Entscheidungsstichwort (Thema)
Bebauungsplan. DIN-Vorschrift. Verweisung. Verkündung. Bekanntmachung
Leitsatz (amtlich)
Bestimmt erst eine in den textlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans in Bezug genommene DIN-Vorschrift, unter welchen Voraussetzungen bauliche Anlagen im Plangebiet zulässig sind, ist den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verkündung von Rechtsnormen genügt, wenn die Gemeinde sicherstellt, dass die Betroffenen von der DIN-Vorschrift verlässlich und in zumutbarer Weise Kenntnis erlangen können.
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3; BauGB § 10 Abs. 3 Sätze 1-3
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 25.01.2010; Aktenzeichen 7 D 111/09.NE) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Januar 2010 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
Tatbestand
I
Rz. 1
Der streitgegenständliche Bebauungsplan enthält unter Nr. 1.16 folgende textliche Festsetzung:
An den mit Lärmpegelbereichen gekennzeichneten Baugrenzen müssen bei Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung des Gebäudes in den nicht nur vorübergehend zum Aufenthalt von Menschen vorgesehenen Räumen die Anforderungen an das resultierende Schalldämmmaß gemäß den ermittelten und ausgewiesenen Lärmpegelbereichen nach DIN 4109 erfüllt werden. …
Rz. 2
Unter Nr. 3.3 enthält der Bebauungsplan folgenden Hinweis:
Die der Planung zugrunde liegenden Vorschriften (Gesetze, Verordnungen, Erlasse und DIN-Vorschriften) können bei der Stadt Münster im Kundenzentrum “Planen – Bauen – Umwelt” im Erdgeschoss des Stadthauses 3, Albersloher Weg 33, eingesehen werden.
Rz. 3
Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag der Antragstellerin abgelehnt (Urteil vom 25. Januar 2010 – 7 D 110/09.NE – juris). Das rechtsstaatliche Publizitätsgebot stehe der Verweisung auf technische Regeln in den textlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans – hier auf die DIN 4109 – nicht von vornherein entgegen. Eine Festsetzung könne zwar wegen Verstoßes gegen das Publizitätsgebot rechtswidrig sein, wenn der Bebauungsplan nicht selbst festlege, welche Regeln in seinem Anwendungsbereich gelten sollen, sondern wenn er durch Verweisung auf technische Regelungen bewirken wolle, dass erst das Ergebnis der Anwendung dieser Regelungen bestimmt, was im Plangebiet zulässig ist. Setze der Bebauungsplan – wie im vorliegenden Fall – für konkret bezeichnete Bereiche fest, dass dort bei Errichtung von Gebäuden die Anforderungen an das für die Lärmpegelbereiche III bis V gemäß DIN 4109 geltende Schalldämmmaß erfüllt werden müssen, bestimme er jedoch selbst – und nicht etwa die in Bezug genommene DIN-Norm – was geltendes Recht sei. Mit einer solchen Regelung werde das Erfordernis der Bekanntmachung der DIN-Norm nicht ausgelöst. Vielmehr könne der Bezugnahme auf die DIN-Norm nicht selten – und so auch hier – die Funktion der Verwendung eines Fachbegriffs zukommen, mit dem klargestellt werde, nach welchen Methoden und Berechnungsverfahren die Einhaltung des – vom Bebauungsplan vorgegebenen – Schalldämmmaßes im Einzelnen exakt ermittelt werden kann (UA S. 21; juris Rn. 74 ff.).
Rz. 4
Um den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen zu genügen, müsse die Festsetzung in ihren Voraussetzungen und in ihrem Inhalt so formuliert sein, dass die von ihr Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Die Verwendung von Fachbegriffen wie einer DIN-Norm stehe der Erkennbarkeit des geltenden Rechts nicht entgegen, sie könne vielmehr je nach dem Regelungszusammenhang die Anwendung der Rechtslage vereinfachen. Dass die Antragsgegnerin darüber hinaus die einschlägigen DIN-Normen zur Einsicht bereit halte, und zwar bei einer Verwaltungsstelle, deren Anschrift sie mit dem auf der Bebauungsplanurkunde abgedruckten Hinweisen benannt habe, begründe aus einem weiteren, die Entscheidung selbstständig tragenden Grunde, warum sich auch aus dem Bestimmtheitsgebot gegen die Inbezugnahme der DIN 4109 keine durchgreifenden Bedenken herleiteten (UA S. 22; juris Rn. 83 ff.).
