Entscheidungsstichwort (Thema)
Einzelhandelsausschluss. Gewerbegebiet. Rechtfertigung. Dienstleistungs-Richtlinie
Leitsatz (amtlich)
Planungsrechtlich bewirkte Beschränkungen der Standorte von Einzelhandelsbetrieben aus Gründen der Stadtentwicklung und des Verbraucherschutzes sind grundsätzlich zulässig und stehen nicht im Widerspruch zu Unionsrecht.
Normenkette
AEUV Art. 49; DL-RL Art. 4 Nr. 8; BauNVO § 8
Verfahrensgang
Thüringer OVG (Urteil vom 19.09.2012; Aktenzeichen 1 KO 823/09) |
VG Weimar (Entscheidung vom 20.05.2009; Aktenzeichen 1 K 168/08.We) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 19. September 2012 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 108 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
Rz. 2
Die vom Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene – sinngemäße – Frage, ob ein vollständiger Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben in einem Gewerbegebiet durch Festsetzungen eines (einfachen) Bebauungsplans mit der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV bzw. der Dienstleistungs-Richtlinie vereinbar ist, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Sie lässt sich, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte, mit dem Oberverwaltungsgericht bejahen.
Rz. 3
Wie der Kläger ausgeführt hat, ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass ein völliger Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben durch Festsetzungen eines Bebauungsplans grundsätzlich möglich und zulässig ist. Im Rahmen ihres planerischen Ermessens darf die Gemeinde steuern, ob und in welchem Umfang sie Teile des Gemeindegebiets zur Unterbringung von Einzelhandelsbetrieben zur Verfügung stellt. Voraussetzung ist, dass städtebauliche Gründe gemäß § 1 Abs. 3 BauGB vorliegen, die sich aus der jeweiligen konkreten Planungssituation ergeben und die Abweichung von der typisierten Baugebietszusammensetzung nach der Baunutzungsverordnung rechtfertigen (Urteil vom 26. März 2009 – BVerwG 4 C 21.07 – BVerwGE 133, 310 Rn. 12; Beschlüsse vom 4. Oktober 2007 – BVerwG 4 BN 39.07 – BRS 71 Nr. 21 = juris Rn. 5, vom 10. November 2004 – BVerwG 4 BN 33.04 – Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 30 = juris Rn. 4, vom 11. Mai 1999 – BVerwG 4 BN 15.99 – BRS 62 Nr. 19 = juris Rn. 5, vom 3. Mai 1993 – BVerwG 4 NB 13.93 – Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 16 = juris Rn. 5 und vom 18. Dezember 1989 – BVerwG 4 NB 26.89 – Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 7 = juris Rn. 6). Geklärt ist des Weiteren, dass die Freihaltung eines Gewerbegebietes für produzierende und dienstleistungsorientierte Gewerbebetriebe wie auch die Sicherung der verbrauchernahen Versorgung in den angrenzenden Wohngebieten legitime städtebauliche Ziele sind, die je nach Planungssituation einen Einzelhandelsausschluss rechtfertigen können. Ein solcher Einzelhandelsausschluss dient der Steuerung der Stadtentwicklung und Bodennutzung und damit dem Schutz der städtischen Umwelt.
Rz. 4
Aus Sicht des Unionsrechts stellen planerische Maßnahmen, die dem Schutz der städtischen Umwelt dienen, zwingende Gründe des Allgemeininteresses dar, die Beschränkungen im Sinne des Beschränkungsverbots rechtfertigen können. Dass der Schutz der städtischen Umwelt mit den Mitteln der Stadt- und Raumplanung zu den anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gehört, lässt sich der im Urteil vom 16. Dezember 2010 – BVerwG 4 C 8.10 – (BVerwGE 138, 301) angeführten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entnehmen. Unabhängig davon, ob die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt – Dienstleistungs-Richtlinie (DL-RL) – (ABl EG Nr. L 376 S. 36) – wie vom Oberverwaltungsgericht unterstellt – überhaupt (unmittelbar) anwendbar ist, wird auch dort ausdrücklich sowohl in den Erwägungsgründen 40, 56 und 66 als auch in Art. 4 Nr. 8 DL-RL als Beispiel für “zwingende Gründe des Allgemeininteresses”, die eine Beschränkung rechtfertigen können, der “Schutz der städtischen Umwelt” – nach Erwägungsgrund 40 – “einschließlich der Stadt- und Raumplanung” angeführt. Auf dieser Linie liegt auch das Urteil des Senats vom 16. Dezember 2010: Danach ist eine raumordnungsrechtliche Ansiedlungssteuerung für Einzelhandelsgroßbetriebe unionsrechtlich durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt, wenn Ziel der Maßnahme eine effektive Nutzung und Bündelung der öffentlichen Infrastruktur sowie die Vermeidung eines unnötigen Flächen- und Ressourcenverbrauchs durch Zersiedelung und den damit einhergehenden Verkehr ist (Urteil vom 16. