Verfahrensgang
OVG des Landes Sachsen-Anhalt (Urteil vom 24.01.2007; Aktenzeichen 1 K 111/06) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 24. Januar 2007 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben. Weder die Verfahrensrüge der unzureichenden Sachverhaltsaufklärung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO noch die gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erhobenen Grundsatzrügen sind begründet.
1. Das Normenkontrollgericht hat den Antrag des Antragstellers, die Sechste Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Abgeltung der Gerichtsvollzieher-Bürokosten vom 27. Mai 2004 (GVBl LSA S. 304) für unwirksam zu erklären, im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, die Bürokostenentschädigung der Gerichtsvollzieher sei an den tatsächlich anfallenden notwendigen Sach- und Personalkosten auszurichten und realitätsnah festzusetzen, wobei der Abgeltungsmaßstab nicht die dem einzelnen Beamten konkret entstehenden Kosten, sondern die im Durchschnitt sämtlichen Gerichtsvollziehern im Geltungsbereich einer landesrechtlichen Abgeltungsregelung entstehenden Kosten seien. Der Dienstherr sei zur Pauschalisierung und Typisierung, im Falle gravierender regionaler Unterschiede auch zu Staffelungen befugt oder sogar verpflichtet. Typisiere und pauschalisiere er anhand eines landes- oder bundesweit einheitlich ermittelten Aufwandes, werde er dieser Verpflichtung nur gerecht, wenn keine wesentlichen regionalen Unterschiede (z.B. Stadt-Land-Gefälle) zur Differenzierung zwängen. Der Dienstherr sei nicht gehalten, in jedem Einzelfall die konkret entstandenen Kosten zu ermitteln und über deren Erforderlichkeit zu entscheiden. Er müsse daher auch nicht alle vollzeitbeschäftigten Gerichtsvollzieher nach den entsprechenden Daten befragen. Ausreichend sei vielmehr, die Entwicklung der Bürokosten zu beobachten, etwaige Veränderungen zur Kenntnis zu nehmen und bisherige Kostenerhebungen gegebenenfalls zeitnah auf eine hinreichend breite und realitätsgerechte Ermittlungsgrundlage zu stellen.
In Anwendung dieser Obersätze hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, dass die auf der Befragung von 11 von insgesamt 121 vollzeitbeschäftigten Gerichtsvollziehern beruhende Bürokostenerhebung des beklagten Landes eine ausreichend breite Ermittlungsgrundlage darstelle, auf deren Grundlage ein nicht durch Besonderheiten einzelner Gerichtsvollzieherbüros verfälschtes Ergebnis erreicht worden sei. Weder die Anzahl der befragten Gerichtsvollzieher noch ihre Relation zur Anzahl aller vollzeitbeschäftigten Gerichtsvollzieher im Geltungsbereich der angegriffenen Verordnung rechtfertige die Annahme einer zu geringen Erhebungsbreite der Untersuchung. Es könne nicht festgestellt werden, die Gerichtsvollzieherbüros würden sich derart gravierend unterscheiden, dass eine breitere Erhebungsbasis notwendig gewesen wäre. Dies gelte für Personal- und Sachkosten gleichermaßen. Es gebe weder Anhaltspunkte dafür, dass die Bürokostenerhebung nicht repräsentativ sei, noch dafür, dass für einzelne Gerichtsvollzieherbüros Teilgruppen hätten gebildet werden müssen. Entsprechende Besonderheiten seien weder ersichtlich, noch habe der Antragsteller solche näher dargelegt.
2. Die Verfahrensrüge ist unbegründet. Zu Unrecht rügt der Antragsteller, das Normenkontrollgericht habe es unter Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO versäumt, die statistische Richtigkeit der Bürokostenerhebung aus dem Jahre 2000 durch weitere Ermittlungen, z.B. durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, nachzuprüfen. Denn dem Antragsteller ist vorzuhalten, in der mündlichen Verhandlung vor dem Normenkontrollgericht nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare getan zu haben, um auf die vermisste Sachverhaltsermittlung hinzuwirken. Zwar hat er im Schriftsatz vom 10. Januar 2007 (Akte des Oberverwaltungsgerichts Band I Bl. 134 ≪140≫) eine weitere Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens angeregt, diese aber in der mündlichen Verhandlung nicht beantragt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. nur Beschluss vom 6. März 1995 – BVerwG 6 B 81.94 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265) stellt die Aufklärungsrüge kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen von Beweisanträgen, zu kompensieren (Beschluss vom 29. März 2007 – BVerwG 4 BN 5.07 –).
