am politischen Willensbildungsprozess sowie die Rückbindung der Ausübung von Staatsgewalt an das Volk maßgeblich ist. Zudem erfasst der Begriff den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. November 2021 - 2 WD 25.20 - NVwZ 2022, 1133 Rn. 29).
Rz. 32
Dementsprechend ist mit § 8 SG u. a. ein Verhalten unvereinbar, das objektiv geeignet oder gar darauf angelegt ist, die Ziele des nationalsozialistischen Regimes zu verharmlosen sowie Kennzeichen, Symbole oder sonstige Bestandteile der NS-Ideologie wieder gesellschaftsfähig zu machen. Denn das Grundgesetz bildet gleichsam den "Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes" (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. November 2021 - 2 WD 25.20 - NVwZ 2022, 1133 Rn. 29). Ebenso unvereinbar mit § 8 SG sind Agitationen, die die freiheitliche demokratische Grundordnung herabsetzen, verfassungsrechtliche Wertentscheidungen und Institutionen diffamieren und zum Bruch geltender Gesetze auffordern, mithin nicht den Staat und seine Staatsorgane nur kritisieren, sondern deren Legitimität in Frage stellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2023 - 2 WD 11.22 - NVwZ 2023, 1915 Rn. 19 zu § 23 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SG).
Rz. 33
Nicht hingegen verlangt § 8 SG, sich mit den Zielen oder einer bestimmten Politik der jeweiligen Bundesregierung oder der im Bundestag vertretenen Parteien zu identifizieren und sie zu unterstützen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Mai 2022 - 2 WD 10.21 - NVwZ 2023, 91 Rn. 19; BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - BVerfGE 39, 334 ≪347 f.≫).
Rz. 34
(b) Das Mitsichführen des Mobiltelefons mit dem beschriebenen Bild begründet weder den Verdacht, dass die Soldatin die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht anerkennt, noch den Verdacht, dass sie nicht durch ihr gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung eintritt.
Rz. 35
Auszugehen ist vom objektiven Erklärungsgehalt des Bildes, wie ihn ein unbefangener Dritter verstehen muss. Zu berücksichtigen sind alle Begleitumstände einschließlich des Kontextes und der sprachlichen und gesellschaftlichen Ebene, auf der sich die Bekundung bewegt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 11. November 2021 - 1 BvR 11/20 - NJW 2022, 769 Rn. 17 m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 10. November 2022 - 2 WD 20.21 - juris Rn. 36). Bei mehrdeutigen Bekundungen müssen andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen werden, bevor ihnen eine zu einer Sanktionierung führende Bedeutung zugrunde gelegt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2023 - 2 WD 11.22 - NVwZ 2023, 1915 Rn. 25 m. w. N.).
Rz. 36
Das Bild ist aus Sicht eines objektiven Dritten im zeitlichen Kontext so zu verstehen, dass damit Kritik an den in der Bundesrepublik Deutschland ergriffenen staatlichen Schutzmaßnahmen während der Corona-Pandemie, die Einschränkungen für weder vollständig gegen COVID-19 geimpfte noch genesene Personen zur Folge hatten, sowie ein Unbehagen über das Hinnehmen dieser Maßnahmen durch die Bevölkerung ausgedrückt wird. Denn der Soldatin wurde das Bild am Abend des 10. August 2021 zugesandt. An diesem Tag war auf einer Bund-Länder-Konferenz beschlossen worden, dass die Länder für alle Personen, die weder vollständig Geimpfte noch Genesene waren, negative Antigen-Schnelltests oder negative PCR-Tests für den Zugang zu bestimmten Institutionen und Veranstaltungen und die Inanspruchnahme bestimmter Dienstleistungen vorschreiben. Mit der Gegenüberstellung des Fotos einer durch die Inschrift "geimpft" anstelle des Hakenkreuzes verfremdeten Hakenkreuzbinde - die während des Nationalsozialismus insbesondere der Kennzeichnung der Parteimitglieder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) diente - und des Fotos eines durch die Inschrift "ungeimpft" statt "Jude" verfremdeten Judensterns - dem vom nationalsozialistischen Regime eingeführten Zwangskennzeichen für Juden - wird in Verbindung mit dem Titel ("Bald kommt eine Zeit, in der wieder differenziert wird") und dem Text "Und alle schauen zu" objektiv der Vorwurf erhoben, sich wieder einer Zeit anzunähern, in der es zu inakzeptablen staatlichen Maßnahmen gegenüber einer bestimmten Bevölkerungsgruppe (diesmal: nicht gegen COVID-19 geimpfte Personen) komme, was von der Bevölkerung akzeptiert werde.
