Verfahrensgang
VG Dresden (Urteil vom 03.04.2007; Aktenzeichen 13 K 3013/04) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 3. April 2007 wird insoweit aufgehoben, als der 2. Hilfsantrag des Klägers – die Verpflichtung der Beklagten, eine Entschädigung zu Gunsten des Klägers nach den NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz festzustellen – abgewiesen wurde.
Insoweit wird der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 3. April 2007 zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt der Kläger zu 9/10. Im Übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 77 300 € festgesetzt.
Gründe
1. Die Beschwerde des Klägers hat Erfolg, soweit das Verwaltungsgericht dessen “höchst hilfsweise” gestellten Antrag, die Beklagte zu verpflichten, das Entschädigungsrecht des Klägers dem Grunde nach gemäß NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz festzustellen, mit der Begründung abgelehnt hat, dass ein solcher Antrag nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sei und auch nicht nachträglich in das Verfahren eingeführt werden könne. Insoweit liegt ein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Das Verwaltungsgericht hat den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) in Verbindung mit dem Untersuchungsgrundsatz (§ 86 VwGO) verletzt. Der Überzeugungsgrundsatz verpflichtet das Tatsachengericht unter anderem bei Bildung der Überzeugung von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt auszugehen. Das angefochtene Urteil beruht hinsichtlich des Hilfsantrags auf der Annahme, dass ein Entschädigungsanspruch nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sei und auch nicht in das Verfahren nachträglich eingeführt werden könne. Diese Auffassung verkennt, dass das früher zuständige Sächsische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen unter Nr. 4 des Tenors des in das verwaltungsgerichtliche Verfahren einbezogenen Teilbescheides vom 27. Juli 1999 den Antrag des Klägers auf Übertragung des Eigentums in Höhe eines Bruchteils von 50/100 am streitbefangenen Grundstück abgelehnt und festgestellt hat, dass eine gesonderte Entschädigung nicht gewährt wird. Seit der Änderung des § 4 Satz 1 NS-VEntschG durch Gesetz vom 22. September 2005 (BGBl I S. 2809) hat die Beklagte nunmehr über den Entschädigungsanspruch nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz zu entscheiden. Die vom Verwaltungsgericht erwähnte Oberfinanzdirektion (UA S. 9) ist seit 2005 für diese Angelegenheit nicht mehr zuständig.
Die Begründung des Teilbescheides vom 27. Juli 1999 stützt die Versagung einer Entschädigung auf den inzwischen außer Kraft getretenen § 9 VermG, nicht jedoch auf § 1 NS-VEntschG. Es kommt entscheidend aber auf die Tenorierung an und nicht auf die Begründung des Bescheides. In dem Bescheid ist über die Entschädigungsberechtigung des Klägers nach § 1 Abs. 1 Satz 1 NS-VEntschG schieden worden. Sie ist in der Feststellung zu sehen, dass der Kläger auf Grund einer Schädigung seines Rechtsvorgängers gemäß § 1 Abs. 6 VermG dem Grunde nach Berechtigter hinsichtlich eines Bruchteils von 50/100 am streitbefangenen Grundstück ist, aber die Übertragung von Bruchteilseigentum in dieser Höhe wegen des redlichen Erwerbs des Grundstücks durch die Beigeladene zu 1 und ihren verstorbenen Ehemann gemäß § 4 Abs. 2 VermG ausgeschlossen ist. Einer zusätzlichen Entscheidung, dass dem Kläger eine Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz dem Grunde nach zusteht, bedarf es daneben nicht. Dies folgt unmittelbar aus § 1 Abs. 1 Satz 1 NS-VEntschG. Danach besteht kraft Gesetzes ein Anspruch auf Entschädigung, wenn eine Berechtigung nach § 1 Abs. 6 VermG festgestellt und die Rückgabe – z.B. nach § 4 Abs. 2 VermG – ausgeschlossen ist.
