Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Prozessvertreter einer Behörde. Organisationsverschulden. Fristenkontrolle. Berufungsbegründungsfrist
Leitsatz (amtlich)
Die zu einer wirksamen Fristenkontrolle erforderlichen Handlungen wie die Eintragung im Fristenkalender müssen zum frühestmöglichen Zeitpunkt vorgenommen werden.
Normenkette
VwGO §§ 60, 67
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 05.08.2004; Aktenzeichen 12 A 4693/02) |
VG Aachen (Entscheidung vom 25.06.2002; Aktenzeichen 2 K 2692/98) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. August 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe von mehr als 65 000 € bis zu 80 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf Zulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Klägerin ist nicht begründet.
Die Revision kann nicht nach den §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensmangels zugelassen werden. Ein Verfahrensmangel liegt nicht darin, dass das Berufungsgericht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Bezug auf die nicht eingehaltene Berufungsbegründungsfrist abgelehnt hat.
Zutreffend und von der Klägerin anerkannt, hat das Berufungsgericht bei der Prüfung eines Verschuldens im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO für die nach § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO zur Prozessvertretung befugten Personen den gleichen Sorgfaltsmaßstab angelegt wie für Rechtsanwälte. Denn in Bezug auf § 60 VwGO gelten die für die Prozessvertretung durch Rechtsanwälte entwickelten Grundsätze für die Prozessvertretung durch die in § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO genannten Personen entsprechend (BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2000 – BVerwG 11 C 10.00 – ≪Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 237 = NVwZ 2001, 430≫).
Zu Recht hat das Berufungsgericht ein Verschulden der zur Prozessvertretung befugten Personen der Klägerin darin gesehen, dass sie nicht für eine Büroorganisation gesorgt haben, die eine hinreichende Fristenkontrolle sicherstellt. Hierfür müsste sichergestellt sein, dass die zur wirksamen Fristenkontrolle erforderlichen Handlungen – dazu gehört die Eintragung im Fristenkalender – zum frühestmöglichen Zeitpunkt, das heißt unverzüglich nach Eingang des betreffenden Schriftstücks, vorgenommen werden (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 – VIII ZB 115/02 – ≪NJW 2003, 1815≫). Daran fehlt es. Denn nach ihrem Vortrag zur Wiedereinsetzung verfährt die Klägerin bei Eingang von Fristsachen wie folgt: Eine nach § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO prozessvertretungsbefugte Beamtin der Klägerin fülle das Empfangsbekenntnis aus, vermerke auf dem Schriftstück die Frist, veranlasse mit der Abgabe des Schriftstücks und der Akte an eine Mitarbeiterin, dass diese eine Kopie des Schriftstücks zur Bearbeitung an das Fachamt schicke. Die Frist trage die Beamtin in ihren Tischkalender, der zugleich als Fristenkalender diene, als Fristsache aber erst ein, nachdem die Mitarbeiterin nach Erledigung der Kopieversendung an das Fachamt die Akte mit eingeheftetem Schriftstück auf den Schreibtisch der Beamtin zurückgelegt habe. Damit wird nicht sichergestellt, dass die Eintragung im Fristenkalender zum frühestmöglichen Zeitpunkt vorgenommen wird. Ein Grund, der einer solchen Eintragung gleich im Anschluss an die Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses und der Notierung des Zustellungsdatums bzw. der Frist auf dem Schriftstück entgegenstünde, ist weder von der Klägerin vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dass es mit der Büroorganisation der Klägerin zur Eingangsbehandlung von Fristsachen bisher zu keinen Komplikationen gekommen sein mag, belegt ihre Tauglichkeit für eine zuverlässige Fristenkontrolle nicht. Denn diese Büroorganisation schließt Fehlerquellen in der Zeit von der ersten Eingangsbehandlung durch die prozessvertretungsbefugte Beamtin bis zur erneuten Schreibtischvorlage unnötigerweise nicht aus. Die nicht ausreichende Büroorganisation war für die Fristversäumung auch ursächlich. Denn bei einer routinemäßigen Eintragung der Frist im Tisch-/Fristenkalender zusammen mit den anderen Erledigungen im Anschluss an die Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses – ein Augenblicksversagen ist für diese Erledigungen nicht vorgetragen – wäre die Frist von der Vertreterin erkannt worden.
Die Revision kann auch nicht nach den §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen werden. Geht man, wie es die Klägerin anerkennt, davon aus, dass an nach § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO vertretungsbefugte Personen keine geringeren Anforderungen in Bezug auf die Sicherstellung der Fristenwahrung zu stellen sind als an Rechtsanwälte, dann bedarf es keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass Gerichte die Art und Weise organisatorischer Maßnahmen zur Sicherstellung der Fristenwahrung vorgeben können und dass sich der erforderliche Umfang solcher organisatorischer Maßnahmen – jedenfalls soweit er der Entscheidung des Berufungsgerichts zugrunde liegt – generell festlegen lässt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO; es entspricht nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen der unterlegenen Partei oder der Staatskasse aufzuerlegen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG in der Fassung des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718).
Unterschriften
Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Rothkegel
Fundstellen
Haufe-Index 1312711 |
ZAP 2005, 322 |
DÖV 2005, 519 |
BayVBl. 2005, 510 |