Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 02.09.2013; Aktenzeichen 10 B 10.1713) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. September 2013 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Revision ist weder wegen der geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) noch wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
1. Die Beschwerde rügt als Verfahrensmangel die unvollständige, unzureichende, mangel- und lückenhafte Begründung der angefochtenen Entscheidung zur gegenwärtigen Gefährlichkeit des Klägers im Sinne von § 54 Nr. 5 Halbs. 2 AufenthG; dadurch werde zudem das rechtliche Gehör des Klägers verletzt. Es fehle eine Begründung dafür, wieso aus den vom Verwaltungsgerichtshof festgestellten Unterstützungshandlungen des Klägers zugunsten der als terroristisch eingestuften Organisation Ansar al-Islam der Schluss auf eine gegenwärtige Gefährlichkeit des Klägers gezogen werden könne, obwohl die festgestellten Kontakte zu Personen aus diesem Umfeld acht bis neun Jahre zurücklägen und die betreffenden Personen mit einer Ausnahme schon seit Jahren nicht mehr in Deutschland lebten. Das Gericht unterstelle ohne hinreichende Tatsachengrundlage, dass der Kläger auch künftig als in der Organisation bekannte Anlaufstelle und Kontaktperson tätig sein werde (Beschwerdebegründung S. 2 ff.).
In diesem Zusammenhang hält die Beschwerde die Frage für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig,
„ob eine gegenwärtige Gefährlichkeit im Sinne von § 54 Nr. 5 2. HS AufenthG bereits dann vorliegt, wenn eine länger zurückliegende Unterstützungshandlung vorliegt, die der Betroffene nicht offengelegt und sich nicht hiervon distanziert hat, aber die Verhältnisse und Umstände des die frühere Unterstützungsleistung betreffenden Umfeldes sich grundlegend verändert haben” (Beschwerdebegründung S. 8).
Ob für die von der Beschwerde aufgeworfene Grundsatzfrage zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG tatsächlich ein die Revisionszulassung rechtfertigender Klärungsbedarf und der geltend gemachte Verfahrensmangel bei der Begründung von Voraussetzungen dieser Norm vorliegt, bedarf hier keiner weiteren Erörterung. Denn die Beschwerde kann jedenfalls deshalb nicht zur Zulassung der Revision führen, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts auf eine zweite, selbstständig tragende Begründung gestützt ist, gegen die die Beschwerde keine durchgreifenden Zulassungsgründe vorbringt. Der Verwaltungsgerichtshof ist davon ausgegangen, dass dem Kläger schon deshalb kein Anspruch auf Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis sowie der hilfsweise begehrten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zusteht, weil es an den Erteilungsvoraussetzungen hierfür fehlt (UA S. 9, 11 ff. und 40 f.). Er hat die Versagung des aufenthaltsrechtlichen Begehrens lediglich zusätzlich – im Wege einer selbstständig tragenden Begründung – auf das Vorliegen des Versagungsgrundes des § 5 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG gestützt (UA S. 15 und 40). Ist eine Entscheidung auf mehrere Gründe gestützt, kann die Revisionszulassung grundsätzlich nur begehrt werden, wenn gegen sämtliche tragende Begründungen ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr; vgl. etwa Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26). Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, sowohl bei Stellung des Antrages auf deren Erteilung als auch bei Ablauf der befristeten Aufenthaltserlaubnis hätten Erteilungsvoraussetzungen für die begehrte Niederlassungserlaubnis gefehlt (u.a. fehlende Sicherung des Lebensunterhalts – UA S. 14); die geltend gemachten Revisionsgründe gegen das Fehlen der Voraussetzungen für den hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Verlängerung der erteilten Aufenthaltserlaubnis liegen nicht vor (dazu nachstehend Ziffern 2 und 3).
2. Die Beschwerde rügt als Verfahrensmangel, dass im Berufungsurteil jegliche Begründung dafür fehle, warum die Kinder des Klägers nicht als Quasi-Inländer anzusehen seien, woraus sich ein zwingendes Ausreisehindernis für den Kläger nach § 25 Abs. 5 AufenthG ergebe (Beschwerdebegründung S. 10).
