Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfall, besonders überwachungsbedürftiger. Überwachung der Nachweisführung. Funktionsvorbehalt für Beamte. Beleihung. Ordnungswidrigkeit. Zuständigkeit
Leitsatz (amtlich)
Der Funktionsvorbehalt für Beamte (Art. 33 Abs. 4 GG) schließt es nicht aus, auf gesetzlicher Grundlage die Überwachung der Entsorgung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle auf eine juristische Person des Privatrechts zu übertragen.
Normenkette
GG Art. 33 Abs. 4; KrW-/AbfG § 40 Abs. 1, § 41 Abs. 1, 3-4, § 63; ThürAbfG §§ 5, 24 Abs. 9 S. 1, § 27; ThürSAbfÜVO §§ 2-3
Verfahrensgang
Thüringer OVG (Urteil vom 18.01.2005; Aktenzeichen 2 N 875/02) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 18. Januar 2005 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerinnen tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 100 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Antragstellerinnen erzeugen, befördern und entsorgen im Freistaat Thüringen besonders überwachungsbedürftige Abfälle. Mit ihren Normenkontrollanträgen wenden sie sich gegen die Thüringer Sonderabfallüberwachungsverordnung (ThürSAbfÜVO) vom 16. November 2000 (GVBl S. 372), geändert durch Verordnung vom 2. Mai 2002 (GVBl S. 203), durch deren § 1 die Thüringer Gesellschaft zur Überwachung der Sonderabfallentsorgung mbH (TÜS) mit in § 2 im Einzelnen aufgeführten öffentlichen Aufgaben beliehen wurde. Nach Auffassung der Antragstellerinnen ist die Beleihung unvereinbar mit dem beamtenrechtlichen Funktionsvorbehalt (Art. 33 Abs. 4 GG) und dem Gebot demokratischer Legitimation staatlichen Handelns (Art. 20 Abs. 2 GG). Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag abgelehnt, weil der Antragsgegner mit der in der Verordnung bestimmten Fachaufsicht der oberen Abfallbehörde sowie in seiner Eigenschaft als Alleingesellschafter der Beigeladenen über hinreichende Einwirkungs- und Kontrollbefugnisse verfüge und die Beleihung durch die Sachkunde und die Erfahrungen der Beigeladenen auf dem Gebiet der Sonderabfallentsorgung gerechtfertigt sei. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerinnen hat keinen Erfolg.
Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Die Antragstellerinnen halten für klärungsbedürftig, ob die hoheitliche Aufgabe, die Entsorgung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle zu kontrollieren, auch dann auf eine juristische Person des Privatrechts übertragen werden darf, wenn diese nicht zur Zuweisung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle befugt ist. Nach Ansicht der Antragstellerinnen verstößt die Begrenzung der Privatisierung auf die Überwachungsaufgabe gegen den Funktionsvorbehalt für Beamte (Art. 33 Abs. 4 GG), weil für eine derart beschränkte Aufgabenübertragung kein sachlicher Grund bestehe. Die Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, da sie sich anhand des Art. 33 Abs. 4 GG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung ohne weiteres im bejahenden Sinn beantworten lässt.