Rz. 37
Nicht hingegen ist das Bild deshalb als Verharmlosung des Holocausts auszulegen, weil darin die Zwangsmaßnahmen des nationalsozialistischen Regimes auf annähernd dieselbe Stufe herabgesetzt werden wie die staatlichen Schutzmaßnahmen gegen COVID-19 in der Bundesrepublik Deutschland. Denn die Kernaussage des Bildes ist ersichtlich die Kritik an den Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland. Die verfremdete Hakenkreuzbinde und der verfremdete Judenstern werden lediglich provokativ eingesetzt, um dieser Kritik besonderes Gewicht zu verleihen. Die Zwangsmaßnahmen des nationalsozialistischen Regimes werden mit dem Bild nicht verherrlicht; vielmehr warnt es davor, sich solchen Zeiten anzunähern.
Rz. 38
Ausgehend von diesem Aussagegehalt werden in dem Bild die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Staatsorgane und die zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind, nicht in Zweifel gezogen. In dem Bild wird auch nicht zum Bruch geltender Gesetze aufgefordert.
Rz. 39
(2) Aus dem Bild ergeben sich auch keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die Pflicht zum treuen Dienen nach § 7 SG, die u. a. Loyalität gegenüber der geltenden Rechtsordnung, vor allem die Beachtung der Strafgesetze, verlangt (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. August 2019 - 2 WD 28.18 - juris Rn. 37 m. w. N.). Die in dem Bild zum Ausdruck gebrachte Machtkritik ist in der gewählten Form von der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) gedeckt. Denn der Staat wird damit nicht dermaßen verunglimpft, dass es zumindest mittelbar geeignet erscheint, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, die Funktionsfähigkeit seiner staatlichen Einrichtungen oder die Friedlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. November 2011 - 1 BvR 917/09 - NJW 2012, 1273 Rn. 24).
Rz. 40
Das bloße Mitsichführen des Mobiltelefons mit dem Bild ist schon mangels Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens auch keine Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB. Ungeachtet dessen liegt ein Verharmlosen im Sinne dieser Vorschrift nicht vor, wenn sich - wie hier - aus dem Kontext und unter Berücksichtigung einer am Grundrecht der Meinungsfreiheit und des Zweifelssatzes orientierten Auslegung ergibt, dass mit der Verwendung eines Judensterns mit der Inschrift "ungeimpft" statt "Jude" und einer Hakenkreuzbinde mit der Inschrift "geimpft" statt des Hakenkreuzes ein Vergleich allein zur sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Ausgrenzung gezogen werden soll (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 16. Oktober 2023 - 1 ORs 46/23 - juris Rn. 26 m. w. N.).
Rz. 41
Eine Straftat nach § 86a StGB scheidet schon deshalb aus, weil die Verfremdung der Hakenkreuzbinde und des Judensterns so offenkundig ist, dass es sich nicht um Kennzeichen handelt, die verbotenen Kennzeichen zum Verwechseln ähnlich sind.
Rz. 42
(3) Aus den genannten Gründen besteht auch kein Verdacht einer Verletzung der innerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG.
Rz. 43
bb) Das zweite im Durchsuchungsbeschluss angesprochene Bild zeigt eine Fotomontage eines im Unterhemd auf einem Bett sitzenden Mannes mit dem Kopf des Bundesgesundheitsministers Lauterbach, auf dessen Schoß eine nicht voll aufgeblasene, unbekleidete Gummipuppe liegt. Darunter steht: "Nach langem hin und her hat Karl heute seine Freundin geimpft. Leider ist ihr kurz darauf die Luft ausgegangen. Wegen des zeitlichen Zusammenhangs muss leider von einem Impfschaden ausgegangen werden."