Soweit damit eine Verletzung des § 138 Nr. 6 VwGO geltend gemacht wird, greift diese Rüge nicht durch. Nicht mit Gründen im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO versehen ist eine Entscheidung nur dann, wenn sie so mangelhaft begründet ist, dass die Entscheidungsgründe ihre doppelte Funktion – die Beteiligten über die dem Urteil zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu unterrichten und dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung der Entscheidung auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu ermöglichen – nicht mehr erfüllen können. Das ist nur dann der Fall, wenn die Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst derart unbrauchbar sind, dass sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen. Hingegen liegt ein Verstoß gegen § 138 Nr. 6 VwGO nicht schon dann vor, wenn die Entscheidungsgründe lediglich unklar, unvollständig, oberflächlich oder unrichtig sind (vgl. Beschluss vom 23. September 2011 – BVerwG 1 B 19.11 – juris Rn. 3 m.w.N.). Bei Anwendung dieses Maßstabs ist vorliegend für einen Begründungsmangel gemäß § 138 Nr. 6 VwGO nichts ersichtlich. Vielmehr begründet der Verwaltungsgerichtshof seine Würdigung, dass sich aus der Geburt und dem Aufwachsen der Kinder in Deutschland kein zwingendes rechtliches Ausreisehindernis für den Kläger im Sinne von § 25 Abs. 5 AufenthG ergibt, damit, dass den Kindern eine gemeinsame Ausreise mit dem Kläger in den Irak zumutbar sei. Dabei stellt das Gericht unter anderem auf die irakische Staatsangehörigkeit der Kinder ab, ihr Aufwachsen in einem irakisch geprägten Umfeld, das Sprechen der dortigen Sprache sowie die erleichterte Integrationsmöglichkeit durch die Unterstützung der aus dem Irak stammenden Eltern (UA S. 12 f.).
In Wahrheit wendet sich die Beschwerde mit ihrem Vorbringen gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Damit vermag sie eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO schon deshalb nicht zu erreichen, da die Grundsätze der Beweiswürdigung revisionsrechtlich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen sind. Ein Verfahrensfehler kann zwar ausnahmsweise dann gegeben sein, wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (Beschluss vom 23. September 2011 a.a.O. Rn. 4 m.w.N.). Ein Verfahrensmangel bei der Beweiswürdigung liegt aber nur dann vor, wenn sich der gerügte Fehler hinreichend eindeutig von der materiellrechtlichen Subsumtion, d.h. der korrekten Anwendung des sachlichen Rechts abgrenzen lässt und der Tatrichter den ihm bei der Tatsachenfeststellung durch den Grundsatz freier Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffneten Wertungsrahmen verlassen hat. Einen solchen qualifizierten Mangel der Beweiswürdigung hat die Beschwerde nicht aufgezeigt.
Eine Gehörsverletzung des Klägers ist nicht hinreichend dargelegt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO verpflichtet ein Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und die wesentlichen Gründe für seine Entscheidung anzugeben (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Die Gerichte brauchen sich jedoch nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Etwas anderes gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2003 – 2 BvR 624/01 – NVwZ-RR 2004, 3). Gemessen an diesen Anforderungen ergibt sich aus den Darlegungen des Klägers keine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Dieses Prozessgrundrecht verpflichtet ein Gericht insbesondere nicht, dem zur Kenntnis genommenen tatsächlichen Vorbringen oder der Rechtsansicht eines Beteiligten auch in der Sache zu folgen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Dezember 1994 – 2 BvR 894/94 – NJW 1995, 2839 m.w.N.).
3. Die Beschwerde hält des Weiteren die Frage für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig,
„ob ein Kind, das in Deutschland geboren ist, seit mehr als einem Jahrzehnt ununterbrochen in Deutschland gelebt, hier den Kindergarten und die Schule besucht, allein deshalb nicht als Quasi-Inländer zu betrachten ist, weil es in einem irakisch geprägten Umfeld aufgewachsen ist und die Heimatsprache spricht” (Beschwerdebegründung S. 10).
Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und sowohl für das angefochtene Berufungsurteil als auch die erstrebte Revisionsentscheidung entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus und verlangt außerdem die Angabe, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr, vgl. Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 m.w.N.). Die hier aufgeworfene Frage ist jedoch einer rechtsgrundsätzlichen Klärung im Revisionsverfahren nicht zugänglich. Durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits geklärt, dass ein Ausreisehindernis im Sinne von § 25 Abs. 5 AufenthG auch darin bestehen kann, dass dem Ausländer die Ausreise aus rechtlichen Gründen unmöglich ist. Die Unmöglichkeit kann u.a. darin liegen, dass ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich auch aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, die ihre Grundlage etwa in Art. 8 EMRK haben (vgl. Urteil vom 27. Juni 2006 – BVerwG 1 C 14.05 – BVerwGE 126, 192 = Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 5, jeweils Rn. 17 m.w.N.). Hiervon ist im rechtlichen Ansatz auch das Berufungsgericht ausgegangen (UA S. 12). Ob sich ein derartiges Abschiebungsverbot als Ergebnis eines langjährigen Prozesses der Verwurzelung des Ausländers in Deutschland ergibt, ist aber eine Frage des Einzelfalls, die sich einer verallgemeinernden Beantwortung entzieht.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG
Unterschriften
Prof. Dr. Berlit, Prof. Dr. Dörig, Prof. Dr. Kraft
Fundstellen