Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 26.02.2013; Aktenzeichen 21 N 10.2960) |
Tenor
Das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2013 ergangene Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Der Antragsteller ist selbstständiger Rechtsanwalt und Pflichtmitglied der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung (der Antragsgegnerin). Er wendet sich gegen die Neunte Satzung zur Änderung der Satzung der Antragsgegnerin vom 7. Dezember 2009, durch die u.a. mit Wirkung zum 1. Januar 2010 die Regelaltersgrenze für den Anspruch auf Altersruhegeld von der Vollendung des 63. Lebensjahrs auf die Vollendung des 67. Lebensjahrs und die Altersgrenze für den Bezug des vorgezogenen Altersruhegeldes vom vollendeten 60. auf das vollendete 62. Lebensjahr angehoben worden ist.
Rz. 2
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag des Antragstellers abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.
Rz. 3
Die Beschwerde hat Erfolg. Der Sache kommt zwar nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Auch die vom Antragsteller hilfsweise begehrte Umdeutung in eine Divergenzrüge führt nicht zur Zulassung der Revision. Das angegriffene Urteil beruht jedoch auf dem gerügten Verfahrensmangel unzureichender Sachaufklärung, soweit der Verwaltungsgerichtshof die dem Verwaltungsrat zum Satzungsbeschluss in der Sitzung vom 26. Oktober 2009 vorgelegten schriftlichen Unterlagen zu den alternativen Möglichkeiten der finanziellen Sicherung des Versorgungssystems nicht beigezogen hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 86 VwGO).
Rz. 4
1. Die mit der Beschwerde erhobenen Grundsatzrügen werden den Darlegungsanforderungen gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht gerecht. Danach muss die Beschwerdebegründung eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwerfen, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt, und diese Voraussetzungen substantiiert dartun (Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14). Das ist hier nicht geschehen.
Rz. 5
a) Die erste vom Antragsteller für rechtsgrundsätzlich gehaltene Frage,
“Wird eine im Kapitaldeckungsprinzip erworbene Versorgungsanwartschaft, die allein auf einer Beitragszahlung des Mitglieds beruht und satzungsmäßig in der Beitragshöhe, dem Verrentungssatz und den Bezugs- bzw. Leistungszeitpunkt definiert ist, bereits dem Mitglied privatnützig zugeordnet und seiner persönlichen Verfügungsbefugnis unterworfen, so dass sie damit eine bestehende Eigentumsposition im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG darstellt?”,
bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Dass eine kapitalgedeckte berufsständische Versorgungsanwartschaft in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG fällt, ergibt sich bereits aus der gefestigten bisherigen Rechtsprechung zum Eigentumsschutz von Anwartschaften, die maßgeblich auf persönlicher eigener Leistung beruhen. Soweit die Frage sinngemäß darüber hinaus geklärt wissen will, ob die Eigenfinanzierung eine in kapitalgedeckte Anwartschaften eingreifende Inhalts- und Schrankenbestimmung ausschließt, ist sie bereits anhand der üblichen Methoden der Verfassungsauslegung und der einschlägigen Rechtsprechung ohne Weiteres – verneinend – zu beantworten. Sämtliche Eigentumspositionen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG sind einer Inhalts- und Schrankenbestimmung zugänglich, da die Eigentumsgarantie ein normgeprägtes Grundrecht ist; Inhalt und Schranken jeder Eigentumsposition sind daher stets durch Rechtsschutz zu definieren, ohne dass ein absoluter Bestandsschutz garantiert wäre. Die Eigenfinanzierung der Anwartschaft erhöht lediglich die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine in den bisherigen Rechtsbestand eingreifende Inhalts- und Schrankenbestimmung und begrenzt damit den Gestaltungsspielraum des Normgebers (BVerfG, Kammerbeschluss vom 31. August 2005 – 1 BvR 1776/97 – BVerfGK 4, 46 bis 49 ≪Rn. 9≫ und Beschluss vom 27. Februar 2007 – 1 BvL 10/00 – BVerfGE 117, 272; BVerwG, Urteil vom 21. September 2005 – BVerwG 6 C 3.05 – Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 350; Beschlüsse vom 16. April 2010 – BVerwG 8 B 118.09 – USK 2010, 45 und vom 13. April 2012 – BVerwG 8 B 86.11 – Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 54). Davon geht im Übrigen auch das angegriffene Urteil aus.