Nach dieser Verfassungsnorm ist die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Beamten i.S.d. Art. 33 Abs. 4 GG zu übertragen. Schon aus dem Wortlaut des Art. 33 Abs. 4 GG folgt, dass auch ständige Hoheitsaufgaben auf Nichtbeamte übertragen werden können, eine solche Übertragung allerdings die Ausnahme bleiben muss (BVerfGE 9, 268 ≪284≫; Urteil vom 27. Oktober 1978 – BVerwG 1 C 15.75 – BVerwGE 57, 55 ≪59≫). Die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben durch Private erfordert eine Übertragung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes (BVerfG – Kammerbeschluss –, NJW 1987, 2501 ≪2502≫; Urteil vom 23. Mai 1995 – BVerwG 1 C 32.92 – BVerwGE 98, 280 ≪298≫). Die Aufgaben zu bestimmen, die von Nichtbeamten wahrgenommen werden dürfen, ist Sache des Gesetzgebers. Dieser hat das verfassungsrechtlich gebotene Regel-Ausnahme-Verhältnis als eine Art “Wesensgehaltsgarantie für den Aufgabenbereich der Beamten” (Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog, Art. 33 GG Rn. 42) zu beachten. Die funktionale Privatisierung von Hoheitsaufgaben muss deshalb durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein, die das Regel-Ausnahme-Verhältnis nicht in Frage stellen. Ob eine gesetzlich normierte Übertragung von Hoheitsaufgaben auf Private diesem Erfordernis genügt, ist entsprechend dem Zweck des Art. 33 Abs. 4 GG, die Kontinuität hoheitlicher Funktionen des Staates mittels des Prinzips ihrer Wahrnehmung durch Beamte zu sichern (BVerfGE 88, 103 ≪114≫; BVerfG – Kammerbeschluss –, BayVBl 1988, 268 ≪269≫), im Wege der verhältnismäßigen Zuordnung des die Privatisierung rechtfertigenden Sachgrunds und der Intensität der damit verbundenen Beeinträchtigung des verfassungsrechtlich vorgegebenen Strukturprinzips zu beurteilen (vgl. hierzu auch Strauß, Funktionsvorbehalt und Berufsbeamtentum. Zur Bedeutung des Art. 33 Abs. 4 GG, 2000, S. 144 ff., 207 ff. jeweils m.w.N.).
Hieran gemessen ist die Verfassungsmäßigkeit der Übertragung der hoheitlichen Entsorgungsüberwachung auf die Beigeladene nicht zweifelhaft. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass die Übertragung öffentlicher Aufgaben zur selbständigen Wahrnehmung durch Private (Beleihung) mit Art. 33 Abs. 4 GG grundsätzlich vereinbar ist (Urteil vom 27. Oktober 1978, a.a.O. S. 60). Die Beleihung der Beigeladenen mit der Aufgabe, die Nachweisführung für die Entsorgung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle zu überwachen, beruht auf der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigung (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, 5 und 7 und Satz 2 des Thüringer Abfallwirtschaftsgesetzes ≪ThürAbfG≫ vom 15. Juni 1999 ≪GVBl S. 385≫, zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. November 2004 ≪GVBl S. 853≫). Der Landesgesetzgeber ist befugt, die für die Überwachung der Entsorgung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle zuständige Stelle zu bestimmen (§ 63 i.V.m. § 40 Abs. 1 und § 41 Abs. 1, 3 und 4 KrW-/AbfG). Der Antragsgegner hat von der gesetzlichen Ermächtigung in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise Gebrauch gemacht, indem er der Beigeladenen die Aufgabe übertragen hat, im einzelnen bezeichnete Vorschriften der Nachweisverordnung (NachwV) in der jeweils geltenden Fassung zur Überwachung der Einholung und Handhabung sowie zur Bestätigung des Entsorgungsnachweises, zur Einrichtung und Führung der Nachweisbücher sowie zur Freistellung von Nachweispflichten hinsichtlich der vorgesehenen und der durchgeführten Entsorgung zu vollziehen und die Genehmigung über die Zulässigkeit der Verbringung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle zur Beseitigung aus anderen Bundesländern nach Thüringen zu erteilen (§ 2 Abs. 1 ThürSAbfÜVO).