Entscheidungsgründe
II
Rz. 5
Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die von der Antragstellerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung.
Rz. 6
Als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet die Antragstellerin die Frage,
ob das rechtsstaatliche Publizitätsgebot der Verweisung auf technische Regeln in den textlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans entgegensteht.
Rz. 7
Die weiteren drei Fragen konkretisieren diese Fragestellung.
Rz. 8
Die Fragen bedürfen nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Sie lassen sich, soweit entscheidungserheblich, auf der Grundlage der bereits vorhandenen Rechtsprechung auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten.
Rz. 9
Das Rechtsstaatsprinzip gebietet, dass förmlich gesetzte Rechtsnormen verkündet werden; denn die Verkündung stellt einen integrierenden Teil der förmlichen Rechtsetzung dar, ist also Geltungsbedingung. Verkündung bedeutet regelmäßig, dass die Rechtsnormen der Öffentlichkeit in einer Weise förmlich zugänglich gemacht werden, dass die Betroffenen sich verlässlich Kenntnis von ihrem Inhalt verschaffen können. Diese Möglichkeit darf auch nicht in unzumutbarer Weise erschwert sein. Konkrete weitere Gebote für die Ausgestaltung des Verkündungsvorganges im Einzelnen ergeben sich aus dem Rechtsstaatsprinzip unmittelbar nicht. Das ist in der Rechtsprechung geklärt (BVerfG, Beschluss vom 22. November 1983 – 2 BvL 25/81 – BVerfGE 65, 283 ≪291≫).
Rz. 10
Bebauungspläne gehören als Satzungen zu den förmlich gesetzten Rechtsnormen (Beschluss vom 16. Mai 1991 – BVerwG 4 NB 26.90 – BVerwGE 88, 204 ≪207≫). Bei ihnen ist allerdings nur die Erteilung der Genehmigung oder, soweit eine Genehmigung nicht erforderlich ist, der Beschluss des Bebauungsplans durch die Gemeinde ortsüblich bekannt zu machen (§ 10 Abs. 3 Satz 1 BauGB). Im Übrigen genügt es, den Bebauungsplan mit der Begründung und der zusammenfassenden Erklärung nach § 10 Abs. 4 BauGB zu jedermanns Einsicht bereit zu halten, auf Verlangen über den Inhalt Auskunft zu geben und in der Bekanntmachung darauf hinzuweisen, wo der Bebauungsplan eingesehen werden kann (§ 10 Abs. 3 Satz 2 und 3 BauGB; vgl. hierzu Beschluss vom 3. Juni 2010 – BVerwG 4 BN 55.09 –).
Rz. 11
Die dargelegten Anforderungen an die Verkündung von Rechtsnormen stehen einer Verweisung auf nicht öffentlich zugängliche DIN-Vorschriften in den textlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans nicht von vornherein entgegen, und zwar auch dann nicht, wenn erst die Anwendung der DIN-Vorschrift ergibt, unter welchen Voraussetzungen ein Vorhaben im Plangebiet zulässig ist. Die Oberverwaltungsgerichte haben Verweisungen auf DIN-Vorschriften zwar wiederholt beanstandet, weil unter den jeweils gegebenen Umständen die Publizitätsanforderungen nicht gewahrt waren; die grundsätzliche Zulässigkeit einer solchen Verweisung haben sie jedoch nicht in Frage gestellt (vgl. OVG Koblenz, Urteile vom 4. Juli 2006 – 8 C 11709/05 – BRS 70 Nr. 23 – juris Rn. 19 und vom 26. März 2009 – 8 C 10729/08 – juris Rn. 33; OVG Münster, Urteile vom 9. Mai 2006 – 15 A 4247/03 – NWVBl 2006, 461 – juris Rn. 24 ff., vom 13. September 2007 – 7 D 91/06.NE – juris Rn. 79 ff. und vom 13. November 2009 – 10 D 87/07.NE – juris Rn. 89 ff.). Auch aus § 10 Abs. 3 Satz 2 BauGB ergibt sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht, dass der normative Inhalt eines Bebauungsplans allein aus sich selbst heraus erkennbar sein muss.