3. Unbegründet sind auch die Grundsatzrügen.
a) Nicht rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig ist die Frage, ob eine Erhebung, die der Festsetzung der Bürokostenentschädigung zugrunde gelegt werde, die bei ca. 9 % (11 von 121) zufällig ausgesuchten Gerichtsvollziehern eines Landes durchgeführt werde, ohne dass bei der Auswahl der beteiligten Gerichtsvollzieherbüros (a) nach regionalen Unterschieden und/oder (b) dem räumlichen Zuschnitt der Gerichtsvollzieherbezirke, (c) den soziologischen Gegebenheiten des Gerichtsvollzieherbezirks und/oder (d) nach der Beschäftigung von Hilfskräften in den Gerichtsvollzieherbüros (Fremdangestellten oder entgeltlich tätigen Familienangehörigen) differenziert worden sei, dem an den Dienstherrn gerichteten Gebot, den jährlichen Sach- und Personalkostenaufwand der Gerichtsvollzieher aktuell und realitätsnah zu ermitteln, gerecht werde.
Die Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn das Normenkontrollgericht hat festgestellt, es sei weder ersichtlich, dass im Geltungsbereich der angegriffenen Verordnung relevante Besonderheiten bestünden, noch habe der Antragsteller solche näher dargelegt. Das gelte für die Anzahl der befragten Gerichtsvollzieher und ihre Relation zur Anzahl aller vollzeitbeschäftigten Gerichtsvollzieher im Geltungsbereich der angegriffenen Verordnung sowie für die Nichtvergleichbarkeit der betroffenen Gerichtsvollzieherbüros wegen gravierender Unterschiede in der Bürostruktur. Da der Antragsteller in diesem Zusammenhang keine durchgreifende Verfahrensrüge erhoben hat, wäre das Revisionsgericht an diese Tatsachenfeststellung gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO).
b) Nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist auch die Frage, ob bei der Ermittlung des Abgeltungsmaßstabes gemäß § 49 Abs. 3 Satz 1 BBesG durch Erhebung der Bürokosten bei den Gerichtsvollziehern sich ergebende Toleranzen des erfassten Kostenaufwandes bezogen auf den rechnerischen Durchschnitt von mehr als 25 % nach oben bzw. mehr als 37,5 % nach unten angesichts der statthaften Pauschalisierung und Typisierung hinnehmbar seien oder ob hierdurch das Gebot der Realitätsnähe verletzt werde. Die Frage kann vielmehr ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden.
Nach dem Senatsurteil vom 19. August 2004 – BVerwG 2 C 41.03 – (DGVZ 2005, 7 = NVwZ-RR 2005, 214) erlaubt die bundesrechtliche Ermächtigung die Normierung einer typisierenden und pauschalisierenden Aufwandsentschädigung, die sich realitätsnah an den tatsächlich entstehenden Kosten zu orientieren hat, den Dienstherrn aber im Falle großer regionaler Unterschiede verpflichtet, entsprechend zu staffeln oder diesen Umstand im Rahmen seiner Durchschnittsberechnung auf andere Weise zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass die typisierende und pauschalisierende Berechnung der Aufwandsentschädigung ihre Grenze erst in großen Unterschieden und ebensolchen Abweichungen vom Durchschnitt findet.
Pauschalisierende und typisierende Regelungen dienen nicht selten der Regelung von Massenvorgängen des Wirtschaftslebens. Sie müssen, um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben rechtlichen Folgen knüpfen, typisieren und damit in weitem Umfang die Besonderheiten nicht nur eines seltenen Einzelfalles, sondern gegebenenfalls auch ganzer Gruppen vernachlässigen, wenn diese zahlenmäßig nicht ins Gewicht fallen. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Betroffenen darf allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssen die administrativen Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu den mit der Typisierung notwendig verbundenen wirtschaftlichen Ungleichheiten einer solchen Regelung stehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. April 2004 – 1 BvR 1748/99, 905/00 – BVerfGE 110, 274 ≪292≫). Außerdem darf eine normative Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 7. Oktober 1969 – 2 BvR 555/67 – BVerfGE 27, 142 ≪150≫, vom 16. März 2005 – 2 BvL 7/00 – BVerfGE 112, 268 ≪280 f.≫ sowie Vorlagebeschluss vom 7. November 2006 – 1 BvL 10/02 – DStR 2007, 235 = NJW 2007, 573). Daraus folgt, dass sämtliche erhobenen Daten in den Blick genommen werden müssen und nicht nur die jeweils maximalen Abweichungen nach oben und unten. Diese Grundsätze hat das Normenkontrollgericht berücksichtigt.