Rz. 6
b) Soweit der Antragsteller weiterhin folgende Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig aufwirft,
“Genügt Art. 10 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Ziff. 5 VersoG den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Ermächtigungsgrundlage im Sinne der Wesentlichkeitsrechtsprechung zur hinreichenden Bestimmtheit über Inhalt und Reichweite der Ermächtigung, indem es den Regelungsinhalt der Satzungen lediglich mit den Begriffen, Voraussetzungen, Art und Höhe sowie Erlöschen der Ansprüche bezeichnet?”,
rechtfertigt auch diese Frage nicht die Zulassung der Revision. Ob die dem Landesrecht zuzurechnende Bestimmung des § 10 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 5 VersoG mit höherrangigem Verfassungsrecht vereinbar ist, ist in erster Linie eine Frage der Auslegung und Anwendung irrevisiblen Landesrechts. Die Rüge, das maßgebliche Landesrecht verstoße gegen höherrangiges Bundesrecht – namentlich Bundesverfassungsrecht – rechtfertigt die Grundsatzrevision nur dann, wenn sie auf eine klärungsbedürftige Frage des Bundesrechts führt, nicht dagegen, wenn lediglich der Inhalt des Landesrechts angezweifelt wird (stRspr; Beschluss vom 5. Juni 1997 – BVerwG 1 B 104.97 – Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 37). Die Beschwerde legt jedoch eine klärungsbedürftige Frage des Bundesrechts in einer den Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise nicht dar.
Rz. 7
c) Des Weiteren erachtet der Antragsteller für grundsätzlich klärungsbedürftig:
“Deckt eine Ermächtigungsgrundlage zur Einführung eines Versorgungswerks mit der Satzungsregelung über Voraussetzungen, Art und Höhe sowie Erlöschen der Ansprüche auch die spätere grundlegende Abänderung einer einmal getroffenen Satzungsregelung und damit einhergehend die inhaltliche Neuregelung bereits entstandener Anwartschaften?”
Rz. 8
Diese Fragestellung nimmt nicht zur Kenntnis, dass der Verwaltungsgerichtshof in Auslegung und Anwendung des Landesrechts davon ausgegangen ist, dass die Neunte Änderungssatzung der Antragsgegnerin, die im Wesentlichen eine Neuregelung der Altersversorgung der Pflichtmitglieder der durch Anhebung der Altersgrenzen einschließlich Übergangsregelungen für bestimmte Mitgliedergruppen beinhaltet, von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des Art. 10 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 5 VersoG gedeckt ist. Dass sich insoweit eine Problematik des revisiblen Rechts stellen könnte, zeigt die Beschwerde nicht auf. Der Antragsteller zeigt auch nicht auf, dass im Hinblick auf die Maßstäbe zur Überprüfung der Auslegung bundesrechtlicher Klärungsbedarf bestehen könnte.
Rz. 9
2. Die vom Antragsteller begehrte “Umdeutung” seiner Grundsatzrügen in Divergenzrügen kann ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision führen. Dem Vorbringen zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ist nicht zu entnehmen, dass das angegriffene Urteil einen bestimmten entscheidungstragenden Rechtssatz aufgestellt hätte, der einem ebensolchen, in einer Divergenzentscheidung aufgestellten Rechtssatz zur Anwendung derselben Rechtsnorm widerspräche. Vielmehr geht die Beschwerdebegründung in ihren Ausführungen zur Grundsatzrüge davon aus, die aufgeworfenen Fragen seien in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht geklärt.