Eines gesonderten Antrages auf Entschädigung nach dem NS-VEntschG bedurfte es insoweit nicht, denn das Entschädigungsverfahren, für das nach § 4 Satz 1 NS-VEntschG ebenfalls die Beklagte zuständig ist, schließt an das vermögensrechtliche Verfahren an und ist an die dort getroffenen Feststellungen gebunden (vgl. Beschluss vom 27. Juni 2006 – BVerwG 3 B 183.05 – Buchholz 428.42 § 1 NS-VEntschG Nr. 2). Zwar ist bei der Berechnung der Höhe der Entschädigung nach § 2 Satz 4 NS-VEntschG ggf. zu berücksichtigen, dass bei Ausschluss der Restitution von Bruchteilseigentum zu der Entschädigung für ein Unternehmen keine gesonderte Entschädigung für das Betriebsgrundstück gewährt wird, wenn dieses in der Bemessungsgrundlage für die Entschädigung des Unternehmens berücksichtigt wurde. Dies betrifft aber ausschließlich die Berechnung der Höhe einer Entschädigung.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: In dem Teilbescheid vom 27. Juli 1999 hat das Landesamt zwar die Berechtigung des Klägers nach § 1 Abs. 6 VermG und einen Ausschlussgrund für die Rückgabe festgestellt, zugleich aber eine gesonderte Entschädigung für das Grundstück abgelehnt, weil die Entschädigung für das Grundstück von derjenigen für die Entziehung der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung umfasst werde. Für die Entscheidung, dass keine gesonderte Entschädigung für das Grundstück geleistet werde, war aber nicht das Landesamt, sondern die Oberfinanzdirektion – heute das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen – zuständig (§ 4 Satz 1 NS-VEntschG i.d.F. vom 27. September 1994 (BGBl. I S. 2624, 2632) i.V.m. § 2 Satz 4 NS-VEntschG). Zwar kann nach dem Urteil des Senats vom 19. Januar 2005 – BVerwG 8 C 20.03 – (Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 1) eine Entscheidung über eine Entschädigung dem Grunde nach entfallen, wenn offenkundig ist, dass der Wert des Betriebsgrundstücks in der Bemessungsgrundlage für die Entschädigung des Unternehmens berücksichtigt wird. Voraussetzung hierfür ist aber, dass sowohl für die Feststellung der Entschädigungsberechtigung als auch für die Entscheidung zur Höhe der Entschädigung dieselbe Behörde zuständig ist, was zum Zeitpunkt des Erlasses des Teilbescheides nicht der Fall war. Davon abgesehen lag eine Offenkundigkeit nicht vor, weil zur Höhe des Entschädigungsanspruchs im vorliegenden Verfahren noch keine Feststellungen getroffen wurden und vom Kläger in Frage gestellt wird, dass das streitgegenständliche Grundstück in der Bemessungsgrundlage für die Entschädigung des Unternehmens berücksichtigt wird. Deshalb fehlt es entgegen des Vorbringens der Beklagten und der Beigeladenen auch nicht an der Entscheidungserheblichkeit des geltend gemachten Verfahrensmangels.
Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil insoweit durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO).
2. Im Übrigen ist die Nichtzulassungsbeschwerde unbegründet. Die weiterhin geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor. Die Grundsatzrüge des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO greift nicht durch. Die Frage,
ob ein Verstoß gegen andere Vorschriften der AWVO – Verordnung über die Finanzierung des Arbeiterwohnungsbaues vom 4. März 1954 – als nur gegen den § 8 zum Erwerb eines Nutzungsrechts nach dieser Verordnung zu einem Verstoß gegen die zum Zeitpunkt des Erwerbs in der DDR geltenden allgemeinen Rechtsvorschriften, Verfahrensgrundsätze und einer ordnungsgemäßen Verwaltungspraxis führt, wenn der Erwerber des Nutzungsrechts dies wusste oder hätte wissen können,
rechtfertigt nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens. Ihr fehlt es zum einen schon an der notwendigen Abstraktheit. Der Beschwerdebegründung ist nicht zu entnehmen, ob diese Frage über den konkreten Einzelfall hinaus fallübergreifend Gewicht gewinnen kann. Zum anderen hat das Verwaltungsgericht gerade nicht festgestellt, dass ein Verstoß gegen Vorschriften der AWVO vorliegt. Zudem ist die Klärung der gestellten Frage nicht entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht ist in seiner weiteren Begründung gerade davon ausgegangen, dass den Eheleuten nach den Vorschriften des Gesetzes über die Verleihung von Nutzungsrechten an volkseigenen Grundstücken vom 14. Dezember 1970 konstitutiv und wirksam im Jahre 1975 das Nutzungsrecht verliehen worden ist (UA S. 7). Die Auslegung des revisiblen DDR-Rechts dahingehend, dass auf Grund der Maßgabe des Gesetzes vom 14. Dezember 1970 das bisher allein dem Ehemann der Beigeladenen zu 1 wirksam verliehene Nutzungsrecht auf Grund der neuen Rechtslage auch beiden Eheleuten gemeinsam ausdrücklich eingeräumt werden konnte, unterliegt keiner Überprüfung durch den Senat.