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 23). Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 24. März 2011 (Rs. C-400/08, Kommission/Spanien, Slg. 2011, I-1915), die sich in den Grundaussagen mit den vom Senat im Urteil vom 16. Dezember 2010 in Bezug genommenen Schlussanträgen der Generalanwältin Sharpston vom 7. Oktober 2010 deckt (Beschluss vom 21. Mai 2013 – BVerwG 4 B 59.12 –), bestätigt den Befund, dass planungsrechtlich bewirkte Beschränkungen der Standorte von Einzelhandelsbetrieben aus Gründen der Stadtentwicklung und des Verbraucherschutzes grundsätzlich zulässig sind. Diese Entscheidung ist zwar ebenso wie das Urteil des Senats vom 16. Dezember 2010 zu Maßnahmen der raumordnungsrechtlichen Ansiedlungssteuerung ergangen. Für die Rechtfertigung einer Steuerung der Standorte des Einzelhandels mit den Mitteln des Städtebaurechts gelten aber dieselben Grundsätze. Zielt eine Regelung – wie hier – auf den Schutz der städtischen Umwelt, kommt es nicht darauf an, auf welcher planungsrechtlichen Ebene sie ansetzt. Unzulässig sind rein wirtschaftlich motivierte Maßnahmen. Sowohl der Schutz der verbrauchernahen Versorgung, der angesichts der demographischen Entwicklung des besonderen Schutzes bedarf (vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 2009 – BVerwG 4 C 2.08 – Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 210 Rn. 8), als auch die Steuerung der Ansiedlung des produzierenden Gewerbes in einem bestimmten Gebiet sind aber nicht durch wirtschaftliche Gründe motiviert. Der Einzelhandelsausschluss dient vielmehr dem Ziel, die Stadtentwicklung und Bodennutzung zu steuern. Das hat das Oberverwaltungsgericht ausführlich dargelegt, insbesondere hat es in Übereinstimmung mit den unionsrechtlichen Vorgaben die Verhältnismäßigkeit der Regelung geprüft und dabei unter Würdigung der konkreten Planungssituation hervorgehoben, dass dem Kläger lediglich untersagt wird, im Bebauungsplangebiet, einem relativ kleinen Teil des Stadtgebiets der Beklagten, einen Einzelhandelsbetrieb zu eröffnen (UA S. 18). Der Vorwurf des Klägers, das Oberverwaltungsgericht habe sich nur unzureichend mit den unionsrechtlichen Vorgaben auseinandergesetzt, ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar.
Rz. 5
Die “bejahendenfalls” gestellte weitere Frage nach einem Abwägungsmangel, “wenn und weil” sich der Plangeber in der Begründung des Bebauungsplans nicht mit den unionsrechtlichen Vorgaben auseinandergesetzt habe, genügt nicht den Darlegungsanforderungen i.S.d. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Eine Feststellung, dass sich der Plangeber in der Begründung des Bebauungsplans nicht mit den unionsrechtlichen Vorgaben auseinandergesetzt hat, enthält das angefochtene Urteil nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts scheidet die Zulassung der Revision aber aus, wenn ein Berufungsgericht eine Tatsache nicht festgestellt hat, die für die Entscheidung der angesprochenen Rechtsfrage erheblich sein würde, sondern lediglich die Möglichkeit besteht, dass die Rechtsfrage nach Zurückverweisung der Sache aufgrund weiterer Sachaufklärung entscheidungserheblich werden könnte (vgl. Beschlüsse vom 28. Dezember 1998 – BVerwG 9 B 197.98 – juris Rn. 6 und vom 28. November 2005 – BVerwG 4 B 66.05 – ZfBR 2006, 159). Unabhängig davon fehlt aber auch jegliche Begründung, warum das Oberverwaltungsgericht Anlass gehabt haben sollte, die Abwägung unter dem vom Kläger thematisierten Gesichtspunkt zu überprüfen.
Rz. 6
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Rubel, Dr. Bumke, Petz
Fundstellen
Haufe-Index 4366628 |
BauR 2013, 1633 |
DÖV 2013, 822 |
NuR 2013, 661 |
VR 2013, 396 |
ZfBR 2013, 572 |
BayVBl. 2013, 697 |
BBB 2013, 60 |
FSt 2014, 391 |