Rz. 10
3. Das angegriffene Urteil leidet jedoch an einem der gerügten Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO und kann darauf beruhen.
Rz. 11
a) Die geltend gemachte Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) liegt vor. Die Bildung der richterlichen Überzeugung nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO setzt eine ausreichende Erforschung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO voraus, d.h., dass das Gericht alle vernünftigerweise zu Gebote stehenden Möglichkeiten einer Aufklärung des nach seiner materiellrechtlichen Rechtsauffassung für seine Entscheidung erheblichen Sachverhalts ausschöpft, die geeignet sein können, die für die Entscheidung erforderliche Überzeugung des Gerichts zu begründen.
Rz. 12
Die Beschwerde rügt insoweit zu Recht, dass es der Verwaltungsgerichtshof unterlassen hat, die im Protokoll der Verwaltungsratssitzung vom 26. Oktober 2009 angeführten schriftlichen Unterlagen zu Alternativmodellen einschließlich der Tischvorlagen 1 und 2 zum Tagesordnungspunkt 7 (Entwürfe zu der Neunten Änderungssatzung vom 7. Dezember 2009 in den Varianten “Zuschlagsmodell”, “Stufenmodell” und “Mischmodell”) beizuziehen.
Rz. 13
Der Verwaltungsgerichtshof ist materiell-rechtlich davon ausgegangen, dass dem Satzungsgeber bei der Bestimmung des Inhalts und der Schranken rentenversicherungsrechtlicher Positionen zur Sicherung der Funktions- und Leistungsfähigkeit des Versorgungssystems ein Gestaltungsspielraum zukommt, der sich in dem Maße verengt, in dem Versorgungsansprüche oder Versorgungsanwartschaften durch den personalen Bezug des Anteils eigener Leistungen des Versicherten geprägt sind. Die Befugnis, Rentenansprüche oder -anwartschaften zu beschränken, sieht das Berufungsgericht durch die Anforderung begrenzt, dass dies einem Gemeinwohlzweck dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht (BVerwG, Urteil vom 21. September 2005 a.a.O., Beschluss vom 13. April 2012 a.a.O.).
Rz. 14
Dennoch hat der Verwaltungsgerichtshof es abgelehnt, die für die Beurteilung der Erforderlichkeit der Satzungsänderung relevanten Unterlagen zu den Entwürfen der Neunten Änderungssatzung in den Varianten “Zuschlagsmodell”, “Stufenmodell” und “Mischmodell” beizuziehen. Von dieser Aufklärungsmaßnahme, die der Antragsteller im Termin zur mündlichen Verhandlung beantragt hat, durfte das Berufungsgericht nicht schon wegen seiner sehr zurückhaltenden Bestimmung der Rechtsgrenzen des Ermessens des Satzungsgebers absehen. Denn ungeachtet seiner Ausführungen dazu hat der Verwaltungsgerichtshof am Gebot der Erforderlichkeit festgehalten und es – zutreffend – dahin konkretisiert, dass eine Maßnahme nicht erforderlich ist, wenn es ein mindestens ebenso geeignetes milderes Mittel gibt. Er hat deshalb konsequent maßgeblich darauf abgestellt, ob die als Alternativen in Betracht kommenden Modelle wie etwa eine Ruhegeldkürzung oder eine Beitragserhöhung ebenso geeignet und für die Mitglieder im Ergebnis weniger belastend gewesen wären als die beschlossene Satzungsänderung. In der Subsumtion hat er sich jedoch mit der Mutmaßung begnügt, die Belastung durch Alternativmaßnahmen wäre “wohl vergleichbar” gewesen. Dies konnte nicht die auch nach seiner Rechtsauffassung erforderlichen Feststellungen zur Geeignetheit und zu den Belastungswirkungen der in der Sitzung des Verwaltungsbeirats am 26. Oktober 2009 zur Wahl gestellten Alternativen ersetzen. Da sich aus dem Sitzungsprotokoll insoweit keine hinreichenden Anhaltspunkte ergeben, war eine Beiziehung der Anlagen und Tischvorlagen zum betreffenden Tagesordnungspunkt 7 unumgänglich.