Rz. 44
(1) Diese Darstellung ist bei objektiver Auslegung ein versuchter Scherz über den Bundesgesundheitsminister Lauterbach, der die Bevölkerung während der Corona-Pandemie wiederholt dazu aufrief, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen. Nach dem objektiven Erklärungsgehalt soll beim Betrachter des Bildes die Vorstellung erweckt werden, der Bundesgesundheitsminister habe eine sexuelle Vorliebe für Gummipuppen und habe Geschlechtsverkehr mit einer solchen ausgeübt (sie "geimpft"), woraufhin dieser die Luft ausgegangen sei (Synonym für einen Impfschaden).
Rz. 45
Auch hier steht zwar fest, dass die Soldatin es auf dem Mobiltelefon gespeichert hatte. Bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses lagen aber keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie das Bild außerhalb der Befragung durch die Angehörigen des BAMAD anderen Personen gezeigt oder weitergeleitet hatte. Denn der dem Durchsuchungsantrag beigefügte Chatverlauf betrifft auch dieses Bild nicht.
Rz. 46
(2) Das bloße Mitsichführen des Mobiltelefons mit diesem Bild begründet ebenfalls keinen Verdacht einer Verletzung der genannten Dienstpflichten.
Rz. 47
(a) Anhaltspunkte dafür, dass die Soldatin die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht anerkennt, ergeben sich daraus nicht. Denn nicht jeder Impfskeptiker und nicht jede Person, die sich über einen Politiker/Amtsträger lustig macht, verfügt über eine verfassungsfeindliche Gesinnung.
Rz. 48
(b) Ebenso wenig folgt daraus ein Verdacht eines Verstoßes gegen die Pflicht zum treuen Dienen in Form einer innerdienstlichen Straftat. Insbesondere ist allein das Mitsichführen des Mobiltelefons mit dem Bild schon mangels Kundgabe keine Beleidigung des Bundesgesundheitsministers i. S. d. §§ 185, 188 Abs. 1 StGB. Daher kann offen bleiben, ob bei einer Entkleidung des in "Wort und Bild gewählten satirischen Gewandes" (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1987 - 1 BvR 313/85 - BVerfGE 75, 369 ≪377 f.≫) der Darstellung, bei der es sich wegen des Kontextes einer Sachauseinandersetzung nicht um eine faktisch aus dem Gewährleistungsbereich der Meinungsfreiheit herausfallende Schmähkritik handelt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Februar 2019 - 1 BvR 1954/17 - NVwZ 2019, 719 Rn. 11), sowohl der Aussagekern als auch die Entkleidung bei einer Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Bundesgesundheitsministers (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 19. Dezember 2021 - 1 BvR 1073/20 - NJW 2022, 680, vom 9. Februar 2022 - 1 BvR 2588/20 - NJW 2022, 1523 und vom 21. März 2022 - 1 BvR 2650/19 - NJW 2022, 1931) von der Meinungsfreiheit gedeckt sind.
Rz. 49
(c) Mangels Nachweises dafür, dass die Soldatin das Bild innerdienstlich außerhalb ihrer Befragung durch das BAMAD anderen Personen gezeigt oder weitergeleitet hat, kann auch offen bleiben, ob dies den Verdacht einer Verletzung der innerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht begründen würde.
Rz. 50
cc) Auch der vom Militärischen Abschirmdienst fotografierte Chatverlauf lässt nicht auf ein Dienstvergehen schließen. Er zeigt zum einen, dass die Soldatin am 26. August 2021 um 8 Uhr 18 einen Link zu dem Artikel "Soldat und COVID-19-Impfung" auf der Internetseite https://www.anwalt.de/rechtstipps/soldat-und-covid-19-impfung-188279.html weiterleitete. Hieraus ergeben sich indessen keine Anhaltspunkte für eine Verletzung der genannten Dienstpflichten. Der verlinkte Artikel stammt vom Verteidiger der Soldatin und befasst sich mit der Impfpflicht von Soldaten. Er enthält keine verfassungsfeindlichen, strafbaren oder sonst unlauteren Inhalte.