3. Auch die Divergenzrüge greift nicht durch. Eine die Revision eröffnende Divergenz liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht in einer die Entscheidung tragenden abstrakten Rechtsfrage bei Anwendung derselben Rechtsvorschrift eine andere Auffassung vertreten hat als das Bundesverwaltungsgericht. Entgegen der Darstellung in der Beschwerdeschrift hat das Verwaltungsgericht aber gerade keinen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichenden Rechtssatz aufgestellt. Der Beschwerde ist weder ein Rechtssatz aus der angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts noch ein abstrakt formulierter Rechtssatz aus dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts zu entnehmen. Die Darlegungen zum Rückgaberecht bezüglich einer Teilfläche von 360 m(2) des streitbefangenen Grundstücks, die im Zusammenhang mit einer Abweichung vom Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. September 1997 – BVerwG 7 B 157.97 – gebracht werden, übersehen schon, dass das Verwaltungsgericht ausdrücklich darauf abstellt, dass in Ausnahmefällen die Grundstücksgröße von 500 m(2) überschritten werden konnte und dass es einen solchen Ausnahmefall wegen nicht ausreichender staatlicher Vermessungskapazitäten bejaht hat.
Auch bezüglich der im Beschluss vom 3. Februar 1995 – BVerwG 7 B 221.94 – und den Urteilen vom 27. Januar 1994 – BVerwG 7 C 4.93 – und vom 19. Januar 2005 – BVerwG 8 C 20.03 – vorhandenen Rechtssätzen lässt sich dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts kein abweichender Rechtssatz entnehmen.
4. Soweit weitere Verfahrensmängel geltend gemacht werden, greifen diese ebenfalls nicht durch. Die von der Beschwerde vermutlich beabsichtigte Aufklärungsrüge bleibt erfolglos. Der Vorwurf unzureichender Sachaufklärung ist nur dann begründet, wenn dieser Verfahrensmangel ordnungsgemäß bezeichnet wird. Das setzt voraus, dass dargelegt wird, welche Beweise angetreten worden sind oder welche Ermittlungen sich dem Tatsachengericht hätten aufdrängen müssen, welche Beweismittel in Betracht gekommen wären, welches mutmaßliches Ergebnis die Beweisaufnahme gehabt hätte und inwiefern dieses Ergebnis zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können. Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Soweit die Beschwerde vorbringt, dass ein wesentlicher Antrag nicht aufgeklärt wurde, kann ihr nicht entnommen werden, welche Tatsache das Verwaltungsgericht hätte näher aufklären sollen. Bezüglich des Antrags des verstorbenen Herrn W… vom 22. November 1954 ist schon kein Beweisantrag gestellt worden. Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht keinen förmlichen Beweisantrag gestellt, sondern lediglich eine Beweisaufnahme durch Beiziehung der Bau-Akten angeregt. Unter Zugrundelegung der maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts musste sich in diesem Zusammenhang auch keine Beweiserhebung aufdrängen. Dies gilt auch für die zeitliche Abfolge der Ereignisse bei der Bestellung des Nutzungsrechts, der Kreditzusage und der Erteilung einer Baugenehmigung. In Wirklichkeit richtet sich die Beschwerde gegen die richterliche Überzeugungsbildung, nämlich dass das Verwaltungsgericht die festgestellte zeitliche Abfolge anders rechtlich bewertet hat als die Beschwerde.
Auch was die Grundstücksgröße gemäß § 8 AWVO betraf, war nach der maßgeblichen Auffassung des Verwaltungsgerichts keine weitere Sachaufklärung geboten. Es ist mit nachvollziehbaren Argumenten von einer Ausnahme dieser schon im DDR-Recht festgestellten Regelbestimmung ausgegangen. Hinzu kommt, dass der betreffende Nutzungsberechtigte selbst nur 500 m(2) beantragt hatte. Die von der Beschwerde in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bezieht sich auf die mögliche Rückgabe eines Grundstücksteils, an dem kein Nutzungsrecht verliehen worden war und somit die Frage des redlichen Erwerbs daran keine Rolle spielte.
Soweit die Beschwerde meint, das Verwaltungsgericht hätte die Beigeladenen befragen müssen, ob sie die einschlägigen Rechtsvorschriften gekannt haben bzw. Umstände ermitteln müssen, weshalb sie ihnen unbekannt gewesen seien, legt sie nicht dar, welches die Entscheidung beeinflussende Ergebnis eine Befragung hätte erbringen können und an Hand welcher Beweismittel die weiteren Umstände zur Kenntnis der Beigeladenen hätten festgestellt werden sollen. Ebenso fehlen Angaben zum Beweisantritt. Soweit im Übrigen die Beschwerde die bloße Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts kritisiert, kann sie damit keine Verfahrensrüge begründen.
Von einer weiteren Begründung des Beschlusses sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, § 133 Abs. 5 Satz 2 2. Halbs. VwGO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47, 52 GKG.
Unterschriften
Gödel, Dr. Pagenkopf, Dr. Hauser
Fundstellen