Rz. 15
b) Bezüglich der Anhebung der Regelaltersgrenze von der Vollendung des 63. Lebensjahrs auf die Vollendung des 65. Lebensjahrs ist dagegen weder ein Aufklärungsmangel noch eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör substantiiert dargelegt. Insoweit übersieht die Beschwerdebegründung, dass der Prüfung von Verfahrensmängeln die materiell-rechtliche Auffassung der Vorinstanz zugrunde zu legen ist. Der Verwaltungsgerichtshof ist erkennbar davon ausgegangenen, dass die Verhältnismäßigkeit und damit auch die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Konsolidierungsmaßnahmen in Bezug auf die Satzungsänderung in ihrer Gesamtheit zu prüfen ist, so dass nicht auf einzelne der aufeinander bezogenen Teilregelungen abgestellt werden kann. Nach dieser Auffassung kam es nicht darauf an, ob die Erhöhung der Regelaltersgrenze, soweit sie eine Anhebung von der Vollendung des 63. auf die Vollendung des 65. Lebensjahrs vorsah und – nur – insoweit mit vollem Wertausgleich verbunden war, zum Erreichen des Regelungszwecks nicht beitragen konnte. Zum einen trug aus der Sicht des Verwaltungsgerichtshofs zur Geeignetheit schon bei, dass auch eine Anhebung mit Wertausgleich zumindest die Fälligkeit verschob. Zum anderen war aus seiner Sicht entscheidend, dass die weitere, nur für die mittleren Jahrgänge abgestufte Anhebung der Regelaltersgrenze auf die Vollendung des 67. Lebensjahrs nicht durch Wertausgleich kompensiert wurde. Die relative Begünstigung der mittleren und älteren Jahrgänge erscheint aus der materiell-rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts als differenzierende Regelung zur Wahrung des Vertrauensschutzes und nicht als Beleg der Ungeeignetheit der Satzungsänderung insgesamt. Der Verwaltungsgerichtshof hat deshalb zum Vortrag des Antragstellers in dem angefochtenen Urteil (vgl. S. 18 Urteilsabdruck) ausgeführt: “Zum Ausgleich für die Anhebung der Regelaltersgrenze auf das 65. Lebensjahr werden ihre vor dem 1. Januar 2010 erworbenen Anwartschaften einmalig zum 1. Januar 2010 um einen versicherungsmathematischen Zuschlag von 11,81 % erhöht. Auch dieser Zuschlag verringert die Belastung für die zum Zeitpunkt der Neustrukturierung der Altersversorgung bereits existenten Anwartschaftsberechtigten erheblich und trägt wesentlich zur Angemessenheit der neuen Regelungen bei.” Wegen dieser Berücksichtigung des Vorbringens liegt keine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör vor.
Rz. 16
c) Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, das Versorgungssystem des Antragsgegners weise auch Elemente der Solidarität und des sozialen Ausgleichs auf, beruht ebenfalls nicht auf den vom Antragsteller gerügten Verfahrensmängeln. Der Verwaltungsgerichtshof stützt diese Einschätzung nicht auf Tatsachenfeststellungen, sondern auf eine Auslegung der Satzung des Antragsgegners, insbesondere der Bestimmungen zur Versorgung bei Berufsunfähigkeit und zur Hinterbliebenenversorgung. Die Auslegung irrevisiblen Landesrechts, zu dem die Satzung zählt, kann nicht mit Verfahrensrügen angegriffen werden.
Rz. 17
Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, gemäß § 133 Abs. 6 VwGO durch Beschluss das angegriffene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.
Rz. 18
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 GKG, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Dr. h. c. Rennert, Dr. Held-Daab, Dr. Rudolph
Fundstellen