Gegenstand der Beleihung der Beigeladenen sind hiernach Überwachungsaufgaben und die Erteilung der Verbringungsgenehmigung im Bereich der Entsorgung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle. Die Aufgabenübertragung erfasst einen eng begrenzten Ausschnitt aus den Vollzugsaufgaben nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz. Die Aufgaben betreffen im Wesentlichen die Kontrolle der in der Nachweisverordnung vorgeschriebenen Führung von Entsorgungsnachweisen und sind damit im Vergleich zu sonstigen hoheitlichen Tätigkeiten von eher untergeordneter Bedeutung. Die ordnungsgemäße Überwachung der Nachweisführung begründet keinen verstärkten Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen der Antragstellerinnen, da das Handeln des Beliehenen durch die Nachweisverordnung strikt gebunden ist. Unter diesem Blickwinkel macht es deshalb keinen erheblichen Unterschied, ob die Kontrollaufgaben durch staatliche Behörden oder in der Form materiellöffentlicher Verwaltung durch Private erfüllt werden. Angesichts dessen kann keine Rede davon sein, dass die funktionale Privatisierung dieser Aufgaben dem verfassungsrechtlich bestimmten Regel-Ausnahme-Verhältnis widerspricht.
Die funktionale Privatisierung der Überwachungsaufgaben bei der Entsorgung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle ist auch sachlich gerechtfertigt. Die der Beigeladenen übertragenen Aufgaben erfordern einen besonderen Sachverstand und eine effiziente Organisation bei der Wahrnehmung der Kontrollbefugnisse. Die Beigeladene verfügt nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts, die nicht mit einer zulässigen und begründeten Verfahrensrüge angegriffen worden sind, seit Jahren über spezielle Erfahrungen im Umgang mit besonders überwachungsbedürftigen Abfällen. Sie besitzt infolgedessen eine besondere Eignung, die damit zusammenhängenden hoheitlichen Aufgaben selbständig wahrzunehmen. Bereits diese Sachkompetenz ist ein hinreichender sachlicher Grund dafür, sie mit den entsprechenden Überwachungsaufgaben zu betrauen. Auf die missverständlichen Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts zur Rechtfertigung der Beleihung durch eine Optimierung von Vermeidungs- und Verwertungspotentialen, Entsorgungswegen und Entsorgungskapazitäten im Bereich der Sonderabfallentsorgung kommt es deshalb nicht an. Das verkennen die Antragstellerinnen mit ihrer Annahme, die Überwachung der Entsorgung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle dürfe nur dann auf Private übertragen werden, wenn diese auch für die Lenkung der Abfallströme zuständig seien. Ein Rechtssatz des Inhalts, dass im Bereich der Abfallentsorgung nur solche Aufgaben privatisiert werden dürften, die nach der Konzeption des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes durch die Entsorgungsverantwortung der privaten Abfallerzeuger und -besitzer geprägt sind, lässt sich dem Urteil des Senats vom 13. April 2000 – BVerwG 7 C 47.98 – Buchholz 451.221 § 13 KrW-/AbfG Nr. 5 S. 17 ≪26 f.≫) nicht entnehmen. Aus diesem Grund ist auch der von den Antragstellerinnen geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) nicht gegeben.
Die weitere Frage der Antragstellerinnen, ob die Übertragung der sachlichen Zuständigkeit zur Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten auf die Beigeladene höherrangigem Rechtes entspricht, kann schon deswegen nicht zur Zulassung der Revision führen, weil die angegriffene Norm insoweit kein zulässiger Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens sein kann. Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Oberverwaltungsgericht “im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit” über die Gültigkeit von Normen. Dies hat zur Folge, dass Bestimmungen rein ordnungswidrigkeitsrechtlichen Inhalts nicht der Prüfung im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO unterliegen, weil gegen die auf solche Normen gestützten Bußgeldbescheide nach § 68 OWiG allein die ordentlichen Gerichte angerufen werden können (Beschluss vom 27. Juli 1995 – BVerwG 7 NB 1.95 – BVerwGE 99, 88 ≪96 f.≫; zuletzt Urteil vom 17. Februar 2005 – BVerwG 7 CN 6.04 – NVwZ 2005, 695).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Sailer, Kley, Herbert
Fundstellen
Haufe-Index 1511297 |
DÖV 2006, 651 |
JA 2006, 749 |
NuR 2006, 499 |
BayVBl. 2006, 543 |
DVBl. 2006, 840 |
UPR 2006, 271 |
ZfW 2007, 104 |
ZfW 2008, 58 |