Nach seinen tatsächlichen Feststellungen ist bei lediglich zwei von 11 untersuchten Gerichtsvollzieherbüros ein überdurchschnittlicher Personalkostenaufwand entstanden, bei einem Büro um ca. 9 %. Diese Größenordnung ist im Rahmen der typisierenden und pauschalisierenden Berechnung hinnehmbar. Bei den Sachkosten hat das Oberverwaltungsgericht noch geringere Ausschläge festgestellt. Lediglich der höchste und der niedrigste Wert bewegen sich bei 62 % und 125 %. Diese Maximalwerte sind jedoch nach den Feststellungen des Normenkontrollgerichts atypisch und bleiben deshalb bei einer typisierenden Kostenerhebung unberücksichtigt.
c) Keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf ferner die Frage, ob der Dienstherr dem Gebot gerecht wird, den jährlichen Sach- und Personalkostenaufwand bei der Festsetzung der Bürokostenentschädigung der Gerichtsvollzieher aktuell und realitätsnah zu ermitteln, wenn er ohne weitere Ermittlungen die Erhebung aus dem vorletzten Jahr zugrunde legt und die Möglichkeit nicht näher prüft, dass der jeweilige Anteil der unterschiedlichen Bürotypen sich verändert haben kann. Diese Frage hat der beschließende Senat bereits entschieden. Im Urteil vom 19. August 2004 (a.a.O.) hat er den Prüfungsmaßstab in der Realitätsnähe der Abgeltungsregelungen gesehen. Ob der Dienstherr berechtigt ist, die einer Regelung des Vorjahres zugrunde liegende Kostenerhebung auch zur Grundlage der Abgeltungsregelung des Folgejahres zu machen, ist eine Frage des Einzelfalles und daher nicht von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung. Haben sich die tatsächlichen Abgeltungsgrundlagen in dem Umfang verändert, dass es auf der Grundlage der Daten des Vorjahres zu keiner realitätsnahen Abgeltung kommen kann, ist die aufgeworfene Rechtsfrage zu verneinen, hat sich die Tatsachengrundlage nicht wesentlich verändert, ist die Frage zu bejahen.
d) Die Rechtsfrage, wer im Rechtsstreit um die Gültigkeit einer Verordnung über die Entschädigung der Bürokosten der Gerichtsvollzieher die Beweislast für Signifikanzen bezüglich eines Stadt-Land-Gefälles sowie bezüglich erkennbarer Teilgruppen, die einer gesonderten Erfassung bedürften, zu tragen habe, rechtfertigt ebenfalls kein Revisionsverfahren. Sie beantwortet sich vielmehr nach den allgemeinen Grundsätzen der materiellen Beweislast. Sie würde sich in einem Revisionsverfahren allerdings schon deshalb nicht stellen, weil das Normenkontrollgericht weder Signifikanzen für ein Stadt-Land-Gefälle noch Teilgruppen festgestellt hat, die eine gesonderte Kostenerfassung rechtfertigen. Davon abgesehen hat der Senat in seinem Urteil vom 19. August 2004 (a.a.O.) die Frage, wer die materielle Beweislast für die einer Abgeltungsregelung zugrunde liegenden Tatsachen trägt, nicht offen gelassen, sondern nur darauf hingewiesen, dass darüber zu befinden sei, zu wessen Lasten es geht, wenn gar keine Tatsachengrundlagen für eine Kostenerhebung zur Verfügung stehen.
e) Die sinngemäß gestellte letzte Frage, ob die angegriffene Verordnung ungültig ist, weil sie die Überalimentierung von Gerichtsvollziehern zumindest nicht ausschließt, wäre in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Denn es käme für einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht auf die Möglichkeit von Überalimentierungen, sondern auf deren Gewissheit an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Albers, Dr. Kugele, Groepper
Fundstellen