Rz. 51
dd) Aus dem Auszug aus dem Chatverlauf ergibt sich zum anderen, dass die Soldatin am selben Tag einen Link zu dem Musikvideo "Heimat" mit dem von ihr verfassten Kommentar "Hör dir das mal an... das ist der Hammer" weiterleitete. Auch hieraus folgt kein Verdacht einer Verletzung der genannten Dienstpflichten.
Rz. 52
(1) Nach einer vom Truppendienstgericht eingeholten Stellungnahme des BAMAD vom 27. Oktober 2023 enthält der Liedtext zwar Passagen, die zu den Kreisen von Verschwörungstheoretikern und Reichsbürgern passen; dies betreffe zum einen die Formulierung "musst dich aus dem Würgegriff der Schlange befrei'n", weil die Schlange in verschwörungsideologischen Kreisen häufig als Synonym für das Judentum verwendet werde; zum anderen betreffe dies die Textpassage "so ist Heimat, mal ein Land und mal ein Ort", weil die Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Reichsbürgerbewegung nicht als souveräner Staat akzeptiert werde und für sie die Heimat zur Zeit "nur" ein Ort, kein Land sei. Jedoch hat das BAMAD von einer Bewertung abgesehen, ob diese Bedeutung der Textpassagen auch vorliegend zutreffe, und nur darauf verwiesen, dass das Lied "Heimat" insbesondere aufgrund der beteiligten Akteure erkennbare Bezüge zu extremistischen Personen und Organisationen aufweise.
Rz. 53
(2) Diese Umstände sind zu vage, um daraus eine verfassungsfeindliche Gesinnung der Soldatin i. S. d. § 8 Alt. 1 SG abzuleiten. Denn eine Interpretation der genannten Textstellen in dem vom BAMAD aufgezeigten Sinne ist nicht zwingend. Für ein antisemitisches Gedankengut der Soldatin oder eine innerliche Nähe zur Reichsbürgerbewegung gibt es auch keine sonstigen Anhaltspunkte. Vielmehr wird in dem von ihr besessenen erstgenannten Bild - wie ausgeführt - gerade davor gewarnt, sich Zeiten wie dem Nationalsozialismus anzunähern. Der Kommentar der Soldatin ist wegen des Zusatzes "Hör dir das mal an" ausschließlich auf die Musik und den Text und nicht auf das Video und die daran beteiligten Akteure bezogen. Daher genügt allein die Versendung des Links zu dem Musikvideo mit dem Kommentar auch nicht als Anhaltspunkt für eine nicht hinreichende Distanzierung von Gruppen und Bestrebungen, die den Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren, so dass sich daraus auch kein Verdacht einer Verletzung von § 8 Alt. 2 SG ergibt.
Rz. 54
(3) Ebenso wenig begründet das Teilen des Musikvideos mit dem genannten Kommentar den Verdacht einer Verletzung der Pflicht zum treuen Dienen. Insbesondere enthält das Musikvideo keine strafbaren Inhalte.
Rz. 55
(4) Der Verdacht einer Verletzung der innerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht besteht schon deshalb nicht, weil sich aus dem Chatauszug nicht ergibt, dass der Link während des Dienstes oder in dienstlichen Anlagen versandt wurde.
Rz. 56
c) Da es bereits am Verdacht eines Dienstvergehens fehlt, kommt es auf die weiteren gegen die Durchsuchungsanordnung erhobenen Einwände nicht an.
Rz. 57
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 1 Satz 1 WDO. Entsprechend § 140 Abs. 1 WDO hat der Bund auch die der Soldatin im Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Fundstellen
Haufe-Index 16262318 |
NVwZ-RR 2024, 5 |
NVwZ-RR 2024, 553 |
JZ 2024, 330 |
JZ 2024, 337 |