Rz. 12
Verweist eine Festsetzung auf eine DIN-Vorschrift und ergibt sich erst aus dieser Vorschrift, unter welchen Voraussetzungen ein Vorhaben planungsrechtlich zulässig ist, muss der Plangeber jedoch sicherstellen, dass die Planbetroffenen sich auch vom Inhalt der DIN-Vorschrift verlässlich Kenntnis verschaffen können. Das dürfte – insoweit entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts (UA S. 21) – unabhängig davon gelten, ob der Plangeber eine Regelung insgesamt dem Ergebnis der Anwendung der DIN-Vorschrift überlässt oder ob er zwar dem Grunde nach selbst bestimmt, welchen Anforderungen die baulichen Anlagen genügen müssen, aber erst der Verweis auf die DIN-Vorschrift ergibt, nach welchen Methoden und Berechnungsverfahren der Inhalt der Anforderungen im Einzelnen zu ermitteln ist. Denn auch im zuletzt genannten Fall können die Planbetroffenen nicht dem Bebauungsplan selbst, sondern erst dem Plan in Verbindung mit der DIN-Vorschrift entnehmen, welche Anforderungen im Einzelnen der Plan an die Zulassung von Gebäuden stellt. Zudem ist die Grenze zwischen den beiden vom Oberverwaltungsgericht unterschiedenen Fallgruppen schwer zu ziehen. Auch wenn der Bebauungsplan – wie hier – die Lärmpegelbereiche selbst festlegt, ist damit nicht abschließend bestimmt, welche Schalldämmmaße in den jeweiligen Lärmpegelbereichen gewährleistet werden müssen. Denn die Anforderungen an die Schalldämmmaße ergeben sich nicht ohne weiteres aus der Tabelle 8 der DIN 4109, sondern erst aus einer Anwendung der Ziffern 5.2 bis 5.4 der DIN 4109 in Verbindung mit den Tabellen 8 bis 10.
Rz. 13
Wenn erst eine in den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans in Bezug genommene DIN-Vorschrift abschließend bestimmt, unter welchen Voraussetzungen bauliche Anlagen im Plangebiet zulässig sind, ist den dargelegten rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verkündung von Rechtsnormen nicht allein dadurch genügt, dass die Gemeinde den Bebauungsplan gemäß § 10 Abs. 3 BauGB bekannt macht. Sie muss vielmehr sicherstellen, dass die Betroffenen auch von der DIN-Vorschrift verlässlich und in zumutbarer Weise Kenntnis erlangen können. Das kann sie dadurch bewirken, dass sie die in Bezug genommene DIN-Vorschrift bei der Verwaltungsstelle, bei der auch der Bebauungsplan eingesehen werden kann, zur Einsicht bereit hält und hierauf in der Bebauungsplanurkunde hinweist. Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt.
Rz. 14
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Rubel, Dr. Jannasch, Dr. Philipp
Fundstellen
Haufe-Index 2379459 |
BauR 2010, 1649 |
BauR 2010, 1889 |
IBR 2010, 593 |
VR 2010, 394 |
ZfBR 2010, 689 |
BayVBl. 2010, 767 |
DVBl. 2010, 1251 |
GV/RP 2011, 279 |
KomVerw/LSA 2011, 147 |
Städtetag 2010, 41 |
UPR 2010, 452 |
BRS-ID 2010, 8 |
FSt 2012, 339 |
FuBW 2011, 236 |
FuHe 2011, 214 |
FuNds 2011, 645 |
KomVerw/B 2011, 140 |
KomVerw/MV 2011, 141 |
KomVerw/S 2011, 149 |
KomVerw/T 2011, 151 |